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Europäische Union
Zeitumstellung "so abschaffen, dass wir kein totales Chaos haben"

Der EU-Verkehrsausschuss plädierte dafür, dass erst 2021 zum letzten Mal die Uhren in Europa umgestellt werden. Auch die große Mehrheit der Bevölkerung wolle die halbjährliche Zeitumstellung nicht mehr, sagte Peter Liese (CDU) im Dlf. Man müsse bei der Abschaffung aber vermeiden, dass es totales Chaos gebe.

Peter Liese im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Symbolfoto zum Thema Zeitumstellung.
2021 soll das Ende der Zeitumstellung in der EU kommen (imago stock&people)
Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Peter Liese, für die CDU im Europaparlament, dort im Umweltausschuss. Gestern haben wir ihn schon an dieser Stelle kurz in einem Bericht zum Ende der Zeitumstellung gehört. Das wollen wir an dieser Stelle vertiefen. Guten Morgen, Herr Liese!
Peter Liese: Guten Morgen!
Dobovisek: Das Ende der Zeitumstellung kommt wohl erst in zwei Jahren, so schlagen es die federführenden Verkehrspolitiker im EU-Parlament vor, zwei Jahre später also als zunächst gedacht. Könnten Sie damit leben?
Liese: Es wäre besser als dass der Vorschlag gar nicht angenommen wird, wenn das Ende der Zeitumstellung endlich kommt in 2021, aber ich werde weiter dafür kämpfen, dass wir das schneller hinkriegen. Wir brauchen ein bisschen Zeit, um Vorbereitungen zu treffen. Insbesondere ist es ja wichtig, dass die Mitgliedsstaaten sich absprechen, damit es keinen Flickenteppich gibt.
Wenn man von Hamburg über die Niederlande und Belgien nach Frankreich fährt, dann wäre es ja gut, wenn man da nicht dreimal die Uhr umstellen muss. Also die Mitgliedsstaaten müssen sich absprechen, ob sie dauerhaft die Sommerzeit oder dauerhaft die mitteleuropäische Normalzeit nehmen, aber das kann man ja schneller machen als in zwei Jahren. Deswegen werde ich mich weiter dafür einsetzen, dass wir schon im nächsten Jahr die Zeitumstellung abschaffen.
"Es darf nicht chaotisch sein, dass es immer hin und her geht"
Dobovisek: Ganz so einfach scheint es ja dann doch nicht zu sein. Deutschland zum Beispiel favorisiert ja nach dem Ende der Zeitumstellung die ewige Sommerzeit. Für manche Länder wäre das problematisch. So würde es im Winter im Westen Frankreichs oder in Spanien zum Beispiel erst am späten Morgen hell werden, und bei ewiger Winterzeit wiederum wäre es zum Beispiel im Osten Polens schon mitten in der Nacht taghell. Schlafforscher warnen vor gesundheitlichen Folgen. Wie könnte hier ein Kompromiss aussehen?
Liese: Also wir haben ja kein eisernes Gesetz, das uns zwingt, von Spanien bis Polen die gleiche Zeit zu haben.
Dobovisek: Also doch ein Flickenteppich.
Liese: Na ja, das wäre kein Flickenteppich. Wir haben an den Grenzen der mitteleuropäischen Zeitzone, also zwischen Spanien und Portugal und Schweden und Finnland, sowieso eine Zeitzone. Also das ist ganz normal, wenn man von Schweden nach Finnland fährt, muss man die Uhr umstellen, wenn man von Spanien nach Portugal fährt, auch.
In den USA oder in Russland hat man auch verschiedene Zeitzonen. Also es kann keine Schande sein, dass man innerhalb eines Gebietes mal die Uhr umstellen muss, aber es darf nicht chaotisch sein, dass es immer hin und her geht, wenn man sich von einem Land ins nächste bewegt, sondern da muss eine Zeitgrenze sein. Wo die ist …
Dobovisek: Aber das könnte ja dann tatsächlich am Ende so sein, Herr Liese, dass wenn wir von Deutschland nach Frankreich zum Beispiel, wir die Uhr umstellen müssten.
Liese: Ja, und wäre das der Weltuntergang? Um Gottes Willen. Also wenn man von Spanien nach Portugal fährt oder von Schweden nach Finnland … In Finnland leben viele schwedischsprachige Menschen. Wenn die ihre Verwandtschaft besuchen oder zur Arbeit fahren von Finnland nach Schweden, dann müssen die auch die Uhr umstellen, und wenn das dann am Ende so ist, dass es zwischen Deutschland und Frankreich der Fall wäre, dann wäre das sicher kein Weltuntergang.
"Wir haben eine Situation, dass wir künstlich die Zeit umstellen"
Dobovisek: Sagen Sie das mal den Pendlern im Grenzgebiet.
Liese: Ja, ich sage ja, gerade zwischen Spanien und Portugal und zwischen Schweden und Finnland ist das ja schon so. Innerhalb der USA ist das auch schon so. Deswegen kann man sich sicher auch vorstellen, dass das innerhalb Europas so ist. Wir haben eine Situation, dass wir künstlich die Zeit umstellen, zweimal im Jahr, auch für Menschen, die nicht reisen, und dass eine ganz, ganz große Mehrheit nicht nur nach der Umfrage der Kommission, sondern auch nach repräsentativen Umfragen dieses ablehnt.
Wenn das heute jemand einführen würde, wenn wir die Zeitumstellung nicht hätten und jemand würde sagen, wir machen das, wir wissen zwar, dass wir keine Energieersparnisse haben, aber wir führen das einfach mal ein, dann würde jeder sagen, ihr seid verrückt. Deswegen muss man das abschaffen, das will die ganz große Mehrheit der Bevölkerung, und wir müssen es aber so abschaffen, dass wir kein totales Chaos haben.
Eine Zeitzone, die sich in Europa verschiebt, zum Beispiel dann zwischen Frankreich und Spanien oder vielleicht auch zwischen Frankreich und Deutschland, das halte ich für vertretbar. Man muss das nur jetzt planen, und man muss aufpassen, dass es kein totales Chaos gibt. Ich glaube aber, das sind Probleme, die wirklich leicht lösbar sind.
Peter Liese, Spitzenkandidat der CDU Nordrhein-Westfalen für die Europawahl.
Peter Liese (CDU), Mitglied des europäischen Parlaments (dpa / picture alliance / Henning Kaiser)
"Es ist eine sensationell große Zahl, die teilgenommen haben"
Dobovisek: Drei Zeitzonen haben wir bereits. Wie viele sollte es dann künftig geben?
Liese: Ich glaube, dass es auch wieder drei Zeitzonen geben wird. Es kann sein, dass die sich verschieben. Es kann sein, dass sich einzelne Länder, die jetzt am Rande liegen, wegen der von Ihnen beschriebenen Probleme, dann für eine andere Zeitzone entscheiden als die in der sie bisher sind.
Dobovisek: Die große Mehrheit, haben Sie gerade gesagt, hat sich für das Ende der Zeitumstellung ausgesprochen. Schauen wir uns die Zahlen noch einmal an der Online-Befragung der Europäischen Kommission aus dem vergangenen Jahr. Beteiligt hatten sich insgesamt 4,6 Millionen Menschen, von über 500 Millionen Einwohnern in der EU also weniger als ein Prozent, und die meisten davon waren Deutsche. Wie aussagekräftig kann ein solches Ergebnis überhaupt sein?
Liese: Zunächst mal, es gibt repräsentative Umfragen in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, und die sagen das gleiche. In Deutschland haben wir über drei Viertel der Menschen, die die Zeitumstellung ablehnen, nicht nur nach dieser Online-Konsultation.
Zum anderen ist es ja so, wenn beispielsweise beim Deutschlandfunk sehr, sehr viele Hörerinnen und Hörer sich melden, dann sagt Ihnen auch der Chefredakteur, oh, das ist aber ein Thema, da müssen Sie sich mal drum kümmern, so müssen wir auch als Politiker bei den Menschen, die sich engagieren und die an einer solchen Befragung teilnehmen, müssen wir uns auch drum kümmern.
Wir können nicht sagen, es ist nur ein Prozent. Also es ist eine sensationell große Zahl, und auch die, die außerhalb Deutschlands teilgenommen haben, 1,6 Millionen Menschen, das ist dreimal so viel, wie sich jemals an einer Online-Befragung beteiligt haben.
Dobovisek: Das spricht aber nicht gerade für die Online-Befragung insgesamt.
Liese: Nein, das spricht sehr dafür, und ich würde mir wünschen, dass das andere politische Ebenen auch machen.
"Man muss in der Politik in der Lage sein, Probleme zu lösen"
Dobovisek: Aber auf der anderen Seite, wenn man sich anschaut - das ist jetzt ein ganz subjektiver Eindruck -, wenn ich mich umhöre bei Leuten, die sich beteiligt haben an dieser Umfrage, die sagen, ja, abschaffen ist gut, wir wollen die Zeitumstellung nicht mehr, wenn dann die nächste Frage kommt, ja ist das denn jetzt zukünftig die Sommerzeit oder ist es die Normalzeit, die wir brauchen, dann sehe ich große Fragezeichen in den Augen, weil man gar nicht die Konsequenzen erfassen kann, die das dann jeweils in der entgegengesetzten Jahreshälfte hätte. Ist das einfach die Information nicht durchgedrungen, welche Konsequenzen das haben könnte?
Liese: Da muss man sich schon ein paar Gedanken machen. Es ist erstens so, dass allein aus juristischen Gründen die Europäische Union das nicht entscheiden kann, sondern dass das die Mitgliedsstaaten entscheiden, und dann muss man ja gerade diese Koordinierung durchführen, aber es gibt natürlich schon eine Tendenz. Die Tendenz bei den Menschen ist, dass man dauerhaft die Sommerzeit haben möchte. Die ist aber nicht so stark wie die Frage, dass man die Zeitumstellung abschaffen möchte.
Ich nehme schon ernst, dass auch Wissenschaftler sagen, die dauerhafte Sommerzeit wäre gesundheitlich problematisch. Deswegen finde ich, dass es gut - es hat sich ja Deutschland noch nicht entschieden, es wird ja in Deutschland noch eine Diskussion stattfinden müssen, ob es dann dauerhaft Sommerzeit oder Normalzeit ist -, dass man das sorgfältig auf nationaler Ebene prüft.
Aber noch mal: das ist alles kein Grund, diese absurde Situation in Europa so zu lassen, dass niemand praktisch … Ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung will die Zeitumstellung. Die ganz große Mehrheit will. Dass wir jetzt wegen Kleinigkeiten, die wir noch lösen müssen auf dem Weg, das weiter so haben, das ist etwas, was die ganz große Mehrheit der Bevölkerung nicht will.
Man muss in der Politik in der Lage sein, Probleme zu lösen und darf nicht die kleinen Probleme, die jetzt auftreten bei der Abschaffung, so groß machen. Also ich bin 1965 geboren, und ich glaube, auch viele Hörerinnen und Hörer sind 1965 oder früher geboren, und wir haben alle noch die Zeit erlebt, dass es keine Zeitumstellung gab, und das war keine Katastrophe. Wir haben alle ganz normal gelebt, auch innerhalb Europas, und deswegen kann es doch nicht sein, dass wir eine Situation künstlich lassen, die eigentlich ein ganz großer Teil der Bevölkerung nicht will. Die Probleme sind lösbar. Es war vor Beginn der Zeitumstellung in den 70er-, 80er-Jahren auch lösbar, und warum soll das jetzt nicht lösbar sein.
Dobovisek: Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese über das geplante Ende der Zeitumstellung in Europa. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Liese: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.