In einem Museum lernt Mathias Greffrath die kunstvoll bestickten Blusen als ein stolzes, patriotisches Symbol der bäuerlichen Tradition Rumäniens kennen. Doch die heutige Realität erlebt er anders: Nach dem Kommunismus kam die Landwirtschaft zum Erliegen, ausländische Konzerne kauften Land im großen Stil auf und gewinnen daraus - angetrieben durch großzügige EU-Fördermittel - reichlich Rendite. Auf seiner Reise durch das Land sieht er die letzten Reste kleinbäuerlicher Kultur, im Aussterben begriffen. Von den Menschen, die er trifft, hört er: Rumänien ist heute in der Hand von Oligarchen und internationalen Konzernen, viele Landbewohner sind weggezogen. Mathias Greffrath findet ein Land am Scheideweg vor: Wird es gelingen, eine tragfähige Zukunftsvision zu entwickeln oder verfällt Rumänien in Nationalismus?
Wie in einer Vorortsiedlung aufgereiht stehen sie nebeneinander: Holzhäuser aus allen rumänischen Regionen, auf kurz gehaltenem Rasen - ein Zoo aus toten Behausungen vergangener Lebensweisen, Brunnen ohne Wasser, Mühlen ohne Wind, alles gut beschildert - am Rand der Bukarester Innenstadt: Bauernmuseen können etwas sehr deprimierendes haben, vor allem wenn es kalt ist und ein milder Schneeregen fällt. An den Scheunentoren reiche Schnitzereien, wie für die Ewigkeit.
Im Museumsshop: rumänische Volkskultur, oder das, was davon noch übrig ist. Irgendwo im Land wird also noch getöpfert, irgendwo werden diese Blusen bestickt, zarte, fast transparente aus Baumwolle, haltbare aus Leinen, mit roten Ornamenten, kein Exemplar wie das andere. Würdest du eine rumänische Bluse tragen? Die Tochter, tausend Kilometer entfernt, überlegt kurz: "Warum denn nicht?".
Mein kundiger Begleiter erzählt mir, dass "la blouse roumaine" ein Begriff ist, seit Henri Matisse in den Zwanziger Jahren schöne Exilrumäninnen in Paris porträtierte. Das leichte Gewand hat eine lange Karriere, für Patrioten, die auf die römische Herkunft der Rumänen pochen, wird sie seit 2000 Jahren getragen, die Mode des 20. Jahrhunderts hat sie inspiriert, von Saint-Laurent bis H&M und Zara.
Seit zwei Jahren gibt es den "Universellen Tag der Rumänischen Bluse"; in 100 Ländern, so melden es die patriotischen Netzwerke, tragen am 24. Juni rumänische Frauen und Männer, die ausgewanderten und die gebliebenen, diese Tracht; und die neue Leiterin des Rumänischen Kulturinstituts, eine Modedesignerin, hat die Bluse schon lange in ihren Kollektionen, die sie bei Veranstaltungen des Instituts in Wien, Lissabon, Mailand und Venedig gezeigt hat. Die Rumänische Bluse ist hochpolitisch geworden.
"Union zur Rettung Rumäniens"
"Im Vordergrund, sagt Dan Lungu, "steht jetzt nicht länger die Präsentation rumänischer Künstler im Ausland, sondern Veranstaltungen für die Exilrumänen, damit die dort wählen gehen. Es ist Teil ihrer Strategie, die Kultur und die Medien zu kontrollieren."
Der Schriftsteller aus Iasi hat sich in den Rumänischen Senat wählen lassen, als Kandidat der neuen Partei "Union zur Rettung Rumäniens", einer liberalen Formation von Intellektuellen, Akademikern, Rechtsanwälten. Seine soziologisch grundierten menschenfreundlichen Satiren sind auch ins Deutsche übersetzt, etwa das "Hühnerparadies", dieser "Roman aus Gerüchten", in dem die Veteranen des Kommunismus in der Bar "Zerknautschter Traktor" die neue Zeit zu verstehen suchen.
Eigentlich wollte Lungu nie in die Politik, jetzt ist er für Kultur- und Medienpolitik zuständig, hat, wirkt nach einem Jahr schon desillusioniert, hat wenig erreicht. Die klassischen Medien sind mehr oder weniger alle auf Regierungslinie, die im Internet werden bedroht, Nichtregierungsorganisationen von der Steueraufsicht bedrängt; die Schulbuchvielfalt werde grade abgeschafft, das öffentliche Bibliothekswesen existiert nicht mehr.
Das Titelbild auf der Website der LAG, der Lokalen Aktionsgemeinschaft Microregiune Hartibaciu ist eine Bluse, schwarz bestickt, mit Reben und Blättern.
"Ja natürlich. Unsere Frauen tragen noch die traditionelle Kleidung", sagt Barsan, "im Juni. Und zwei Wochen nach Ostern, wenn wir unseren Dorftanz haben, außerdem gibt es noch den Gesangswettbewerb."
Der lange Weg zum Brüsseler Geld
Im siebenbürgischen Harbachttal, dreihundert Kilometer nördlich von Bukarest gibt mir Barsan Ilarion eine Einführung in Lage der Landwirtschaft der Region. Nach 1989, so erzählt er, war alles total desorganisiert, die LPGs aufgelöst, es gab keine Maschinen mehr, viele zogen weg, nur wenige wollten weitermachen. Die "Sachsen", wie die Siebenbürger hier genannt werden, hätten ihre Sachen gepackt und wären nach Deutschland gegangen. Ihre Häuser standen leer.
"Und dann kamen die Zigeuner", wirft Lora, die Argraringenieurin, ein; die haben sich in die Häuser gesetzt. Sie leben von staatlicher Unterstützung, je mehr Kinder, desto besser. Und dann stimmen sie für Dragnea."
Barsan Ilarion: gelernter Dreher, Buchhalter einer Agrargenossenschaft, eigentlich längst im Rentenalter, ist der Direktor der Lokalen Aktionsgemeinschaft, das ist die Organisationsform, in der EU-Mittel zur Förderung des ländlichen Raumes verteilt werden:
"Ich weiß, Du magst sie nicht", entgegnet er Lora milde, denn er kennt diese Ausbrüche schon, "aber auch bei ihnen gibt es welche, die etwas aufbauen wollen. Aber die meisten von ihnen haben nur vier Jahre Schule und sind deshalb nicht antragsberechtigt. Vielleicht in der nächsten Generation."
Die Roma - das ist nur eines der Probleme, denen sich die Aktionsgemeinschaft stellen musste. Die Regierung mochte die Förderprogramme der EU zunächst gar nicht, weil sie die Mittelvergabe nicht politisch kontrollieren konnte, mit dem Bürgermeister mussten sie streiten, weil er, interessiert an Popularität und Sympathisanten, mehr Geld für repräsentative Baumaßnahmen wollte.
Der Weg zum Brüsseler Geld ist mit viel Papier gepflastert. Aber dann konnten sie schließlich in fünf Jahren zweieinhalb Millionen Euro verteilen: Geld für einen Traktor, eine Honigschleuder, einen Stall, den Kauf von Vieh oder Saatgut, eine neu asphaltierte Dorfstraße, Stühle fürs Kulturhaus. Werbung für Europa.
"Do what you have to do" steht auf Barsans Trainingsjacke in grellem Grün.
Die meisten Kleinbauern sind weg
"Es ist nicht einfach, sagt er, während er uns durch die Dörfer fährt, um uns ein paar der Projekte zu zeigen. Fünfzig Jahre Kommunismus hätten die Traditionen dieser bäuerlichen, selbstversorgenden ökologischen Landwirtschaft zerstört. Einstweilen bleibt es bei Inseln. Der Reiterhof in APOS etwa, der mit 200.000 Euro aus Brüssel entstand und in der nächsten Aufbaustufe Therapien für autistische Kinder anbieten will.
Prinz Charles war auch schon hier, erzählt uns der Tierpfleger. Seine königliche Hoheit hat in Transsylvanien einige Häuser renoviert, vermietet Ferienwohnungen und setzt sich dafür ein, dass das Kopfsteinpflaster erhalten bleibt. Barsan will uns die Ziegelei zeigen, wo der englische Thronfolger auch schon war, aber der Weg ist zu schlammig; auch im Dorf müssen wir lange Umwege machen, um nicht in den großen Pfützen zu versinken.
Das Dorf ist ruiniert sagen Stoica und Aurel. Sie sind die einzigen Landwirte in APOS mit seinen 250 Einwohnern, es gibt ein paar Kleinbauern mit 2, 3 Kühen zur Selbstversorgung, aber die meisten sind weg; die Schule hat nur noch zwei Klassen. Stoica hat früher im Postamt von Apos gesessen, Aurel war Tierpfleger in der LPG. Mit den 40.000 Euro von der EU haben sie eine Milchkühlanlage gekauft für die 44 Kühe, die im Stall liegen. Sie sind in ihren Vierzigern, haben zwei Töchter, und sie wollen bleiben. "Zigeuner übrigens" sagt Barsan, als wir draußen sind.
Bleiben wird auch der junge Bogdan Anghel, ein Bauer nicht von Geburt, sondern aus Wahl. Eine Waschanlage hatte er, dann hörte er von Biolandwirtschaft, seine Schwester schenkte ihm das Große Buch vom Leben auf dem Land, die Gebrauchsanleitung aus der Hippie-Zeit der Siebziger. Mit einem halben Hektar hat er angefangen und mit zwei Kühen, jetzt sind es drei Dutzend. Hätte er mehr Grünflächen, könnte er sogar Bioqualität liefern, aber es gibt kaum noch Land zu kaufen. Er zeigt nach Westen:
"Da sind die Schweizer von Carpaten Meat. Sie züchten Angus-Rinder, vermarkten sie europaweit, kaufen die letzten Parzellen auf, um ihre Weiden zu vergrößern. Was 2002 noch Niemandsland war, ist nun weg. Es gab Menschen, die haben Millionen Hektar an sich gerissen, es ging vieles nicht mit rechten Dingen zu damals. Es ist zu spät für vieles."
Carpaten Meat, so lese ich später, bewirtschaftet 100 Quadratkilometer Weideland.
In jedem Dorf gibt es hier so einen Bogdan, sagt Barsan, als wir uns verabschieden, aber sein Vater war eben Bankdirektor. Und, was machen eigentliche die alten Kommunisten, frage ich ihn? Er grinst: Die sind im Altersheim und ihre Söhne regieren das Land.
Fast die Hälfte der Rumänen lebt auf dem Land
Keep calm and imagine - und dazu ein Foto von John Lennon - so beginnt die Power-Point-Präsentation von Ivanov Mihailescu, einem Anthropologen und Erforscher der bäuerlichen Kultur, ein freundlicher Ironiker, der seine Ungeduld mit einer Zigarette nach der anderen dämpft. Die Zukunft wird gemischt sein, ist seine Hoffnung - aber auch die kommt ihm noch utopisch vor.
"Wir hätten mehr tun können", sagt er, "aber jetzt ist es auf der Kippe. Um 1900 hatten wir wenige Großagrarier und viele kleine Selbstversorger und eine stagnierende Kultur - keine Vergangenheit also, zu der man gern zurückmöchte. Und jetzt haben wir genau dasselbe wieder."
Mehr Menschen als in jedem anderen Land der EU leben in Rumänien auf dem Lande - 40 Prozent, vielleicht sogar über 50 Prozent der Bevölkerung; die meisten von ihnen bestellen vielleicht einen Garten, ein kleines Feld. Sie halten sich gerade so über Wasser; sind alt, sie werden bald sterben, man braucht keine Strukturpolitik für sie, man muss sie bei der Stange halten, damit sie wählen - das klingt zynisch, aber so scheint es zu laufen.
Ungefähr die Hälfte des nutzbaren Landes ist inzwischen in den Händen von zumeist ausländischen Investoren. Schweizer, Holländer, Deutsche. Aus Hamburg hat mir eine Firma Agrarius einen schönen Prospekt zugeschickt: "Wachstum, soweit das Auge reicht", steht vorne drauf, und Wachstum heißt hier Rendite, heißt: Ackerland bringt mehr als der DAX; heißt: immer noch kostet ein Hektar dort ein Viertel von dem, was man in Westeuropa zahlen muss; heißt: die Nachfrage nach Nahrung wird wachsen. Und das heißt: mit dem fruchtbaren Land kaufen Sie auch noch EU-Fördermittel.
Und das heißt: eine sichere Staatsrente für die Eigentümer von Agrarland durch die Gießkannenpolitik der EU: 170 Euro pro Jahr für jeden Hektar beträgt die Subvention in Rumänien - das macht Land- und Forstwirtschaft zu einem Bombengeschäft: selbst bei einem Hektarpreis von 5.000 Euro gibt es mehr als drei Prozent Rendite, auch wenn die ganze Ernte verdirbt, auch wenn der Traktor nur einmal über den Acker fährt. Und das wirft ein Licht auf die unsägliche, überholte und ökologisch wie kulturell destruktive Agrarpolitik der EU, die den großen Unternehmen mehr als genug gibt - Wasser in die Brunnen schüttet, wie ein Aktivist erbost sagt - und den Kleinen zu wenig zum Überleben.
Rumäniens Potential für die Bio-Landwirtschaft
"Ich denke, sagt Mihailescu, und steckt sich noch eine Pfeife an, "der Zug ist noch nicht abgefahren, aber es wird mit jedem Jahr schwieriger, noch eine Abzweigung von dem Mainstream zu finden, diesem europäischen Mainstream mit seinen Rezepten von gestern. Immer noch hat Rumänien das größte Bio-Potential in Europa, sagt Mihailescu, aber nur zwei Prozent werden so genutzt, und die Wälder werden weiterhin abgeholzt". Am ehesten, so hat er in Fallstudien gefunden, am ehesten funktioniere es vielleicht in der Verbindung mit Tourismus, mit regionalen Produkten und regionaler Vermarktung. Nischenprodukte - wie der nüchterne Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium sagte - und eine Art Authentizitäts-Industrie, Erlebnis-Business für die dekadenten Mittelschichten Westeuropas?
"Etwas derartiges, ja" lächelt der Anthropologe. "Ja. Es gibt keine Bauern mehr in Europa. Vielleicht in Rumänien in einigen abgelegenen Gegenden. Wir sind die letzten".
Und wie ist es mit denen, die jetzt neu anfangen? Die ökologisch getriebenen, die Bio-Landbau zur Rettung der Welt oder der eigenen Gesundheit treiben. Die Aussteiger aus der verwalteten und beschleunigten Welt. Die nostalgischen. Die politischen, die mit slow food und alternativer Landwirtschaft die kapitalistischen Landgrabber und Chemielandwirte bekämpfen wollen. "Nein", sagt Mihailescu, "ich habe keine Hoffnung oder Fantasie, dass sie das schaffen können. Es ist ein Kampf ohne Sieg. Aber dennoch ist dieser Kampf nicht ohne Bedeutung. Es ist sentimental und künstlich, aber offenbar gibt es etwas in den Menschen, das sich beheimaten will, Heimat schaffen. Irgend so ein Trieb, sich einzuwurzeln."
Auf dem Weg nach Sibiu, dem früheren Hermannstadt, überholen wir drei Schafherden und können uns nicht entscheiden, ob die Abhänge des Tals durch das wir fahren, natürlich geformt sind oder abgerutschte Terrassen. In Meschen halten wir an, im Kaffee sitzt einer der Schäfer, skypt mit einem Freund, wer weiß wo; wir lassen uns erklären, dass es überwucherte Terrassen sind, von den Sachsen angelegt. Es geht eben sehr schnell, wenn man das Land nicht bebaut; und mit der Kultur ist es wie mit der Agrikultur.
Tägliche Viertelstunde des Schweigens
In Sibiu versammeln sich an diesem Sonntagmittag, Schlag 12:30 Uhr, vierzig Menschen gegenüber vom Gebäude der Sozialdemokratischen Partei, junge, alte, Männer, Frauen, eine Viertelstunde, einige tragen Schilder, die meisten stehen nur da, still und stumm. Seit Januar gibt es jeden Tag zur Mittagszeit eine solche Viertelstunde des Schweigens, auch sonntags, wenn das Büro der Partei unbesetzt ist. Auch heute steht Dan Perjovschi vorm Parteibüro, der Performancekünstler und Zeichner, der mit seinem schwarzen Markern schon den rumänischen Pavillon in Venedig mit seinen galligen und witzigen Kommentaren bemalt hat, so wie die Wände des Moma in New York oder des Dortmunder U-Turm.
Heute löst er auf einem kleinen Plakat den Populismus in lauter kleine Luftblasen auf: pop, pop, pop, pop. Wir beobachten Euch, so heißt die tägliche demokratische Andacht, die Aktion hat in Sibiu begonnen, findet nun auch an vielen anderen Orten statt, und auch ihr Logo stammt von Sibiu. Viele der steilen ziegelgedeckten Dächer von Sibiu habe diese eigentümlich augenförmigen Erker, sie dienen der Belüftung, aber sind wie Augenschlitze geformt, und wirklich: man fühlt sich von ihnen beobachtet. Bürger beobachten Politiker. Bürger? Das Bild, wie da dreißig oder vierzig Menschen vor den Fenstern der Macht stehen, ohne Forderung, gewaltlos und ohnmächtig, nur mit ihren Körpern appellierend, rührt, macht mitleidig und traurig.
Es ist eine Demonstration auch der Erschöpfung und der Ratlosigkeit. Nein, dies hier sieht nicht aus wie eine starke politische Opposition, die sich formiert, sondern es ist "das Volk", das keiner der Parteien im Parlament mehr traut, das in dreißig Jahren erlebt hat, dass die Opposition, kaum ist sie an der Regierung genau so korrupt ist wie die gerade abgewählte. "Ich wähle Kövesi". Das war ein Slogan auf den großen Demonstrationen des letzten Jahres.
Scheingefechte und publizistischen Kampagnen
Laura Kövesi, die Heldin, die Chefin der Antikorruptionsbehörde, einer Institution, die in den letzten sieben Jahren mehr als 3.000 Gerichtsurteile herbeigeführt hat, Gefängnisstrafen für 18 Minister, einen früheren Premierminister, fünf der zehn reichsten Oligarchen, zumeist Medieneigentümer; zwei Drittel der Provinzoberen, zahllose Bürgermeister und alle Parteivorsitzenden der traditionellen Parteien. Das Land hat seit der Jahrtausendwende fünfzehn Regierungen gehabt, fünf allein im letzten Jahr, jedesmal mit einem Wechsel der Bürokratiespitzen.
Am Ende dieser Entwicklung steht dann eine Wahlbeteiligung von 37,9 Prozent, von denen die sogenannte Sozialdemokratische Partei 44 Prozent gewonnen hat. Vor allem der kleinstädtische und dörfliche untere Mittelstand hat die Partei gewählt, deren Vorsitzender vorbestraft ist und deshalb nicht Abgeordneter werden darf, eine Partei, die machistisch ist, die an den rumänischen Nationalismus appelliert und gegen die erneute Invasion durch fremde Mächte polemisiert: Nach den Türken, den Kommunisten sind das nun die Kommissare der EU. Und aus dem Internet kommt die bizarre Behauptung, die DNA-Chefin Kövesi sei eine leibliche Tochter des Spekulanten Soros, der ja überhaupt von Sofia bis Warschau die Rolle des teuflischen Zerstörers von Staatswesen und traditionellen, konservativen Familienwerten spielt.
Im Mai noch soll es ein Verfassungsreferendum geben, das allein die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau zur legitimen Form der Ehe erklärt, ein Falle, in die die Oppositionspartei von Dan Lungu prompt tappte und sich zerstritt. Scheingefechte, mit denen die Regierung die Opposition überschwemmt, so wie mit den andauernden publizistischen Kampagnen gegen den angeblichen Parallelstaat, einer Verschwörung von Geheimdienst, Antikorruptionsbehörde und Brüsseler Bürokraten oder CIA.
Kein überzeugendes Agrarkonzept
Eine Art Neufeudalismus durchzieht die Gesellschaft, die ökonomisch an der Peripherie des hochkapitalisierten Westens liegt. Die Postkommunisten wollten das Land nicht unkontrolliert dem Kapital öffnen. Das Resultat: aus den alten Partei- und Geheimdiensteliten wurden Oligarchen - das war das erste Jahrzehnt. Dann kamen die Liberalen, die schnell in die EU wollten, und die haben die dicken Brocken an die westlichen Investoren verscherbelt.
"Aber vergessen Sie bitte nicht, dass der Westen mitgespielt hat", sagt mir einer aus dem mittleren Etagen im Staatsdienst, der sich mit mir nur in der Lobby eines Hotels treffen wollte. "Sehen Sie, 2007 hat die EU uns reingelassen. Und das waren die Eintrittskarten: Die Ölförderung ging an die Österreicher 2004. Es hätte uns unabhängig machen können, Öl und Gas. Die Elektrizität ging an E.On und Gaz de France 2005, die Banca comerciala 2006 an die Erste Bank in Österreich. OK, haben die da gesagt, wir sind für Euren Eintritt in die EU. Dann haben wir die englischen Fregatten gekauft. D
Die Griechen, damals war das noch ein Staatskonzern, kriegten die Rumänische Telekom, die Holländer den Zement. Ach ja, Dacia war schon l999 von Renault gekauft worden. Und dann, nachdem alle etwas davon hatten, waren alle für den Eintritt der Rumänen in den gemeinsamen Markt. Und einiges floss dann an die Vermittler und Verkäufer zurück. Das waren die ersten Millionen, und die sind ja bekanntlich die schwierigsten, aber ich kenne mich da nicht so aus."
In der Landwirtschaft lief es genau so, nur dezentraler. Schon vor der Marktöffnung wurde Ackerboden zumeist über Strohmänner von westlichen Investoren aufgekauft oder gepachtet. Seit 2014, nach der Freigabe des Markts, im großen Stil.
Keine Regierung bisher hatte ein überzeugendes Agrarkonzept, aber das Wachstum der rumänischen Wirtschaft, das im wesentlichen auf der Zulieferer-Produktion beruht und auf dem Reservoir an gut ausgebildeten Arbeitskräften ist extrem abhängig von der Weltkonjunktur. Es wäre weniger gefährdet, wenn das Land einen leistungsfähigen Agrarsektor hätte. Den aber kann man nicht gegen die europäische Agrarpolitik entwickeln, sondern nur in ihrem Rahmen. Einer, der das versucht hat, ist Dacian Ciolos, ein Agraringenieur, der in Rumänien und Frankreich gelernt hat, und von 2010 bis 2014 Agrarkommissar in Brüssel war.
An der gigantischen Verschwendung der Flächensubvention hat auch er nicht rühren können, aber mit Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit eine gewisse Bindung der Subventionen an das Einhalten ökologischer Mindeststandards erreicht. "Ich habe vielleicht wenigstens eine Tür aufgestoßen", sagt Ciolos heute, das Bewusstsein hat sich geändert. Aber auch hier ist einiges passiert, um es leichter für die kleinen Produzenten zu machen. Sicher, die Supermärkte treiben die Preise nach unten, zum Beispiel mit importierten billigen Tomaten, wir sollten ein Gesetz machen, das 50 Prozent lokale Produkte zur Norm macht. Vor allem aber müssen wir Landwirtschaftskammern einrichten, die den Marktzugang organisieren, die Bauern beraten."
Viele Rumänen arbeiteten in Italien
Ich treffe Ciolos, der nach seiner Zeit in Brüssel fünfzehn Monate lang Ministerpräsident einer Technokratenregierung war, und den Ruf hat, effizient und vor allem völlig unkorrupt zu sein, in seinem kleinen Büro in der Straße, die nach Constantin Rosetti benannt ist , einem der großen liberalen Erneuerer des 19. Jahrhunderts, einer der Anführer der Revolution von 1848, dann ein langes Exil in Paris. Es ist ein unauffälliges Haus, aber man kann unter dem abblätternden Putz die gewesene Eleganz einer Art-Deco-Fassade erkennen. Der Revolutionär und diese Fassade - sie verweisen darauf, dass es eine geteilte Geschichte des Kontinents gibt, über die wir so wenig wissen, über die gescheiterten Revolutionen, die von Nation zu Nation sprangen und die Reaktion der Machthaber, die schon immer international dachten.
Landgrabbing beunruhigt Dacian Ciolos nicht so sehr, er ist kein Boden-Nationalist und kein antikapitalistisch Empörter. Das meiste Land werde ja nicht verkauft, sondern verpachtet, das sei also nicht irreversibel, und einstweilen sei es doch besser, das Land wird bebaut als dass es brach liegt. Nein, das wichtigste sei es, Anreize zu schaffen, dass es sich lohnt, Bauer zu werden und im Lande zu bleiben. Viele Rumänen arbeiteten ja auf dem Land, aber eben in Italien. "Sie würden es hier tun, wenn es sich lohnt. Was wir brauchen sind Vorschläge. Protest ist nicht genug." Und dann lächelt er leise und sagt: "I am ready." Ein paar Tage nach meinem Besuch wird er bekanntgeben, dass seine neue Partei RoPlus 2021 zur Wahl antreten wird.
Wie hatte Mihailescu gesagt? Das Land ist auf der Kippe. Und nicht nur dieses Land. Es ist noch nicht entschieden, ob die Wanderung in die Wohlstandszonen Westeuropas das Land ausbluten wird, ob die nächste Wirtschaftskrise die autoritären Kleptokraten verführen wird, einen milden Faschismus zu installieren, oder ob es gelingt, einen Plan B zu entwickeln, für die Landwirtschaft und das Land im Ganzen.
Die Inseln des Widerstands haben sich aus der Zwangssolidarität gelöst
Bauernmuseen können sehr schön sein. Vor fünfzehn Jahren war ich nicht in dem traurigen Dorf mit den toten Häusern, sondern im Museum des rumänischen Bauern in Bukarest - eine der schönsten Sammlungen, die ich je gesehen habe: die Gegenstände, die Gebäude, die Ikonen, Teppiche, Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände waren ausgestellt wie Kunstwerke.
Der Architekt und Maler Horia Bernea, der das Museum gestaltet hat, war ein christlicher Konservativer, aber sein Museum ist völlig frei von Nostalgie. Keine Apotheose eines nationalen Bauerntums, sondern eine schlichte Feier der Schönheit. Ein Flickenteppich, die ästhetische Hülle einer vergangenen Epoche. Zunächst einmal staunen und dann traurig sein - und dann irgendwie neu anfangen.
Die Intellektuellen, die Dichter, die Künstler - sie spielen schon lange nicht mehr die Rolle, die sie als Wortegeber für die Opposition im diktatorischen Kommunismus hatten. Die Inseln des Widerstands, die sich in den Wohnküchen trafen, mit viel Zeit zum Lesen und Reden und Dichten, haben sich aus der Zwangssolidarität gelöst, als der gemeinsame Feind, die Diktatur, nicht mehr existierte. "Der Tag des Eintritts in die Union ist der wichtigste nationale Feiertag für mich", sagt Mircea Cartarescu, "und das geht vielen so, auch wenn es gelegentlich unangenehm ist, was aus Brüssel kommt.
Auf dem flachen Land wird es eben als Diktatur wahrgenommen, wenn man auf einmal nicht mehr schlachten soll, wie man es seit Jahrhunderten getan hat, wenn man alles in Plastik einwickeln muss." Ja, er gehe demonstrieren gegen das Regime, aber er sei kein politischer Schriftsteller: "Für mich hat Poesie etwas mit Schönheit zu tun", sagt er, das stimmt natürlich nicht ganz, denn im letzten Band seiner Ortibor-Trilogie hat er die Geschichte seines Vater unterm Kommunismus mit der Geschichte des Landes verschmolzen, mit der Kraft, die einem die Wut und der Durst nach Rache gibt. Kein politischer Schriftsteller, das meint Cartarescu im Sinne von "was jetzt gebraucht wird". "Satiriker brauchen wir jetzt", sagt er, aber das sei nicht sein Genre.
Und dann formuliert er doch, leicht verdeckt ein Desiderat, für das es noch keine Entsprechung in der Literatur gibt: "Die Bürger Europas müssten anerkennen und würdigen, dass sie Bürger zweier Welten sind: Bürger Europas und Bürger ihres Landes. Wir können nicht so werden wie die Amerikaner, wir sind verschieden. Aber wir teilen bestimmte Werte. Und das Kunststück bestünde darin, in diesen zwei Welten simultan leben zu können. Die Eigenarten und Werte der Länder, der Regionen, der Landstriche sollten nicht aussterben. Aus der Angst davor ziehen ja unsere Politiker und die in den anderen Visegrad-Staaten Honig."
Rap und Jodeln
Am Brunnen neben der Universität hängt, schmuddelig und klein, eine Tafel, die an den 22. Dezember 1989, an Ceauscescus letztes Gefecht erinnert: "Hier starb er für die Freiheit". Kein Name auf dem Marmorschild. Hier bin ich mit dem Lyriker Claudiu Komartin verabredet, in dessen böser Abrechnung mit der autoritären Vergangenheit, seinem Gedicht über den Vater, der verfault und hustet und viel zu langsam stirbt, der Satz steht: "Nur unsere Verzweiflung hält dich am Leben". "Wir kamen immer zu spät", sagt Komartin. "Immer dann, wenn es vorbei war. Die Romantik fing bei uns 1875 an, der Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg und der Kapitalismus jetzt, wo er seinem Ende zugeht." Und dann die überraschende Volte: "Aber wir Rumänen könnten ein paar gute, verrückte Sachen nach Europa bringen." Zum Beispiel? "So etwas wie Optimismus".
Aber da ist die Literatur nicht mehr zuständig. Optimismus zu verbreiten ist nicht ihre Aufgabe. Tradition und Moderne, Region und Europa zusammenbringen und das für die Massen, das ist eher der Job von Ilinka und Alex, die im letzten Jahr den Sechsten Platz im Eurovision Song Contest gewonnen haben: Er rappt und sie jodelt. Ja, sie jodelt - auch das eine Gemeinsamkeit der untergegangen europäischen Bauernkulturen.
"Wenn Du es nicht versuchst, dann wirst Du nie lebendig" rappt er, im abgerissenen Zitat einer Bauernkluft, "immer rennst Du weg, sagst nein zu dem was richtig ist, Mensch, greif nicht nach den Sternen, krieg den Arsch hoch". Und dann jodelt sie wieder, im roten Etuikleid einer Sekretärin, im Hintergrund tanzen die animierten Karikaturen geschnitzter Bauernkunst. Immerhin, das hat für einen sechsten Platz gereicht. Warum denn auch nicht?
"Funky citizens"
Nein, so will ich nicht aufhören. Dann doch lieber noch schnell einen Besuch machen bei Elena und Malina in der vor lauter Arbeit unordentlichen, aber großbürgerlichen Etage am Rande der Innenstadt von Bukarest, in der noch die Reste von der Party gestern abend, ein paar Fahrräder und Papierstapel eine muntere Installation miteinander bilden. "Funky citizens" nennen sie sich, sind zu fünft, verstehen sich als "Feuerwehr mit freundlichen Werkzeugen".
Auf ihrer Website betreiben sie Faktencheck, widerlegen die gerade kursierenden parteilichen Lügen - etwa die, das Ciolos' Regierung nur Schulden hinterlassen habe - sie haben die Medieninitiative "Wir verkaufen das Land" gestartet, sie rechnen die öffentlichen Ausgaben nach, kritisieren die Gesetzentwürfe und die Geschäfte des Parteichefs Dragnea. Weswegen sie vielleicht demnächst - auch da droht ein Gesetzentwurf - wegen Verleumdung des Vaterlandes angezeigt werden könnten.
Und dann zeigt mir Elena ein Kunstwerk: ein kompaktes Heft, mit bunten, fröhlichen Tafeln zum Ausklappen, auf denen milde poppig bebildert wird, was die 150 Seiten enthalten: die Verfassung Rumäniens mit allem Drum und Dran, Rechten und Pflichten, Gewaltenteilung, Wahlrecht, der Freiheit, nach seiner Fasson zu leben, zu demonstrieren, sich wählen zu lassen und vor Gericht zu gehen. Eine muntere Fibel dessen, was noch einzurichten ist. Die verbreiten sie an Schulen und Jugendgruppen. Politische Hoffnung? Noch nicht, sagen sie. In die Politik gehen? Noch nicht. Auswandern? Auf keinen Fall. Zum Abschied nach dem kurzen Besuch drückt mit Elena ein Exemplar in die Hand, es passt grade noch in den Rucksack, neben die Bluse aus dem Museum.
Im Flugzeug zeigt mit der große Mann aus Iasi auf dem Handy die Fotos seiner Kinder und - aber das nur kurz - seiner schönen Frau. Er ist auf dem Weg nach Island. Wenn die Arbeit dort gut ist, hole ich sie nach, sagt er. Ich tue es für meine Familie. Sie sollen eine Zukunft haben.
Auf sechs Reisen sucht Mathias Greffrath nach dem, was die Europäer noch miteinander verbindet und macht eine fragmentarische Bestandsaufnahme. Gibt es ein gemeinsames kulturelles Erbe und nicht nur politisch ausbeutbare Identitäten? Wie steht es um die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften, die Europa geformt haben, und die wir - in verwandelter Form - in die Zukunft mitnehmen müssen? In diesem Fall als Handgepäck - unauffällige Gegenstände, die man einsteckt im Vorübergehen, als Merkzeichen, als Erinnerungen, als Fetische der Zukunft.