Schließlich musste Josep Borrell, Europas Chefdiplomat, dann doch noch nachlegen. Für den kommenden Freitag hat er nun die EU-Außenminister zu einer Sondersitzung zusammengetrommelt. Am Dienstag hatte er noch geglaubt, es sei ausreichend, mit einem lauwarmen Tweet auf die brutalen Polizeiexzesse in Belarus zu reagieren. Ein paar empörungspolitische Floskeln, gepaart mit der lapidaren Feststellung, die Menschen in Weißrussland hätten Besseres verdient.
Viola von Cramon: "Erstaunlich erbärmlich"
Das brachte nicht nur die grüne Europaabgeordnete Viola von Cramon auf die Palme: "Seine Bemerkungen, dass die Menschen Besseres verdient haben, bleiben weit hinter dem zurück, was die Menschen in Belarus von der Europäischen Union erwartet haben. Dass sich jetzt erst am Freitag eine Sondersitzung des europäischen Außenministerrates trifft, ist erstaunlich erbärmlich."
So oder so ähnlich beurteilten etliche Europaabgeordnete die zurückhaltende Reaktion des EU-Außenministers. Obwohl derzeit in den Parlamentsferien und deshalb über den ganzen Kontinent verstreut, organisierten zwei Dutzend von ihnen eine fraktions- und länderübergreifende Resolution, die dem Rat und dem Auswärtigen Dienst der EU Beine machen soll. Darin findet sich auch das Wort, das Josep Borrell nicht verwenden wollte: Sanktionen.
Länderübergreifende Resolution
Auch Viola von Cramon hat diese Resolution unterzeichnet. Sie hat gleich eine ganze Reihe von Vorschlägen, was Europas Außenminister am Freitag beschließen sollten: "… dass die Wahlen nicht anzuerkennen sind, dass die EU freie und faire Wahlen, eine Wiederholung der Präsidentschaftswahlen fordert, dass es individuelle, zielgerichtete Sanktionen gegen diejenigen geben muss, die diese Gewalt zu verantworten haben, und dass es natürlich eine unabhängige, internationale Untersuchungskommission geben muss."
Ebenfalls zu den Unterzeichnern der Parlamentarier-Resolution zählt Michael Gahler. Der CDU-Außenpolitiker im Straßburger Parlament will für die für den Polizeieinsatz Verantwortlichen die Türen zur EU schließen:
"Wir haben da aus meiner Sicht vor allem die Möglichkeit, dass wir ihnen die Einreise verweigern. Und das sollten wir dann auch immer auf deren Familien erweitern, das trägt dann die Frustration auch immer in di Familien der Entscheidungsträger."
EU-Sanktionen gegen Belarus - lange Vorgeschichte
Das Thema EU-Sanktionen gegen Belarus hat eine lange Vorgeschichte. Es gab sie bereits, bis 2016. Dann ließ der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko einige politische Gefangenen frei. Das war Teil seiner jahrzehntelangen Schaukelpolitik zwischen Russland und der EU. Mal biederte er sich der einen Seite an, mal tendierte er politisch zur anderen. So wollte er seinem Land die Unabhängigkeit sichern. Die EU-Sanktionen wurden also größtenteils außer Kraft gesetzt.
Sie wieder zu aktivieren, dürfte alles andere als einfach sein. Und vielleicht erklärt das die anfängliche Zurückhaltung von EU-Außenminister Borrell. Er muss für einen Sanktionsbeschluss nämlich ein einstimmiges Votum der Außenministerrunde zustande bringen. Und ob auf Victor Orban zu zählen ist, ist alles andere als Gewiss. Ungarns Ministerpräsident war nur kurz vor den Wahlen nach Minsk gereist, um Lukaschenko zu hofieren.
"Ungarn wird nicht im Wege stehen"
Orban versteht sich ja ausgesprochen gut mit allen Autokraten. Und so erfreute er bei seiner Visite Anfang Juni Alexander Lukaschenko mit der Forderung, nun endlich alle Sanktionen gegen Weißrussland zu streichen. Ob er jetzt, nur zwei Monate später, für neue Sanktionen stimmt? Orbans europäischer Parteifreund Michael Gahler ist zuversichtlich:
"Insamt glaube ich aber nicht, dass sich Herr Orban ins politische Bett mit Herrn Lukaschenko legen will. Und von daher glaube ich, dass da Ungarn nicht im Wege stehen wird."
Viola von Cramon hingegen will, dass die EU beim Außenministertreffen noch deutlich über Sanktionsbeschlüsse hinausgeht. Sie ist davon überzeugt, dass Lukaschenko sehr bald die Macht verlieren wird. Seine Familie, berichtet sie, habe er bereits in die Vereinigten Arabischen Emirate bringen lassen. Deshalb sollte die EU ihm jetzt ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann:
"Es wäre eigentlich jetzt eine gute Option für die EU, ein ernsthaftes Angebot an Lukaschenko zu übermitteln, mit der Perspektive einer Flucht, eines Exils und dann einem geregelten Übergang nach freien und fairen Wahlen."