Mit der Flüchtlingspolitik hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei diesem EU-Gipfel eine Herkulesaufgabe vor sich. Daneben sind die Zugeständnisse an die britische Regierung fast schon Kleinigkeiten. Bonbons, damit die nervigen Briten Ruhe geben und nicht aus der Europäischen Union aussteigen. Doch die Bonbons werden Angela Merkel spätestens morgen, wenn es auf dem selben Gipfel um Asylpolitik und faire Lastenverteilung geht, tonnenschwer auf die Füße fallen.
Inhaltlich fallen die Zugeständnisse eher harmlos aus. Ein bisschen Mitsprache in der Währungspolitik - an sich eine unverschämte Forderung für ein Land, das beim Euro partout nicht mitmachen, aber unbedingt mitreden will, aber die EU kann damit leben, solange London kein Veto-Recht für Euro-Entscheidungen bekommt.
Dasselbe gilt für die Freistellung von der "ever closer union", die London so wichtig ist. Dass die Europäische Union immer enger zusammenwachsen soll, das steht zwar in den Verträgen, hat aber keine Auswirkung. Keine Regierung gibt der EU neue Kompetenzen, nur damit sie enger zusammenwächst. Neue Aufgaben bekommt die Europäische Union, wenn die Regierungen zuhause ein Problem haben, mit dem sie allein nicht fertigwerden. Dann schiebt man es der EU hin. Flüchtlingspolitik zum Beispiel. An diesem Mechanismus wird sich auch künftig nichts ändern.
Selbst die umstrittene Einschränkung der Sozialleistungen für EU-Ausländer wird nicht viel bringen. Eine solche Sondererlaubnis ist zwar juristisch schwierig und kompliziert zu formulieren, aber im echten Leben weitgehend ohne Folgen.
Alles nur für Camerons Selbstdarstellung
Warum also der ganze Aufwand?
Damit David Cameron zu Hause sagen kann: "Ich hab die EU zu einer Reform gezwungen. Jetzt ist sie so, wie wir Briten sie haben wollen." Und genau das ist das wirkliche Problem. Damit verbreitet der britische Premier die Botschaft, dass man die Vorteile der Europäischen Union behalten, sich aber bei den Pflichten aus der Verantwortung stehlen kann. Mann muss nur stur genug auftreten.
Eine ganze Reihe von Regierungen wird sich spätestens morgen früh an diese Lektion erinnern. Wenn es um die Lastenverteilung der Flüchtlingspolitik geht, dann werden zum Beispiel die polnische, die tschechische, die ungarische und die slowakische Regierung auf nationale Eigenheiten pochen. Europäische Solidarität sei schön und gut, aber doch nicht zu diesem Preis.
Angst überwiegt gegenüber Dankbarkeit
Alle diese Länder haben von der europäischen Solidarität profitiert, einige Regierungen sind sogar dankbar. Doch weit größer als die Dankbarkeit ist die Angst vor Muslimen und vor einer offenen Gesellschaft. Jeder Erfolg der britischen Verhandlungsstrategie am heutigen Gipfeltag wird sie ermuntern, morgen ebenfalls hart zu bleiben.
Ohne Europäische Solidarität wird die Asylkrise nicht in den Griff zu bekommen sein. Für die meisten Briten sind die Flüchtlinge ein Problem des Kontinents. Sie fühlen sich auf ihrer Insel sicher vor dem Zustrom.
Entscheidend ist der Zustand der EU
Doch je zerstrittener sich die europäischen Länder in der Asylkrise zeigen, desto schneller wird die Neigung vieler Briten wachsen, sich aus dieser Europäischen Union zurück zu ziehen. Die kleinen Bonbons, die London heute in Brüssel bekommt, werden beim Referendum über den Brexit keine Rolle spielen. Die sind bis dahin längst vergessen. Entscheidender ist, in welchem Zustand sich die EU dann befindet.