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Europäische Union
Lambsdorff: Brauchen Standards für Rüstungsexporte

Die Europäische Union müsse sich dringend auf eine gemeinsame europäischen Rüstungsexportkontrollpolitik verständigen, sagte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff im Dlf. Dafür notwendige Gespräche würden aber wegen der Uneinigkeit in der EU schwierig werden.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Alexander Graf Lambsdorff blickt in eine Kamera. Er schaut sehr ernst.
    Alexander Graf Lambsdorff war Vize-Präsident des EU-Parlaments, ist jetzt aber wieder im Deutschen Bundestag. (dpa/picture-alliance/Monika Skolimowska)
    Jürgen Zurheide: Im Europäischen Parlament ist es eindeutig, dort hat sich eine Mehrheit für einen Stopp der Waffenlieferungen an Saudi-Arabien ausgesprochen. Wenn wir auf die Ebene der Länderchefs gehen, gibt es dort sehr unterschiedliche Einschätzungen. Die Österreicher, die im Moment die Ratspräsidentschaft innehaben, hätten auch gerne einen Waffenstopp, in Deutschland heißt es, na ja, eigentlich ja, aber so ganz genau weiß man es nicht, und bei den Franzosen hört sich das schon wieder anders an. Was kann, was muss, was soll Europa tun? Bekommt man eine einheitliche Haltung hin, ja oder nein? Über dieses Thema möchte ich reden mit Alexander Graf Lambsdorff, den ich erst einmal herzlich am Telefon begrüße, guten Morgen, Herr Lambsdorff!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Lambsdorff, wenn Sie noch im Europäischen Parlament wären – Sie sind inzwischen im Bundestag –, wie hätten Sie abgestimmt? Vorerst keine Rüstungsgüter mehr liefern, Fragezeichen?
    Graf Lambsdorff: So, wie Sie es jetzt gerade formulieren, vorerst keine Rüstungsgüter liefern, ja, da hätte ich zugestimmt. Ich hätte allerdings gegen ein dauerhaftes Embargo gestimmt gegenüber Saudi-Arabien, weil die strategische Lage in der Region im Mittleren Osten so ist, dass der Westen mit Saudi-Arabien trotz dieser wirklich entsetzlichen Geschehnisse von Istanbul weiter auch reden muss.
    Brauchen gemeinsame europäische Rüstungsexportkontrollpolitik
    Zurheide: Was ist denn im Moment, oder wie wäre Ihre Haltung: Heißt es Stopp auch für die Güter, die eigentlich schon verkauft sind und geliefert werden müssten, oder nur für die neuen Verträge, wie sehen Sie das?
    Graf Lambsdorff: Als FDP haben wir ja eine Beschlusslage, die ganz klar sagt, dass wir keine Waffen in Spannungsgebiete liefern wollen. Und deswegen haben wir auch begrüßt, obwohl wir in der Opposition sind, dass die Bundesregierung jetzt erst mal gesagt hat, dass keine neuen Genehmigungen ausgestellt werden. Allerdings, wenn man sich die Lage von Saudi-Arabien im Vergleich zum Iran anschaut, der ja die expansive Macht dort ist, dann ist auch klar, dass Saudi-Arabien als Gegengewicht zum Iran einfach notwendig ist, so unerfreulich solch geostrategische, sicherheitspolitische Analysen auch sein mögen. Wenn man sich anschaut, wie der Einfluss des Iran im Irak, im Libanon, im Jemen um Saudi-Arabien herum sich immer stärker ausdehnt und auch inzwischen Israel ganz konkret bedroht, dann ist vollkommen klar, dass es eine Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien geben muss.
    Zurheide: Sie sehen Sie die Situation zwischen Deutschland und Frankreich? Ich habe in einem anderen Gespräch heute Morgen mit Gesine Schwan schon mal von der SPD darüber, gesprochen. Die Franzosen sagen, wenn wir denn bei Rüstungsprojekten kooperieren – und das wollen wir ja eigentlich alle –, dann wollen die Franzosen hinterher diese Rüstungsgüter auch verkaufen können, ohne dass die Deutschen Nein sagen. Und da gibt es jetzt genau Probleme, weil die Deutschen da etwas zurückhaltender sind. Was heißt das, oder wie sehen Sie diesen Themenkomplex?
    Graf Lambsdorff: Das ist ein schwieriger Themenkomplex, es geht um die Franzosen, es geht auch um die Spanier, übrigens ein sozialdemokratisch regiertes Land, das sich eben auch ganz klar gegen ein Embargo zu Saudi-Arabien ausgesprochen hat. Und ich glaube, das wird eine der großen Aufgaben der nächsten Jahre sein, auch in Deutschland vielleicht schwierige Diskussionen auslösen, wie wir hinkommen zu einer gemeinsamen europäischen Rüstungsexportkontrollpolitik. Ich glaube, Rüstungsexportkontrolle wollen alle, aber die Maßstäbe, die angelegt werden, und die Partner, mit denen man zusammenarbeiten, da hat man unter Umständen unterschiedliche Einschätzungen. Und ich glaube, dass, wenn wir uns mal vor Augen führen, wie sich die Welt in diesem Jahrhundert vermutlich entwickeln wird, dann werden wir in der Sicherheitspolitik mit den anderen Europäern mehr machen müssen als in der Vergangenheit. Es hat ja schon die Initiative gegeben PESCO, also gemeinsame Rüstungsprojekte aufzulegen, ist von der Bundesregierung aufs Gleis gesetzt worden, haben wir auch unterstützt. Aber das heißt ganz konkret, dass wir mit den Franzosen, den Spaniern und den anderen darüber reden müssen, wie wir die Rüstungsexportkontrolle gestalten.
    Zurheide: Nun wird es aber unterschiedliche Auffassungen geben. Und wenn das dann dazu führt, dass wir nicht mehr gemeinsam in der Rüstungsindustrie zusammenarbeiten, ist das doch eigentlich eine Katastrophe, oder?
    Graf Lambsdorff: Da haben Sie recht, allerdings gibt es einen gemeinsamen Standpunkt, der ist allerdings nicht rechtsverbindlich, in der Europäischen Union jetzt schon zur Rüstungsexportkontrolle. Das heißt, man fängt nicht bei null an, man sollte diesen Text nehmen und von diesem ausgehend dann schauen, auf welche Gemeinsamkeiten man sich einigen kann. Das ist ein Prozess in Europa, das ist ganz klar, dass das nicht sofort zu lösen sein wird. Aber die Gespräche darüber müssen dringend beginnen.
    Vormachtskampf in der Region
    Zurheide: Lassen Sie uns noch mal auf den Fall Saudi-Arabien kommen. Ich finde einigermaßen – ich sage es jetzt deutlich so – erstaunlich: Der Fall Khaschoggi, der internationales Aufsehen erregt hat, gleich reden wir noch ein bisschen weiter darüber, führt dazu, dass wir über Rüstungskontrolle und Stopps reden, der Krieg im Jemen, den Saudi-Arabien sehr offensiv betreibt, hat das nicht vermocht. Ist da nicht die Gewichtung gelegentlich falsch in unserer Debattenlage?
    Graf Lambsdorff: Ja, das ist manchmal so, dass ein einzelnes Ereignis ein Schlaglicht richtet auf ein bestimmtes Problem, das im Grunde schon vorher hätte diskutiert werden können. Aber gerade der Konflikt im Jemen zeigt ja, dass der Iran hier das eigentliche Problem ist. Die Aufständischen sind schiitische Milizen, die gegen die legitime Zentralregierung einen Aufstand durchführen. Und die werden vom Iran aktiv unterstützt. Und wenn man einen Blick auf die Landkarte wirft, sieht man, dass der Jemen ja nicht an den Iran grenzt, sondern ausschließlich an Saudi-Arabien und ein bisschen an den Oman. Aber genau das ist der Punkt, hier haben wir es mit einem Vormachtkampf zu tun in der Region zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Und ich sage es noch mal: Die aggressive Regionalpolitik des Iran, die sogar Israel ganz direkt bedroht, die ist das eigentliche Problem hier. Und Sie haben völlig recht, man sollte dem mehr Aufmerksamkeit widmen. Dass es dieses schrecklichen Mordes bedurfte, damit wir dort genauer hinschauen, ist schrecklich, aber in unserer Mediendemokratie ist das manchmal so.
    Zurheide: Jetzt komme ich doch noch mal kurz auf Khashoggi zu sprechen: Was beobachten wir denn da eigentlich? Wir werden gefüttert durch Informationen, die offensichtlich aus Regierungskreisen ständig von Ankara gestreut werden, so ist das, über türkische Medien zunächst, und dann diese Wucht entfalten, die Sie ja gerade zutreffend beschrieben haben. Sind wir alle gerade Teil einer besonderen Aufführung von Herrn Erdogan, der uns vielleicht ablenken will von anderen Dingen in seinem Lande?
    Graf Lambsdorff: Ein türkischer Regierungsvertreter ist zitiert worden mit den Worten: Man kann kein Interesse an einem Saudi-Arabien haben mit einem Herrscher, der 50 Jahre dort herrschen wird und die Türkei hasst. Ich setze das Anführungszeichen, das ist ein Zitat. Worum es hier geht, ist ganz klar, dass die Türkei sich an mehreren Stellen gegen Saudi-Arabien gestellt hat und diesen Vorfall auf seinem eigenen Territorium – denn der Mord ist ja in Istanbul geschehen – jetzt dazu nutzt, den Druck auf Saudi-Arabien so lange aufrechtzuerhalten, bis – und ich vermute, das ist die Hoffnung in Ankara – Mohammed bin Salman so entscheidend geschwächt ist, dass er mindestens für einige Zeit von der Bühne verschwindet. Ich glaube, das ist das, was dem Ganzen zugrunde liegt. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass die Türkei im Syrien-Krieg mit dem Iran kooperiert, nicht mit Saudi-Arabien, dass die Türkei die saudische Blockade von Katar scharf kritisiert hat, sich klar auf die Seite von Katar gestellt hat, dann sehen Sie, dass auch zwischen der Türkei und Saudi-Arabien große Spannungen herrschen, die die Regierung in Ankara jetzt anlässlich dieses schrecklichen Vorfalls für eigene Zwecke benutzt.
    Zurheide: Wie müsste man denn mit Ankara umgehen, auch jetzt angesichts des jüngsten Gerichtsurteils, was da wieder gesprochen worden ist, wo ein 29-jähriger Deutscher zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt worden ist, und viele sagen, nun ja, die Beweislage war außerordentlich dünn? Ich weiß, das ist immer schwierig, das aus Distanz zu beurteilen, aber wie sehen Sie das?
    Graf Lambsdorff: Ich tu mich schwer mit der exakten Beurteilung des Verfahrens, da haben Sie völlig recht, das ist aus der Ferne schwierig. Es spricht allerdings aus den Umständen heraus wenig dafür, dass der betreffende Deutsche da die Taten begangen hat, die ihm vorgeworfen werden. Es wäre also zu hoffen, dass man hinter den Kulissen diplomatisch mit den Türken redet, ob man eine Lösung findet, dass dieser Deutsche in die Heimat zurückkehren kann. Frau Merkel ist ja in Istanbul heute, anlässlich des Gipfels zu Syrien, mit Putin, mit Macron, als Gastgeber fungiert Präsident Erdogan. Vielleicht gibt es da eine Gelegenheit, mit der türkischen Seite zu sprechen.
    Israels Sicherheit muss gewährleistet werden
    Zurheide: Insgesamt, um einen Strich unter all das zu ziehen, was wir gerade hier diskutieren: Wertegebundene Exportpolitik, ist so was möglich oder ist die Frage schon einigermaßen daneben?
    Graf Lambsdorff: Nein, die ist möglich, aber wenn es allein wertegebunden wird, unter Ausblendung wirklich ganz realer Interessen, die manchmal mit den Werten auch kollidieren, das braucht man ja gar nicht zu bestreiten … Wenn man also die Interessen vollständig ausblendet und nur wertegeleitet operiert, dann wird man nicht erfolgreich sein können in der Sicherheitspolitik. Und ich sage es noch mal, ich habe es ganz am Anfang gesagt: Die Lage in der Region im Nahen und Mittleren Osten betrifft uns unmittelbar. Wir haben das 2015 mit den Syrien-Flüchtlingen ja gesehen. Es ist ein Ringen um Vorherrschaft in der Region und wir haben ein Interesse daran, Israels Sicherheit zu gewährleisten und eine Balance dort aufrechtzuerhalten, gemeinsam mit unseren westlichen Verbündeten. Es ist ja kein Zufall, dass Großbritannien, Frankreich und Spanien sich hier schon etwas anders aufgestellt haben, stärker interessenorientiert als Deutschland. Ich glaube, das ist eine Diskussion, an die wir uns jetzt zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts auch in Deutschland werden gewöhnen müssen.
    Zurheide: Alexander Graf Lambsdorff war das von der FDP zur schwierigen Beurteilung der Dinge, die wir da sehen, und der Frage Moral und/oder Geschäft. Herzlichen Dank für das Interview heute Morgen!
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.