Als habe jemand ein Fenster geöffnet, um Luft in ein versticktes Studierzimmer zu lassen. So kam der Romanist und Kulturwissenschaftler Ernst Robert Curtius zeitlebens seinen Hörern und Lesern vor. Zwar konnte er auch herrisch sein und Studenten, wenn sie ihm zu blasiert daherkamen, anblaffen mit den Worten, dass sie Bücher Rilkes bei sich trügen, beweise noch nicht, dass sie Dante im Original lesen könnten. Denn, darauf bestand Curtius:
"Humanismus ist da vorhanden, wo griechische und lateinische Autoren im Original gelesen werden, um des puren Genusses willen. Alles andere ist Dummheit, Geschwätz, Pädagogik."
Aber trotz solcher hochfahrenden Zurechtweisungen, mit denen er sich gern als Mitglied eines elitären, europäisch-geistigen Hochadels zu erkennen gab, war Curtius zugleich einer der offensten und bewundertsten deutschen Professoren und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der sich gern auf den Markt begab und in Zeitungen und Literaturzeitschriften in die Debatten seiner Zeit eingriff. Ungewöhnlich schon seine Biografie: Geboren am 14. April 1886 in den Vogesen, im elsässischen Thann, damals annektiertes Gebiet, wohin sein Vater, ein preußischer Beamter, versetzt worden war. Die Mutter kam aus einer schweizerischen Patrizierfamilie. Schul- und Studienjahre in Colmar und Straßburg, wo er 1910 promovierte. Drei Jahre später Habilitation in Bonn, dort und dann in Marburg und Heidelberg Professor für romanische Philologie, bis er 1929 nach Bonn zurückehrte und dort bis zu seiner Emeritierung 1951 lehrte.
Der Fixstern unter den von ihm bevorzugten Autoren hieß, natürlich, Goethe:
"Goethes Lehre von der Überlieferung ist, soweit ich sehe, nie gewürdigt worden. Es könnte sein, dass sie in der heutigen Verworrenheit das wichtigste Stück seiner Botschaft wäre. Das Überlieferte nennt Goethe jenes Ehrwürdige, wodurch das Entfernte verbunden, das Zerrisse ergänzt wird."
Aber da überraschte Curtius seine Leser und Hörer zugleich mit Hinweisen auf die epochale Bedeutung eines gewissen Marcel Proust, als dessen Romanwerk "Die Suche nach der verlorenen Zeit" noch nicht einmal abgeschlossen war. Mit anderen zeitgenössischen französischen Autoren wie André Gide war Curtius auch persönlich befreundet:
"Als ich 1919 zuerst über André Gide schrieb, glaubte ich ihn mit Rolland, Claudel und einigen anderen zu den Wegbereitern des neuen Frankreich zählen zu dürfen. Vielleicht war es gewagt, die Autoren zu einer Gruppe zu vereinigen. Alle Kritik ist Wagnis. In der unmittelbaren Erfahrung des gelebten Lebens schien die oberste, die einzige, aber auch die unbezweifelbare Gewissheit zu liegen."
Als seine bevorzugten Autoren, zu denen auch T. S. Elliot, Miguel de Unamuno oder Ortega y Gasset gehörten, dann im Deutschland der Nationalsozialisten unerwünscht geworden waren, musste sich Curtius unterstellen und flüchtete in seinen Vorlesungen, die er mit einem leise gehauchten "Heil Hitler" begann, in lateinische Dichtung während des Mittelalter. 1948, als diese Vorlesungen unter dem Titel "Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter" erschienen, formulierte der Band im Nachkriegsdeutschland den höchsten literaturwissenschaftlichen Standard. und Curtius galt, nachdem das Buch bald auch ins Englische übersetzt worden war, wissenschaftsgeschichtlich gesehen weltweit als führender Toposforscher. Mit seiner Herkunft aus den während der Nazizeit verschütteten europäischen literarischen Traditionen konnte Curtius nach 1945 als Initiator einer neuen "Geistespolitik" für den Anschluss an diese Traditionen werben:
"Nur im Wort spricht der Geist seine eigene Sprache. Nur im dichterischen Wort ist er ganz in seiner Freiheit."
Die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Pariser Sorbonne war nur eine der vielen Ehrungen für Curtius in der Nachkriegszeit. Nach seiner Bonner Abschiedsvorlesung 1951 zog er sich in "seine" europäische Hauptstadt zurück, nach Rom, voller Pläne. Ein langer Arbeits– und Lebensabend war ihm aber nicht vergönnt. Am 19. April 1956 ist Ernst Robert Curtius, kurz nach seinem 70. Geburtstag, in Rom gestorben. Einen der schönsten Nachrufe sprach ein Franzose, der Germanist und langjährige französische Botschafter in der Bundesrepublik, André François-Poncet:
"Die Einheit der westlichen Kultur war ihm ein Begriff. Durch sein ganzes Werk spielt diese Idee eine große Rolle. In diesem Sinne war er ein Europäer. Er war auch ein Aufklärer, wie man es zur Zeit der Aufklärung war."
"Humanismus ist da vorhanden, wo griechische und lateinische Autoren im Original gelesen werden, um des puren Genusses willen. Alles andere ist Dummheit, Geschwätz, Pädagogik."
Aber trotz solcher hochfahrenden Zurechtweisungen, mit denen er sich gern als Mitglied eines elitären, europäisch-geistigen Hochadels zu erkennen gab, war Curtius zugleich einer der offensten und bewundertsten deutschen Professoren und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der sich gern auf den Markt begab und in Zeitungen und Literaturzeitschriften in die Debatten seiner Zeit eingriff. Ungewöhnlich schon seine Biografie: Geboren am 14. April 1886 in den Vogesen, im elsässischen Thann, damals annektiertes Gebiet, wohin sein Vater, ein preußischer Beamter, versetzt worden war. Die Mutter kam aus einer schweizerischen Patrizierfamilie. Schul- und Studienjahre in Colmar und Straßburg, wo er 1910 promovierte. Drei Jahre später Habilitation in Bonn, dort und dann in Marburg und Heidelberg Professor für romanische Philologie, bis er 1929 nach Bonn zurückehrte und dort bis zu seiner Emeritierung 1951 lehrte.
Der Fixstern unter den von ihm bevorzugten Autoren hieß, natürlich, Goethe:
"Goethes Lehre von der Überlieferung ist, soweit ich sehe, nie gewürdigt worden. Es könnte sein, dass sie in der heutigen Verworrenheit das wichtigste Stück seiner Botschaft wäre. Das Überlieferte nennt Goethe jenes Ehrwürdige, wodurch das Entfernte verbunden, das Zerrisse ergänzt wird."
Aber da überraschte Curtius seine Leser und Hörer zugleich mit Hinweisen auf die epochale Bedeutung eines gewissen Marcel Proust, als dessen Romanwerk "Die Suche nach der verlorenen Zeit" noch nicht einmal abgeschlossen war. Mit anderen zeitgenössischen französischen Autoren wie André Gide war Curtius auch persönlich befreundet:
"Als ich 1919 zuerst über André Gide schrieb, glaubte ich ihn mit Rolland, Claudel und einigen anderen zu den Wegbereitern des neuen Frankreich zählen zu dürfen. Vielleicht war es gewagt, die Autoren zu einer Gruppe zu vereinigen. Alle Kritik ist Wagnis. In der unmittelbaren Erfahrung des gelebten Lebens schien die oberste, die einzige, aber auch die unbezweifelbare Gewissheit zu liegen."
Als seine bevorzugten Autoren, zu denen auch T. S. Elliot, Miguel de Unamuno oder Ortega y Gasset gehörten, dann im Deutschland der Nationalsozialisten unerwünscht geworden waren, musste sich Curtius unterstellen und flüchtete in seinen Vorlesungen, die er mit einem leise gehauchten "Heil Hitler" begann, in lateinische Dichtung während des Mittelalter. 1948, als diese Vorlesungen unter dem Titel "Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter" erschienen, formulierte der Band im Nachkriegsdeutschland den höchsten literaturwissenschaftlichen Standard. und Curtius galt, nachdem das Buch bald auch ins Englische übersetzt worden war, wissenschaftsgeschichtlich gesehen weltweit als führender Toposforscher. Mit seiner Herkunft aus den während der Nazizeit verschütteten europäischen literarischen Traditionen konnte Curtius nach 1945 als Initiator einer neuen "Geistespolitik" für den Anschluss an diese Traditionen werben:
"Nur im Wort spricht der Geist seine eigene Sprache. Nur im dichterischen Wort ist er ganz in seiner Freiheit."
Die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Pariser Sorbonne war nur eine der vielen Ehrungen für Curtius in der Nachkriegszeit. Nach seiner Bonner Abschiedsvorlesung 1951 zog er sich in "seine" europäische Hauptstadt zurück, nach Rom, voller Pläne. Ein langer Arbeits– und Lebensabend war ihm aber nicht vergönnt. Am 19. April 1956 ist Ernst Robert Curtius, kurz nach seinem 70. Geburtstag, in Rom gestorben. Einen der schönsten Nachrufe sprach ein Franzose, der Germanist und langjährige französische Botschafter in der Bundesrepublik, André François-Poncet:
"Die Einheit der westlichen Kultur war ihm ein Begriff. Durch sein ganzes Werk spielt diese Idee eine große Rolle. In diesem Sinne war er ein Europäer. Er war auch ein Aufklärer, wie man es zur Zeit der Aufklärung war."