Europa, die Europäische Union ist für uns scheinbar das Normale, eröffnet Moderatorin Katrin Michaelsen die Diskussionsrunde mit dem ehemaligen luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn, Carolin Born, Brüssel-Korrespondentin für den Deutschlandfunk, Mati Randow, Zivildienstleistender und Aktivist aus Österreich und Elizabete Vindule-Mince, einer Studentin aus Lettland. Aber was ist das Normale, wie wird Europa erlebt?
Vor allem den beiden jungen Podiumsgästen Elizabete Vindule-Mince, die jetzt in Berlin lebt, und Mati Randow, Zivildienstleistender aus Österreich, bedeutet Europa, sich frei zwischen den Ländern bewegen zu können. Randow plant einen Sommerurlaub mit Interrail, eine gute Möglichkeit, findet er, um "die europäische Vielfalt kennen zu lernen".
Auch gemeinsame Interessen könnten so gefunden werden und eine gemeinsame Identität gestärkt werden. Solche länderverbindenen Projekte sollte es viel mehr geben, ergänzt Vindule-Mince: „Viele hatten gar nicht auf dem Schirm, dass Lettland zu Europa gehört“, erzählt sie von ihrer Anfangszeit als Studentin in Berlin. Projekte, die die 27 verschiedenen Mitgliedstaaten besser miteinander verbinden, würden "den Austausch doch leichter machen“. Auch vermeintlich weniger bekannte Länder sollten sich darstellen können, so Vindule-Mince: „So können wir doch gemeinsam ein Europa aufbauen, in dem wir alle gemeinsam wohnen wollen.“
Zum ersten Mal Wahl ab 16
Bei der anstehenden Europawahl steht die Jugend besonders im Fokus, denn zum ersten Mal darf schon ab 16 Jahren gewählt werden. Aber wie spricht man die Jugend an? Das sei schon bei erwachsenen Wählern schwierig, erklärt Korrespondentin Carolin Born, denn die Themen müssten oft erst auf die nationale Ebene und Bedeutsamkeit vor Ort in den Ländern heruntergebrochen werden.
Dennoch: „Da steht viel auf dem Spiel“ bei dieser Wahl: Greendeal und Klimapolitik, Landwirtschaft und Migration und auch die Erstarkung von rechten Parteien. "Ich könnte gar nicht aufhören aufzuzählen, wenn ich jetzt sagen müsste, um was geht es da alles bei der Wahl“, sagt Born.
Aber gerade, dass die eigene Stimme bei der Wahl eine Bedeutung für die Zukunft und für die Mitgestaltung von Europa hat, darum gehe es, findet Elizabete Vindule-Mince: "Es ist wichtig, dass ich zeige, was ich für eine Meinung habe.“ Sie möchte sich mit ihrer Stimme dafür einsetzen, dass Europa stark bleibe und gegen den Rechtsextremismus kämpfen.
In Österreich dürfen schon seit 2007 auch 16-Jährige wählen. Mati Randow, auch ehemalige Schulsprecher, findet das gut, denn "gerade, wenn man vermitteln möchte, wie wichtig Demokratie und auch die EU sind, dann kann man halt nicht sagen: Ja gut, aber die ersten 18 Jahre deines Lebens darfst du nichts sagen, darfst eigentlich gar nicht mitbestimmen.“
Schon im Schulunterricht könne ein Zugang zur EU geschaffen werden und auch ein Bewusstsein dafür, dass sich die EU durch Wahlen auch immer noch weiterentwickelt. Randow glaubt an ein Europa, das sich wirklich auch noch verbessert: „Wenn die EU nicht nur sagt, wofür sie steht, sondern sie steht auch dafür, glaube ich, kann man sich als junger Mensch auch besser damit identifizieren.“
Bei allen schwierigen Themen, die die EU-Wahl mit sich bringt, appelliert der ehemalige Außenminister aus Luxemburg, Jean Asselborn, an das Verbindende in Europa und den Zusammenhalt: "Wie will denn Europa zum Beispiel in der Klimafrage durch nationalen Maßnahmen bestehen? Wie will in Europa ein Land die Sicherheit der Menschen garantieren?"
Zu einer der größten Errungenschaften Europas zählt er, wie auch von Randow und Vindule-Mince angesprochen, die Freiheit, sich zwischen den Ländern zu bewegen: „Aufpassen für die jungen Menschen, dass das Schengen-Abkommen nicht kaputt gemacht wird.“
Gemeinsam den Frieden erhalten
Und auch beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine spiele die EU eine entscheidende Rolle, so Asselborn: „Die Ukraine braucht Munition, nicht um anzugreifen, sondern um sich zu wehren.“ Sonst würde Putin schnell vor Polen und Lettland stehen, argumentiert Asselborn. Der Krieg in der Ukraine sei auch ein Kampf um europäische Werte und man dürfe den Moment nicht verpassen, an dem es zu diplomatischen Verhandlungen mit Russland kommen kann: "Zivilisierte Diplomatie, das sollte das Ziel sein, auch wenn Krieg ist, sollte man Lösungen finden." Da sei die Aufgabe der EU, so der ehemalige luxemburgische Außenminister.
Mati Randow erzählt, dass er mit "der Selbstverständlichkeit, dass Frieden herrscht in Europa“ aufgewachsen ist. Der Krieg in der Ukraine habe aber bestimmt die Sicht Vieler verändert, denn dadurch sei Europa auch von außen bedroht.
Aber auch von innen, ergänzen Elizabete Vindule-Mince und Carolin Born. Die Deutschlandfunk-Korrespondentin ist unter anderem für die Berichterstattung über das Thema Migration zuständig. Dass das Ruanda-Modell im Wahlprogramm mancher Parteien stehe, zeige, wie die Stimmung in Europa ist.
"Was wäre, wenn Rechtsextremisten mehr Macht bekämen?", wirft Elizabete Vindule-Mince auf. Was wäre, wenn es eine EU wirklich nicht mehr gebe. Es würden wohl schnell auch Förderungen in der Bildung wegfallen, vermutet die Studentin. Ein großes Problem in ihren Augen: „Wie wollen wir denn als Europa mit großen Ländern wie China und USA konkurrieren, wenn wir unsere Leute nicht weiter ausbilden können?“
Da braue sich was zusammen, glaubt Asselborn. Er beobachte eine Annäherung zwischen der klassischen Rechten und der extremen Rechten, eine Verschmelzung dürfe in seinen Augen nicht passieren. Asselborn sieht darin neben der Bedrohung von außen durch den Krieg von Putin eine weitere Gefahr.
„Klar, wir sind gegen Krieg", resümiert Mati Randow zum Schluss, "aber man muss auch formulieren, wofür wir sind. Und dass man nicht nur sagt, wir sind für Frieden, sondern das auch mit Leben füllt.“