Feinschliff vor dem großen Auftritt: Das Ensemble des Jockay-Theaters im slowakischen Komarno studiert eine ungarische Operette ein. Es geht natürlich um die Liebe und um komische Verwicklungen.
Das Jockay-Theater führt ausschließlich Werke in ungarischer Sprache auf. In der Kleinstadt Komarno sind 60 Prozent der Einwohner Magyaren. So sieht es in vielen Orten an der Grenze zu Ungarn aus: Dort sind die Slowaken eine Minderheit im eigenen Land. Und das sei kein Problem, meint Theaterdirektor Tibor Toth, solange sich die Politiker nicht einmischten.
"Hier in Komarno gibt es überhaupt keine Spannungen zwischen Ungarn und Slowaken. Ich kann das wirklich so sagen – ich lebe schon seit zehn Jahren hier. Vielleicht gibt es das irgendwo in der Kneipe, wenn die sich nach zehn Schnäpsen mal streiten, das ist ja ganz normal. Aber einen echten Konflikt herauf zu beschwören, das ist nur im Interesse einiger Politiker, die daraus Kapital schlagen wollen."
Für sein Theater, lächelt der sportliche Mittvierziger, habe er deshalb ein Politikverbot ausgesprochen:
"Wenn die Politik die Künste vereinnahmt, ist das schädlich. Wir müssen uns darum bemühen, Distanz zu wahren. In unserem Theater haben weder Nationalismus noch Rassismus Platz. Mir geht es nur um eines: ob die Künstler gut sind - oder nicht."
Doch in einem Punkt macht der auf Verständigung bedachte Künstler keine Umschweife:
"Ich fühle mich als Ungar, ich lebe aber in der Slowakei. Ich habe die Kunsthochschule in Bratislava absolviert, habe slowakische Freunde und Kollegen, also ist ein Teil meiner Identität schon slowakisch. Aber ich bin Ungar."
Den Streit über die doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn, den die neue Regierung in Budapest vom Zaun gebrochen hat, hält der junge Theaterdirektor trotzdem für abwegig:
"Ich sehe nicht, welche Vorteile das hätte. Wenn die Demokratie in dem Land, in dem ich lebe, in Ordnung ist, brauche ich doch keine zweite Staatsbürgerschaft. Das wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn ich hier tatsächlich als Minderheit unterdrückt würde und Hilfe bräuchte. Also, ich persönlich kann darauf verzichten."
So sehen es die meisten Ungarn in der Südslowakei, obwohl sie sich von der Regierungskoalition in Bratislava nicht immer gut behandelt fühlen. Das neue slowakische Sprachengesetz haben viele als Provokation empfunden: Es regelt den Gebrauch von Fremdsprachen im öffentlichen Leben und räumt dem Slowakischen klar den Vorrang vor den Sprachen der Minderheiten ein.
Theaterdirektor Toth rollt ein großes Plakat auf: Es kündigt die Premiere eines Tschechow-Dramas an – nur auf Ungarisch. Diese Plakatserie musste er wegen des Sprachengesetzes einstampfen und neu drucken lassen, mit slowakischer Übersetzung.
"Das Sprachengesetz ist völlig überflüssig. Wenn die Politiker glauben, so die slowakische Sprache retten zu können, ist das absoluter Unsinn. Und uns beschert das mitten in der Wirtschaftskrise nur höhere Kosten. Es ist nun einmal so: Mit slowakischer Werbung bekommen wir keinen einzigen Zuschauer mehr, denn zu uns kommen nur die Ungarn."
Und auch die Diskussion über das slowakische "Patriotismusgesetz" hat die Gemüter erhitzt: Es sah in seiner ursprünglichen Fassung unter anderem vor, dass Schüler und Studenten jeden Morgen die slowakische Hymne singen müssen. Ein Plan, der in allen Bevölkerungsteilen Proteste auslöste.
Der BWL-Student Tamas Meri hat die Demonstrationen mit organisiert. Der 24-jährige stammt aus einem vorwiegend ungarischen Dorf etwas außerhalb von Komarno.
"Am meisten ärgert die Leute die Tatsache, dass es heutzutage überhaupt jemandem einfällt, ein solches Gesetz zu machen. Das wäre in Westeuropa undenkbar. Hier haben sie sich im Grunde nur ein weiteres Werkzeug ausgedacht, mit dem man den Ungarn das Leben schwer machen kann."
Stattdessen, meint der junge Mann, sollte der Staat sich darum kümmern, die Ungarn besser zu integrieren. Das scheitere oft schon in der Schule - an unzureichendem Sprachunterricht.
"Es wäre wirklich eine Überlegung wert, wie man den Slowakischunterricht an den Schulen hier in der Region effektiver gestalten könnte. Denn als Ungar hat man hier 13 Jahre lang vier, fünf, sechs Stunden Slowakisch pro Woche, und hinterher kann man es trotzdem nicht richtig. Slowakisch müsste hier als Fremdsprache unterrichtet werden, dafür wäre es aber nötig, die Lehrpläne entsprechend zu ändern. Und das geschieht nicht."
Auch Tamás macht das Slowakische hörbar zu schaffen. Ein Handicap bei der Jobsuche. Trotzdem meint auch er, dass der Streit zwischen Bratislava und Budapest einer realen Grundlage entbehre:
"Ich glaube, dass sich die normalen Leute auch weiterhin gut verstehen werden, ohne Probleme. Ich kann nicht erkennen, dass in Komarno und Umgebung radikale Kräfte an Boden gewinnen. Ich persönlich hatte als Ungar bislang nur eine einzige negative Erfahrung, hier in Komarno auf dem Hauptbahnhof: Da hat es einem Angestellten der Bahn nicht gefallen, dass ich auf Ungarisch eine Fahrtkarte verlangt habe."
Viele Ungarn in der Südslowakei führen ein Leben, das sich kaum mit dem ihrer slowakischen Landsleute überschneidet. Sie besuchen ungarische Kindergärten und Schulen; und seit 2004 gibt es in Komarno sogar eine ungarische Hochschule – die einzige im ganzen Land.
Die Janos Selye Universität ist im alten Offizierskasino aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Prächtig sanierte neogotische Gebäude mit hübschen Innenhöfen und altem Baumbestand. Hier wurde an nichts gespart. Mehr als 2400 Studenten sind in den drei Fakultäten eingeschrieben – sie studieren Ökonomie, Pädagogik oder Theologie.
Nach slowakischen Studenten müsste man hier wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen suchen. Und das ist aus Sicht von Rektor Janos Toth auch richtig so:
"Diese Hochschule wurde nicht gegründet, um slowakische Studenten aufzunehmen – sie ist an erster Stelle für die ungarische Minderheit gedacht. Es gibt in der Slowakei insgesamt 34 Hochschulen, und nur eine davon ist ungarisch."
Hochschulrektor Toth ist Mathematiker. Er spricht lieber über Zahlentheorie und Stochastik als über Politik. Vorsichtshalber empfängt er seine Gesprächsgäste gemeinsam mit einem Kollegen. Der ist auch Mathematiker - und eher schweigsam. Es gehe um Chancengleichheit, meinen die beiden Wissenschaftler.
"Die ungarischen Bürger dieses Staates müssen sich dessen bewusst werden, dass sie besser Slowakisch lernen müssen. Auf der anderen Seit liegt das Problem aber nicht allein bei ihnen: Es ist auch notwendig, die Methodik im Slowakischunterricht an den Schulen zu ändern, also an den ungarischen Schulen im Land."
Von einer Parallelgesellschaft zu sprechen, hält der Hochschuldirektor für überzogen. In der Bildungspolitik gebe es Defizite. Ansonsten, meint auch Ko-Rektor Peter Csiba, werde der politische Streit unnötig aufgebauscht:
"Die meisten Auseinandersetzungen gibt es dort, wo es zwischen den beiden Seiten wenig Kontakt gibt. Dort wo Slowaken und Ungarn zusammenleben, so wie hier in Komarno, gibt es keinerlei Schwierigkeiten. Nationalistische und extreme Stimmen hört man eigentlich nur dort, wo man sich gegenseitig gar nicht kennt."
Es gibt also gibt Spannungen – nur nicht hier? - Man muss schon genau hinhören, um die neuralgischen Punkte zu entdecken. Wenn man im Süden der Slowakei unterwegs ist, hört man mehr Ungarisch als Slowakisch; in den Gesprächen ist fast nur von Budapest die Rede, selten von Bratislava: Die einen sind gerade über ein verlängertes Wochenende dort, die anderen haben in Budapest die Familie, viele junge Leute ziehen zum Studieren dorthin, der nächste hat dort Geschäftspartner, man sieht ungarisches Fernsehen, geht ins ungarische Theater. - Die Situation macht es Populisten auf beiden Seiten leicht. Auf ungarischer Seite werden Vorstöße wie das slowakische Sprachen- oder das Patriotismusgesetz als Schikane gesehen. Umgekehrt malen slowakische Nationalisten das Schreckgespenst einer schleichenden Ungarisierung der Slowakei an die Wand.
Und so sind die Töne zwischen Ungarn und der Slowakei auf offizieller Ebene weniger versöhnlich. Seit dem Wahlsieg von Viktor Orban und seiner national-konservativen Fidesz-Partei in Ungarn allemal. Orbans Vorstoß, den Ungarn in den Nachbarländern einseitig die doppelte Staatsbürgerschaft anzubieten, versetzte Bratislava in Alarmstimmung. Premier Robert Fico drohte umgehend mit Gegenmaßnahmen – vor den Wahlen am 12. Juni lässt sich das Thema innenpolitisch ausschlachten.
"Wer slowakischer Staatsbürger ist und freiwillig Staatsbürger eines anderen Landes wird, soll den slowakischen Pass abgeben müssen. Wenn zehn Prozent unserer Bürger einseitig die Möglichkeit bekommen, sich eine zweite Staatsbürgerschaft zuzulegen, ist das für uns ein Sicherheitsrisiko. Ein Risiko für den slowakischen Geheimdienst, die Armee oder die Polizei. Darauf müssen wir sehr schnell und sehr hart reagieren."
Der seit Jahren schwelende Konflikt hat historische Wurzeln. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Königreich Ungarn zerschlagen: Der Friedensvertrag von Trianon bestimmte vor 90 Jahren, dass Ungarn zwei Drittel seines Territoriums an die Nachbarländer abgeben muss. In diesen Gebieten leben bis heute ungarische Minderheiten, über deren Status immer wieder gestritten wird. In der Slowakei sind es mehr als 500.000, rund ein Zehntel der Bevölkerung. Auf beiden Seiten sind die Empfindlichkeiten groß. Und so springt der Funke des politischen Disputs hier und da eben doch auf den Alltag über:
Im Fußballstadion der slowakischen Kreisstadt Dunajska Streda spielt das einheimische Team, das nur aus Ungarn besteht, gegen die Mannschaft aus Trnava: Das Stadion ist häufig Schauplatz von Krawallen. 80 Prozent der Einwohner in Dunajska Streda sind Ungarn. Wenn Fußballmannschaften aus anderen Landesteilen hier zu Gast sind, werden sie nicht immer freundlich empfangen. Auch heute ist das kleine, aber berüchtigte Stadion deshalb von Hunderten Polizisten mit Wasserwerfern umstellt.
Auch die Aktivisten des ungarischen Vereins Harmonia sind gekommen. Sie fordern seit Jahren eine Gebietsautonomie für die Ungarn in der Südslowakei. Das Vorbild, sagt Aktivist Ernö Godo, sei Südtirol.
"Wir wollen eine Gebietsautonomie, wir sprechen hier nicht von einer Revision der Grenzen, darum geht es nicht. Aber wir brauchen eigene Institutionen, die sich hinter uns stellen. Denn in dieser Region geht alles den Bach runter. Ich glaube, das Ziel der slowakischen Politik ist es, die Ungarngebiete hier im Süden herunterzuwirtschaften."
Dunajska Streda ist zu einem Symbol des Konflikts geworden. Genau hier brach der Konflikt zwischen Ungarn und der Slowakei im November 2008 neu auf: Damals griff die Polizei bei einem Fußballspiel hart gegen eingereiste Fans aus Ungarn durch, einer erlitt schwere Verletzungen. Seitdem nimmt der Ton zwischen Bratislava und Budapest an Schärfe zu. Der Streit erreichte im August 2009 einen Höhepunkt, als die Slowakei Ungarns Präsident Solyom die Einreise verweigerte. – Auch heute wird das Geschehen auf dem Fußballplatz schnell zur Nebensache. Die Autonomisten reden sich in Rage:
"Zu Zeiten der Tschechoslowakei wurde diese Gegend der Goldene Garten genannt. Und was ist davon geblieben? Die Menschen sitzen in den Kneipen herum und betrinken sich, denn sie haben keine Arbeit – und von der Landwirtschaft kann man nicht mehr leben. Alles wurde hier platt gemacht, und die Leute kommen nicht darüber hinweg."
"Der Autokonzern Kia hat eine Fabrik im Norden, in Zilina gebaut, Peugeot in Trnava, aber bei uns im Süden wurde überhaupt keine Investition realisiert. Ich bin überzeugt, dass die slowakische Regierung das ganz bewusst tut. Das grenzt schon an Diebstahl."
Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote in den Ungarngebieten teils deutlich über dem slowakischen Durchschnitt. Trotzdem stehen die radikalen Autonomisten mit ihren Forderungen aber weitgehend allein da. – Aber wie lange noch? meint Politologe Michal Horsky von der Universität Trnava.
"Viktor Orban hat wirklich verstanden, dass die Frage nationaler Minderheiten in Mittel-Osteuropa ein echter Mobilisierungsfaktor in der Innenpolitik sein kann. Und die slowakische Antwort, und darin besteht meiner Meinung nach der größte Fehler, ist die Antwort eines jungen, kleinen Staates, an dessen Spitze Provinzpolitiker stehen."
Die Ungarn begingen am 4. Juni den 90. Jahrestag des Vertrages von Trianon. Das neu gewählte Parlament hat dazu bereits ein Gesetz verabschiedet: Der 4. Juni soll künftig als "Tag der nationalen Zusammengehörigkeit" gefeiert werden. Eine Ergänzung des Gesetzestextes um die Passage: "Die Wunden von Trianon sind nicht durch Grenzrevision zu heilen" lehnten die Parlamentarier ab. Wasser auf die Mühlen der Populisten, so Politologe Horsky:
"Aus slowakischer Sicht stellt sich das so dar: Wenn Budapest Themen wie die doppelte Staatsbürgerschaft und Trianon auftischt, und das auch noch mitten im slowakischen Wahlkampf und ohne die slowakische Seite in die Überlegungen mit einzubeziehen, dann spielt das direkt den extremistischen, fremdenfeindlichen, nationalistischen Parteien in die Hände. Die jetzigen Spannungen zwischen Ungarn und der Slowakei könnten deshalb wirklich katastrophale Folgen haben."
Der Konflikt scheint absurd: Beide Länder sind Partner in der Europäischen Union, beide sind Mitglieder der NATO. Doch Beobachter wie Politologe Michal Horsky sehen erst einmal keine Chance auf Entspannung:
"Ohne Zweifel wird dieser Konflikt während der ersten Amtszeit von Viktor Orban eskalieren. Und deshalb ist es entscheidend, wie die politischen Eliten darauf reagieren werden. Und auf welche Weise Weltmedien darüber berichten werden. Es wäre naiv zu glauben, dass dieser Konflikt sich nach den Wahlen in der Slowakei erledigt hat."
Beim Dorffest in Marcelova will man von alledem nichts hören. Es regnet wie aus Kübeln, das Bier fließt trotzdem in Strömen und in dem kleinen Kulturzentrum des Ortes, das noch den Charme der sozialistischen 70er-Jahre verströmt, gibt eine Folkloregruppe in bunten Trachten eine Tanzaufführung zum Besten. In Marcelova wohnen fast nur Ungarn, im Nachbardorf Srobarova fast nur Slowaken. Die slowakische und die ungarische Schule teilen sich in Marcelova ein Gebäude. Und feiern wollen alle gemeinsam. Weder vom schlechten Wetter noch von den Politikern, sagt Schuldirektor Robert Duka, werde man sich die Laune verderben lassen.
"Was die Politiker machen, ärgert mich natürlich. Und auch alle anderen. Denn zwischen unseren beiden Dörfern gibt es eine außerordentlich gute Zusammenarbeit und Frieden. Meine Frau unterrichtet an der slowakischen Schule, ich unterrichte an der ungarischen. Meine Schwägerin ist dort Direktorin, ich bin es hier. Es mischt sich einfach alles. Und auch im Dorf ist es so. Und das ist gut. Für uns ist das ganz normal, das ist unser Leben, unser Alltag. Die Politiker wollen die Situation ausnutzen – aber das sollten sie nicht tun."
In einem Ort mit 45 Prozent Arbeitslosigkeit gebe es andere Probleme als die Querelen zwischen Budapest und Bratislava, pflichtet Bürgermeister Bela Keszegh bei.
"Unsere älteren Leute haben vielleicht manchmal Probleme mit der Sprache, die Leute über 60 oder 70; aber die jüngere Generation überhaupt nicht mehr. Wer da noch Probleme hat, der hat sie auch mit seiner Muttersprache, in Mathematik oder sonst wo. Die ganz normalen Leute, die können sich immer verständigen. Sogar die Fußballspieler aus unseren beiden Dörfern spielen zusammen in einer Mannschaft, und ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals Schlägereien gegeben hätte zwischen Marcelová und Srobárová. Denn die große Politik aus Budapest und Bratislava, die hat mit uns hier unten im Süden nichts zu tun."
Das Jockay-Theater führt ausschließlich Werke in ungarischer Sprache auf. In der Kleinstadt Komarno sind 60 Prozent der Einwohner Magyaren. So sieht es in vielen Orten an der Grenze zu Ungarn aus: Dort sind die Slowaken eine Minderheit im eigenen Land. Und das sei kein Problem, meint Theaterdirektor Tibor Toth, solange sich die Politiker nicht einmischten.
"Hier in Komarno gibt es überhaupt keine Spannungen zwischen Ungarn und Slowaken. Ich kann das wirklich so sagen – ich lebe schon seit zehn Jahren hier. Vielleicht gibt es das irgendwo in der Kneipe, wenn die sich nach zehn Schnäpsen mal streiten, das ist ja ganz normal. Aber einen echten Konflikt herauf zu beschwören, das ist nur im Interesse einiger Politiker, die daraus Kapital schlagen wollen."
Für sein Theater, lächelt der sportliche Mittvierziger, habe er deshalb ein Politikverbot ausgesprochen:
"Wenn die Politik die Künste vereinnahmt, ist das schädlich. Wir müssen uns darum bemühen, Distanz zu wahren. In unserem Theater haben weder Nationalismus noch Rassismus Platz. Mir geht es nur um eines: ob die Künstler gut sind - oder nicht."
Doch in einem Punkt macht der auf Verständigung bedachte Künstler keine Umschweife:
"Ich fühle mich als Ungar, ich lebe aber in der Slowakei. Ich habe die Kunsthochschule in Bratislava absolviert, habe slowakische Freunde und Kollegen, also ist ein Teil meiner Identität schon slowakisch. Aber ich bin Ungar."
Den Streit über die doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn, den die neue Regierung in Budapest vom Zaun gebrochen hat, hält der junge Theaterdirektor trotzdem für abwegig:
"Ich sehe nicht, welche Vorteile das hätte. Wenn die Demokratie in dem Land, in dem ich lebe, in Ordnung ist, brauche ich doch keine zweite Staatsbürgerschaft. Das wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn ich hier tatsächlich als Minderheit unterdrückt würde und Hilfe bräuchte. Also, ich persönlich kann darauf verzichten."
So sehen es die meisten Ungarn in der Südslowakei, obwohl sie sich von der Regierungskoalition in Bratislava nicht immer gut behandelt fühlen. Das neue slowakische Sprachengesetz haben viele als Provokation empfunden: Es regelt den Gebrauch von Fremdsprachen im öffentlichen Leben und räumt dem Slowakischen klar den Vorrang vor den Sprachen der Minderheiten ein.
Theaterdirektor Toth rollt ein großes Plakat auf: Es kündigt die Premiere eines Tschechow-Dramas an – nur auf Ungarisch. Diese Plakatserie musste er wegen des Sprachengesetzes einstampfen und neu drucken lassen, mit slowakischer Übersetzung.
"Das Sprachengesetz ist völlig überflüssig. Wenn die Politiker glauben, so die slowakische Sprache retten zu können, ist das absoluter Unsinn. Und uns beschert das mitten in der Wirtschaftskrise nur höhere Kosten. Es ist nun einmal so: Mit slowakischer Werbung bekommen wir keinen einzigen Zuschauer mehr, denn zu uns kommen nur die Ungarn."
Und auch die Diskussion über das slowakische "Patriotismusgesetz" hat die Gemüter erhitzt: Es sah in seiner ursprünglichen Fassung unter anderem vor, dass Schüler und Studenten jeden Morgen die slowakische Hymne singen müssen. Ein Plan, der in allen Bevölkerungsteilen Proteste auslöste.
Der BWL-Student Tamas Meri hat die Demonstrationen mit organisiert. Der 24-jährige stammt aus einem vorwiegend ungarischen Dorf etwas außerhalb von Komarno.
"Am meisten ärgert die Leute die Tatsache, dass es heutzutage überhaupt jemandem einfällt, ein solches Gesetz zu machen. Das wäre in Westeuropa undenkbar. Hier haben sie sich im Grunde nur ein weiteres Werkzeug ausgedacht, mit dem man den Ungarn das Leben schwer machen kann."
Stattdessen, meint der junge Mann, sollte der Staat sich darum kümmern, die Ungarn besser zu integrieren. Das scheitere oft schon in der Schule - an unzureichendem Sprachunterricht.
"Es wäre wirklich eine Überlegung wert, wie man den Slowakischunterricht an den Schulen hier in der Region effektiver gestalten könnte. Denn als Ungar hat man hier 13 Jahre lang vier, fünf, sechs Stunden Slowakisch pro Woche, und hinterher kann man es trotzdem nicht richtig. Slowakisch müsste hier als Fremdsprache unterrichtet werden, dafür wäre es aber nötig, die Lehrpläne entsprechend zu ändern. Und das geschieht nicht."
Auch Tamás macht das Slowakische hörbar zu schaffen. Ein Handicap bei der Jobsuche. Trotzdem meint auch er, dass der Streit zwischen Bratislava und Budapest einer realen Grundlage entbehre:
"Ich glaube, dass sich die normalen Leute auch weiterhin gut verstehen werden, ohne Probleme. Ich kann nicht erkennen, dass in Komarno und Umgebung radikale Kräfte an Boden gewinnen. Ich persönlich hatte als Ungar bislang nur eine einzige negative Erfahrung, hier in Komarno auf dem Hauptbahnhof: Da hat es einem Angestellten der Bahn nicht gefallen, dass ich auf Ungarisch eine Fahrtkarte verlangt habe."
Viele Ungarn in der Südslowakei führen ein Leben, das sich kaum mit dem ihrer slowakischen Landsleute überschneidet. Sie besuchen ungarische Kindergärten und Schulen; und seit 2004 gibt es in Komarno sogar eine ungarische Hochschule – die einzige im ganzen Land.
Die Janos Selye Universität ist im alten Offizierskasino aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Prächtig sanierte neogotische Gebäude mit hübschen Innenhöfen und altem Baumbestand. Hier wurde an nichts gespart. Mehr als 2400 Studenten sind in den drei Fakultäten eingeschrieben – sie studieren Ökonomie, Pädagogik oder Theologie.
Nach slowakischen Studenten müsste man hier wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen suchen. Und das ist aus Sicht von Rektor Janos Toth auch richtig so:
"Diese Hochschule wurde nicht gegründet, um slowakische Studenten aufzunehmen – sie ist an erster Stelle für die ungarische Minderheit gedacht. Es gibt in der Slowakei insgesamt 34 Hochschulen, und nur eine davon ist ungarisch."
Hochschulrektor Toth ist Mathematiker. Er spricht lieber über Zahlentheorie und Stochastik als über Politik. Vorsichtshalber empfängt er seine Gesprächsgäste gemeinsam mit einem Kollegen. Der ist auch Mathematiker - und eher schweigsam. Es gehe um Chancengleichheit, meinen die beiden Wissenschaftler.
"Die ungarischen Bürger dieses Staates müssen sich dessen bewusst werden, dass sie besser Slowakisch lernen müssen. Auf der anderen Seit liegt das Problem aber nicht allein bei ihnen: Es ist auch notwendig, die Methodik im Slowakischunterricht an den Schulen zu ändern, also an den ungarischen Schulen im Land."
Von einer Parallelgesellschaft zu sprechen, hält der Hochschuldirektor für überzogen. In der Bildungspolitik gebe es Defizite. Ansonsten, meint auch Ko-Rektor Peter Csiba, werde der politische Streit unnötig aufgebauscht:
"Die meisten Auseinandersetzungen gibt es dort, wo es zwischen den beiden Seiten wenig Kontakt gibt. Dort wo Slowaken und Ungarn zusammenleben, so wie hier in Komarno, gibt es keinerlei Schwierigkeiten. Nationalistische und extreme Stimmen hört man eigentlich nur dort, wo man sich gegenseitig gar nicht kennt."
Es gibt also gibt Spannungen – nur nicht hier? - Man muss schon genau hinhören, um die neuralgischen Punkte zu entdecken. Wenn man im Süden der Slowakei unterwegs ist, hört man mehr Ungarisch als Slowakisch; in den Gesprächen ist fast nur von Budapest die Rede, selten von Bratislava: Die einen sind gerade über ein verlängertes Wochenende dort, die anderen haben in Budapest die Familie, viele junge Leute ziehen zum Studieren dorthin, der nächste hat dort Geschäftspartner, man sieht ungarisches Fernsehen, geht ins ungarische Theater. - Die Situation macht es Populisten auf beiden Seiten leicht. Auf ungarischer Seite werden Vorstöße wie das slowakische Sprachen- oder das Patriotismusgesetz als Schikane gesehen. Umgekehrt malen slowakische Nationalisten das Schreckgespenst einer schleichenden Ungarisierung der Slowakei an die Wand.
Und so sind die Töne zwischen Ungarn und der Slowakei auf offizieller Ebene weniger versöhnlich. Seit dem Wahlsieg von Viktor Orban und seiner national-konservativen Fidesz-Partei in Ungarn allemal. Orbans Vorstoß, den Ungarn in den Nachbarländern einseitig die doppelte Staatsbürgerschaft anzubieten, versetzte Bratislava in Alarmstimmung. Premier Robert Fico drohte umgehend mit Gegenmaßnahmen – vor den Wahlen am 12. Juni lässt sich das Thema innenpolitisch ausschlachten.
"Wer slowakischer Staatsbürger ist und freiwillig Staatsbürger eines anderen Landes wird, soll den slowakischen Pass abgeben müssen. Wenn zehn Prozent unserer Bürger einseitig die Möglichkeit bekommen, sich eine zweite Staatsbürgerschaft zuzulegen, ist das für uns ein Sicherheitsrisiko. Ein Risiko für den slowakischen Geheimdienst, die Armee oder die Polizei. Darauf müssen wir sehr schnell und sehr hart reagieren."
Der seit Jahren schwelende Konflikt hat historische Wurzeln. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Königreich Ungarn zerschlagen: Der Friedensvertrag von Trianon bestimmte vor 90 Jahren, dass Ungarn zwei Drittel seines Territoriums an die Nachbarländer abgeben muss. In diesen Gebieten leben bis heute ungarische Minderheiten, über deren Status immer wieder gestritten wird. In der Slowakei sind es mehr als 500.000, rund ein Zehntel der Bevölkerung. Auf beiden Seiten sind die Empfindlichkeiten groß. Und so springt der Funke des politischen Disputs hier und da eben doch auf den Alltag über:
Im Fußballstadion der slowakischen Kreisstadt Dunajska Streda spielt das einheimische Team, das nur aus Ungarn besteht, gegen die Mannschaft aus Trnava: Das Stadion ist häufig Schauplatz von Krawallen. 80 Prozent der Einwohner in Dunajska Streda sind Ungarn. Wenn Fußballmannschaften aus anderen Landesteilen hier zu Gast sind, werden sie nicht immer freundlich empfangen. Auch heute ist das kleine, aber berüchtigte Stadion deshalb von Hunderten Polizisten mit Wasserwerfern umstellt.
Auch die Aktivisten des ungarischen Vereins Harmonia sind gekommen. Sie fordern seit Jahren eine Gebietsautonomie für die Ungarn in der Südslowakei. Das Vorbild, sagt Aktivist Ernö Godo, sei Südtirol.
"Wir wollen eine Gebietsautonomie, wir sprechen hier nicht von einer Revision der Grenzen, darum geht es nicht. Aber wir brauchen eigene Institutionen, die sich hinter uns stellen. Denn in dieser Region geht alles den Bach runter. Ich glaube, das Ziel der slowakischen Politik ist es, die Ungarngebiete hier im Süden herunterzuwirtschaften."
Dunajska Streda ist zu einem Symbol des Konflikts geworden. Genau hier brach der Konflikt zwischen Ungarn und der Slowakei im November 2008 neu auf: Damals griff die Polizei bei einem Fußballspiel hart gegen eingereiste Fans aus Ungarn durch, einer erlitt schwere Verletzungen. Seitdem nimmt der Ton zwischen Bratislava und Budapest an Schärfe zu. Der Streit erreichte im August 2009 einen Höhepunkt, als die Slowakei Ungarns Präsident Solyom die Einreise verweigerte. – Auch heute wird das Geschehen auf dem Fußballplatz schnell zur Nebensache. Die Autonomisten reden sich in Rage:
"Zu Zeiten der Tschechoslowakei wurde diese Gegend der Goldene Garten genannt. Und was ist davon geblieben? Die Menschen sitzen in den Kneipen herum und betrinken sich, denn sie haben keine Arbeit – und von der Landwirtschaft kann man nicht mehr leben. Alles wurde hier platt gemacht, und die Leute kommen nicht darüber hinweg."
"Der Autokonzern Kia hat eine Fabrik im Norden, in Zilina gebaut, Peugeot in Trnava, aber bei uns im Süden wurde überhaupt keine Investition realisiert. Ich bin überzeugt, dass die slowakische Regierung das ganz bewusst tut. Das grenzt schon an Diebstahl."
Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote in den Ungarngebieten teils deutlich über dem slowakischen Durchschnitt. Trotzdem stehen die radikalen Autonomisten mit ihren Forderungen aber weitgehend allein da. – Aber wie lange noch? meint Politologe Michal Horsky von der Universität Trnava.
"Viktor Orban hat wirklich verstanden, dass die Frage nationaler Minderheiten in Mittel-Osteuropa ein echter Mobilisierungsfaktor in der Innenpolitik sein kann. Und die slowakische Antwort, und darin besteht meiner Meinung nach der größte Fehler, ist die Antwort eines jungen, kleinen Staates, an dessen Spitze Provinzpolitiker stehen."
Die Ungarn begingen am 4. Juni den 90. Jahrestag des Vertrages von Trianon. Das neu gewählte Parlament hat dazu bereits ein Gesetz verabschiedet: Der 4. Juni soll künftig als "Tag der nationalen Zusammengehörigkeit" gefeiert werden. Eine Ergänzung des Gesetzestextes um die Passage: "Die Wunden von Trianon sind nicht durch Grenzrevision zu heilen" lehnten die Parlamentarier ab. Wasser auf die Mühlen der Populisten, so Politologe Horsky:
"Aus slowakischer Sicht stellt sich das so dar: Wenn Budapest Themen wie die doppelte Staatsbürgerschaft und Trianon auftischt, und das auch noch mitten im slowakischen Wahlkampf und ohne die slowakische Seite in die Überlegungen mit einzubeziehen, dann spielt das direkt den extremistischen, fremdenfeindlichen, nationalistischen Parteien in die Hände. Die jetzigen Spannungen zwischen Ungarn und der Slowakei könnten deshalb wirklich katastrophale Folgen haben."
Der Konflikt scheint absurd: Beide Länder sind Partner in der Europäischen Union, beide sind Mitglieder der NATO. Doch Beobachter wie Politologe Michal Horsky sehen erst einmal keine Chance auf Entspannung:
"Ohne Zweifel wird dieser Konflikt während der ersten Amtszeit von Viktor Orban eskalieren. Und deshalb ist es entscheidend, wie die politischen Eliten darauf reagieren werden. Und auf welche Weise Weltmedien darüber berichten werden. Es wäre naiv zu glauben, dass dieser Konflikt sich nach den Wahlen in der Slowakei erledigt hat."
Beim Dorffest in Marcelova will man von alledem nichts hören. Es regnet wie aus Kübeln, das Bier fließt trotzdem in Strömen und in dem kleinen Kulturzentrum des Ortes, das noch den Charme der sozialistischen 70er-Jahre verströmt, gibt eine Folkloregruppe in bunten Trachten eine Tanzaufführung zum Besten. In Marcelova wohnen fast nur Ungarn, im Nachbardorf Srobarova fast nur Slowaken. Die slowakische und die ungarische Schule teilen sich in Marcelova ein Gebäude. Und feiern wollen alle gemeinsam. Weder vom schlechten Wetter noch von den Politikern, sagt Schuldirektor Robert Duka, werde man sich die Laune verderben lassen.
"Was die Politiker machen, ärgert mich natürlich. Und auch alle anderen. Denn zwischen unseren beiden Dörfern gibt es eine außerordentlich gute Zusammenarbeit und Frieden. Meine Frau unterrichtet an der slowakischen Schule, ich unterrichte an der ungarischen. Meine Schwägerin ist dort Direktorin, ich bin es hier. Es mischt sich einfach alles. Und auch im Dorf ist es so. Und das ist gut. Für uns ist das ganz normal, das ist unser Leben, unser Alltag. Die Politiker wollen die Situation ausnutzen – aber das sollten sie nicht tun."
In einem Ort mit 45 Prozent Arbeitslosigkeit gebe es andere Probleme als die Querelen zwischen Budapest und Bratislava, pflichtet Bürgermeister Bela Keszegh bei.
"Unsere älteren Leute haben vielleicht manchmal Probleme mit der Sprache, die Leute über 60 oder 70; aber die jüngere Generation überhaupt nicht mehr. Wer da noch Probleme hat, der hat sie auch mit seiner Muttersprache, in Mathematik oder sonst wo. Die ganz normalen Leute, die können sich immer verständigen. Sogar die Fußballspieler aus unseren beiden Dörfern spielen zusammen in einer Mannschaft, und ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals Schlägereien gegeben hätte zwischen Marcelová und Srobárová. Denn die große Politik aus Budapest und Bratislava, die hat mit uns hier unten im Süden nichts zu tun."