Für die Weltwirtschaft war das Jahr 2019 eine Zäsur. Nach einer Dekade des beinahe ungebremsten Aufschwungs hat sich der Himmel deutlich verdüstert. In Deutschland ist das Wachstum schon fast zum Erliegen gekommen. Und wenig deutet daraufhin, dass es im neuen Jahr wieder aufwärts gehen wird. Denn das deutsche Geschäftsmodell, das auf Export und offene Märkte setzt, wackelt. Immer mehr Länder setzen auf Abschottung. Und zwar vor allem die Großen. Sichtbarstes Zeichen: Der Handelsstreit zwischen den USA und China. Aber auch der Brexit.
Es scheint das Ende einer Ära zu sein: der Ära der Öffnung, des Multilateralismus und des freien Handels.
2019 gab es mehr als 1.300 neue Handelsbarrieren. Der Welthandel ist so schwach gewachsen wie seit zehn Jahren nicht mehr. Der Handelskrieg zwischen den USA und China war das dominierende Wirtschaftsthema des Jahres 2019. Er hat zu einer enormen Verunsicherung bei den Unternehmen geführt, die auf den Export angewiesen sind, nicht nur in den USA und China, sondern in allen Teilen der Welt, auch hier in Europa.
Trump hat die WTO lahmgelegt
Die neue Chefvolkswirtin des Internationalen Währungsfonds, Gita Gopinath, bringt das so auf den Punkt: "This is a delicate moment for the global economy." Also ein heikler Moment für die Weltwirtschaft.
Hinzu kommt: Der multilaterale freie Welthandel hatte bisher quasi ein Betriebssystem, das dafür gesorgt hat, dass Waren nach stabilen Regeln zirkulieren können - die Welthandelsorganisation. Die ist seit diesem Jahr blockiert: US-Präsident Donald Trump hat die Ernennung neuer Experten für das Berufungsgremium verhindert und die WTO damit praktisch lahmgelegt.
Am 1. Januar 2020 feiert die WTO eigentlich Geburtstag: Vor 25 Jahren wurde sie gegründet, hält seitdem die Märkte offen. Aber jetzt befinden sich die WTO und der freie Welthandel in der vielleicht größten Krise der letzten Jahre.
Deutschland besonders stark betroffen
Die deutsche Wirtschaft ist dabei besonders getroffen, weil sie besonders exportabhängig und extrem auf einen Welthandel mit fairen Regeln angewiesen ist.
Ein sehr großer Teil der außereuropäischen Exporte Deutschlands - schätzungsweise sind das zwei Drittel - beruht nur auf WTO-Regeln. Das ist etwa der Handel mit den USA, mit China oder Russland.
Wenn hier keine Regeln mehr gelten, dann sind wir davon extrem betroffen: Ein deutscher Mittelständler kann auf Dauer absehbar keine funktionierenden Lieferbeziehungen unterhalten, wenn statt verbindlicher Handelsregeln das Recht des Stärkeren gilt.
Eine neue Studie hat errechnet, dass Deutschland zu den größten Profiteuren der WTO mit Einkommensgewinnen von mehr als 60 Milliarden Dollar im Jahr gehört hat. Hier könnte es für Deutschland Einbußen geben.
Doch ganz unabhängig davon stellt sich die Frage, ob Deutschland in Zeiten der Mobilitätswende, in der Daten und Algorithmen der größte Schatz sind, überhaupt noch ein tragfähiges Geschäftsmodell hat.
Der kranke Mann Europas?
Zuletzt Anfang des Jahrtausends waren wir der kranke Mann Europas. Zu hohe Arbeitskosten, keine Wettbewerbsfähigkeit mehr. Darauf hat dann 2003 Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 reagiert.
Heute ist es in der Tat so, dass wir uns wieder auf ein Szenario zubewegen, in dem Deutschland zu teuer und zu schwerfällig wird. Die Lohnstückkosten waren vor zehn Jahren noch vergleichbar mit denen anderer europäischer Länder - eine Folge auch der Reformen von Gerhard Schröder. Seitdem sind sie in Deutschland aber wieder kontinuierlich angestiegen, heute liegen sie im zweistelligen Prozentbereich über denen etwa von Frankreich, Italien oder Spanien.
Das ist ein erheblicher Wettbewerbsnachteil ebenso wie die ausufernde Bürokratie in Deutschland und die im Vergleich ziemlich hohen Unternehmenssteuern in Deutschland.
Und: Wo wir uns Deutsche endgültig selbst aus dem Rennen nehmen, das sind die Energiekosten: Die Strompreise für Unternehmen sind fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt der EU. Ein absoluter Standortnachteil.
Wenn wir uns also freuen über eine voranschreitende Energiewende und darüber, dass Arbeit in Deutschland bestens bezahlt wird, dann gehört zur Wahrheit auch: Unsere Wettbewerbsfähigkeit nimmt dadurch ab.
Europa zwischen USA und China
Zudem zeichnen sich wieder zwei große Einflusssphären ab, einmal die USA mit Google und Facebook-Infrastruktur und auf der anderen Seite China mit Huawei und Co.. Dieser Gegensatz zwischen den beiden größten Volkswirtschaften USA und China wird das Hauptthema für die Weltwirtschaft bleiben.
Es ist zwar im Handelsstreit jetzt ein Teilabkommen zwischen den USA und China zustande gekommen, aber da sollte sich niemand täuschen: In Wirklichkeit steht dieser Wettkampf der beiden Wirtschaftssysteme erst am Anfang. Denn die grundsätzlichen Fragen sind nicht gelöst. Auf der einen Seite haben wir China mit einem Anteil von fast einem Fünftel am globalen Bruttoinlandsprodukt, das sich für Einflüsse von außen abschottet, aber gleichzeitig weltweit exzessive Rohstoffsicherung betreibt.
Auf der anderen Seite stehen die USA, die bärenstark sind bei Dienstleistungen und im Finanzsektor. Die aber China nicht ins Land lassen will, vereinfacht gesagt: Peking will verhindern, dass Facebook und Google auch das Milliardenvolk in China dominieren.
Das hat viel mit dem Streben nach politischer Geltung zu tun. Und das ist vielleicht die Lektion für uns in Europa: Wenn wir nicht zerrieben werden wollen zwischen den Interessen der USA und China, müssen wir nicht nur eine starke ökonomische Rolle, sondern auch eine selbstbewusstere politische Rolle spielen.
Adam Smith, der berühmte Ökonom des 18. Jahrhunderts, ist eigentlich der geistige Vater eines freien Welthandels. In seinem Buch "Der Wohlstand der Nationen" beschreibt er erstmals, wie Wohlstand gemehrt werden kann durch internationale Arbeitsteilung und den Verzicht auf Zölle. Er meint aber auch: Noch wichtiger als Reichtum sei die Landesverteidigung. Gemeint ist also: eine starke politische Rolle einer Volkswirtschaft. Und die muss Europa in den nächsten zehn Jahren einnehmen, auch um letztlich die eigenen ökonomischen Chancen zu wahren.