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Europaparlament
Parteien auf Partnersuche

Nach den Verlusten von Union und SPD bei den Europawahlen beginnt die Suche nach einem neuen Bündnis für die Zukunft. Wer mit wem im Parlament zusammenarbeitet und welche Allianzen zur Wahl des EU-Kommissionspräsidenten geschmiedet werden, wird die Diskussionen der kommenden Tage und Wochen prägen.

Von Paul Vorreiter |
Das Europaparlament in Brüssel
Wer arbeitet künftig mit wem zusammen im Europaparlament? (www.imago-images.de)
Zum ersten Mal seit 1979 haben Christ- und Sozialdemokraten im Europaparlament keine Mehrheit, kommen nur noch auf gut 45 Prozent der Sitze im Parlament. Für sie fängt nun die Partnersuche an. Dafür in Frage kommen vor allem Grüne und Liberale, die bei den Europawahlen zulegen konnten. Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, streckte bereits seine Hand aus:
"Von nun an müssen diejenigen, die eine starke EU wollen, zusammenarbeiten. Das ist meine Einladung an Sozialisten, Liberale aber auch Grüne, denn auch sie zählen zu den Gewinnern und sind deswegen potenzielle Partner. Ich finde wir sollten miteinander reden."
Manfred Weber will EU-Kommissionspräsident werden. Getreu dem Prinzip, dass dem Spitzenkandidat der stärksten Fraktion dieses Amt zufallen soll, sieht er sich dafür prädestiniert, muss aber eine Mehrheit im Parlament dafür organisieren.
Auch Webers Konkurrenten sehen sich gestärkt
Seine Wahl hängt jedoch maßgeblich von den EU-Mitgliedsländern ab, die ihn zunächst mit qualifizierter Mehrheit als Kandidaten vorschlagen müssen. Für die Sozialdemokraten ist die Wahl Webers keine ausgemachte Sache. Frans Timmermans, europäischer Spitzenkandidat, sieht sich durch den Wahlerfolg in seiner Heimat, den Niederlanden darin bestärkt, eine linksliberale Allianz im Europaparlament gegen Manfred Webers EVP aufzustellen. An eine solche glaubt auch Udo Bullmann, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament:
"Die Europäische Volkspartei kann es nicht als natürlich ansehen, dass es ihr Monopol ist, den nächsten EU-Kommissionspräsidenten zu stellen. Wir brauchen eine neue Reformkoalition, die dafür arbeitet, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in Europa zu verbessern, nicht nur für wenige, sondern für viele."
Dossier: Europawahlen
Alle Beiträge zur Europawahl in unserem Dossier (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Allerdings tragen die Sozialdemokraten eine Hypothek mit sich, zu schaffen machen ihnen die Verluste der SPD in Deutschland. Bei den Liberalen hat EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager in der Nacht erneut den Anspruch auf den EU-Kommissionspräsidentenposten erhoben. Guy Verhofstadt, Fraktionsvorsitzender der Liberalen, schmiedet bereits Allianzen:
"Die zwei klassischen Parteien - Christdemokraten und Sozialdemokraten haben keine Mehrheit mehr, das bedeutet, dass keine solide pro-europäische und ich unterstreiche das, keine ‚solide‘ Mehrheit ohne unsere Gruppe, die der liberalen ALDE, der Renaissance-Gruppe, zu der Macrons EnMarche gehört und andere reformorientierten Parteien möglich ist."
Erklärungsversuche der Partei Die Linke
Die Grünen, die zu den großen Gewinnern in Deutschland gehören, konnten unter anderem auch in Irland und Frankreich punkten. Die "grüne Welle" erklärt sich Ska Keller, europäische Grünen-Spitzenkandidatin, mit dem programmatischen Angebot und der Unterstützung durch junge Wähler, denen Klimaschutz wichtig ist. Wer mit den Grünen zusammenarbeiten will, muss sich auch inhaltlich auf sie zubewegen.
"Für uns ist klar, dass wir zu unseren Prinzipien stehen. Wir wollen Klimaschutz, ein soziales Europa und Bürgerrechte, die überall in Europa gelten, dafür wurden wir gewählt, wer unsere Unterstützung will, muss in diesen Bereichen liefern, es geht nur um Inhalt."
Warum die Linke von der Schwäche der großen Parteienfamilien nicht profitieren konnte, erklärt sich Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende, wie folgt:
"Das hängt damit zusammen, dass wir als Linke noch nicht über so viele Jahre klar und konsequent genug die Frage des Kampfes gegen die Klimakatastrophe, gegen die Erderwärmung thematisiert haben."
Mit Spannung erwartet wurde auch der Ausgang der Wahlen für Rechtspopulisten, EU-Gegner und Nationalisten. Die werden in etwa ein Viertel der Sitze im Parlament haben. Hervorgestochen ist unter anderem der Wahlsieg des Rassemblement National in Frankreich und der Lega in Italien, der Partei des Innenministers Matteo Salvini. Der hatte eine große Fraktion der EU-Gegner ins Auge gefasst. Wer mit wem im Parlament zusammenarbeitet und welche Allianzen zur Wahl des EU-Kommissionspräsidenten geschmiedet werden, wird die Diskussionen der kommenden Tage und Wochen prägen. Morgen Abend bereits treffen sich in Brüssel die EU-Staats- und Regierungschefs, um über die Neubesetzung von Spitzenämtern zu beraten.