Wolfgang Fuhl baut auf die Angst. Der AfD-Politiker weiß, dass in jüdischen Kreisen viel Furcht herrscht vor Muslimen, die nun nach Deutschland flüchten. So erinnert der Rechtspopulist aus Baden-Württemberg an den Gaza-Krieg vor zwei Jahren:
"Als wir Demonstrationen hatten - große Demonstrationen in Deutschland - von Muslimen, wo gerufen wurde: Juden ins Gas! Und wir haben hier tatsächlich ein Problem eines importierten Antisemitismus. Und das wird sich natürlich mit dieser Flüchtlingswelle weiter verschärfen."
Fuhl, 56 Jahre alt und Sprecher der AfD in Lörrach, ist selbst Jude: Bis vor vier Jahren hat er die Israelitische Kultusgemeinde Lörrach sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden mitgeleitet. Zeitweise saß er sogar im Direktorium des Zentralrats der Juden. Für seine Parteiarbeit erntet er - nach eigener Aussage - mitunter Kopfschütteln in jüdischen Kreisen. Aber die meisten Juden loben ihn angeblich.
"Ich treffe ja die Gemeindemitglieder auf der Straße, die drücken mich herzlich und die positiven Meldungen und Meinungen zu meinem Engagement überwiegen."
Rechtspopulisten auf Stimmenfang
Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist alarmiert. So warnte das Spitzengremium Ende Februar in einem Rundschreiben an die Gemeinden davor, "sich von einer antimuslimischen, hetzerischen Rhetorik der AfD umgarnen zu lassen." Zentralratspräsident Josef Schuster berichtet:
"Wir haben erlebt, dass gerade seitens rechtspopulistischer Strukturen - auch der AfD - versucht wurde, auf Stimmenfang zu gehen innerhalb der jüdischen Gemeinde. Insbesondere bei denen, die in den letzten Jahren, Jahrzehnten, aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind. Und hier war es uns ein Anliegen klarzumachen, wie wir, sprich der Zentralrat, die AfD sieht."
Dass Rechtspopulisten gezielt Juden ansprechen, ist in Europa keine Ausnahme. So buhlt in Frankreich Marine Le Pen ebenfalls um jüdische Stimmen. Die Chefin des rechtsgerichteten Front National verkündete im vergangenen Jahr: "Es besteht eine Gefahr für Juden in Frankreich. Sie sollten aufseiten jener kämpfen, die sich über die Gefahr des islamistischen Fundamentalismus im Klaren sind!"
Jüdische Wähler gegen antisemitisches Image
Bereits zuvor hatte sich Marine Le Pen von antisemitischen Positionen ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, distanziert, der einst den Front National gründete. Zudem lässt sie judenfeindliche Parteimitglieder - demonstrativ - ausschließen. Neuerdings versucht der Front National sogar, einen Verein speziell für jüdische Unterstützer aufzubauen. Alles nur Taktik - vermutet das American Jewish Committee - eine jüdische Organisation, die weltweit gegen Antisemitismus kämpft. Die Pariser AJC-Chefin Simone Rodan-Benzaquen analysiert das Vorgehen von Marine Le Pen:
"Die Strategie ist auf jeden Fall, einen 'Koscher-Stempel' zu bekommen, um eine normale Partei zu werden, um eine normale Regierungspartei zu werden. Der Front National hat sehr früh identifiziert, dass das wirkliche Problem ist, das antisemitische Image des Front National. Und die einzige Art und Weise, wie das wirklich geändert werden kann ist, indem man die jüdischen Wähler zu sich bringt."
Ähnlich wie in Deutschland registriert auch die jüdische Gemeinschaft in Frankreich, dass die antimuslimische Propaganda durchaus Wirkung zeigt. Rodan-Benzaquen sagt:
"Es gibt einige französische Juden, die glauben, der Feind meines Feindes könnte eventuell mein Freund sein."
Der Hintergrund: Viele französische Juden haben Sorgen um ihre Sicherheit. Denn immer wieder gibt es Übergriffe - und nicht zuletzt Terroranschläge - von zumeist arabischstämmigen Tätern. Rodan-Benzaquen:
"Wir haben dieses Jahr alleine über 800 antisemitische Attacken in Frankreich gehabt, einige französische Juden wurden getötet seit mehreren Jahren, und die Angst in der französischen jüdischen Bevölkerung ist auf jeden Fall sehr groß."
Da scheint es wenig überraschend, dass rund 13 Prozent der französischen Juden für Marine Le Pen stimmen. Das jedenfalls besagt eine Studie, die die Präsidentschaftswahl 2012 untersucht hat. Aktuelle Schätzungen gibt es zwar nicht, aber Experten befürchten eine steigende Zustimmung - vor allem durch die jüngsten Anschläge. Die Leitungen der jüdischen Gemeinden Frankreichs lehnen allerdings jegliche Kooperation mit den Rechtspopulisten ab. Sie erinnern an die jahrzehntealte judenfeindliche Vergangenheit des Front National und seine Kontakte zur Rechtsextremisten.
Simone Rodan-Benzaquen, die Frankreich- wie auch Europa-Chefin des American Jewish Commitee, ist überzeugt: Der antimuslimische Rassismus der Rechten könnte jederzeit umschwenken.
Verbände warnen vor Rechtspopulisten
"Der Rassismus vom Front National könnte sich auf jeden Fall gegen Juden richten, das ist der Lauf der Geschichte."
Ähnlich denkt die jüdische Gemeinschaft in Österreich und in Ungarn, wo mit der FPÖ beziehungsweise der Jobbik-Partei Rechtspopulisten ebenfalls versuchen, jüdische Stimmen zu gewinnen. Der Europäisch Jüdische Kongress, ein Dachverband von 39 nationalen Organisationen, hat sich im Januar dazu positioniert. Vizepräsident Ariel Muzicant, ein österreichischer Vertreter, berichtet:
"Der Europäisch Jüdische Kongress hat festgelegt, dass wir bis auf weiteres mit diesen rechtsextremen Parteien nicht kommunizieren, solange sich nicht eine nachhaltige Veränderung in diesen Parteien darstellt."
Die jüdische Dachorganisation registriert auch mit Sorge, dass Europas Rechte immer wieder versucht, die israelische Regierung für sich zu gewinnen. Bislang stießen sie jedoch auf Ablehnung in Jerusalem. Nach Meinung das American Jewish Commitee zeigt gerade das Umwerben Israels die heuchlerische Strategie der Rechtspopulisten. So erzählt Simone Rodan-Benzaquen, dass der Front National auch mit gegenteiligen Positionen Werbung macht - in muslimischen Kreisen.
"Ich habe es gehört von einigen Leuten, die ich kenne innerhalb der muslimischen Gemeinde, wo der Front National dann sagte: 'Ja, wir sind gegen Israel, wir sind gegen den Zionismus - kommt doch zu uns!' Also das ist eine andere Strategie, die noch nicht ganz groß ist, es aber auf lokaler Ebene schon gibt. Das Feindbild wird auf jeden Fall immer angepasst für den Wähler."