Dirk Müller: Das ist mehr als Sorge, das sind mehr als Befürchtungen, das ist Angst vor Gewalt, vor Gewehrkugeln, vor Bomben und vor Granaten, vor Tod. Die Kurden im Norden Syriens, die gekämpft und gelitten haben, Seite an Seite mit den Amerikanern gegen den IS, diesen Kampf haben die Kurden gewonnen. Jetzt ziehen die Amerikaner ab und dafür kommt die türkische Armee.
Donald Trump – wir haben es gehört – zieht die Truppen aus dem Norden Syriens ab. Die Kurden bleiben auf sich alleingestellt. Die Türkei wird wohl intervenieren. Das sind jedenfalls die Ankündigungen des Präsidenten. In den USA dagegen hagelt es massive Kritik an dieser Entscheidung von Donald Trump.
Darüber reden möchten wir nun mit dem CDU-Politiker Michael Gahler, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Guten Tag!
Michael Gahler: Guten Tag, Herr Müller.
"Das ist kein Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region"
Müller: Sind die Amerikaner jetzt Verräter?
Gahler: Es ist außerordentlich unglücklich, dass der Herr Präsident wieder mal einseitig solche Maßnahmen getroffen hat, so eine Entscheidung getroffen hat. Er hat das ja geschmückt mit dem Hinweis auf seine großartige und unübertroffene Weisheit, in der er diese Entscheidung getroffen hat. Ich glaube, er ist nicht selber einer Selbstironie fähig. Von daher hat er das wahrscheinlich auch so gemeint. Und die Kritik auch aus den eigenen Reihen – Lindsey Graham ist einer der Senatoren, die ihn da immer unterstützt haben -, die Kritik ist ja deutlich. Und ich finde auch: Es ist kein Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region.
Müller: Ich hatte Sie aber gefragt, ob es Verräter sind. Ist das Verrat?
Gahler: Das ist nicht die Kategorie, glaube ich, in der man da vorgehen sollte. Es ist eine politische Einschätzung des Herrn Präsidenten, die ich für falsch halte. Die Kurden verdienen Unterstützung. Sie haben fast alleine dort in dieser Gegend den IS niedergekämpft und deswegen ist es aus meiner Sicht politisch kein gerechtfertigter Schritt, jetzt dort abzuziehen und sie ihrem Schicksal zu überlassen.
Müller: Das nennen Sie unglücklich? Sie haben gesagt, das ist unglücklich. Das ist das Maximum, was Sie an Etikettierung da formulieren wollen?
Gahler: Ja! Ich meine, es ist ja kein Versprechen im rechtlich verbindlichen Sinne vorher gewesen, wir helfen euch jetzt auf alle Zeit. Solche Worte wie Verrat, die gefallen mir genauso wenig in der politischen Auseinandersetzung wie eine Art und Weise, wie der Präsident seine Vorgehensweise hier beschreibt.
"Die Türkei hat nicht das Recht, auf der anderen Seite einzugreifen"
Müller: Dann reden wir über die Europäer. Die schauen wie immer zu, sagen alle, und beschäftigen sich vielleicht mit Glühbirnen. Was machen die Europäer? Sind die wieder außen vor und kümmern sich im Grunde nur um die richtigen Worte?
Gahler: Die Reaktion auf europäischer Seite hier ist deutlich gegenüber der Türkei zu sagen, dass sie diese militärischen Planungen oder dieses Vorgehen, was geplant ist, unterlassen sollten. Denn die Lösung für dieses Problem wird sicherlich nicht langfristig durch einen Militäreinsatz jenseits der türkischen Grenze erreicht. Die Türkei hat legitime Sicherheitsinteressen. Das erkennen wir an. Aber sie hat aus meiner Sicht hier nicht das Recht, auf der anderen Seite einzugreifen, denn es wird zusätzliches humanitäres Leid geschaffen und natürlich auch in der Auseinandersetzung mit den kurdischen Einheiten dort weitere Menschenopfer geben.
Das ist der Aufruf, das nicht zu tun, und wenn es die Türkei trotzdem tut, müssen wir uns hier überlegen, wie wir da reagieren. Es ist in der Tat so: Wir haben seit Jahren - vor acht Jahren ging es dort los in Syrien -, wir haben seit Jahren eigentlich als Europäer eher abseits gestanden. Das kann man jetzt nicht im Einzelnen mehr durchgehen, was wir dort alles getan haben, aber im Ergebnis sind wir jetzt außerhalb jeglicher unmittelbarer Einflussnahme. Aber gleichwohl sollten wir dafür sorgen, mit den geeigneten Mitteln, dass die Türkei es vielleicht nicht tut.
Wir hier im Europäischen Parlament haben darüber im Rahmen des Haushaltsverfahrens gerade diskutiert. Wir haben die Vorbeitrittshilfen für die Türkei bereits weiter gekürzt, und ich könnte mir als einen Hebel vorstellen, dass wir im weiteren Verfahren diese Vorbeitrittshilfen für das Kandidatenland Türkei noch weiter kürzen, wenn sie tatsächlich da einmarschieren.
"Im Augenblick sind wir in diesem Verfahren draußen"
Müller: Das sagen Sie jetzt für das Europäische Parlament, Herr Gahler. Sie sind ja dort Mitglied. Das ist klar. Mit Blick auf die Regierungen haben Sie auch schon angedeutet, das Motto gilt nach wie vor: Starke Worte und nichts tun.
Gahler: Ja, ich glaube schon. Wenn wir Mittel kürzen, das wäre auch etwas tun. Aber ich sehe nicht, dass wir jetzt dort ein Vakuum füllen, was die Amerikaner vielleicht hinterlassen.
Müller: Das machen die Europäer ja nie. Wo es weh tut, gehen die Europäer nicht hin. Aber Sie ermahnen die anderen, das zu tun.
Gahler: Ich wünschte mir, dass wir in unserer Nachbarschaft für die Zukunft tatsächlich die politische Kraft, den politischen Willen aufbringen, dass wir dort gemeinsam uns positionieren. Und das heißt für mich in der Außenpolitik, da müssen wir das ganze Spektrum vom außenpolitischen Werkzeugkasten auch mit dabei haben. Damit meine ich dann immer von der Verbalnote bis zum Kampfflugzeug. Aber im Augenblick sind wir in diesem Verfahren, in diesen Abläufen so weit draußen und ich bedauere das, weil es ja unmittelbare Auswirkungen auf uns auch hat, wenn jetzt weitere Flüchtlinge in die Türkei drängen und die Türkei dann unter Druck kommt und die weiterschiebt. Das sind ja alles Dinge, die uns unmittelbar betreffen, und ich kann es nur bedauern, dass wir in der gegenwärtigen Lage nicht mehr unmittelbaren Einfluss haben.
"Wir werden von den Konsequenzen betroffen sein"
Müller: Sie sagen immer "wir". Das habe ich jetzt auch getan, zugegebener Weise. Wer ist "wir"? Wer bremst in Europa eine konsequente Politik aus?
Gahler: Es sind einzelne Mitgliedsstaaten.
Müller: Die Deutschen auch?
Gahler: Ich glaube, wir haben in Deutschland auch immer gleich die Debatte über Parlamentsvorbehalte und Einsatzvorbehalte, die uns auch einen bestimmten Ruf innerhalb der Europäischen Union dann leider zukommen lassen. Aber ich glaube: Nein, wir sind es nicht alleine. Es ist insgesamt eine politische Stimmung, die glaubt, wir würden dadurch etwas gewinnen, dass wir uns raushalten. Aber wir werden ja - und das ist die Erfahrung, spätestens seit 2011 mit dem Arabischen Frühling -, wir werden dann zumindest von den Konsequenzen betroffen sein - in Form von Flüchtlingsströmen oder auch bis hin zu Terroranschlägen. Das heißt, eine Politik, die sich eher darauf einigt, nicht gemeinsam vorzugehen oder auch mit den Partnern in den USA oder anderen eine Lösung zu finden, diese Politik ist nicht zielführend und nutzt langfristig gesehen auch nicht unseren Interessen.
Müller: Herr Gahler, ich muss Sie einmal unterbrechen und nachfragen. Der Flüchtlingsdeal mit Erdogan, mit der Türkei, das war in den vergangenen Tagen auch wieder großes Thema, weil es da viel Kritik gegeben hat von Seiten Ankaras bezüglich der finanziellen Transfers, der Überweisungen, die die Europäer versprochen haben. Angeblich sind die noch nicht in voller Höhe eingetroffen in der Türkei, in Ankara. Ist das nach wie vor das Hauptproblem mit Erdogan, Tacheles zu reden und mit ihm angemessen umzugehen, weil es diesen Flüchtlingsdeal nach wie vor gibt und weil er so wichtig ist für Europa?
Gahler: Der Flüchtlingsdeal ist wichtig für Europa und wir haben unsere Zahlungen geleistet, jedes Jahr eine Milliarde, seit 2016. Und ich bin auch politisch dafür, dass wir, wenn diese jährliche Milliarde, wo zweimal drei Milliarden für die Jahre vereinbart ist, wenn das abläuft, dass wir da auch weitergehen in den Zahlungen und im Lichte der Entwicklungen auch durchaus mehr da in Anschlag bringen, wenn es erforderlich ist. Das ist das eine.
Das andere ist aber, dass uns das nicht stumm machen darf, wenn wir erleben, dass die Türkei eine Politik betreibt, die ja gerade auch dann dazu führt, dass mehr Flüchtlinge erst in die Türkei und dann womöglich auch Richtung Europa sich bewegen.
"Wir könnten die Vorbeitrittshilfen weiter kürzen"
Müller: Aber stumm ist Europa ja nicht - es tut nur nichts. Das war ja das Problem, haben Sie gesagt.
Gahler: Das Problem ist in der Tat, dass wir in der konkreten Situation nicht in der Lage sind, so einen Einfluss auszuüben auf die unmittelbar Beteiligten, dass es den gewünschten Erfolg hat, nämlich dass wieder zurückgekehrt wird zu einem Verhandlungstisch, der den Namen verdient. Wir haben ja eigentlich einen Rahmen auch für die Syrien-Problematik, auch in Genf zum Beispiel. Das wäre der Punkt, wo die Verhandlungen mit allen Beteiligten, mit allen direkt, aber auch indirekt Beteiligten vollführt werden müssten. Da sind wir im Augenblick nicht. Es wird in der Form wieder zu den Waffen gegriffen, dass die Türkei diese Maßnahmen jetzt unmittelbar plant und die Vorbereitungen abgeschlossen hat. Ich kann nur noch mal appellieren, dass die Türkei sich eines Besseren besinnt, weil sie sonst jedenfalls in dem Rahmen, den ich erwähnt habe, auch gewärtigen muss, dass wir Unterstützungszahlungen im Bereich der Vorbeitrittshilfen, nicht bei der Flüchtlingsunterstützung, aber beim Bereich der Vorbeitrittshilfen weiter kürzen.
Müller: … der Vorbeitrittshilfen. Das haben Sie schon mal erwähnt. Da werden sich viele jetzt wundern, dass es diese Zahlungen überhaupt noch gibt. Aber vielen Dank, dass Sie heute Mittag wieder Zeit für uns gefunden haben.
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