Archiv

Europäische Energiewende
"Die wichtigste Weiche ist die CO2-Bepreisung"

Technisch, wirtschaftlich und politisch hält die Energieforscherin Karen Pittel die Energiewende für machbar. Deutschland müsse während seiner Ratspräsidentschaft aber darauf hinwirken, dass sich die EU bei der Umsetzung nicht im Klein-Klein verliere. Vor allem ein Mindestpreis für CO2 müsse festgelegt werden.

Karen Pittel im Gespräch mit Uli Blumenthal |
Divestment
Technologien und Know-how für die Energiewende gebe es ausreichend - Rahmenbedingungen und Infrastrukturen müssten noch geschaffen werden, sagte Energieforscherin Karen Pittel im Dlf (Sven Simon|imago|picture alliance|Patrick Pleul|dpa-Zentralbild | ZB)
Am 1. Juli übernimmt Deutschland für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union. Aus diesem Anlass haben drei deutsche Wissenschaftsakademien heute Vormittag in Brüssel Empfehlungen für die europäische Energiewende bis 2030 vorgestellt. Damit wollen sie der Bundesregierung für die EU-Ratspräsidentschaft eine Handreichung zur Frage geben, wie man der europäischen Energiewende den erforderlichen Rückenwind verleihen kann.
Das Betriebsgelände der Power-to-Gas-Anlage in Falkenhagen
Erneuerbare Energien: Power-to-X für die Energiewende Ökostrom aus Sonne und Wind ist klimaneutral und unbegrenzt verfügbar – aber leider nicht unbedingt zu den Zeiten und an den Orten, an denen man gerade viel Strom benötigt. Ein möglicher Ausweg: Chemische Energieträger als Zwischenspeicher nutzen. Die Technik dafür ist da – nur sie rechnet sich bislang nicht.
Eine der Autorinnen ist Professor Karen Pittel, Zentrumsleiterin Energie, Klima und Ressource am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München.
Uli Blumenthal: Worauf sollte Deutschland während der EU-Ratspräsidentschaft für eine Energiewende bis 2030 konkret hinwirken?
Karen Pittel: Deutschland sollte vor allen Dingen darauf hinwirken, dass die Rahmenbedingungen für diese Energiewende sicher gesetzt werden und dass in die notwendigen Infrastrukturen auch investiert wird, dass man sich nicht im Klein-Klein verliert, sondern wirklich das langfristige Ganze im Auge hat.
C02-Bepreisung: Mindestpreise und einheitliche Preise in allen Bereichen
Blumenthal: Und wenn man diese großen Brocken angehen will: Welches sind die zentralen Punkte dabei, wo sollen wirklich Weichen gestellt werden?
Pittel: Eine der wichtigsten Weichen oder die wichtigste Weiche überhaupt ist einfach die CO2-Bepreisung, das heißt, dass die Emissionen, wenn sie denn getätigt werden, mit entsprechenden Kosten auch verbunden sind und dass dort auch klar ist, dass diese Kosten über die Zeit ansteigen werden, denn nur so ist wirklich erreichbar, dass die Firmen und auch die Staaten die langfristigen Klimaziele wirklich in ihre Planung mit einbeziehen.
Blumenthal: Aber nun ist die CO2-Bepreisung – lassen Sie es mich so flapsig formulieren – ein alter Hut. Was soll da jetzt auf einmal neu aufgelegt oder neu gemacht werden?
Pittel: Man kann wesentlich die Sicherheit über die zukünftigen CO2-Preise erhöhen, zum Beispiel über die Festlegung eines Mindestpreise – die Preise fluktuieren ja relativ stark im europäischen Emissionshandel. Dementsprechend ist halt immer die Gefahr, dass die Unternehmen Erwartungen bilden, dass der Preis in der Zukunft gar nicht so hoch ist. Wenn man da zum Beispiel einen Mindestpreis einführt, ist klar, darunter wird er nicht fallen, damit können die in ihren Kalkulationen, wenn sie Investitionen tätigen, rechnen. Das Zweite ist, dass wir bis jetzt einen einheitlichen CO2-Preis eigentlich nur über ungefähr 50 Prozent der Emissionen, die wir in der EU haben, [haben? Unverständliches Wort, Anm.d. Red.]. Wir brauchen im Prinzip dadurch eine Erweiterung, möglichst einheitlich auf die restlichen Bereiche, auf die restlichen 50 Prozent. Das ist vor allen Dingen Transport, und das ist vor allen Dingen auch Wärme, und da kann Deutschland eben auch in der Zeit der Ratspräsidentschaft die nötigen Impulse setzen und auch quasi das Ganze auf den Weg bringen.
In Technologien für erneuerbare Energie investieren
Blumenthal: In den Empfehlungen, die Sie jetzt in Brüssel übergeben, gibt es einen zentralen Begriff, der heißt No-Regret-Maßnahmen. Das sind Technologien, die Sie als unverzichtbar ansehen, um die Klimaziele 2030 zu erreichen. Welche Technologien sollen das sein?
Pittel: Das ist vor allen Dingen erst mal natürlich der Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir müssen langfristig unsere Energieversorgung komplett auf erneuerbare Quellen umstellen, das heißt also keine Emissionen mehr aus der Energieversorgung - im Moment kommen noch ungefähr 80 Prozent aller Emissionen, die in der EU getätigt werden, aus der Energie. Das heißt also, dementsprechend brauchen wir die Anlagen, um diese Energie zu erzeugen – ohne Emissionen –, wir brauchen aber auch die Netze und die Speicher, um sie zu transportieren.
Herbstmorgen in Brandenburg, Panoramafoto von Windrädern bei Sonnenaufgang in der Nähe von Welzow / Brandenburg
Industrie und Klimaschutz: Noch viele Barrieren bei der Energiewende Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird an vielen Stellen gebremst: beschränkte Leitungsnetze, der stockende Ausbau der Windkraft und vor allem gesetzliche Hürden. Auf die Industrie, die viel bezahlbaren Strom braucht, kommt ein massiver Umbau zu – erste Modelle dafür gibt es in Norddeutschland.
Wir müssen Energieeffizienzmaßnahmen investieren, wir müssen auch investieren dort, wo es schwierig ist, zum Beispiel mit Strom bestehende emissionsintensive Prozesse zu ersetzen. Das ist zum Beispiel in der Stahlindustrie, in der Zementindustrie, ist aber auch im Schwertransport, beim Fliegen. Das heißt, wir müssen in alternative Kraft- und Brennstoffe investieren, und da ist eben Wasserstoff ein ganz erheblicher Faktor. Hab ich jetzt was vergessen? Ich glaube, das war’s – dass wir erst mal Kernbestandteile als No-Regret, wo man eigentlich weiß, das braucht man in der Zukunft, als diese Bereiche identifiziert haben.
"Rahmenbedingungen und Infrastrukturmaßnahmen auf den Weg bringen"
Blumenthal: Nun hört sich das alles als nicht so wirklich neu an. All diese Themen, all diese Begriffe, die Sie genannt haben, die hat man in den letzten Jahren in Diskussionen immer wieder gehört. Welche Weichen sollen und können überhaupt gestellt werden, um da wirklich voranzukommen?
Pittel: Weichen, die gestellt werden können, das ist eben zum einen, dass ich diese Rahmenbedingungen und die Infrastrukturmaßnahmen auf den Weg bringe, das heißt, die langfristigen Bedingungen, unter welchen diese Transformation des Energiesystems stattfinden, tatsächlich festmache.
Das Weitere ist natürlich auch, dass ich das EU-weite Energiesystem ausbaue, dass ich also zum Beispiel die transeuropäischen Stromverbindungen, also Netzverbindungen tatsächlich auf den Weg bringe. Da ist viel in der Planung, und viel ist, wie Sie sagen, quasi ein alter Hut, aber vieles bewegt sich eben nicht ausreichend. Das fängt bei dem Ausbau der Erneuerbaren an. Das kennen wir ja in Deutschland sehr gut, dass der Ausbau da sehr stark ins Stocken geraten ist. Das geht darüber weiter, dass ich im Prinzip zwar die Pläne habe, Netze auszubauen – sowohl innerhalb der verschiedenen Länder als auch über die verschiedenen Länder hinweg –, aber dort auch nicht so richtig weiterkomme. Und es hängt auch damit zusammen, dass ich im Prinzip gerade bei vielen grenzüberschreitenden Technologiekooperationen innerhalb von Europa, aber auch quasi von ganz Europa ins internationale Ausland zwar Pläne habe, die aber häufig extrem lange brauchen, bis sie dann sich tatsächlich mal manifestieren. Da wäre jetzt die Aufgabe Deutschlands im Prinzip auch, den Prozess stark voranzutreiben.
Bekannte Technologien sinnvoll einsetzen
Blumenthal: Alle reden momentan vom Thema Wasserstoff, Wasserstoffstrategie beispielsweise auch der Bundesregierung. Sie sagen in Ihrer Stellungnahme aber auch, es muss eine Technologieoffenheit geben beim Umbau des Energiesystems. Wie viele und welche technologischen Optionen gibt es, um diese Energiewende 2030 zu erreichen?
Pittel: Ich meine, es gibt schon verschiedene Technologien, das wissen wir alle – angefangen von, wie stark baue ich die Netze aus, wie stark setze ich Speicher ein, in welchem Verhältnis nutze ich Photovoltaik, in welchem Verhältnis nutze ich dazu Windenergie. Was ist mit zum Beispiel der Kernenergie? Das ist jetzt für Deutschland nicht ein Thema, aber für andere europäische Länder eben durchaus auch. Das Spektrum der Technologien glauben wir zumindest zum großen Teil heute zu kennen, wir wissen natürlich nicht, was die Zukunft noch bringt. Die Frage ist da vor allen Dingen auch, in welchem Verhältnis wird was genutzt werden.
Ein Mann hält am 18.04.2012 den Zapfhahn einer Wasserstoff-Tanksäule an ein Auto auf einer Tankstelle in Berlin.
Energiewende: Das Projekt grüner Wasserstoff nimmt Fahrt auf Der Energieträger Wasserstoff ist ein dringend benötigter Pfeiler, um die Energiewende voranzutreiben und das Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen. Nicht zuletzt könnte sich Wasserstoff als Segen für die deutsche Wirtschaft erweisen – wenn er durch erneuerbare Energien gewonnen wird.
Das heißt, dass wir Wasserstoff brauchen, da sind sich eigentlich alle einig, weil es gewisse Prozesse gibt, die einfach nicht über Strom alleine dekarbonisiert werden können. Aber wie viele Prozesse nachher tatsächlich mit Wasserstoff laufen werden – ist es das, was sich nachher tatsächlich im Schwertransport durchsetzen wird, welchen Anteil wird zum Beispiel im Individualverkehr Wasserstoff einnehmen? Das sind die Dinge, die im Prinzip dann auch einfach die Offenheit, der Technologiemix ausmachen.
Die Lasten zwischen den EU-Ländern gerecht verteilen
Blumenthal: Dieser Transformationsprozess – so kann man dem Papier entnehmen – ist technisch machbar. Die Frage ist eigentlich: Ist er politisch und auch wirtschaftlich realistisch, ist er gewollt und kann er und wird er durchgesetzt werden?
Pittel: Das werden wir wahrscheinlich in 2030 wissen, wenn wir wieder zurückgucken. Sagen wir mal so: Technisch machbar ist er auf jeden Fall. Und er ist auch wirtschaftlich und er wäre eigentlich auch politisch machbar meiner Einschätzung nach. Aber da steckt natürlich noch sehr viel mehr dahinter, was den gesamten Prozess mit beeinflussen kann. Ich meine, deswegen ist es einfach extrem wichtig, dass man sich von den Politiken, die zur Verfügung stehen, im Prinzip die aussucht, die zum Beispiel einen sehr großen Hebel haben, die relativ wenig Kosten verursachen insgesamt, und auch Politiken aussucht, die die Lasten dieser Politik zwischen den verschiedenen EU-Ländern einfach so verteilt, dass sich auch die Bereitschaft der Länder, die im Moment noch sehr skeptisch sind – da sind ja einige dabei –, dass ich auch die bekomme. Dass ich, wenn ich zum Beispiel die CO2-Bepreisung ausweite, dass ich mir dann überlege, wie ich im Prinzip auch Länder unterstützen, kompensieren kann, die möglicherweise stärker darunter "leiden" oder einen größeren Transformationsprozess noch durchmachen müssen als andere.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.