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Europäische Integration
Die Macht der Vereine und Bewegungen

Politische Parteien allein reichen den Pro-Europäern nicht mehr. Im Vorfeld der Europawahl sind einige Gruppierungen entstanden, die sich zum Ziel gesetzt haben, die europäische Einigung zu fördern. Viele sind dennoch eng mit Parteien verbunden.

Von Christoph Schäfer |
Zahlreiche Europa-Fähnchen sind in einem Eimer am Stand der "Pulse of Europe" in Dresden verstaut.
Pro-Europäer fördern die europäische Einigung jenseits von Parteien. (picture alliance / Daniel Schäfer)
"Wir dürfen das Gespräch über Europa nicht denen überlassen, die Europa zerstören wollen. Denen darf es in Europa keinen Platz geben!"
Und deshalb hat Martin Schulz den Verein "Tu was für Europa" mitgegründet. Vergangene Woche hat er ihn als Vorsitzender in Berlin vorgestellt. Schulz will Europa verteidigen – gegen laute Europa-Gegner, die dem SPD-Politiker zufolge, manchmal in der Mehrheit zu sein scheinen. Bei dem Verein, so Schulz, gehe es zudem darum:
"Menschen, die für die europäische Idee sind, aber sich nicht zwingend festlegen wollen auf eine politische Partei oder eine Bewegung, ansprechen zu wollen."
Gefühle für Europa wecken
Unter dem Motto #myeurope auf Plakaten und in Online-Aktionen will der Verein überparteilich Menschen ansprechen und ein Gefühl für Europa schaffen – unterstützt von Stiftungen und Unternehmen wie der Deutschen Bahn. Und mit Kampagnen – ohne inhaltlichen Bezug zur EU-Politik und zu EU-Institutionen. Stattdessen sollen Menschen singen, kochen, Fußball spielen - alles ohne langfristige Verpflichtungen. Konkreter wird der SPD-Politiker nicht. Nur, dass der Verein auch lange nach der Europawahl bestehen will.
Auf Kampagnen für ein geeintes Europa setzt auch Yanis Varoufakis mit seiner länderübergreifenden politischen Bewegung Diem25:
"Denn der einzige Weg in Europa, um den Zerfall zu verhindern, der politische Monster in all unseren Ländern nährt, ist es, ein Bündnis zu schließen. Was wir 1940 als Demokraten und Europäer versäumt haben," so der ehemalige griechische Finanzminister im April in Berlin.
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Parteien hinter Bewegungen
Er hat die Bewegung 2016 mitgegründet. Sie ist heute in elf europäischen Ländern aktiv und hat nach eigenen Angaben etwa 70.000 Mitglieder. Sie werben etwa für mehr Transparenz bei Entscheidungen in der EU. Ihre Ziele will die Bewegung bis 2025 umsetzen – über unterschiedliche Parteien im Europäischen Parlament:
"Was sie gemacht hat, war: politische Parteien zu gründen – rechtmäßig in den verschiedenen Ländern, wie "Demokratie in Europa" hier in Deutschland. So simulieren wir Transnationalität mit den Parteien in den Nationalstaaten, die faktisch zu unserer länderübergreifenden paneuropäischen Bewegung gehören."
Darunter befinden sich - anders als in Martin Schulz überparteilichem Verein - laut Diem25-Webseite Grüne, radikale Linke und Liberale.
Ein Zeichen unserer Zeit
Dass eine offene Bewegung und strukturierte Parteien parallel existieren, deutet Swen Hutter, Soziologe am Wissenschaftszentrum Berlin, als Zeichen unserer Zeit:
"Eine verschwindend kleine Anzahl an Europäerinnen ist, wirklich zufrieden mit Parteien als Organisationen. Also ein Überdruss an Parteien. Wenn sie da schon ein anderes Label nehmen, diese Akteure, dann hilft das schon."
Swen Hutter warnt jedoch vor falschen Hoffnungen. Er vergleicht diese europäischen Bewegungen mit sozialen Bewegungen in den 1970er und 80er Jahren: Auch Themen wie Umwelt und die Frauenbewegung haben Hutter zufolge länger gebraucht, bis sie beispielsweise über Grüne Parteien in Europa ankamen:
"Und dann ist es auch nachhaltig. Aber wenn wir schon eigentlich bei der Gründungsphase bei der Bewegung, wir nennen es dann Bewegung, auch von Anfang an das Ziel haben, damit Wahlen zu bestreiten, dann ist es auch, im Englischen würden wir sagen, "window dressing": man tut dann manchmal nur so, als ob."
Prominenz nicht unbedingt ein Gewinn
Dem Soziologen zufolge können prominente Unterstützer eine Bewegung einerseits sichtbarer machen. Andererseits können politisch Interessierte mit diesen Prominenten aber auch ein politisches Programm assoziieren. Der offene Bewegungscharakter würde damit eingeschränkt.
Der ehemalige EU-Parlamentspräsident und Kanzlerkandidat Martin Schulz ist sich trotzdem sicher: Menschen werden seinen Verein "Tu was für Europa" nicht als parteipolitische Initiative bewerten:
"Die Aktivtäten des Vereins werden mit einer eigenen Kampagnen-Plattform gefahren, da tauche ich überhaupt nicht auf."
Zudem ist der Verein laut Schulz überparteilich organisiert und besteht ansonsten, wie er betont, aus politikfernen Mitgliedern wie Journalisten und Künstlern.