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Europäische Armee
"Wir wollen uns effizienter organisieren"

Der Vorschlag von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu einer europäischen Armee komme zur richtigen Zeit, sagte SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels im Deutschlandfunk. Tatsache sei, dass die Verteidigung neu aufgestellt werden müsse - auch mit Blick auf den aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt. "Wir haben genug Soldaten, wir geben Geld aus, aber wir sind nicht effektiv".

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Bettina Klein | 09.03.2015
    Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels
    Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sieht die Zeit für eine europäische Armee gekommen (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
    Gerade in den letzten zehn Jahren habe man innerhalb der Europäischen Union das Thema Verteidigung nicht prioritär behandelt. Die Armeen seien noch zu national organisiert - auch deshalb sei das Sicherheitsgefühl der Bürger nicht zufriedenstellend, so Bartels im Deutschlandfunk.
    Insgesamt handele es sich um keinen ganz neuen Vorschlag, räumte der SPD-Politiker ein. Bereits in den 1950er-Jahren hätten einige Länder als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft nachgedacht. Dass es bisher keine Umsetzung gegeben habe, sei auch dem Widerstand der USA und Großbritanniens geschuldet.
    Jetzt schwänden diese Widerstände, denn viele europäische Länder stünden vor den gleichen Probleme: das Engagement bei internationalen Einsätzen, die Lage im Russland-Ukraine-Konflikt und Geldnot. Jetzt werde man versuchen, der Sicherheitspolitik ihren adäquaten Stellenwert zu geben, sagte Bartels. Dabei hoffe er, dass die notwendige Diskussion in den europäischen Gremien schnell beginne und konkrete Schritten folgten.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat gestern in einem Interview mit der Zeitung "Welt am Sonntag" eine gemeinsame europäische Armee gefordert. Damit könnte Europa glaubwürdig auf eine Bedrohung des Friedens in einem Mitglieds- oder einem Nachbarland der Europäischen Union reagieren.
    Eine europäische Armee hat man nicht, um sie sofort einzusetzen, so Juncker, aber sie würde Russland einen klaren Eindruck vermitteln, dass man es mit der Verteidigung der EU-Werte ernst meine. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte sich im Interview mit dem Deutschlandfunk ähnlich geäußert. Sie hat das noch einmal bekräftigt in einem Statement gestern Nachmittag in Hannover. Und wie nahe wir an einer europäischen Armee bereits sind, darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels. Er ist zugleich Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartels.
    Hans-Peter Bartels: Guten Morgen.
    Klein: Stehen Sie 100prozentig hinter dieser Forderung?
    Bartels: Absolut! Das ist jetzt die richtige Zeit, mit einer neuen Kommission in Europa dieses große Projekt anzugehen.
    Es ist ja nicht ganz neu. Auch in Europa ist das schon in den 50er-Jahren mal diskutiert worden. Damals scheiterte es letztlich auch an unter anderem den Atomplänen Frankreichs, der Eigenständigkeit, die man damals anstrebte.
    Wir haben die NATO, aber wir haben in der NATO 22 EU-Mitgliedsstaaten. 22 von 28 EU-Mitgliedsstaaten sind auch Mitglied der NATO und in Europa ist die Verteidigung wirklich nicht effizient organisiert. Wir geben viel Geld aus, haben viele Soldaten, aber es ist nicht so, dass wir jetzt schon ein Gefühl hätten von ausreichender Stärke, wenn wir auch auf die sich jetzt verändernde internationale Lage blicken.
    Klein: Wenn das so wichtig ist, fragt man sich natürlich, weshalb haben wir eine solche europäische Armee bisher noch nicht?
    Bartels: Ich glaube, man hat in den letzten zehn Jahren das Thema Verteidigung in der Europäischen Union nicht prioritär behandelt. Andere Bereiche sind viel besser integriert in Europa als der Bereich der Verteidigung, der immer noch sehr national organisiert wird. Wir haben 28 nationale Armeen mit vielen, vielen Dopplungen und Ineffizienzen, wo Geld ausgegeben wird, das wir sinnvoller ausgeben könnten, insgesamt 190 Milliarden Euro, die in Europa für Verteidigung ausgegeben werden.
    Das ist viel mehr als etwa Russland ausgibt. Oder wir haben 1,5 Millionen Soldaten in der Europäischen Union; das ist viel mehr als die USA haben. Aber ich glaube nicht, dass das Sicherheitsgefühl und dass die Effektivität der Verteidigung in Europa so groß wäre, dass wir heute damit zufrieden sein könnten.
    Klein: Wer waren oder sind denn bisher die Bremser gewesen?
    Bartels: Das ist einmal eine vermutete Konkurrenz gewesen zwischen EU und NATO. Die Briten haben das immer wieder hochgezogen und gesagt, Europa ist für alles mögliche Zivile da, für militärische Fragen allein die NATO. Das ist nicht das, was im Vertrag von Lissabon vereinbart ist. Da steht, dass wir gemeinsam an der Verteidigung arbeiten wollen, dass Europa auch ein Verteidigungsbündnis ist und dass wir dabei immer enger zusammenarbeiten wollen.
    Nur hat das bisher nicht stattgefunden. Ich glaube, auch die USA waren Anfang des letzten Jahrzehnts nicht begeistert davon, dass es solche Ideen in Europa gab. Zum Beispiel Jean-Claude Juncker, der jetzt diesen Vorschlag gemacht hat, damals als luxemburgischer Ministerpräsident, Gerhard Schröder, Guy Verhofstadt, der belgische Ministerpräsident, hatten schon 2004 mal den Vorschlag gemacht, ein europäisches Hauptquartier zu gründen. Das wurde damals stark ausgebremst, auch mithilfe der USA.
    Klein: Sehen Sie denn die Widerstände, die es dagegen gegeben hat zunächst mal auf europäischer Seite, schwinden im Augenblick?
    Bartels: Das glaube ich schon. Wir haben ja alle die gleichen Probleme. Wir haben die gleichen internationalen Einsätze, in denen wir multinational organisiert sind, sei es auf dem Kosovo, sei es in Afghanistan. Wir haben die gleiche internationale Lage, die sich jetzt verändert hat nach dem Russland-Ukraine-Konflikt. Und wir haben alle die gleichen Budget-Probleme. Niemand will mehr Geld für Verteidigung ausgeben, aber wir müssen es effektiver ausgeben.
    "Der Weg ist eigentlich schon beschrieben in den europäischen Verträgen"
    Klein: Herr Bartels, Hand aufs Herz: Wie groß ist die Rolle, die der Ukraine-Konflikt oder Ukraine-Krieg spielt? Mit anderen Worten: Ist diese Initiative, wie Herr Juncker das ja auch angedeutet hat, ganz klar gegen Russland gerichtet?
    Bartels: Nein. Es ist ja eine eher überfällige Initiative. Man hätte längst dazu kommen können, den Lissabon-Vertrag ein bisschen ernster zu nehmen und im Bereich der Verteidigung zur Umsetzung zu kommen. Russland ist jetzt sicher ein weiteres Argument dafür, dass wir wirklich diesen Weg gehen müssen. Aber der Weg ist eigentlich schon beschrieben in den europäischen Verträgen.
    Klein: Die Gegner dieser Initiative, die zum Beispiel aus der Linkspartei kommen, argumentieren gerade genau so, dass das ein weiterer Schritt ist, der sich gegen Russland richtet und dieses immer wieder beschriebene Bedrohungsgefühl, was sich in Moskau aufbaut, verstärken könnte und dass das ein Argument dagegen sei. Was sagen Sie?
    Bartels: Na ja, das Gegenteil ist richtig. Wer droht im Moment wem? Wer fühlt sich bedroht? Dass Russland sich von den drei baltischen Republiken bedroht fühlt an seiner Westgrenze, glaube ich, ist absurd. Aber in den baltischen Staaten gibt es durchaus ein Bedrohungsgefühl. Bei den Polen gibt es das Gefühl, Druck ausgesetzt zu sein.
    Auch im Süden der Europäischen Union gibt es eine Drucksituation, die von Russland ausgeht, von massiven Militärmanövern, die im Moment abgehalten werden, von einer neuen Militärdoktrin Russlands, von massiver Aufrüstung, die dort betrieben wird. Das alles wollen wir ja nicht! Wir wollen mit dem, was wir haben, uns effizienter organisieren.
    Klein: Sie sprechen von massiver Aufrüstung auf russischer Seite. Wie konkret soll denn nun die Antwort auf dieser Ebene vonseiten der Europäischen Union aussehen?
    Bartels: Ich glaube, dass es die Diskussion in den europäischen Institutionen geben muss. Jetzt auf dem Gipfel in Riga im Juni dieses Jahres wird das Thema Verteidigung wieder auf der Tagesordnung stehen, aber mit dem Vorschlag von Juncker kann das nun sehr viel konkreter werden.
    Man wird eine neue gemeinsame europäische Sicherheitsstrategie formulieren, wohl bis ins nächste Jahr hinein. Und da ich nicht glaube, dass wir zu 28 uns sofort auf ein Gesamtkonzept für die Schaffung einer europäischen Armee einigen werden, ist es gut, dass Länder bilateral tiefere Verflechtungen vereinbaren, so wie Deutschland das mit den Niederlanden tut, wie wir das mit den Polen vorhaben, wie die Niederlande das übrigens auch mit Belgien schon gemacht haben.
    Die unterhalten ein gemeinsames Marine-Hauptquartier. Beide haben eine sehr kleine Marine und haben sich zusammengeschlossen, um ein Marine-Hauptquartier zu unterhalten. Das ist die Effektivität, die im Moment möglich ist durch bilaterale oder auch trilaterale Zusammenarbeit.
    Klein: Haben Sie eine Vorstellung, welche konkreten weiteren Schritte da folgen könnten, wenn wir uns diese Beispiele, die Sie gerade genannt haben, anschauen?
    Bartels: Ja. Ich glaube, was die Niederlande angeht sind wir auf einem guten Weg, dass das deutsche und das niederländische Heer in diesen Jahren jetzt in der Gegenwart verschmelzen werden.
    Die niederländische Luftlandebrigade ist eingegliedert in die deutsche Division schnelle Kräfte und entsprechendes Stabspersonal in den Divisionsstab. Die schwere niederländische Brigade des Heeres wird vermutlich in diesem oder im nächsten Jahr eingegliedert in die deutsche erste Panzerdivision.
    Damit sind die beiden Heere miteinander verschmolzen und tun das im Grundbetrieb, was sie im Einsatz ja sowieso tun würden. Sie würden in jedem Fall nicht national eingesetzt, sondern multinational zusammenarbeiten, wann immer sie eingesetzt würden. Aber sie müssen gemeinsam üben, sie können gemeinsam ausgerüstet werden. "Train as you fight" ist eine Regel, die beim Militär sicher dem überlegen ist, dass man immer wieder von Fall zu Fall nur Truppen zusammenstellt.
    Klein: Um noch mal eine weitere Kritikerin dieser Initiative und dieses Vorstoßes zu zitieren. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat von einem falschen Signal Junckers gesprochen. Sie halte nichts davon, die Sicherheitspolitik vor die Außenpolitik zu stellen. Erleben wir da im Augenblick einen Paradigmenwechsel innerhalb der Europäischen Union?
    Bartels: Glaube ich nicht. Es gibt ein ganz klares Primat der Außenpolitik und gerade die deutsche Bundesregierung ist da sehr federführend gewesen, was die Lösung des Russland-Ukraine-Konflikts angeht. Nein, wir geben der Sicherheitspolitik nur überhaupt einen Stellenwert in Europa. Bisher ist das das schwächste Glied der Integration der Europäischen Union gewesen.
    "Mehr Europäische Union im Bereich der Verteidigung"
    Klein: Aber es wird ja neu austariert? Die Gewichte werden sich verändern?
    Bartels: Ja, mehr Europäische Union im Bereich der Verteidigung. Aber das ist dringend nötig, wenn wir nicht mehr Geld ausgeben wollen oder mehr Soldaten aufstellen. Wir haben genug Soldaten, wir geben viel Geld aus, aber es ist nicht effektiv.
    "Wenn es das Problem gibt, muss es auch abgestellt werden"
    Klein: Wir sprechen mit Hans-Peter Bartels, dem SPD-Verteidigungspolitiker, und, Herr Bartels, ich würde Sie gern noch auf eine Meldung ansprechen, die uns gestern Abend erreicht hat. Der Militärische Abschirmdienst "MAD" warnt davor, dass sich Islamisten bei der Bundeswehr an Waffen ausbilden lassen. Das Risiko sei durchaus gegeben. Kennen Sie ein solches Risiko?
    Bartels: Mich haben die Meldungen jetzt auch überrascht. Ich kenne es nur aus den Medien. Wir werden das natürlich dann auch im Verteidigungsausschuss uns berichten lassen.
    Es würde mich nicht wundern, wenn das so ist. Die Bundeswehr ist eine große Organisation, die jedes Jahr Tausende junge Leute neu einzieht und ausbildet.
    Man wird sehr darauf achten müssen, wen man da ausbildet. Die Überprüfung von Freiwilligen, die sich zur Bundeswehr melden - und dafür ist der MAD auch da -, muss dann offenbar noch etwas besser organisiert werden. Aber gut, dass der MAD jetzt damit an die Öffentlichkeit geht und sagt, es gibt hier ein Problem. Wenn es das Problem gibt, muss es auch abgestellt werden.
    Klein: Was heißt besser organisieren des MAD?
    Bartels: Die Sicherheitsüberprüfungen, die möglicherweise zu spät stattfinden, müssen dann eben etwas früher stattfinden.
    Klein: Hat das Thema bisher schon mal eine Rolle gespielt, weil Sie sagten, Sie seien überrascht?
    Bartels: Ja, ich habe es bisher noch nicht gehört.
    Klein: War auch kein Thema im Verteidigungsausschuss bisher?
    Bartels: Bisher nicht, nein.
    Klein: Der Vorsitzende vom Verteidigungsausschuss im Deutschen Bundestag war das, Hans-Peter Bartels von der SPD, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Bartels.
    Bartels: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.