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Europäische Geldpolitik
"Wir werden real enteignet"

Der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, Michael Breuer, hat die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank kritisiert. Mit den niedrigen Zinsen enteigne sie die Sparer, sagte er im DLF. Außerdem verlangsame sie mit ihrer "sehr großen Politik der Geldschwemme" den Reformprozess in den Euro-Krisenstaaten.

Michael Breuer im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes.
    Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes. (imago/sepp spiegl)
    Jürgen Zurheide: Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen, politisch und ökonomisch, das eine oder andere Thema haben wir in dieser Sendestunde schon behandelt. Jetzt könnte sich im Angesicht der Griechenlandkrise auch die Finanzkrise wieder zurückmelden und für neue Turbulenzen sorgen. Der Euro ist ohnehin auf Talfahrt, die Zinsen bleiben niedrig und die Arbeitslosigkeit in weiten Teilen hoch. Das ist eine explosive Mischung, und über all das wollen wir reden mit Michael Breuer, dem Präsidenten des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes. Guten Morgen, Herr Breuer!
    Michael Breuer: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Breuer, fangen wir an mit Griechenland: Die Märkte haben bisher erstaunlich ruhig reagiert, dass es möglicherweise Neuwahlen gibt, dass es neue politische und dann auch wirtschaftliche Verwerfungen geben kann. Wie erklären Sie sich eigentlich diese relative Ruhe - oder ist es die Ruhe vor dem Sturm?
    Breuer: Das kommt ein Stück weit drauf an, was sich in den nächsten Wochen und Monaten dort entwickelt. Ich glaube, dass die Menschen und damit auch die Märkte akzeptieren, dass es auch eine politische Streitsituation geben kann, dass man sich zankt um den richtigen Weg, dass man sich hart auseinandersetzt. Aber ich bin überzeugt, dass die Griechen sehr schnell erkennen werden, dass es nicht eine Frage des Ob ist, sondern immer nur eine Frage des Wies. Und auch die europäischen Institutionen haben ja auch deutlich gemacht jetzt am Anfang des Jahres, dass Griechenland zu seinen Verträgen stehen muss, und der IWF hat ja entsprechende Maßnahmen schon angedeutet, sodass die Märkte überwiegend der Wahrscheinlichkeit nachhängen, zu sagen: Die werden sich einigen und dann wird eine neue griechische Regierung, eine neue griechische Richtung die alten Verträge erfüllen.
    Zurheide: Dann kommen wir zur EZB, die haben Sie gerade schon angesprochen, die europäischen Institutionen, wie Sie es gerade so schön gesagt haben. Im Wesentlichen ist es ja die EZB, wo man sagen könnte: Die reagiert nicht nur, die regiert - die flutet die Märkte mit Geld, das führt zu niedrigen Zinsen. Ist das so eine Art Schattenregierung inzwischen in Europa geworden?
    Breuer: Das ist so, Herr Zurheide. Ich glaube, das müssen wir noch mal konstatieren, dass die EZB in ihrer Grundkonstruktion viel, viel mehr Macht bekommen hat, als wir das ursprünglich so geplant haben. Das hat auch etwas mit Mangel an Bereitschaft in Europa zu regieren, mit sehr viel eigenen Interessen noch zu tun. Und die EZB tut das, was sie tut, sehr beherzt und sehr entschieden, auch wenn ich nicht der Auffassung bin, dass das, was sie da macht, richtig ist.
    Anleihenkäufe: "Das muss man sehr kritisch sehen"
    Zurheide: Da sind wir nämlich genau beim Punkt: die Anleihekäufe. Da kann man sagen, das ist eine Medizin mit heftigen Nebenwirkungen - die niedrigen Zinsen auf der einen Seite, der Eurokurs geht nach unten, also da kann es durchaus Probleme geben. Sehen Sie die Anleihekäufe auch kritisch, wie Sie gerade gesagt haben? Warum?
    Breuer: Die muss man sehr kritisch sehen. Zum einen ist ein Kaufprogramm für Anleihe, Unternehmensanleihe wie Staatsanleihen, auch der Offenbarungseid, dass die EZW-Zinspolitik am Ende angekommen ist. Wir haben ja keine niedrigen Zinsen mehr, wir haben ja quasi ein Nullzinsniveau, und mit dieser Konsequenz der Nullzinsen haben schon viele rechnen müssen beziehungsweise sich auch viele drauf einstellen müssen. Und wir erleben jetzt, dass die niedrigen Zinsen nicht die erhofften Konjunkturimpulse für Südeuropa geliefert haben - und jetzt kommt Herr Draghi mit seiner Mannschaft und versucht, die nächsten Mittel in Szene zu setzen, und er tut das, indem er jetzt ein Kaufprogramm startet. Ich bin da sehr, sehr skeptisch, ob das wirklich die richtige Möglichkeit und die richtigen Lösungen sind.
    Zurheide: Vor allen Dingen kann man sagen, die Sparer, also alle die, die Geld haben, zahlen am Ende die Zeche, weil die Zinsen sind natürlich so niedrig, dass man real Geld verliert, wenn man Geld hat.
    Breuer: Ja.
    Zurheide: Zumindest einige.
    Breuer: Es gibt Gewinner und es gibt Verlierer. Gewinner sind ganz sicherlich auch in Deutschland diejenigen, die eine langfristige Finanzierung jetzt umfinanziert haben oder die jetzt Investitionen tätigen, zum Beispiel in private Immobilien, zum Beispiel in Ersatzinvestitionen, also in Renovierungsarbeiten: Wenn die auf dem Markt jetzt Zinsen bezahlen müssen, sind das für neue Verträge sehr, sehr niedrige Zinsen. Der überwiegende Teil der Deutschen, auch der deutschen Sparer, ist jedenfalls von dieser Niedrigzinspolitik oder von der Nullzinspolitik nicht bevorteilt, sondern er ist benachteiligt. Wir werden durch die Inflation, die sehr, sehr niedrig ist, und die noch niedrigeren Zinsen real enteignet und man beobachtet das auch, dass die Einlagen natürlich kurz und mittelfristig nichts mehr abwerfen.
    Zurheide: Jetzt könnte man natürlich sagen: Das alles kann man so lange vertreten, wie man die Wirtschaftspolitik in der Balance hält, es nicht zur großen Krise kommt. Man kann sagen, ja, wir kaufen damit Zeit - wenn denn die Probleme zwischendurch gelöst werden. Werden die Probleme zwischendurch gelöst? Zum Beispiel die Verschuldungssituation der Banken im südeuropäischen Bereich ist eigentlich noch nicht gelöst.
    Breuer: Nein, gelöst ist es nicht. Es ist ein sehr langsames Lösungstempo. Allerdings müssen wir auch fair sein und sagen, dass sich ein paar kleine Pflänzchen der Hoffnung schon breitmachen: Die Spanier haben sehr beherzt Liberalisierung begonnen und sind jetzt als eines der starken und wachsenden Länder im Europaraum zu beobachten. In Frankreich und Italien ist noch nicht sehr viel passiert, allerdings wächst die öffentliche Diskussion und jetzt, glaube ich, auch die Bereitschaft für Reformen. Einige wie die Arbeitsmarktreform in Italien sind schon beschlossen, andere Vorschläge werden demnächst präsentiert und diskutiert. Es tut sich ein Stück weit. Es ist sehr, sehr langsam, aber die Geschwindigkeit, die schnelle Geschwindigkeit, die eigentlich eine Besserung auf Nachhaltigkeit dann in Aussicht stellen müsste, die ist nicht besonders hoch, und das liegt natürlich auch da dran, dass die EZB mit ihrer sehr großen Politik der Geldschwemme diese Reformgeschwindigkeit auch nicht besonders fordert.
    Sparkassen in "Bleiwesten"
    Zurheide: Und jetzt kann man sagen, jetzt werden die Banken auf der anderen Seite reguliert, da hat es mehr gegeben, es gibt einen Bankenrettungsfonds. Aber Sie - ich spreche mit einem Sparkassenvertreter -, Sie sagen natürlich immer: Da zahlen die Falschen ein, nicht die, die es verursacht haben.
    Breuer: Das ist so. Wir beobachten ja mit der dreiteiligen neuen Bankenunion, also sowohl dem Abwicklungsmechanismus, demnächst auch der Einlagensicherung und auch dem sogenannten Aufsichtsregime, dass die Konsequenzen aus der Krise 2007, 2008 und 2009 ein Stück weit in die Gesetze, in die europäische Bankenunion jetzt Einfluss genommen haben. Aber auch da merken wir natürlich, dass da Gleiches ungleich behandelt wird und Ungleiches gleich behandelt wird. Das ärgert uns sehr, denn natürlich sind die kleineren und vor allen Dingen realkreditwirtschaftlichen Institute nicht die Verursacher dieser großen Krise von damals gewesen und sie werden ganz schön mit Regulierungen und Bürokratie jetzt überzogen. Und Sie haben nach wie vor viele Akteure auf dem Markt, die ungebremst wetten beziehungsweise auch ungebremst handeln können.
    Zurheide: Da sprechen Sie die Schattenbanken an, wo wenig getan wird. Also die kleine Sparkasse auf dem Land oder die Volksbank, die wird reguliert, hat hohe Auflagen, muss die erfüllen, muss sich darum kümmern, das bindet Kräfte und Geld, und andere Schattenbanken laufen weiter. Warum geht Europa da nicht ran? Ich meine, das diskutieren wir beide auch nicht zum ersten Mal.
    Breuer: Nein, das tun wir nicht. Wir merken auch, dass es offensichtlich innerhalb der europäischen Institutionen, auch innerhalb der nationalen Regierungen leichter ist, eine 96-, 97-Prozent-Regulierung noch auf 98 oder 99,5 nach oben zu schrauben. Und die Schattenbanken, damit meinen wir die Unternehmen, die Finanzgeschäfte innerhalb des gesetzlichen Rahmens tätigen, aber keine Kreditinstitute sind, wir meinen die sogenannten Hedgefonds, die Private-Equity-Fonds - die sind ganz offensichtlich sehr, sehr schwer zu packen, innerhalb Europas schon schwer zu packen. Da gibt es unterschiedliche Interessen.
    Zurheide: Sind die schwer zu packen oder will man die nicht packen, Herr Breuer?
    Breuer: Beides. Sie sind schwer zu packen, weil man sich in Europa nicht einig ist, wie man gemeinsam anpackt. Da gibt es ein hartes Interesse, insbesondere des Finanzstandorts London, etwas anderes vorzugeben. Und dann merken wir, dass ganz offensichtlich dann in G20 oder G8, wo dann bestimmte Sachen vereinbart werden, die nicht durchgeholt werden. Und unsere große Sorge ist doch da, dass man so lange wartet, bis man die reguliert, und die großen Bleiwesten, die die Sparkassen, die Genossenschaftsbanken, auch die kleineren Privatbanken jetzt übergezogen hat, führen dann dazu, dass die Schattenbanken sich außerhalb Europas, aber mit Niederlassungen in Europa Wettbewerbsvorteile zu unseren Lasten verschaffen.
    Zurheide: Danke schön! Das war Michael Breuer, der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes. Wir haben das Interview kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.