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Europäische Verteidigungspolitik
Unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen

Beim informellen Treffen der EU-Verteidigungsminister wurde auch über eine engere europäische Zusammenarbeit diskutiert - doch die seien nur schwer zu realisieren, weil die Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Bedrohungen wahrnehmen würden, sagt Sicherheitsexperte Torben Schütz im Dlf.

Torben Schütz im Gespräch mit Katharina Peetz |
26.08.2020, Berlin: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, Mitte, hinten), Verteidigungsministerin, spricht neben Jens Stoltenberg (2.v.r.), Nato-Generalsekretär, zu Beginn des informellen Treffens der EU-Verteidigungsminister. Das Treffen stand im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf dem Programm.
"Die EU tut schon sehr viel", sagt Torben Schütz von der DGAP. Im Bild: Das Treffen der EU-Verteidigungsminister am 26.8.2020 in Berlin (dpa/Michael Kappeler)
Der Gasstreit im östlichen Mittelmeer, die Proteste in Belarus, der Militärputsch in Mali – die europäischen Verteidigungsminister und -ministerinnen hatten bei ihrem informellen Treffen in Berlin am 26. August viele Konfliktherde zu besprechen. Über all dem steht die grundsätzliche Frage: Wie kann eine gemeinsame europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gelingen? Torben Schütz ist Experte für europäische Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er sagt: Die östlichen und nordöstlichen Staaten in der EU würden vor allem den Einfluss Russlands fürchten; die Staaten im Süden Europas hätten demgegenüber eher die Sorge, dass die Instabilität in Nahost und Nordafrika auf Europa übergreifen könnten.

Katharina Peetz: Was sind die größten Hindernisse für eine engere gemeinsame Verteidigungspolitik der EU?
Torben Schütz: Auf politischer Ebene ist tatsächlich das größte Problem eine unterschiedliche Bedrohungswahrnehmung zwischen den europäischen Partnerländern oder Mitgliedsländern. Das heißt, wir haben auf der einen Seite eine sehr traditionelle Bedrohungswahrnehmung gerade in den östlichen und nordöstlichen Mitgliedsstaaten, die Russland und seine destabilisierenden Aktivitäten seit 2014 besonders fürchten. Das hat natürlich auch mit ihrer eigenen historischen Erfahrung als von der Sowjetunion damals besetze Länder zu tun.
Auf der anderen Seite haben Sie im Süden vor allen Dingen eine Bedrohungswahrnehmung, die ihren Fokus eher auf die Instabilität im Süden, und im Nahen Osten Europas sieht und damit verursachte Probleme wie transnationale Kriminalität oder Migrationsströme. Diese beiden Sachen unter einen Hut zu bekommen ist nicht so einfach, weil das natürlich beeinflusst, wie sie ihre Fähigkeiten planen, wie sie ihre Streitkräfte strukturieren und Ähnliches.
Sebastian Gollnow/dpa
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Peetz: Nun ist ja das erklärte Ziel, einen strategischen Kompass zu entwickeln – bis Ende 2022 soll der stehen – und vorher eine Bedrohungsanalyse auszuarbeiten. Wie läuft das genau ab, was könnten Erkenntnisse daraus sein?
Die EU muss sich einigen, wen sie als Bedrohung sieht
Schütz: Der strategische Kompass ist sicherlich eines der wichtigsten Ziele jetzt dieses Halbjahres der deutschen Ratspräsidentschaft, und im Grunde ist der erste Schritt dieses strategischen Kompasses, wie Sie gesagt haben, eine Bedrohungswahrnehmung auf EU-Ebene festzulegen. Das soll im Optimalfall mehr als eine Summe der Bedrohungswahrnehmungen der Staaten sein, und erklärtes Ziel ist es auch, einen Rundumblick anzusetzen, das heißt einerseits geografisch, also sowohl die Bedrohungswahrnehmung der östlichen als auch der südlichen Partner einzubeziehen, aber auch darüber hinauszugehen, neue Felder wie Cyberbedrohung in den Blick zu nehmen, Informationskriegsführung, hybride Kriegsführung.
Der erste Schritt ist, die Bedrohungsanalysen zusammenzuführen – oder die Bedrohungswahrnehmung –, und in weiteren Schritten möchte man versuchen, das Ganze zu konkretisieren und dann tatsächlich eine Art europäischen Fähigkeitsanforderungskatalog zu entwickeln.
Dieser strategische Kompass hat im Grunde vier Kategorien, in denen zunächst diese Bedrohungswahrnehmungen analysiert werden sollen. Das ist die Resilienz von Gesellschaft, da zählt so etwas wie Informationskriegsführung dazu. Das sind Fähigkeiten, also ganz klassisch die Frage, was brauchen wir eigentlich, zum Beispiel an militärischen Fähigkeiten, das ist die Frage Partnerschaften als Drittes, mit wem können wir wie zusammenarbeiten. Ganz vorne ist da sicherlich zum Beispiel Großbritannien als traditioneller Partner der europäischen Sicherheit. Das vierte Thema ist das Thema Krisenmanagement, also wie kann man versuchen tatsächlich, auch Instabilität in unserer näheren Umgebung zu adressieren.
Peetz: Nun sind das ja aber eher mittelfristige Ziele, die aktuelle Lage zeigt aber in verschiedenen Konfliktherden in und um Europa eine besondere Dringlichkeit. Was wären also akute Maßnahmen, die die EU gemeinsam in ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ergreifen könnte?
Schütz: Ich glaube, wirklich akut sind vor allen Dingen Maßnahmen von Verhandlungen, das heißt eine klare gemeinsame europäische Stimme, um die Krisen zu adressieren. Ich glaube, es ist relativ klar, es gibt eine vergleichsweise klare europäische Stimme zu Belarus und der Verurteilung der Gewalt und einer Nichtanerkennung der Wahl, es gibt Verhandlungen, geführt von Deutschland, was die Eskalation im östlichen Mittelmeer angeht. Und es gibt natürlich auch zum Beispiel immer noch die europäischen Missionen, wie zum Beispiel in Libyen, Grenzüberwachung und natürlich die Operation Irini auf dem Meer, um das Waffenembargo zu überwachen.
Also die EU tut schon sehr viel, ich glaube, wirklich akut ist tatsächlich eine gemeinsame politische Stimme wichtig. Das Problem bei vielen Unterbereichen dieser europäischen oder der Schaffung einer einheitlichen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist tatsächlich, dass es ein sich langsam bewegendes Politikfeld ist. Konflikte können sich schnell entwickeln, aber wenn Sie die Politik und die Strukturen um diese Konflikte adressieren, reformieren wollen, dann dauert das leider meistens länger.
Zusammenarbeit mit der NATO "enorm wichtig"
Peetz: Welche Rolle spielt die Kooperation mit der NATO – gerade wenn wir aufs östliche Mittelmeer blicken, wo zwei NATO-Partner, Türkei und Griechenland, ja auf Konfrontationskurs sind?
Schütz: Ich glaube, die Zusammenarbeit mit der NATO ist für die EU enorm wichtig und genau andersrum auch für die NATO die Zusammenarbeit mit der EU sehr wichtig. Nicht umsonst haben die beiden Organisationen insgesamt 74 Projekte entwickelt, wo sie enger zusammenarbeiten wollen. Im östlichen Mittelmeer ist natürlich die Situation tatsächlich sehr problematisch, wenn zwei NATO-Partnerstaaten militärische Manöver in unmittelbarer Nähe und mehr oder minder mit unmittelbaren Bezug auf den anderen durchführen.
Ich glaube trotzdem, die Organisation selbst kann eine vermittelnde Rolle einnehmen, ich glaube aber, immer noch wichtiger ist ein Engagement von führenden Mitgliedsstaaten und in Abwesenheit der USA tatsächlich eine sehr wichtige Aufgabe Deutschlands, diese führende Verhandlungsrolle zu übernehmen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Frankreich sich ja politisch relativ schnell entschieden hat und sich sehr klar auf die Seite Griechenlands gestellt hat und es sozusagen Deutschland, glaube ich, in diesem Fall besonders zufällt, die vermittelnde und zunächst deeskalierende Verhandlungsrolle anzunehmen.
Peetz: Jetzt sprechen Sie Deutschland und Frankreich schon ab, da waren ja in der Vergangenheit durchaus Unterschiede auch in der Position zu einer europäischen Verteidigungspolitik zu erkennen. Inwiefern hat sich das vielleicht geändert?
Schütz: Ursprünglich war Deutschland tatsächlich sehr fokussiert auf eine möglichst inklusive europäische Verteidigungspolitik, die alle Mitgliedsstaaten miteinbezieht, und Frankreich wollte eher eine sozusagen ambitionierte europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die auch möglicherweise ohne alle Partner auskommt, sozusagen, wer den politischen Willen und die militärischen Fähigkeiten hat, darf sich gerne beteiligen. Deutschland hat sich damals durchgesetzt, und Frankreich hat sich insofern angepasst, dass sie sozusagen jetzt die Instrumente, die dann sehr inklusiv gestaltet wurden, wie zum Beispiel die permanente strukturierte Zusammenarbeit, sehr aktiv nutzt, im Nachhinein im Grunde den Wert erkannt hat, den auch diese inklusiven Instrumente haben können.
Aber beide haben natürlich trotzdem noch teilweise unterschiedliche Perspektiven. Das geht zum Beispiel die NATO an. Frankreich möchte immer noch eine wesentlich ambitioniertere europäische, eigenständige europäische Verteidigungspolitik, auch wenn man sich an diesen inklusiven Formaten beteiligt, beziehungsweise die zu nutzen, um ambitionierter zu werden.
Natürlich kann man ein gewisses Auseinanderlaufen auch in Bezug auf die NATO sehen, die weiterhin für Deutschland absoluter Kernpfeiler der europäischen und der deutschen Sicherheit sind und Frankreich traditionell versucht, sich etwas davon zu lösen. Und zuletzt, wie ich gerade sagte, in Bezug auf das östliche Mittelmeer, gab es auch, würde ich sagen, einige Verstimmungen zwischen dem französischen Aktionismus, wenn ich das jetzt etwas despektierlich sagen darf, und einem deutschen Ansatz, der stark versucht hat, hinter den Kulissen zu vermitteln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.