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Europäische Rüstungsexporte
"Es geht um unser europäisches Sicherheitsinteresse"

Man wolle die europäische Zusammenarbeit bei der Produktion von Waffensystemen, sagte Katja Keul, abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen, im Dlf. Vorrausetzung dafür sei jedoch Einigkeit in der Frage: "An wen wollen wir exportieren?" Sich von Katar oder Saudi-Arabien abhängig zu machen, könne nicht sein.

Katja Keul im Gespräch mit Martin Zagatta |
Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) spricht bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude am 16.05.2018 in Berlin
"Die deutsche Exportwirtschaft ist nicht abhängig von Kriegswaffenexporten", sagte die Grünen-Politikerin Katja Keul im Dlf (dpa / Kay Nietfeld)
Martin Zagatta: Paris und London drängen die Bundesregierung, den Stopp der Waffenexporte nach Saudi-Arabien wieder aufzuheben – ein Stopp, der nach der Ermordung des Journalisten Kashoggi beschlossen wurde. Darüber streiten jetzt Union und SPD. Die Sozialdemokraten wollen, dass dieser Lieferstopp verlängert wird. Kompromisse könnte es geben, die sind aber schwierig.
Mitgehört hat Katja Keul, abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Frau Keul!
Katja Keul: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.
Zagatta: Frau Keul, wenn ich es richtig sehe, sind die Grünen ja gegen Waffenexporte, erst recht nach Saudi-Arabien. Muss man dann in Kauf nehmen, dass das in letzter Konsequenz das Ende europäischer Rüstungsprojekte bedeutet?
Keul: Nein, überhaupt nicht. Die europäische Zusammenarbeit ist ja auch gerade sinnvoll, um Synergie-Effekte zu nutzen, damit nicht Briten, Franzosen und Deutsche unterschiedliche und konkurrierende Waffensysteme produzieren. Das heißt, das Argument der französischen Botschafterin zu sagen, das sei jetzt alles dann nicht mehr möglich, weil es dann nicht kostengünstig wäre, wenn man nicht in jedem Fall auch an Saudi-Arabien verkauft, das macht ja keinen Sinn. Wir wollen ja gerade europäisch zusammenarbeiten, damit wir effizienter und günstiger werden und uns nicht abhängig machen von Saudi-Arabien.
"Bundesregierung muss zu ihren Entscheidungen stehen"
Zagatta: Wenn die von Ihnen eben angesprochene Botschafterin aus Frankreich jetzt sagt, das deutsche Exportkontrollsystem, das sei nicht restriktiv, sondern einfach unberechenbar, dann ist das falsch?
Keul: Na ja, da hat sie einen wunden Punkt. Ich finde auch, dass das Agieren der Bundesregierung auch im Hinblick für die Unternehmen eigentlich unerträglich ist, weil es ist völlig unberechenbar. An der Stelle hat sie recht. Die Bundesregierung muss jetzt mal zu ihren Entscheidungen stehen. Sie muss auch rechtsverbindliche Entscheidungen treffen. Das heißt, nicht immer wieder ein Moratorium verlängern, sondern dann auch die Genehmigung nach dem Kriegswaffen-Kontrollgesetz widerrufen. Diese Möglichkeit hat sie. Dann weiß jeder, woran man ist, und dann kann man auch über die wirtschaftlichen Folgen verhandeln. Aber dieses Hin- und Herlavieren, das ist sicherlich keine zumutbare Option.
Zagatta: Was heißt das dann in der Praxis für die Zusammenarbeit mit Paris und Frankreich? Sie sagen, man soll nicht unterschiedliche Waffensysteme entwickeln. Aber aus französischer oder englischer Sicht, was nutzt da ein einheitliches System, an dem die Deutschen ein bisschen mitbauen und dann sagen, das dürft ihr aber nicht ausliefern?
Keul: Man hat ja einen gemeinsamen Standpunkt seit 2008 schon gefunden. Die französische und die britische Regierung sollen jetzt mal erklären, wie sie dazu stehen. Dort ist ganz klar festgelegt: Wenn wir die ernst nehmen – und da haben sie ja auch zugestimmt, Frankreich und England -, dann können wir nach diesen Kriterien nicht nach Saudi-Arabien exportieren. Das heißt, dieser gemeinsame Standpunkt, da ist ja schon niedergelegt, worauf es ankommt. Da steht zum Beispiel auch drin, dass die Mitgliedsstaaten die Situation gemeinsam bewerten und nicht jeder für sich. Das heißt, hier haben wir schon die Grundlage für eine gemeinsame zukünftige Einigung, und im Moment sehe ich nicht, dass die Bundesregierung diejenige ist, die da nicht auf dem Boden der Einigung agiert, sondern Großbritannien und Frankreich ignorieren diesen gemeinsamen Standpunkt.
Sich nicht abhängig von Katar, den Emiraten und Saudi-Arabien machen
Zagatta: Frankreich und Großbritannien sehen das falsch. Wir haben recht, wenn ich Sie recht verstehe. Sind wir da moralisch ein bisschen überlegen, oder wie erklärt sich das?
Keul: Nein. Wir müssen miteinander verhandeln. Wir müssen hier eine Lösung finden und man muss natürlich auch immer Kompromisse schließen. Ich will nur sagen: Eine Grundlage ist schon mal geliefert worden mit dem gemeinsamen Standpunkt von 2008. Auf dem kann man aufbauen.
Es geht auch nur peripher um Ethik oder Moral. Es geht natürlich auch um Menschenrechte. Aber ganz wichtig: Es geht auch um unser gemeinsames europäisches Sicherheitsinteresse. Die Botschafterin spricht ja zurecht von europäischer Souveränität. Aber wie kann es dann sein, dass wir sagen, es ist unmöglich für uns, ein europäisches Kampfflugzeug zu entwickeln und zu produzieren, wenn wir nicht von vornherein uns festlegen, dass auf jeden Fall auch Saudi-Arabien dieses System haben muss? Das ist nicht in unserem Sicherheitsinteresse. Dass wir uns abhängig machen von Katar, von den Emiraten und von Saudi-Arabien, das kann nicht Sinn der Sache sein. Das heißt, wir müssen hier auch über Sicherheitsinteressen sprechen.
"Nicht an Staaten exportieren, die sich in einem bewaffneten Konflikt befinden"
Zagatta: Jetzt müssen Sie aber zur Kenntnis nehmen, oder müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Paris und London eine ganz andere Position dort vertreten. Wenn man da jetzt nach Kompromissen sucht, gibt es ja den Vorschlag: Bei Rüstungsprodukten, bei denen der deutsche Anteil nur gering ist – da ist im Gespräch von einem Anteil von unter 20 Prozent -, dann kein Veto einzulegen. Wäre so ein Kompromiss für Sie denkbar? Wäre das hinnehmbar?
Keul: Man könnte darüber nachdenken. Nur die Grundlage muss natürlich sein, auf welchen Kriterien exportieren wir denn gemeinsam. Es kann ja nicht heißen, dass wir jetzt den gemeinsamen Standpunkt von 2008, in dem drinsteht, dass wir uns einig sind, dass wir nicht an Staaten exportieren, die sich in einem bewaffneten Konflikt befinden, dass der nicht mehr gelten soll. Wenn wir uns alle daran halten, dann wäre diese De Minimis-Regelung mit zehn oder 20 Prozent ja gar nicht mehr so relevant, weil wir gemeinsame Kriterien hätten. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, über den wir sprechen müssen: An wen wollen wir exportieren.
Zagatta: Wie kommen wir in der Praxis weiter? Paris und London halten sich ja jetzt nicht daran, nach Ihrer Sicht. Die Grundlage müssen wir gar nicht genau klären. Aber die beiden Regierungen wollen das jetzt von der Bundesregierung, fordern das ein. Wie kommt man da weiter? Wäre diese 20-Prozent-Regelung eine Möglichkeit, jetzt in der Praxis weiterzukommen? Oder sagen wir, nein, wir Deutschen haben recht, wir blockieren jetzt mal alles?
Keul: Es geht ja jetzt nicht darum zu sagen, die Deutschen haben recht oder sind irgendwie besser. Das ist ja auch so ein Klischee, dass das deutsche System das restriktivste sei. Wir exportieren ja auch genauso viel wie die Briten und die Franzosen.
"Über De Minimis-Regelungen sprechen"
Zagatta: Aber wie könnte der Kompromiss aussehen? Sind die 20 Prozent für Sie praktikabel?
Keul: Sie wären möglicherweise eine Diskussionsbasis, wenn wir uns darauf einigen, dass die Kriterien des gemeinsamen Standpunktes, auf die wir uns geeinigt haben, auch Anwendung finden. Das heißt erst mal, dass Saudi-Arabien in der jetzigen Lage, solange der Jemen-Krieg dauert, kein Empfänger von Kriegswaffen sein kann. Das muss die Grundlage sein. Darüber hinaus kann man dann möglicherweise auch über De Minimis-Regelungen sprechen.
Zagatta: Bei Saudi-Arabien gibt es gar keinen Kompromiss. – Wenn man sich auf eine restriktivere Rüstungspolitik jetzt einigt, das durchzuziehen, wenn auch die Briten und die Franzosen irgendwann sagen würden, na gut, dann sind die Verträge da, dann müssen wir uns an die Deutschen halten, was würde das in Deutschland an Arbeitsplätzen kosten? Dann würde ja kaum noch was exportiert an Waffen.
Keul: Nein. Die deutsche Exportwirtschaft ist nicht abhängig von Kriegswaffenexporten. Das ist ein vernichtend geringer Anteil, den die Waffenexporte daran machen. Man spricht von 80.000 Arbeitsplätzen insgesamt bei der Rüstungsindustrie. Das heißt, bei dem aktuellen Fachkräftemangel ist das jetzt kein Problem von Arbeitsplätzen.
Wir haben natürlich ein Problem bei den Werften. Das ist die Firma Lürssen. Damit wird sich die Bundesregierung jetzt auseinandersetzen müssen, weil sie hat natürlich auch eine Verantwortung, weil sie ja mal diese Genehmigungen erteilt hat, die sie nie hätte erteilen dürfen. Aber die deutsche Wirtschaft bricht nicht zusammen, wenn wir ab morgen keine Kriegswaffen mehr nach Saudi-Arabien liefern. Das hat auch noch niemand zahlenmäßig versucht, jemals zu belegen.
Zagatta: Sie sprechen diese Werft an. Ist das dann die Lösung, dass das dann der deutsche Staat übernimmt? Da zahlen jetzt nicht mehr die Saudis für diese Boote, sondern die sollen ja jetzt an die Polizei ausgeliefert werden, an den Zoll, weil man sie nicht nach Saudi-Arabien liefern darf. Der Bedarf war nicht unbedingt von vornherein dort eingeplant. Ist das die Lösung, Entschädigungen oder solche Geschäfte, die übernimmt jetzt der deutsche Steuerzahler?
Keul: Na ja. Das ist in diesem Fall, sagen wir mal, eine Notlösung, weil natürlich die Bundesregierung dadurch, dass sie mal eine Genehmigung erteilt hat, die sie aus meiner Sicht nie hätte genehmigen dürfen, nicht hätte erteilen dürfen, jetzt natürlich auch eine Verantwortung hat für den wirtschaftlichen Schaden, der der Werft dadurch entstanden ist. Das heißt: Das, worauf man dort sich einig ist, ist jetzt keine Blaupause für die Zukunft, aber es ist eine Notlösung für den konkreten Fall.
Zagatta: Das ginge zum Beispiel beim Eurofighter nicht? Den kann man ja schlecht einsetzen. Frau Merkel könnte vielleicht ein funktionsfähiges Flugzeug gebrauchen, aber die Möglichkeit haben wir da nicht.
Keul: Beim Eurofighter ist das ja ein gutes Beispiel. Der Eurofighter ist über die Jahre immer auch teurer geworden und hat nicht so funktioniert, wie man sich das gedacht hat, weil zum Beispiel auch die Franzosen nicht mit an Bord waren bei der Entwicklung. Das ist ja gerade der Ansatz zu sagen, wir wollen in Zukunft uns zusammentun und nur noch gemeinsam ein Jagdflugzeug entwickeln und nicht mehrere. Dann müsste es ja auch so effizienter und günstiger werden, dass wir dann nicht mehr davon abhängig sind, an Saudi-Arabien zu exportieren.
Zagatta: Aber dann sind wir wieder beim Ausgangspunkt. Dann müsste man auch mal eine gemeinsame Politik finden, und daran klemmt es offenbar, dass da nicht ein Partner die anderen blockieren kann.
Keul: Genau. Man muss sich an einen Tisch setzen und muss über die Kriterien sprechen, sagen, wie verstehen wir den gemeinsamen Standpunkt, wo sind Kompromissmöglichkeiten, wie wollen wir in Zukunft damit umgehen. Aber ein Zurück in die 70er-Jahre nach dem Motto, jeder macht jetzt wieder national was er will und der andere hindert ihn nicht daran, das kann im Jahr 2019 nicht wirklich die Basis sein.
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