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Europäisch-afrikanischer Flüchtlingsgipfel
"Afrikanische Staaten dürfen nicht noch weiter zerfallen"

Auf dem Europäisch-Afrikanischen Flüchtlingsgipfel auf Malta soll die Bekämpfung von Fluchtursachen vorangetrieben werden. Sehr skeptisch sieht die Grünen-Politikerin Barbara Lochbihler die Idee, im Niger ein Asylzentrum einzurichten. Dadurch destabilisiere sich dieses Land weiter - große Flüchtlingslager führten auch wegen der fehlenden Perspektive zu einer Radikalisierung der Flüchtlinge.

Gerd Breker im Gespräch mit Barbara Lochbihler |
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    Die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler hält es für sinnvoll, Flüchtlingslager in Afrika finanziell besser auszustatten. (Deutschlandradio)
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Barbara Lochbihler, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Guten Abend, Frau Lochbihler.
    Barbara Lochbihler: Guten Abend.
    Breker: Irgendwie eine späte Erkenntnis, dass man Fluchtursachen da bekämpfen muss, wo sie entstehen, und in diesem Fall Afrika.
    Lochbihler: Ja, da haben Sie Recht, weil der ganze Ansatz ja auch von Entwicklungshilfe eigentlich schon immer darauf abzielte, Armut zu bekämpfen. Und das machen wir seit Jahren. Und wenn man wirklich ernsthaft Fluchtursachen, die jetzt mit Armut und Unterentwicklung zusammenhängen, bekämpfen will, dann muss man auf europäischer Ebene natürlich auch die eigene Handelspolitik, die Agrarpolitik und so weiter hinterfragen. Deshalb, glaube ich, ist es zwar gut gesagt und vielleicht gut gemeint, aber sehr unrealistisch, dass das irgendwie auch nur mittelfristig erreicht werden kann.
    Breker: Jeder Flüchtling aus Afrika, Frau Lochbihler, ist irgendwo ein Beleg auch dafür, dass die bisherige Entwicklungspolitik in Afrika versagt hat.
    Lochbihler: Man kann jetzt sagen, dass von zehn Flüchtlingen und Migranten innerhalb Afrikas nur einer in die EU kommt. Das heißt, dass neun Menschen, die da in Bewegung sind, Arbeit oder Schutz finden in einem anderen afrikanischen Land. Also müssen wir schon sehen, dass es hier sehr unterschiedliche Entwicklungen gibt. Da hat Valletta jetzt zum Beispiel einen guten Vorschlag gemacht, dass man durchaus auch mit dem Geld von diesem Afrika-Treuhandfonds die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern, die es in Afrika gibt, wie zum Beispiel ein riesiges Lager in Kenia, dass man da Geld hingibt, dass die Lebensbedingungen sich ein bisschen verbessern.
    Breker: Am Ende dieses Gipfels in la Valletta soll ein Aktionsplan stehen, Frau Lochbihler, und man fragt sich: Kann denn ein Aktionsplan wirklich Korruption und Diktaturen abschaffen?
    Lochbihler: So wie ich die Entwürfe von diesem Aktionsplan oder zu diesem Aktionsplan gelesen habe, dann wird der sehr konkret, wenn es um Aktionen geht, die Flüchtlinge und die Migranten aus Afrika möglichst weit von europäischen Grenzen wegzuhalten. Da gibt es dann den Dissens mit den afrikanischen Staaten, die sagen, ihr verlangt von uns, dass wir unsere Grenzen besser sichern, dass wir Flüchtlinge, die ihr abschieben wollt und die gar nicht aus unserem Land sind, dass wir die aufnehmen. Und dafür verlangen wir auch etwas. Dafür verlangen sie, dass es mehr Arbeitsmigration in die EU gibt und dass es mehr Mobilität gibt für Studenten, für Stipendien und so weiter. Das sind eher diese konkreten Aktionen, die man dann ansieht. Die Bekämpfung von Korruption, das ist nach wie vor, würde ich mal sagen, im Vorspann oder dann wieder in der konkreten Entwicklungszusammenarbeit, aber weniger ein Ergebnis von Valletta.
    Breker: Im Rückblick hat man ja das Gefühl, Frau Lochbihler, dass damals mit dem Diktator Gaddafi Libyen kein Transitland war. Nun, wo dort chaotische Zustände herrschen, ist es ein Transitland.
    Lochbihler: Unter Gaddafi, so schlimm er war, war Libyen das reichste Land Afrikas und hat für sehr viel afrikanische Arbeitskräfte Arbeit geboten. Das ist natürlich jetzt ganz weggebrochen. Wir haben Verhältnisse in Libyen, wo es keine Regierung gibt, keine Ordnungsfunktion, weder Polizei, noch Grenzschutz. Und die Menschen, die dort hinkommen, um zu arbeiten oder weiterzuwandern oder als Flüchtlinge da durchkommen, die sind extremen Menschenrechtsverletzungen ausgeliefert. Das sind sklavenähnliche Verhältnisse dort. Deshalb ist hier der Ansatz der wichtigste, dass die EU mithilft, dass es Libyen gelingt, wieder eine Einheitsregierung zu bilden. Dass man die Grundfunktionen eines Staates wieder aufbauen kann, weil so wie es jetzt ist herrschen da die Milizen, die Schlepperbanden, wer immer die Gewalt auf der Straße hat.
    Breker: Libyen ist ja kein Einzelfall. Wenn wir nach Somalia schauen, seit Jahrzehnten faktisch unregierbar. Es gibt das Problem in Darfur, im Norden Malis, es gibt Boko Haram in Niger, Nigeria, Kamerun. Das ist doch alles viel zu chaotisch, als dass man da zu Vereinbarungen kommt, von denen man glaubt, dass sie auch eingehalten werden.
    Lochbihler: Man kann nicht für all diese Konflikte jetzt in Valletta eine Lösung finden. Das, glaube ich, wäre utopisch. Ich denke, man muss schauen, dass afrikanische Staaten, die sehr schwierig sind, nicht noch weiter zerfallen. Die muss man stützen. Da soll ja auch dieser Afrika-Fonds Projekte machen. Und man muss aber vor allem darauf schauen - und das ist eigentlich auch mein Kritikpunkt an der EU-Politik: Diese Länder muss man stützen, dass sie nicht weiter zerfallen wie zum Beispiel Niger. Aber umgekehrt plant ja jetzt auch dieser Gipfel in Valletta, dass man zum Beispiel ein großes Asylzentrum in Niger einrichtet, um Flüchtlinge, die jetzt weiter nach Norden wollen, bereits in Niger zu beraten. Da kann ich noch dafür sein. Aber wenn dann dieses Asylzentrum auch schon bewerten soll, welcher Mensch weiterwandern soll, welcher aber zurückkommt, dann ist das die falsche Politik. Da muss man sich ja vorstellen, dass dann in Niger ein riesiges Flüchtlingslager entstehen sollte. Und das führt A nicht zu mehr Schutz von den Menschen und es führt eher zu mehr Destabilisierung von Niger. Ganz abgesehen davon: Wenn es riesige Flüchtlingslager gibt, dann radikalisieren sich oft die Flüchtlinge dort, weil sie keine Perspektive haben, weiterzukommen.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Barbara Lochbihler, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Frau Lochbihler, ich danke für dieses Interview.
    Lochbihler: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.