Er sitzt in einem ziemlich tristen Abgeordnetenbüro in Straßburg. Extrem gut aufgeräumt. Keine Akten. Keine persönlichen Gegenstände. Man kann dem Büro ansehen, dass sein Besitzer nur vorübergehend hier in Straßburg da ist und sich sonst vor allem in Brüssel aufhält:
"Es ist natürlich eine große Enttäuschung", beginnt der Abgeordnete Bernd Lucke. Bei seinem Einzug hier 2014 war er noch strahlender Anführer einer neuen Protestpartei:
"Dass sich die AfD anders entwickelt hat, als ich mir das vorgestellt habe. Ja, ganz eindeutig!"
Blickt Lucke nach mehr als drei Jahren Arbeit im Europaparlament zurück. Und auch wenn dieses Büro hier in Straßburg nicht direkt danach aussieht, Lucke arbeitet extrem viel. Bringt sich ein, macht Vorschläge, meldet sich in den Debatten immer wieder zu Wort. Nur dass heute, anders als zu seinen AfD-Zeiten, kaum jemand mitbekommt, was Lucke in Brüssel und Straßburg tut:
"Ich glaube, heute ist in der Eurozone nichts besser geworden. Wir haben immer noch eine sehr hohe Verschuldung, zum Teil ist sie sogar noch höher als damals. Die Staaten sind nicht wettbewerbsfähig und werden nur durch frisches Geld der Europäischen Zentralbank am Leben erhalten. Dennoch ist das Thema aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden. Die Bürger haben akzeptiert und hingenommen, dass bestimmte Entscheidungen getroffen worden sind - aber keinen regt das noch auf!"
Die AfD hat sich neu erfunden - Lucke wurde nicht mehr gebraucht
Lucke ist im Laufe der Zeit sein öffentliches Thema quasi abhandengekommen. Sein Baby, die AfD, hat sich dagegen neu erfunden. Danach, 2015, brauchte es den Vater nicht mehr. Seitdem kämpft Lucke nun ziemlich erfolglos für seine neue Partei, die "Liberal-Konservativen Reformer". Ganz anders erging es Zweien, die bislang zwar auch noch nicht ans Ziel gelangt sind, die aber trotzdem weiter entscheidend mitmischen: Weder wurde Marine Le Pen für den Front National im Frühjahr französische Präsidentin, noch Geert Wilders mit seiner so genannten "Partei für die Freiheit" Regierungschef in den Niederlanden. Trotzdem kann man von Wilders eine Menge lernen, sagt der Politikwissenschaftler Ton Nijhuis von der Universität Amsterdam: Nämlich wie es gelingt, trotz verlorener Wahl im Gespräch zu bleiben:
"Das ist eigentlich der wichtigste Einfluss, den er hat: Dass über 'seine' Themen geredet wird. Über Flüchtlinge, über Sicherheit, über Nationalstolz und so weiter. Er zwingt die anderen Parteien bei diesen Themen mitzugehen."
Wilders bestimmt also nach wie vor entscheidend die niederländische Politik mit. Trotz seiner nur elf bis dreizehn Prozent in den Umfragen und trotz der Tatsache, dass er nicht mehr alleine am rechten Rand ist. Bei der Parlamentswahl vom März hat nämlich auch der 34-jährige Intellektuelle Thierry Baudet sein sogenanntes "Forum für Demokratie" (FvD) ins Den Haager Parlament gehievt:
"Dadurch hat Wilders etwas Wettbewerb bekommen. Thierry Baudet ist allerdings genauso rechtspopulistisch wie Wilders. Er versucht nur seiner Partei einen etwas intellektuelleren Anstrich zu geben. Gedacht ist das FvD für die Wähler, die ebenfalls rechtspopulistisch eingestellt sind, denen Wilders allerdings zu platt ist."
Bei um die 20 Prozent landesweit liegen die beiden rechtspopulistischen Parteien in den Niederlanden. Am linken Rand kommt neben den Sozialisten noch eine populistische türkische Einwandererpartei dazu. In manch einem Viertel von Rotterdam oder Amsterdam sind all diese Gruppierungen zusammen bereits deutlich in der Mehrheit. Der Grund: "Die früher bestimmenden Kräfte, vor allem die Christ- und Sozialdemokraten, tun sich extrem schwer in den unteren Gesellschaftsschichten, analysiert Politikwissenschaftler Ton Nijhuis:
"Ich glaube nicht, dass es so einfach für die etablierten Parteien in der derzeitigen Lage wird, in bestimmten Stadtvierteln wieder stark zu werden."
"Das sind halt Andersdenkende"
In Österreich sind die Populisten inzwischen einen Schritt weiter. In Wien sind die Freiheitlichen seit kurz vor Weihnachten Teil der Bundesregierung. Sie stellen unter anderem den Innen- und den Verteidigungsminister. Zum zweiten Mal seit dem Jahr 2000 sitzen sie damit am Kabinettstisch. Getan hat sich hier, wie auch in anderen europäischen Ländern, in denen man Populisten an der Regierung beteiligt hat, wenig, betont Soziologe Matthijs Rooduijn im niederländischen Rundfunk. Er hat mit seinen Kollegen von der Universität Amsterdam die Entwicklung europaweit akribisch untersucht:
"Obwohl sie immer populärer wurden, obwohl sie in einigen Ländern Regierungsverantwortung tragen oder getragen haben, ist es nicht so, dass diese Parteien sich mäßigen, dass sie in Richtung Mitte rücken. Ihre Standpunkte in ihren politischen Kernfeldern Immigration, Integration und Europa verändern sie kaum. Das heißt, in diesen Bereichen bleiben sie radikale Parteien."
Deutlich entspannter sieht der ehemalige AfD-Gründer Bernd Lucke die Lage. Auch wenn ihn persönlich schmerze, wie sich seine ehemalige Partei entwickelt habe, wie sie Richtung rechter Rand gerückt ist, wolle er in diese lauten Wehklagen nicht einstimmen, so Lucke. 13 Prozent bei der Bundestagswahl und möglicherweise bald die Rolle als Oppositionsführerin in Berlin hin- oder her:
"Das sind halt Andersdenkende … und 'Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden, um einmal Rosa Luxemburg zu zitieren. Wir müssen das jetzt einfach 'akzeptieren. Es gibt 13 Prozent der Wähler in Deutschland, die so eine Partei gerne wählen möchten, dann sollen sie sie halt auch wählen können. Insofern ist es gut, dass es die AfD gibt. Sie muss nun allerdings im Bundestag zeigen, was sie kann!"
Nächste Herausforderung für Europas Populisten, aber auch für die Parteien der Mitte, wird die Parlamentswahl in Italien in diesem Frühjahr. Hier könnte die sogenannte "Fünf-Sterne-Bewegung" zur stärksten Kraft werden. Ihr Markenzeichen: Populismus jeglicher Art, mal von rechts, mal von links, mal aus der Mitte.