Von Nervosität im Europäischen Parlament kurz vor der entscheidenden Abstimmung über die neue Juncker-Kommission kann eigentlich keine Rede sein. Vor allem die beiden größten Fraktionen, Christdemokraten sowie Sozialisten und Sozialdemokraten stützen Juncker und sein Team – das reicht für die Mehrheit. Und so klingt auch der Appell von Manfred Weber, Chef der Europäischen Christdemokraten, eher schon routiniert:
"Wir brauchen eine Reformkommission, die an ambitioniert an die Aufgaben rangeht. Jetzt ist es aber auch wichtig, dass wir zu arbeiten beginnen, ran an die Arbeit gehen in Europa, die Kommission ins Amt bringen."
Doch die Erwartungen sind gewaltig. Nach der eher bleiernen Zeit unter Manuel Barroso und seinem präsidialen Führungsstil an der Spitze der Kommission setzen viele auf die neue Kommission, die unter Jean Claude Juncker auch eine andere Struktur bekommen wird. Jo Leinen, SPD:
"Die Kommission ist auf dem Weg von einer Behörde zu einem politischen Gremium, genannt Regierung. Immerhin ist der Kommissionspräsident vom Parlament gewählt worden, eine echte Wahl. Er strukturiert auch dieses Kollegium politischer, nach Themenblöcken und auch durchaus in einer Hierarchie der Vizepräsidenten und der normalen Kommissare.
Personalie Juncker weckt große Erwartungen
Ob die neue Struktur mit den koordinierenden Vizepräsidenten und den normalen Kommissaren mit der starken Verwaltung im Rücken aufgehen wird, bleibt abzuwarten. Ebenso, ob das Konzept, den Bock zum Gärtner zu machen, aufgehen wird - also etwa ausgerechnet einem Briten die Finanzmarktregulierung zu übertragen. Letztlich aber ist es ohnehin die Personalie Juncker, die so große Erwartungen weckt, selbst bei den Grünen.
"Ich glaube einfach, dass dieser Mann in seiner ganzen Freundlichkeit, mit diesem besonderen luxemburger Witz und mit seiner wahnsinnig langen Erfahrung in der europäischen Politik, dass er die EU, das europäische Gemeinsame, anders verkörpert als Barroso das je konnte,"
sagt Fraktionschefin Rebecca Harms. Trotzdem wollen die Grünen heute gegen Juncker stimmen, erklärt Harms überraschend. Weil es der neuen Kommission an grünen Inhalten fehle. Auch viele andere werden den Daumen senken, aus inhaltlichen Gründen, heißt es etwa bei den Linken. Hans-Olaf Henkel von der AfD macht dagegen grundsätzliche Bedenken geltend:
"Hier haben wir wirklich ein katastrophales Pärrchen zusammen mit Herrn Juncker, dem Erfinder und Befürworter des europäischen Eurobonds und Herrn Moscovici als trojanisches Pferd der Franzosen."
Anhörungsverfahren diskreditiert?
Drei Wochen Anhörung liegen nun hinter den 27 neuen designierten Kommissaren. Das von manchen in Aussicht gestellte Kräftemessen zwischen Parlament und dem neuen Kommissionspräsidenten ist allerdings ausgefallen. Von Kreuzverhören bei den Anhörungen konnte ebenfalls kaum die Rede sein – das Instrument habe sich dennoch bewährt, sagt EVP-Fraktionschef Weber:
"Wir haben jetzt drei Wochen hinter uns, in denen wir die Hearings durchgeführt haben in einer Tiefe und Güte, wie es in Europa einzigartig ist, wie es sie in ganz Europa in keinem nationalen Parlament gibt. Das ist eine Sternstunde des Parlaments, das wir da erlebt haben."
Und doch bleibt ein Makel. Denn die Nachnominierung der Slowenin Violeta Bulc erfolgte im Schnellverfahren, für eine intensive Vorbereitung hatte sie kaum Zeit. Das habe letztlich das ganze Anhörungsverfahren diskreditiert, sagen Kritiker. Und zumindest der Chef der CDU-Gruppe, Herbert Reul, zeigt sich an dieser Stelle selbstkritisch:
"Ich persönlich finde es schade, dass wir uns jetzt wirklich wegen zwei Wochen einem solchen Vorwurf aussetzen."
Doch letztlich dürfte dies nur eine Randnotiz bleiben. Das Ziel heißt: Arbeitsbeginn der neuen Kommission zum 1. November. Und dafür reicht heute die einfache Mehrheit der anwesenden Stimmen im EU-Parlament.