Der Aufgabenkatalog für die slowenische Ratspräsidentschaft ist voll. Nicht nur soll die frühere Teilrepublik des zerfallenen Jugoslawiens in diesem Halbjahr den neuen Asyl- und Migrationspakt voranbringen, Slowenien muss auch dafür sorgen, dass das neue Digitalgesetzepaket der EU-Kommission auf den Weg gebracht wird. Das gut zwei Millionen Einwohner umfassende Land will sich in seiner Präsidentschaft ebenso für schnellere Fortschritte bei den EU-Beitrittsgesprächen mit Westbalkanländern einsetzen.
Zudem geht es darum, Europa nach anderthalb Jahren wieder allmählich aus dem Corona-Lockdown-Modus herauszuführen, erklärte der ständige Vertreter Sloweniens bei der EU, Iztok Jarc: "Was die politische Ebene angeht, gibt es 150 Dossiers, an denen gearbeitet wird. Und wenn ich eine Zahl nennen darf, denke ich, dass die slowenische Ratspräsidentschaft zur Normalität zurückkehren wird, was die physischen Treffen angeht: Wir erwarten in Brüssel 45 Treffen auf Ministerebene oder höher und wir veranstalten ungefähr 1.600 Arbeitstreffen, die meisten davon in Brüssel."
Wirtschaftliche Erholung der EU hat Priorität
Brüssel und die EU sollen also zur Normalität zurückkehren. Das bedeutet auch, dass die Mitgliedstaaten mithilfe des Corona-Wiederaufbaufonds wirtschaftlich wieder auf die Beine gestellt werden sollen. Dafür zu sorgen, betrachtet die slowenische Ratspräsidentschaft als eine ihrer Top-Prioritäten. Die erste Priorität sei also für Widerstandsfähigkeit und wirtschaftliche Erholung in der EU nach der Pandemie zu sorgen, sagte Iztok Jarc.
Ob diese Aufgabe bei Slowenien in der richtigen Hand ist, wird allerdings bezweifelt. Das liegt daran, dass die slowenische Regierung unter Ministerpräsident Janez Jansa in den vergangenen Monaten von sich hat reden lassen, meist auf negative Art und Weise. Nicht nur hatte Jansa verfrüht dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump fälschlicherweise zur Wiederwahl gratuliert, auch ist seine Regierung damit aufgefallen, dass sie es mit europäischen Werten nicht so genau nimmt, das heißt, was Rechtstaatlichkeit oder Pressefreiheit angeht. So versucht die konservative Partei von Janza immer mehr, die Kontrolle über die Medienlandschaft zu erlangen.
Fragen hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit
Die slowenische Regierung hat zudem die Entsendung zweier Ankläger für die neu geschaffene Europäische Staatsanwaltschaft blockiert, die unter anderem gegen Korruption vorgehen soll. Diese Entscheidung muss nun gerichtlich geklärt werden und sorgt auf europäischer Ebene für Diskussionen. Dementsprechend ist die Skepsis gegenüber der Ratspräsidentschaft groß, so auch beim liberalen, slowenischen EU-Abgeordneten Klemen Groselj: "Ich erwarte, dass die slowenische Ratspräsidentschaft auf technischer Ebene laut auftreten wird, auf einer politischen Ebene glaube ich nicht an große Durchbrüche. Die erste Frage wird sein, was ist das Hauptthema der slowenischen Ratspräsidentschaft? Es wird vermutlich die Corona-Pandemie sein, wie schon bei den vergangenen zwei oder drei Ratspräsidentschaften. Die andere Frage wird sein, wie sie sich zur Rechtstaatlichkeit und zum EU-Parlament verhält, das dabei recht kritisch auftritt."
Kritik an der Zurückhaltung in Berlin
Klemen Groselj ist gespannt, wie sich Slowenien gegenüber Polen und Ungarn verhält, auf die die Auslösung des Rechtstaatsmechanismus zukommen könnte. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner vermisst, dass die deutsche Regierung mit Blick auf Rechtstaatlichkeit und Pressefreiheit nicht entschieden genug gegenüber Slowenien auftritt. "Gleichzeitig haben wir letzte Woche gesehen, dass Armin Laschet Janza getroffen hat. Wir haben keine Kritik vernommen dazu. Von Kanzlerin Merkel wurde gestern keine Kritik geäußert. Sie hat versprochen, dass sie nochmal der Sache mit der Staatanwaltschaft nachgeht. Aber was sich für uns abzeichnet, ist einfach, dass die Politik des Kuschelns und Appeasements, von der wir gehofft hatten, dass man von dem Umgang mit Orban gelernt hat, dass sich die leider fortsetzt."
Als weitere Mammutaufgabe werden in der zweiten Jahreshälfte die Vorgaben für das neue Klimaschutzziel 2030 konkretisiert. Es wird darum gehen, welche Herausforderungen die Mitgliedstaaten und einzelne Wirtschaftssektoren werden leisten müssen, um das Treibhausgas-Einsparziel von mindestens 55 Prozent zu erreichen. Ob Slowenien diesen Aufgaben gewachsen ist, das wird sich erst zeigen müssen.