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Europa und der Brexit
"Da ist sehr viel wertvolle Zeit verschleudert worden"

Durch den Brexit sei viel Zeit für etwas aufgewendet worden, "was uns weltpolitisch nicht weiterbringt", sagte der Historiker Kiran Klaus Patel im Dlf. Zudem könne es gut sein, dass es sich die Briten in zehn bis 15 Jahren noch einmal überlegen, ob sie nicht doch wieder Mitglied werden wollen.

Kiran Klaus Patel im Gespräch mit Kathrin Hondl |
Das Foto zeigt einen pro-europäischen Demonstranten. Er hält ein Plakat mit der Aufschrift "Time for a EU Turn" auf dem Platz vor dem Parlamentsgebäude.
Der Brexit sei für Großbritannien eine viel größere Herausforderung als für die EU, sagt der Historiker Kiran Klaus Patel (dpa-Bildfunk / AP / Frank Augstein)
Wie die Debatte über den Brexit ausgehe, sei derzeit noch völlig unklar, sagte der Historiker Kiran Klaus Patel im Dlf. Sicher sei nur, dass es eine größere Krise für Großbritannien sei als für die Europäische Union. Erst in zehn bis 15 Jahren werde man aber ermessen können, was das Verlassen der EU durch das Vereinigte Königreich mit sich bringe. Im Moment starrten alle wie das Kaninchen auf diesen Termin Ende März. Das könne dann möglicherweise disruptiv sein, "aber mittel- und langfristig kann sich dann alles wieder ganz anders entwickeln", sagte Patel. Es könne gut sein, dass die Briten es sich in einigen Jahren wieder anders überlegten.
Hauptproblem sei, dass die Briten bislang sehr klar gesagt hätten, "was sie alles nicht wollen, aber die Regierung war nicht in der Lage zu sagen, auf welches Modell sie sich den einigen möchte". Deshalb sei die Herausforderung für die britische Politik auch sehr viel größer als für die EU. Eine Folge der langen Verhandlungen über den Brexit sei aber auch, dass in allen anderen Ländern der EU die Debatte über einen möglichen Austritt deutlich abgenommen habe. "Diese Debatten sind durch den Brexit eher marginalisiert worden", sagte Patel. Vor einigen Jahren sei die Perspektive noch eine Fragmentisierung der EU gewesen, Stichwort Grexi. Heute wollten die Regierungen, die der EU kritisch gegenüberstehen, etwa Polen, Ungarn, Italien, in der EU verbleiben und diese von innen heraus in eine rechtspopulistische, neonationalistische Richtung verändern. "Da müssen wir uns auf neue Herausforderungen einstellen, die mit dem Brexit nur indirekt zu tun haben", sagte Patel.
Eine Verschiebung des Brexits werde nicht einfach werden, sagte Patel, weil sich die Frage stelle, mit welchen Auflagen das verbunden sei. Die Verschiebung werde wohl nur gewährt, "wenn die Briten sagen, was sie eigentlich erreichen wollen". Mit dem Brexit sei leider viel Zeit aufgewendet worden für etwas, "was uns weltpolitisch nicht weiterbringt, es gibt größere Herausforderungen". Es sei traurig, dass wir uns nicht mit anderen Fragen beschäftigen konnten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.