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Europäische Seuchenbehörde ECDC
"Viren aus dem Land zu halten, hat noch nie funktioniert"

Das Coronavirus entwickele sich in Europa jetzt dynamisch, so Andrea Ammon, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten, ECDC. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass Erkrankte auch behandelt werden können, Krankenhäuser vorbereitet sind, die Bevölkerung informiert ist.

Andrea Ammon im Gespräch mit Uli Blumenthal |
Eine Gruppe Menschen mit Atemschutzmasken steht mit leeren Einkaufswagen auf einem Parkplatz.
Einwohner der kleinen Stadt Casalpusterlengo warten darauf, in kleinen Gruppen in den Supermarkt eingelassen zu werden (AFP/Miguel Medina)
Das Coronavirus ist außerhalb Chinas weiter auf dem Vormarsch. Italien riegelte nach den ersten Virus-Todesfällen elf Städte im Norden ab, 52.000 Menschen stehen unter Quarantäne. Sorge bereitete den Behörden, dass es seit Bekanntwerden der ersten Infektionen am Freitag bis zum Sonntag nicht gelang, die Ansteckungen bis zu einer Ausgangsperson zurückzuverfolgen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO äußerte sich besorgt über Krankheitsfälle ohne erkennbare Verbindung zu China, wo die Zahl der Infizierten auf 77.000 stieg. Auch in Südkorea und im Iran legten die Zahlen sprunghaft zu.
Andrea Ammon, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) in Solna in Schweden, erwartet jetzt eine dynamische Entwicklung der Erkrankungen in Italien.
"Noch mehr Fälle in den nächsten Tagen"
Andrea Ammon: Was wir jetzt in Italien sehen, sind zum ersten Mal in Europa schnell anwachsende Zahlen von Menschen, die mit Covid-19 erkrankt sind. Das ist etwas, was wir in Ländern außerhalb Europas schon gesehen haben, und wo auch diese schnell anwachsenden Häufungen in Italien hinweisen, ist, dass dieses Virus zu einer lokalen Übertragung geführt hat und jetzt zu verschiedenen Häufungen dort führt. Die Situation entwickelt sich natürlich jetzt dynamisch, und wir erwarten auch, dass es noch mehr Fälle geben wird in den nächsten Tagen.
Ausbrüche importierter Fälle in Europa
Uli Blumenthal: Von welchen Szenarien oder auch Risikoeinschätzungen nach den Infektionsfällen in Italien geht das ECDC jetzt für Europa aus?
Ammon: Wir nehmen an, dass in den nächsten Wochen es möglich ist, dass solche lokalisierten Ausbrüche auch in anderen Ländern auftreten können und dass wir in Europa in den nächsten Wochen ein Bild haben, wo es Länder gibt, die in derselben Situation bleiben wie jetzt, nämlich das Fälle importiert werden und dann eben untersucht wird, welche Kontaktpersonen sie haben und die dann eben auch gut beobachtet werden können, und aber auch Länder mit eben solchen lokalisierten Ausbrüchen, wie es jetzt in Italien auftritt.
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Länder müssen flexibel reagieren
Blumenthal: Welche Maßnahmen müssen dann aus Sicht der ECDC getroffen werden, wenn es ein, so wie Sie es beschrieben haben, differenziertes unterschiedliches Bild in Europa gibt, um sozusagen den Verkehr, den Warenverkehr, den Verkehr von Menschen in Europa zu gewährleisten?
Ammon: Ich glaube, die Maßnahmen sind im Prinzip nicht anders, als sie jetzt getroffen werden. Die Länder müssen einfach dann auch flexibel reagieren, je nachdem, welche Situation sie in den Ländern vorfinden. Und die letztliche Entscheidung, welche Maßnahmen getroffen werden, die liegt dann bei den Ländern.
ECDC: Überwachung sicherstellen, Risiken bewerten
Blumenthal: Und welche Rolle, welche Verantwortung kann die ECDC wahrnehmen?
Ammon: Unsere Aufgabe ist es, zuerst einmal eine Überwachung sicherzustellen, sodass wir einen Überblick haben, wie die Datenlage in den Ländern ist, zum Zweiten die Risiken zu bewerten, was sich jetzt ja auch täglich ändern kann – wir beobachten das sehr genau –, und zum Dritten die Länder zu beraten hinsichtlich der Maßnahmen, der wissenschaftlichen Evidenz für Maßnahmen und ihnen dann eben Handlungsoptionen zu geben.
Kapazität der Labore wesentlich höher
Blumenthal: Wie gut sind aus Ihrer Einschätzung heraus die Gesundheitseinrichtungen in Europa vorbereitet auf eine mögliche Epidemie oder Pandemie mit Covid-19. Es gibt eine Untersuchung von Anfang 2020: 40 Labore in Europa können insgesamt nur 8.000 Tests auf das Virus pro Woche machen. Reicht so was aus?
Ammon: Das war der Status Ende Januar oder Anfang Februar, wann diese Umfrage gemacht worden ist, aber inzwischen haben die meisten Länder diese Tests auch an Krankenhauslabore und private Labore in der Peripherie weitergegeben, und jetzt gehen wir davon aus, dass die Kapazität wesentlich höher ist.
Illustration neuartiger Corona-Viren February 3, 2020, Atlanta, GA, United States of America: Illustration created at the Centers for Disease Control and Prevention showing the ultrastructural morphology exhibited by the Novel Coronavirus 2019-nCoV virus which has caused an outbreak of respiratory illness first detected in Wuhan, China in 2019. Note the spikes that adorn the outer surface of the virus, which impart the look of a corona surrounding the virion, when viewed electron microscope. Atlanta United States of America PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAp138 20200203zaap138002 Copyright: xCdc/Cdcx
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Das Ziel, Ausbrüche einzudämmen
Blumenthal: Inwieweit ist aus Ihrer Sicht ein Wechsel in der Blickrichtung, in der Perspektive im Umgang mit dem Coronavirus erforderlich? Bisher hat man ja auf Eindämmung, Verhinderung von Ansteckung gesetzt, das ist ja scheinbar jetzt auch nach Italien nicht mehr möglich. Jetzt geht es quasi darum, die Auswirkung der Seuche eigentlich abzumildern. Wie kann das geschehen?
Ammon: Im Prinzip ist es immer noch das Ziel, die Ausbrüche einzudämmen. Die italienischen Gesundheitsbehörden sind nach wie vor dabei, die Kontaktpersonen zu identifizieren. Die Strategie, die Viren aus dem Land zu halten, hat noch nie funktioniert, aber ist jetzt nicht mehr das erste Ziel, sodass es jetzt darum geht, dafür zu sorgen, dass die Erkrankten auch behandelt werden können, dass die Krankenhäuser vorbereitet sind und dass die Bevölkerung über das Risiko auch informiert ist.
Bei Krankheit den Notdienst anrufen
Blumenthal: Die Ausbreitung des Coronavirus hängt ja nur noch zum Teil davon ab, was die Behörden tun. Eine viel entscheidendere Frage, so scheint es ja zu sein, ist das individuelle Verhalten. Muss man viel stärker auch sozusagen auf die Bevölkerung zugehen und auf das Verhalten der Bevölkerung eingehen?
Ammon: Ganz sicher ist die Kommunikation zur Bevölkerung ein wichtiger Teil der Maßnahmen, die getroffen werden müssen. Die Maßnahmen, die jeder Einzelne treffen kann, sind relativ simpel. Es geht um Händehygiene, es geht darum, dass wenn man selber Symptome hat, dass man nicht ins volle Wartezimmer geht, sondern dann den Notdienst anruft und dann Instruktionen bekommt, wie man sich zu verhalten hat. Es geht darum, dass wenn man Symptome hat, wenn man Husten hat oder niesen muss, dass man das nicht in die Welt hinaus pustet, sondern eben den Mund und die Nase schützt, dass man in den Ärmel niest oder so was. Diese Maßnahmen kann jeder ja treffen.
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Risikobewertung der Behörden vor Ort
Blumenthal: In Italien haben die Behörden jetzt die letzten beiden Tage des traditionsreichen Karnevals in Venedig abgesagt, heute finden in Köln beispielsweise und in Düsseldorf die Rosenmontagszüge statt. Schauen Sie auf solche Großveranstaltungen mit Besorgnis?
Ammon: Natürlich gehört zu den Maßnahmen auch abzuwägen, ob Veranstaltungen, wo sich viele Menschen auf einem Ort versammeln, abgesagt werden müssen. Aber das ist eine Risikobewertung, die die Behörden vor Ort treffen und dann eben auch die epidemiologische Lage in Betracht ziehen.
Beeinträchtigungen "möglichst minimal halten"
Blumenthal: Aber es kann auch bedeuten, dass immer mehr darüber nachgedacht wird, dass das Coronavirus in Europa das öffentliche Leben in stärkerem Maße immer weiter beeinflusst.
Ammon: Das ist durchaus möglich, und ich glaube, dass die ganzen Bemühungen, die jetzt eben gemacht werden, darauf zielen, dass diese Beeinträchtigung des Lebens möglichst minimal gehalten wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.