Britta Fecke: Zum letzten Mal tagt heute der Rat der Europäischen Zentralbank unter Leitung des Italieners Mario Draghi. Zum 1. November tritt dann Christine Lagarde seine Nachfolge an. Draghi übernahm den Chefposten der EZB vor acht Jahren, mitten in der Euro- und Finanzkrise, und gegen die Wirren der Währungsunion stemmte er sich bis heute mit Zinssenkungen, Strafzins für Banken und Anleihekäufen.
Wir wollen seine letzte EZB-Sitzung zum Anlass nehmen, um einmal zu fragen, was seine Politik des billigen Geldes eigentlich für die Verbraucher bedeutet hat und auch noch immer bedeutet. Ich bin nun verbunden mit Dorothea Mohn. Sie ist Finanzmarkt-Expertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband. – Frau Mohn, brachte Draghis Politik des billigen Geldes nur Nachteile für die Verbraucher?
Dorothea Mohn: Genau betrachtet haben Verbraucher an einer Stelle sogar Vorteile davon genossen, nämlich all jene Verbraucher, die Kredite genutzt haben. Die haben hier von günstigen Kreditkonditionen profitiert und insbesondere Immobilienfinanzierungen haben davon profitiert. Das Nachsehen hatten oder haben auf den ersten Blick die Leute, die sparen, weil sie hier niedrigere Zinsen bekommen. Allerdings wenn man da genau hinguckt, spielt ja nicht der nominale Zins hier die entscheidende Rolle, sondern letztendlich der reale Zins, das heißt der Zins abzüglich der Inflation. Wenn man sich das anguckt, dann ist es eigentlich in der Vergangenheit so gewesen, dass Verbraucher schon immer mit sicheren Sparprodukten eigentlich kaum Rendite gemacht haben, in Teilen sogar eine Art Negativrendite. Genau betrachtet hat sich hier nur wenig geändert.
Aber was hinzu kommt: Die Banken beschweren sich sehr stark über die EZB-Zinspolitik und fangen an, Preiserhöhungen hiermit zu rechtfertigen, und das schlägt dann natürlich schon auch nachteilig auf Verbraucher durch, wenn sie plötzlich neue Gebühren bezahlen müssen oder die Gebühren angehoben werden, beispielsweise für die Kontoführung oder Ähnliches.
Fecke: Das ist dann das Durchreichen des Negativzinses an den Sparer.
Mohn: Genau.
Lebensversicherung für Altersvorsorge ungeeignet
Fecke: Was bedeutet denn diese Zinspolitik für Lebensversicherungen?
Mohn: Lebensversicherungen sind Produkte, die eigentlich für eine langfristige Altersvorsorge herangezogen werden, für langfristiges Sparen. Gleichzeitig sind es sehr sichere Produkte. Bei diesem Produkt schlägt der niedrige Zins voll durch, aber das gilt schon immer. Das heißt, diese Produkte gehen kaum Risiken an den Kapitalmärkten ein, machen entsprechend eine relativ geringe Rendite, und hier schlägt das niedrige Zinsumfeld stark durch. Das macht momentan sehr deutlich, was aber schon immer gegolten hat, dass Lebensversicherungen als Ansparprodukt für die langfristige Altersvorsorge im Grunde genommen ungeeignet sind. Das wird aber gerade bei diesen niedrigen Zinsen besonders deutlich.
Fecke: Wo profitieren denn die Verbraucher von den niedrigen Zinsen?
Mohn: Wie gesagt: All jene, die Kredite aufgenommen haben – und das hat man ganz stark bei den Immobilienkrediten gemerkt -, dort sind die Zinsen sehr gefallen. Das heißt, man konnte zu sehr niedrigen Zinsen einen Immobilienkredit aufnehmen und Immobilien damit finanzieren. Die Kehrseite ist natürlich, dass in einigen Regionen gleichzeitig auch die Immobilienpreise angestiegen sind, so dass man auf der einen Seite zu günstigeren Konditionen zwar finanzieren konnte, aber dafür einen höheren Erwerbspreis in Kauf nehmen musste. Aber prinzipiell insbesondere bei Immobilienfinanzierungen genießen Verbraucher heute sehr günstige Konditionen, und auch im Konsumentenkredit lässt sich das absehen.
Fecke: Auch wenn die Konditionen erheblich günstiger geworden sind, so sind ja die Immobilienpreise zumindest in den Großstädten ziemlich durch die Decke gegangen. Jetzt gibt es einige Experten, die machen auch dafür Draghi verantwortlich, dass er im Grunde genommen auch noch mit Schuld ist an den höheren Mieten in den Ballungsgebieten. Finden Sie, das geht zu weit?
Mohn: Ich glaube, dass möglicherweise ein minimaler Zusammenhang hergestellt werden kann. Aber ich glaube, die Hauptgründe dafür sind doch die, dass in den Ballungsräumen wie zum Beispiel Berlin ein hoher Zuzug zu verzeichnen ist und damit eine hohe Nachfrage nach Immobilien, und dass der Markt das an der Stelle nicht hergibt und dadurch die Mieten steigen. Ich glaube, die EZB-Zinspolitik dafür auch noch verantwortlich zu machen, finde ich eher etwas gewagt.
"Geld künftig stärker an den Aktienmärkten anlegen"
Fecke: Dann erlauben Sie mir zum Schluss die schlichte Frage: Wohin soll der Sparer mit seinem Geld?
Mohn: Ganz wichtig: Kurzfristiges Geld für die kurzfristige Liquidität, das gehört weiterhin beispielsweise auf Tagesgeldkonten, und da muss man in Kauf nehmen, dass man dort nicht viel Rendite machen kann. Aber all jene, die langfristig Geld anzulegen haben, für den langfristigen Vermögensaufbau oder für die Altersvorsorge, die müssen umdenken. Bedeutet: Aus meiner Sicht ist es wichtig, das Geld künftig stärker an den Aktienmärkten anzulegen. Dabei ist darauf zu achten, dass das breit diversifiziert passiert, und es ist auf die Kosten zu achten und es ist darauf zu achten, dass man dann wirklich langfristig in dem Sparprozess drin bleibt.
Natürlich gilt dann, dass das Kapital schwanken wird. Diese Märkte sind volatil, es geht rauf und runter. Aber wenn man dann langfristig das durchhält, dann hat man die Chance – in der Vergangenheit konnte man das absehen -, an den steigenden Trends der Aktienmärkte zu partizipieren.
Aus unserer Sicht ist das letztendlich ein Muss. Wenn man Rendite machen will, macht es keinen Sinn, das mit versicherungsförmigen Ansparprodukten zu versuchen. Das kann letztendlich nicht funktionieren, weil die Produkte zu teuer sind und zu sicherheitsorientiert. Für langfristige Altersvorsorge ist es erforderlich, ins Risiko zu gehen, das aber vernünftig zu machen.
Aus unserer Sicht hat der Staat in der Vergangenheit ganz stark das Versicherungsprodukt gefördert, und wir würden uns freuen, wenn der Staat was dafür tun würde, Verbrauchern für eine vernünftige Kapitalanlage-Altersversorgung eine Hilfestellung zu geben. Wir fordern dafür ein Standardprodukt. Das gibt es im Ausland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.