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Europäische Kunst in der weißrussischen Diktatur

Fragen wir die Künstler nach ihrer Sicht auf Europa, hat das Goethe-Institut beschlossen und veranstaltet seit 2011 jeweils unterschiedliche Ausstellungen in London, Lodz, Nowi Sad, Istanbul, Oslo, Taiwan oder Brüssel. Die zweite Station ist gerade im Minsk bezogen worden, mit Schwerpunkt auf weißrussischer zeitgenössischer Kunst.

Von Sabine Adler |
    Die Ironie des Schicksals will es, dass sich am Anfang alles um einen Obelisken dreht. Wenige Schritte vom Platz des Sieges mit der Säule sollte es einen anderen neuen Obelisken geben, einer, der vermutlich nicht ganz den Vorstellungen der weißrussischen Behörden entspräche, würden ihn doch Künstler und Publikum gemeinsam gestalten, bekäme er seine Form quasi basisdemokratisch. Aber:

    "Der hängt im Zoll fest."

    Eröffnet wurde die noch unvollständige Ausstellung trotzdem, beschloss Kuratorin Barbara Steiner. Insgesamt zehn Exponate geben wieder, was zeitgenössische Kunst mit Weißrussland und Europa assoziiert. Zunächst, ja richtig: Diktatur. Sie ist allgegenwärtig, bestätigt die weißrussische Kuratoriumskollegin Lena Prentz:

    "Das ist ständig das Thema aller Gespräche und das ist auch das Thema vieler künstlerischen Arbeiten hier. Wie weit geht die Selbstzensur? Wenn es dann eine Möglichkeit gibt, dann sind viele Künstler dankbar, dass man hier Arbeiten ausstellen kann, die sie woanders nicht hätten ausstellen dürfen."

    Betrachtete man die kleine Galerie "u", ihr Name besteht aus diesem einzigen Buchstaben, mit den Augen von Diktator Lukaschenko, würde sich sein Blick schon von fern verfinstern. Auf der Mauer draußen steht in großen weißen Lettern "London" auf schwarzem Grund. London war zwar die erste Station dieses europäischen Kunstprojektes, doch darauf wollen Kuratoren, Aussteller und Künstler nicht hinaus. Sie spielen erst in zweiter Linie an auf die europakritischen Briten, hier geht es vor allem auf die von Großbritannien verweigerte Akkreditierung Lukaschenkos bei den Olympischen Spielen. Der hatte einem Minsker Cafe genannt "London" den Namen gestrichen, aus lauter Ärger über die Briten. Etliche Besucher sind zudem mit Teddybären zur Vernissage gekommen, auch aus Protest, weil Lukaschenko den schwedischen Botschafter ausgewiesen hat. Denn es waren kürzlich Schweden, die Teddys über Weißrussland abwarfen, mit dem Schild "Pressefreiheit" auf der Brust.

    Minsk, Weißrussland stand für die Kuratorin des Gesamtprojektes von vornherein als Ausstellungsort fest, Barbara Steiner ist überzeugt, dass für vier Wochen Kunst gezeigt wird, die ansonsten heimatlos geblieben wäre.

    ""Es ist klein, aber es ist gut, dass es klein ist, weil es dadurch eine Unterschwelligkeit in der Wahrnehmung gibt. Das ist eine Privatinitiative und anders wäre das gar nicht möglich gewesen. Diese Art Kunst könnten Sie hier in einer anderen Institution nicht zeigen."

    Andrej Lankjewitsch nutzt die vom Goethe-Institut initiierte Europa-Ausstellung, um in seinem Land eine differenzierte Geschichtsbetrachtung zu fordern. Weißrussen, so die offizielle Lesart, waren im Zweiten Weltkrieg entweder Helden oder Opfer, erklärt Lena Prentz:

    "Das ist ein Foto, auf dem ein Mensch in zwei Uniformen fotografiert wurde. In der eines Rotarmisten und die zweite Uniform ist die eines Wehrmachtsoldaten."

    Die Diktatur weiß noch immer nicht, wie sie mit den beiden berühmtesten Vertretern weißrussischer Kunst, Malewitsch und Chagall, umgehen soll. Beiden stammen aus Witebsk. Die Nationalgalerie in Minsk weist zwar mit einem Plakat auf den 125. Geburtstag Chagalls hin, doch wer seine Eintrittskarte in der Hoffnung auf eine Sonderausstellung gekauft hat und sich enttäuscht sieht, bekommt sein Geld anstandslos zurück. Das Museum hat so wenig wie jedes andere weißrussische auch nur ein Bild von Chagall oder Malewitsch.

    Doch inzwischen erinnert man sich immerhin an die Avantgardisten, auch dank des Exponats von Sergej Shabohin.

    "Es gibt ja hier verschiedene Gruppen. Die einen sagen, dass das unser Nationalerbe ist, das wir ausbauen, und in die touristischen Routen einbeziehen müssen. Das ist unser Malewitsch und unser Chagall. Und die, die Arbeiten besitzen, sollen sie uns zurückgeben. Und es gibt die anderen, die sagen: Ja, was ist denn das. Das ist ja überhaupt keine Kunst."

    Unter Mini-Malewitsch-Bildern steht eine Grabplatte aus Granit in Folie gewickelt, mit der Aufschrift "consumer".

    Neben den weißrussischen Kollegen zeigt die Videokünstlerin Ane Hjort Guttu aus Norwegen einen achtjährigen Jungen, der die Regeln, an die er sich halten soll, zu streng findet, was im Kontext einer Diktatur die Frage aufwirft: Was ist repressiv? Oder die schwedische Fotoserie stillgelegte Felder, für die die Brüssler Bürokratie große Summen zahlt. Blicke auf Europa, die von Weißrussland aus plötzlich ganz anders ausfallen.