Archiv


Europa und das Minarett-Verbot in der Schweiz

Der Volksentscheid in der Schweiz gegen den Bau von Minaretten hat eine europaweite Diskussion entfacht über das Zusammenleben mit muslimischen Einwanderern und ihrem Verhältnis zu Demokratie und Freiheitsrechten. Im Haus der Kulturen in Berlin trafen sich ein Christdemokrat, ein Orientalist mit persischen Wurzeln, ein Schweizer Künstler und ein jüdischer Historiker zum Diskutieren.

Von Frank Hessenland |
    "Das ist ein wirklicher Tabubruch in der europäischen und modernen europäischen Geschichte."

    Für Navid Kermani, den deutschen Orientalisten persischer Herkunft, ein renommiertes Mitglied der Deutschen Islamkonferenz ist das Schweizer Minarettverbot eine Katastrophe. Wie viele nach Europa eingewanderte Muslime hält er das Ergebnis der Volksabstimmung für den Startschuss einer neuen Welle rechter Diskriminierung von Muslimen in Europa.

    "Wenn das durchkommt, wird natürlich das nächste Tabu brechen, dann wird das nächste Tabu brechen, dann wird das nächste Land kommen. Dann wird Österreich kommen, dann wird Holland kommen, ... dann geht es schon um die Friedhöfe, die muslimischen Friedhöfe, die es auch nicht mehr geben soll.”"

    Sollte er recht behalten, steht der EU eine Zukunft des sozialen Unfriedens bevor. So sieht es auch der Publizist Frank A. Meyer. Er befürchtet, dass rechte Parteien wie die schweizerische SVP den Rechtsstaat per Volksentscheid aushebeln werden.

    " "Der Volksführer und das Volk und das Parlament ist ausgeschaltet. Das ist natürlich die Abschaffung der Demokratie unter Vorspiegelung derselben. Da ist ein ganz großes Problem, das überall lauert.”"

    Eine Rücknahme des Minarettverbots durch die Schweiz wird es kaum geben. Das Parlament darf es nicht, ein neues Volksbegehren ist unwahrscheinlich. Dass die Entscheidung dennoch nicht den großen Dammbruch in Europa einläutet, darauf weist Verfassungsrechtlerin Susanne Baer hin. Die Vizepräsidentin der Humboldt-Universität sieht die Lösung beim Europäischen Gerichtshof:

    ""Die Schweiz hat besten Wissens und Gewissens den Beitritt zum System des Menschenrechtsschutzes der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt. Das ist ein Vertrag, den hat sie ratifiziert, das ist genauso Demokratie wie dieser Volksentscheid, und sie hat sich damit willentlich und wollend unterworfen, was nun Menschenrecht auf einer anderen Ebene sichert. Das ist der Gang der Dinge. In fünf bis sechs Jahren werden wir eine Entscheidung haben, die im Kern der Schweiz sagen wird, meine Lieben, in eurer Verfassung steht etwas, was mit dem europäischen Standard nicht kompatibel ist. Das dürft ihr nicht mehr anwenden.”"

    Dennoch: Die extrem rechten Parteien in Holland, Österreich, Dänemark und anderen Staaten, die regelmäßig um die 30 Prozent der Wähler hinter sich bringen, werden die Initiative aufgreifen. Darin sind sich die Diskutanten im Haus der Kulturen einig. Für die Rechten ist es ein Akt des Widerstands gegen eine dramatische Entwicklung in allen europäischen Staaten, die niemand so recht beschlossen hat und niemand verhindern kann. Schlimmstenfalls kann man sie als Auflösung der nationalen Gesellschaften Europas bezeichnen, bestenfalls als historisch beispiellose Neuordnung. Navid Kermani:

    ""Alle europäischen Länder, gerade Deutschland hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine gewaltige Einwanderung erlebt. Ein Drittel der Deutschen hat einen Vater, eine Mutter, die nicht aus Deutschland stammen. Wenn man dann noch die Aussiedler nimmt, dann hat mehr als jeder zweite Deutsche innerhalb einer Generation eine Zuwanderungsgeschichte."

    Es muss gelingen - darin herrschte auch gestern Einigkeit -, einerseits den Immigranten die Gegebenheiten in Europa klarzumachen: Einwandererkurse, Sprachvermittlung und die deutsche Islamkonferenz scheinen beispielhafte Transformationsriemen für diese Prozesse zu sein. Die Ursprungsgesellschaften haben jedoch tolerant und vorsichtig mit ihren Einwanderern umzugehen. Vor allem dürfen sie ihre demokratische Dominanz nicht missbrauchen, forderte Bundestagspräsident Norbert Lammert.

    ""Für mich gehört zu diesem nichtabstimmbaren Teil des europäischen Selbstverständnisses, dass Minderheitsrechte nicht zur Disposition von Mehrheiten stehen! Dann muss man wissen, nach historischen Erfahrungen in genau diesem gleichen Kontinent, dass das Verständnis vom Volk als letzter denkbarer Legitimationsinstanz nicht nur eine wunderschöne demokratische Legitimationsfigur, sondern eine gewaltige und gewalttätige Dampfwalze werden kann. Und deswegen würde ich für eine der Mindestvoraussetzungen halten, dass man eine verfassungsgerichtliche Vorprüfung von Plebisziten einführt.”"

    Der Schweiz hilft diese Idee allerdings nicht. Sie hat kein Verfassungsgericht für Plebiszite! Und sobald der Europäische Gerichtshof das Minarettverbot kassiert, gerät Europa in die nächste Grundsatzdiskussion. Die schweizerische SVP will auf die Kündigung der Menschenrechtskonvention dringen: per Volksentscheid!