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Europäische Union
Asselborn: Keine Reformen ohne deutsche Regierung

Deutschland hat nach Ansicht des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn eine funktionierende Übergangsregierung, die auch in der Europapolitik in der Lage ist zu agieren. Reformen innerhalb der EU anzukurbeln, sei in der derzeitigen Situation allerdings nicht möglich, sagte Asselborn im Dlf.

Jean Asselborn im Gespräch mit Philipp May |
    Luxemburgischer Außenminister Jean Asselborn.
    Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. (dpa/Peter Steffen)
    Philipp May: In vielen Hauptstädten Europas schaut man verwundert und wohl auch ein wenig besorgt nach Berlin. Vom größten und wirtschaftlich stärksten Land war man eigentlich stabile Verhältnisse gewohnt, und jetzt wird die Regierungsbildung zur Hängepartie. Heißt Stillstand in einem Land, das eigentlich Motor der EU sein will und sein soll, und zwar in einem Moment, in dem viele Probleme zu lösen und viele Reformen angegangen werden sollten. – Am Telefon ist jetzt Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs. Ihn erreichen wir gerade in Tokio. Guten Tag, Herr Asselborn!
    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr May.
    May: Machen Sie sich Sorgen beim Blick auf die Lage in Berlin?
    Asselborn: Ich glaube ja nicht, dass jetzt eine politische Mondfinsternis in Deutschland ausgebrochen ist. Es gibt auch keine Krise. Es wäre eine Krise, wenn Gauweiler Bundeskanzler würde. Das ist alles nicht der Fall, da sind wir sehr weit weg davon. Aber es ist natürlich eine Lage in Deutschland, die man eigentlich, wie Sie richtig sagen, vom größten und stärksten Land in der Europäischen Union nicht so gewohnt ist.
    May: Sie meinen Gauland wahrscheinlich und nicht Gauweiler? Wobei: Gauweiler wäre für Sie vielleicht mittlerweile auch schon kritisch.
    Asselborn: Gauland? Okay. Ich habe den noch nie gesehen, aber irgendwie so heißt er, ja.
    "Deutschland legt eine Pause ein beim Regieren"
    May: Also alles nicht so schlimm?
    Asselborn: Wissen Sie, wenn ich jetzt sage, Deutschland braucht eine starke Regierung, eine handlungsfähige Regierung – das habe ich schon gesagt -, das Gegenteil kann man nicht erwarten von einem Europäer, denn Deutschland ist zu wichtig. In diesen Zeiten, die recht schwierig sind, nervöse Zeiten, wo man auch natürlich profitieren soll, um die Reformpläne der Europäischen Union durchzusetzen, mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der jetzt herrscht, Brexit und so weiter und so weiter, kann man ja nicht sagen, es ist gut, dass Deutschland jetzt, sagen wir mal, eine Pause einlegt beim Regieren. Aber man muss auch sagen, dass das demokratische Prozedere auch diesmal nach Wahlen in Deutschland zeigt, dass man etwas Zeit braucht, und das ist, glaube ich, der Fall. Und wenn ich sage, Deutschland braucht eine stabile Regierung, ich weiß, was dann der Hintergedanke ist, dass einer sich einmischt und sagt, wir brauchen eine Große Koalition. Das sage ich nicht. Ich glaube, dass nach Jamaika und wenn keine Neuwahlen kommen sollen, was ich auch verstehe – das Resultat könnte dasselbe sein -, dass dann entweder es eine Minderheitsregierung gibt, wo die zwei größten Parteien in Deutschland sich darüber verständigen, oder es gibt eine Große Koalition.
    May: Das glauben Sie auch aus Ihrer europäischen Sicht, eine Minderheitsregierung könnte auch in Deutschland funktionieren?
    Asselborn: Das war ja, glaube ich, seit Bestehen der Bundesrepublik noch nicht der Fall. Aber es gibt ja Minderheitsregierungen in der Europäischen Union. Natürlich: Deutschland ist nicht Schweden oder ein anderes Land der Europäischen Union. Es wäre, glaube ich, im Interesse Deutschlands und im Interesse auch der Europäischen Union gut, wenn es eine handlungsfähige Regierung gäbe. Ich sage jetzt nicht, dass das nicht möglich ist. Wenn die CDU zum Beispiel oder die CSU führen würde, dann müsste ja trotzdem sehr eng zusammengearbeitet werden mit der SPD. Anders geht es ja nicht, dass in wichtigen Fragen, in entscheidenden Fragen innenpolitischer Natur und auch natürlich europäischer Natur ein Konsens hergestellt wird. Es kann ja nicht sein, dass eine Minderheitsregierung in Deutschland aufs Ungefähre aufgebaut wird. Es müsste, glaube ich, schon eine enge Zusammenarbeit dann zwischen den zwei Parteien stattfinden. Das sind ja zwei Parteien, die europafreundlich sind.
    May: Diesen Konsens hat es ja auch schon in der Vergangenheit gegeben, als die CDU beziehungsweise die Union in der Regierung und die SPD in der Opposition, Stichwort Griechenland-Rettung zum Beispiel. Da hat das ja auch ganz gut funktioniert.
    Asselborn: Ja.
    "Sachen, die man mit einer Übergangsregierung hinbekommen kann"
    May: Wie lange kann sich Deutschland denn Ihrer Meinung nach mit einer Regierungsbildung Zeit lassen?
    Asselborn: Es ist nicht meine Sache, jetzt zu sagen, wie lange das jetzt dauert. Ich glaube, der Bundespräsident gibt sich sehr viel Mühe.
    May: Oder anders gefragt: Wie lange verträgt Europa ein Deutschland, das mehr oder weniger nur kommissarisch regiert wird?
    Asselborn: Okay. Ich glaube, Deutschland hat eine Übergangsregierung, die funktioniert. Es hat ein Parlament, das funktioniert. Auch was die europäische Politik angeht gibt es Sachen, die man, glaube ich, auch mit einer Übergangsregierung hinbekommen kann. Sachen, die zum Beispiel sich auf die gemeinsame Verteidigung beziehen, die GSVP, glaube ich, sagen Sie, Digitalisierungsfragen, Klimawandel, sogar die gemeinsame Flüchtlingspolitik. Da, glaube ich, ist auch Deutschland mit einer Übergangsregierung in der Lage zu agieren. Sogar beim Brexit: Wenn alles klar wäre beim Brexit, dann könnte auch die Regierung, die jetzt im Amt ist, die Übergangsregierung, mit entscheiden.
    May: Aber es ist ja nicht alles klar.
    Asselborn: Ja, beim Brexit ist nicht alles klar, aber das hängt auch nicht alles an Deutschland. Das hängt zum Beispiel auch daran, was in Irland geschieht. Aber wenn nicht alles klar ist – das wissen wir ja und wir hoffen, Barnier wird Mitte Dezember vor dem Europäischen Rat sagen, was er glaubt. Die Kommission wird ihre Meinung sagen. Und wenn alles klar wäre in den drei Punkten, dann könnte auch, nehme ich an, eine Übergangsregierung Deutschlands hier zügig mithelfen, dass man vorankommt. Allerdings Sie haben recht: Wenn es Auseinandersetzungen gibt, fundamentale Auseinandersetzungen gibt, dann, glaube ich, wird das schwierig werden. Aber auch in der Europapolitik gibt es schon Sachen, die man mit einer Übergangsregierung Deutschlands bewerkstelligen kann. Was man nicht tun kann, das sind Reformen ankurbeln.
    "Erwartung, was Reformprozesse angeht, tendiert gegen null"
    May: Sie sprechen es an: Am 15. Dezember ist der Eurozonengipfel in Brüssel, wo ja vor allem über die Reformideen auch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beraten werden sollte und möglicherweise auch schon Beschlüsse gefasst. Kann man sich den jetzt schenken?
    Asselborn: Ich glaube, dass eine deutsche Regierung in dieser Phase, wo sie ist in Deutschland, dass das Erwartungspotenzial prinzipiell, was die Reformprozesse angeht nicht nur beim Euro, mit dieser Übergangsregierung oder provisorischen Regierung, dass da trotzdem die Erwartung gegen null tendiert. Das muss man so sehen. Man kann sich nicht vorstellen, dass zum Beispiel was ein Eurobudget angeht, was Juncker vorgeschlagen hat im Haushalt der Europäischen Union, oder was Macron vorgestellt hat, spezifischer Haushalt, dass ein Europäischer Währungsfonds, dass ein europäischer Finanzminister, dass diese Debatte läuft, bevor man Klarheit hat, was Sache ist, was die Regierung angeht in Deutschland.
    May: Nichtsdestotrotz: Möglicherweise hat sich ja gerade für diese Vorschläge, die Sie gerade genannt haben, die Stimmung aus europäischer Sicht verbessert, wo die FDP sich erst mal aus der Regierungsbildung zurückgezogen hat. Die FDP war ja der schärfste Gegner eines gemeinsamen Eurobudgets.
    Asselborn: Ja. Die FDP hatte ein Wahlprogramm, so wie ich das gesehen habe. Aber es kam ja nicht zu Jamaika. Darum mische ich mich da nicht ein. Was ich nur sagen will als Europäer ist, dass nach den Reden von Juncker und von Macron, nach dem Willen, der besteht in dieser Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, auch tiefere Reformen, was die Demokratisierung zum Beispiel des Euros angeht, dass hier auch erwartet wird, dass Bewegung aus Deutschland kommt. Und egal wie jetzt, ob es eine Minderheitsregierung wird oder eine Große Koalition, ich glaube, die zwei Parteien, die da europäisch trotzdem sehr stark engagiert sind, dass die es auch fertig bringen, kritisch, aber auch konstruktiv nicht alles blockend zu diesen Reformprojekten Stellung zu beziehen.
    May: Jetzt ist Deutschland letzte Woche bei der Verteilung der EU-Behörden, die nach dem Brexit aus London wegziehen müssen, leer ausgegangen. Glauben Sie, das war auch eine Folge, dass das Land so sehr mit sich selbst beschäftigt war und vergessen hat, Lobbyarbeit in Brüssel zu machen?
    Asselborn: Ich glaube das nicht. Das war ein System, was wir ausgearbeitet haben, wo nach dem Eurovisionsprinzip abgestimmt wurde. Ich glaube, da war keine große Kohärenz drin. Jedes Land hat versucht, mit zwei, drei anderen Ländern zu schauen, wer stimmt für mich, dann stimme ich für Dich. Das, was rausgekommen ist, ist rausgekommen. Die Tendenz war ja eher auch, dass ein osteuropäisches Land eine Agentur bekommen soll. Das ist auch hingefallen. Das war aber nicht gegen Deutschland gerichtet. Das kann ich mir nicht vorstellen.
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