Gerd Breker: Die Europawahl hat wie gesagt gestern begonnen und sie endet am Sonntag. Heute sind in Irland und Tschechien die Wähler an die Wahlurne gerufen, gestern waren es die Niederlande und Großbritannien. Für die Niederlande gibt es eine Prognose. Sprich: Es wurde nach der Wahl im Wahllokal gefragt, wer denn wen gewählt hat. Und das Ergebnis hört sich an wie ein Dämpfer für die Rechtspopulisten.
Eine Prognose in dem Sinne gibt es für Großbritannien nicht, aber parallel zur Europawahl gab es Kommunalwahlen und deren Ergebnisse deuten in eine Richtung, der auch die Europawähler gefolgt sein könnten.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Guten Tag, Herr Korte.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Guten Tag, Herr Korte.
Karl-Rudolf Korte: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: Die Prognose für die Niederlande, die wir eben gehört haben, ist das ein rein niederländisches Ergebnis, oder zeichnet sich da ein Trend ab in Europa gegen Rechtspopulisten?
Korte: Nein, einen Trend kann man nur niederländisch spezifisch im Moment erkennen, denn die haben ja zuletzt auch Kommunalwahl vor einigen Wochen gehabt. Dort hat er auch nicht richtig zugelegt, der Rechtspopulismus, der Rechtsextremismus in dem Land. Darin ist es stimmig, aber das andere bleibt kein Großtrend. Das hat der zweite Beitrag ja dokumentiert. Die Motive, die Ursachen sind in Großbritannien ganz anders als in den Niederlanden.
Korte: Das ist kein Widerspruch in sich dann?
Korte: Nein, nicht wirklich, weil die Erfolgskurve bei Wilders deutet darauf hin, dass er zumindest den Zenit überschritten hat, dass er länger schon aktiv ist, und dann greift oft so eine Logik der Selbstzerstörung der einzelnen Gruppierungen. Es ist immer schwerer, so eine Partei dann zusammenzuhalten, und dieses Ausfransen führt dann auch dazu, dass am Wählermarkt das nicht nur die Wähler merken, sondern dass die etablierten traditionell anderen Parteien der Mitte dadurch automatisch auch profitieren können.
Europawahl "als Nebenwahl charakterisiert"
Breker: Kann man sagen, Herr Korte, Europawahlen, das sind Wahlen, bei denen sich der Wähler denkt, na prima, jetzt kann ich endlich mal den etablierten Parteien eins auswischen?
Korte: Ja, sie werden so als Nebenwahl charakterisiert, und deswegen sind die Protestwähler, die häufig emotional mobilisieren können, immer besser dran geradezu als die traditionellen politischen Mittewähler und Mitteparteien, weil Wählen in einer Demokratie wichtig ist, aber eigentlich auch Abwählen dazugehört. Und wenn man nicht abwählen kann, auch nicht wirklich Macht verteilen kann, nicht das Gefühl hat, eine Regierung abwählen zu können, was vor allen Dingen deutsche Wähler sehr gerne machen, dann beteiligt man sich nicht. Aber es kann ja sein, dass durch die Vorstellung, dass wir den Kommissionspräsidenten wählen können, doch so eine Richtung entsteht, dass man vielleicht in fünf Jahren das Gefühl hat, nicht nur wählen, sondern auch abwählen zu können.
Breker: Bis anhin war es so, dass die Wahlen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gar nicht so wichtig genommen wurden. Nun gibt es in der Tat - Sie haben es angedeutet - zwei Spitzenkandidaten der Konservativen und der Linken. Kann das ändern, soll das ändern, wird es ändern?
Korte: Das wird vieles ändern, weil wir erstmals wirklich einen europäischen Diskurs, ein europäisches Gespräch haben, europäische Themen haben über die Eurokrise, die alle verbindet. Das gab es bei zurückliegenden Wahlen nie. Wir haben Spitzenkandidaten, die personalisiert Mobilisierungen zulassen, und wir haben in Aussicht praktisch eine klare Zuweisung, was mit dieser Wahl auch personell an institutionellem Setting passiert. Das sind Meilenschritte im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten. Das muss man jedoch vermitteln, das muss man übersetzen. Und unsere etablierten Parteien in Deutschland, wenn man das beobachtet, machen sich da zu wenig Gedanken, auch dies als emotionale Alltagsthemen herunterzubrechen. Es ist eine sehr technokratische Sprache, die uns überall begegnet, und nicht ohne Grund ist dieses Video gerade von Steinmeier so populär beim Anklicken, weil hier einer mal richtig sagt, das ist eine Friedensgemeinschaft, und sich emotional dafür richtig ins Zeug legt. Diese Sprache wünschen Wähler und sie werden emotional in der Regel nur von Populisten angesprochen.
Breker: Europa, die Europäische Union leidet ja bis anhin eigentlich unter, na ja, einer mangelnden demokratischen Legitimation. Wird sich das absehbar wirklich ändern?
Korte: Ja. Auch da, gemessen an den letzten 20 Jahren, hat sich dramatisch viel verändert. Ein Gesetzgeber als Europäisches Parlament ist ja erkennbar. Jetzt fehlt noch erkennbar, sichtbar eine Regierung. Aber Demokratiedefizite oder Legitimationsprobleme, da muss man auch mal kritisch sagen, die Großbritannien-Demokratie, die niederländische, unsere in Deutschland, das sind auch riesige Unterschiede. Und zeitgleich wächst überall der Bedarf an direkter Mitbestimmung, an direkter Demokratie, um diese Betroffenheiten stärker ausdrücken zu können. Auch da werden ja institutionell viele Veränderungen vorgenommen. Ich halte mich ein bisschen zurück, weil das Demokratiemuster, wie Demokratie funktioniert, wirklich sehr unterschiedlich in allen 28 Ländern ist, und nur die EU als Institution dann mit einem Defizit zu konfrontieren, das greift einfach zu kurz.
"Immer noch zu stark ein Elitenprojekt"
Breker: Europa galt ja bis anhin, Herr Korte, als Europa der Eliten, und Europa möchte ja gerne ein Europa der Bürger sein. Wann wird das umgesetzt sein, mit dieser Wahl? Kann das gelingen?
Korte: Ich habe im Wahlkampf viel dazu schon gehört und herausgehört und wenn man sieht, wie der Europäische Gerichtshof im Google-Urteil agiert hat, wie die Möglichkeit besteht, im Ausland günstiger zu telefonieren, wie sich andeutet, endlich ein Telefonkabel zu haben zum Aufladen, das für alle gleich ist - je alltäglicher die Erfahrung ist im Umgang mit Europa, desto eher kann sich die Idee auch durchsetzen, und insofern bin ich eigentlich ganz optimistisch, dass in diesem Wahlkampf sich viel gezeigt hat, was Europa für den Bürger bedeuten kann. Trotzdem ist es immer noch zu stark ein Elitenprojekt, und das ist mein Vorwurf auch an die etablierten Parteien. Wenn so Defizitparteien entstehen im populistischen Lager, dann liegt das auch an den etablierten Parteien, die in der Regel auf den Marktplätzen ihre Reden auch mit dem Schimpfen über Versagen und alles, was schlecht läuft am europäischen Integrationsprozess, in der Regel begonnen haben, um die Zuhörer zu fesseln.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Herr Korte, ich danke für das Gespräch.
Korte: Bitte schön!
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