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Europapolitik der AfD
Meuthen: EU-Austritt als Ultima Ratio

Die AfD werde sich für einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union einsetzen, sollte die Union nicht grundlegend reformiert werden, sagte Bundessprecher Jörg Meuthen im Dlf. Den Parteiaustritt von André Poggenburg und eine mögliche neue Bewegung am rechten Rand sehe die Partei entspannt.

Jörg Meuthen im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen
    AfD-Bundessprecher Meuthen prophezeiht "Zeitenwende bei der Europawwahl" (dpa-Bildfunk / Julian Stratenschulte/)
    Christoph Heinemann: Die AfD trifft sich ab heute im sächsischen Riesa zum Parteitag. Im Mittelpunkt die Europapolitik. Die AfD möchte Institutionen und Zuständigkeiten der Europäischen Union ändern und sie droht, sollten Reformen in ihrem Sinne nicht verwirklicht werden, wird ein Austritt Deutschlands aus der EU nicht ausgeschlossen, ein sogenannter Dexit - eine Wortschöpfung nach der Vorlage des Brexit. Am Telefon ist Jörg Meuthen, einer der beiden Bundessprecher der AfD. Bundessprecher entsprechen der Funktion des Parteivorsitzenden. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl im Mai. Guten Morgen!
    Jörg Meuthen: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Meuthen, wir wollen beginnen mit einer Personalie. Der ehemalige AfD-Vorsitzende von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, verlässt die Partei. Wen verliert die AfD mit André Poggenburg?
    Meuthen: Ich habe André Poggenburg in den Jahren, in denen er in der AfD war, zunächst als jemand kennengelernt, der ein sehr aufrechter Streiter für unsere Ziele ist, was ich an ihm geschätzt habe. Es hat sich in jüngerer Zeit eine Entwicklung bei ihm ergeben, wo er in den Positionen doch sehr stark von den ursprünglichen AfD-Positionen abrückte und sich auch in seiner Wortwahl in eine Entwicklung bewegte, die dann nicht mehr innerhalb unseres Spektrums ist. Dann gab es Abmahnungen und wir hatten jetzt, weil weitere Vorfälle waren, dann mit einer Ämtersperre reagiert, und Herr Poggenburg reagiert jetzt von sich aus und sagt, ich verlasse die AfD, weil sie nicht mehr meine Heimat ist. Das kann ich verstehen. Das ist in dem Fall eigentlich folgerichtig.
    Heinemann: Trifft eine solche Abweichung vom Parteikurs nicht auf Björn Höcke in Thüringen zu?
    Meuthen: Nein! Das ist ein völlig anders gelagerter Fall. Herr Höcke hat bestimmte Positionen, die er konsequent vertritt. Wir haben das x-fach als Thema gehabt, das ist innerhalb unseres Spektrums. Aber schauen Sie, Herr Poggenburg hat in jüngerer Zeit zum Beispiel gesagt, rechtsradikal zu sein, sei legitim. Das ist nicht eine Position, die wir haben, wenn es in diese Richtung geht. Wir sind eine Partei, die sich mit Fug und Recht als rechts bezeichnet, aber wir sind eine bürgerlich-konservativ-freiheitliche Partei, der Rechtsradikalismus völlig fern ist. Und zu sagen, Rechtsradikalismus sei legitim, ist nichts, was wir innerhalb unseres Spektrums zu akzeptieren bereit sind. Das ist klar.
    "Es wird kein Fleisch vom Fleische weggefressen"
    Heinemann: Welche Parteifreundin, welchen Parteifreund würden Sie außer Poggenburg sonst gern loswerden?
    Meuthen: Mit Verlaub, darüber werde ich im Radio mit Gewissheit nicht sprechen. Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der versucht, den Laden zusammenzuhalten. Wir müssen schauen, wo ist eine Linie, und wer über diese Linie geht, der gehört nicht zu uns. Diese Linie ist eindeutig die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Daran sind wir gebunden, da fühlen wir uns auch zuhause. Wir sind eine Rechtsstaatspartei. Wer da dazugehört, gehört dann auch dazu. Wer sich außerhalb dessen stellt, gehört nicht zu uns. Das ist deutlich.
    Heinemann: André Poggenburg möchte eine Partei gründen, hat uns unser Sachsen-Anhaltinischer Landeskorrespondent eben berichtet: einen "Aufbruch deutscher Patrioten". Wäre das eine Alternative zur Alternative für Deutschland?
    Meuthen: Ich glaube nicht, dass es das für viele Menschen sein wird. Wir haben unsere Programmatik und wir möchten von den Menschen gewählt werden, die dieser Programmatik folgen und die das für vernünftig halten. Wenn sich jetzt eine Partei am äußersten rechten Rand neugründen sollte, dann möge das geschehen, und dann mögen diejenigen, die das für richtig halten, was dort vertreten wird, diese Partei eben wählen und nicht uns. Das ist eine Geschichte, die ich vergleichsweise entspannt sehe - deswegen, weil ich nicht glaube, dass das sehr viele Menschen betrifft. Ich glaube nicht, dass da sozusagen Fleisch vom Fleische weggefressen wird. Das sehe ich sehr locker. Das war bis jetzt nie erfolgreich und das wird auch in Zukunft nicht erfolgreich sein.
    Volksabstimmung über EU-Austritt
    Heinemann: Sprechen wir über Europa. Wann sollte Deutschland die EU verlassen?
    Meuthen: Dann, wenn sie sich als vollständig unreformierbar erwiese. So haben wir das auch in unserem Leitantrag formuliert, in dem es noch eine Stelle zu glätten gilt, nämlich die der Fristigkeit, soll das binnen fünf Jahren gelten, oder soll das in angemessener Zeit gelten, wofür ich selbst votiere. Wir wollen die EU an Haupt und Gliedern reformieren, und wenn wir über einen sehr langen Zeitraum feststellen, das geht immer weiter in die Richtung Vereinigter Staaten von Europa, dann wäre irgendwann der Punkt, wo man auch sagt, wir ziehen jetzt die Reißleine. Aber der Dexit ist nicht unser eigentliches Ziel, sondern er ist die Ultima Ratio für den Fall, dass alles andere nicht funktionierte.
    Heinemann: Angemessene Zeit, haben Sie gesagt. Können Sie eine Jahreszahl nennen?
    Meuthen: Ich bin kein großer Freund, das festzumachen. Ich halte eine Legislatur für zu knapp. Wenn wir in zehn, zwölf Jahren sehen, das geht immer weiter in diese Richtung, dann würde ich auch sagen, hier müssen wir die Gretchenfrage stellen. Wir sind übrigens eine Partei, die sich sehr stark der direkten Demokratie verhaftet fühlt. Das heißt, wir würden uns dann eine Volksabstimmung dazu wünschen.
    Heinemann: Herr Meuthen, verändert sich die EU denn gerade in dem von Ihnen gewünschten Sinne?
    Meuthen: Es ist so, dass dieses Konzept der "Ever Closer Union", für das Leute wie Merkel, Juncker und andere stehen, immer weiterverfolgt wird. Man hat offensichtlich aus dem Menetekel des Brexit wenig gelernt. Und die jetzt noch die Macht habenden europäischen Eliten sind diejenigen, die immer so weitermachen. Ich gehe aber davon aus, dass wir hier eine Zeitenwende erleben werden mit der Europawahl im Mai, weil da ist ja nicht nur die AfD. Da sind andere europäische Parteien wie in Österreich die FPÖ, in Italien die Lega und viele andere mehr. Wir gehen davon aus, dass diese Parteien einen großen Wahlerfolg erzielen werden, und dann wird auch eine andere Stimme, nämlich hin zu einem Europa der Vaterländer, das in friedlicher Kooperation zusammenarbeitet, diese Stimme wird dann stärker werden, und dann kann diese Zeitenwende eingeleitet werden. Das ist eine Frage der Wahlergebnisse.
    Heinemann: Das ist Ihre Spekulation. Wenn das nicht passiert, dann wäre nach der Logik des Leitantrages im Jahr 2024 Schluss?
    Meuthen: Nach der Logik des Leitantrages ja; nach der Logik des Programms, das nun in Riesa endgültig verabschiedet wird, aller Voraussicht nach, nicht, denn ich gehe sehr stark davon aus, dass ich mich mit meinem Antrag durchsetze. Aber selbst dann, wenn ich mich damit durchsetze, ist es so, dass, wenn es in diese Richtung immer weiterginge, der Dexit irgendwann die logische Folge wäre, oder jedenfalls die Befragung der Bevölkerung - das ist das, was wir eigentlich wollen -, ob sie unter diesen Umständen einen Dexit will. Die EU muss umlernen. Wenn dieses Projekt Europäische Union ein Erfolgskonzept sein soll, dann muss es den Willen der Bürger abbilden. Ansonsten, wenn man sich da immer weiter entfernt, wird das schiefgehen. Das wollen wir nicht und da muss man dann irgendwann auch die Reißleine ziehen.
    Heinemann: Wie sollte Deutschland die EU verlassen?
    Meuthen: Oh, das ist nun wirklich Zukunftsmusik. In einem geordneten Prozess, wenn es denn dazu käme. Aber ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt für nicht sinnvoll, darüber, über die Modalitäten eines Ausstiegs nachzudenken, den wir ja im Kern gar nicht wollen.
    Heinemann: Aber wenn Sie über den Dexit nachdenken, müssen Sie doch auch darüber nachdenken, wie das geschehen sollte?
    Meuthen: Na ja. Wir erleben ja gerade eine Blaupause, wie es besser nicht funktioniert, mit dem Brexit. Hier versucht man, einen geordneten Prozess hinzubekommen, und das will so recht nicht klappen. Das liegt aber sehr stark daran, dass die EU den Briten auch sehr, sehr stark Druck macht, um es so unattraktiv wie nur möglich zu gestalten, denn man fürchtet natürlich, dass weitere dem Beispiel der Briten folgen könnten, und entsprechend sind die Konditionen, zu denen die Briten den geordneten Brexit vollziehen können, so unattraktiv, dass es im Gebälk dort sehr vernehmlich knirscht.
    Rückkehr zum Kern einer Wirtschaftsunion
    Heinemann: Wären Sie dafür, dass die Briten sich aussuchen können, unter welchen Umständen sie die EU verlassen?
    Meuthen: Ich wäre vor allen Dingen dafür, dass die Briten nicht so behandelt werden, wie sie behandelt werden, und ich wäre dafür, dass wir den Kern der Europäischen Union beibehalten, auch mit denen, die rausgehen. Das ist der Binnenmarkt, wenn wir nicht Binnenmarkt machen können, weil die Briten nicht mehr drin sind, aber dass wir hier Freihandelsbeziehungen haben. Das ist der Kern der europäischen Einigungsidee, wie wir sie in den 60er-Jahren hatten: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, dann Europäische Gemeinschaft. Das war ein sinnvolles Projekt und ich meine nicht, dass man diejenigen, die jetzt raus wollen aus der Europäischen Union, damit abstrafen sollte, dass man ihnen solche Steine in den Weg legt.
    Heinemann: Herr Meuthen, die AfD fordert eine Abschaffung des Europäischen Parlaments. Wieso möchte die Partei dann überhaupt Parlamentarierinnen und Parlamentarier in ein, als undemokratisch empfundenes Parlament entsenden?
    Meuthen: Deswegen, weil man diese Positionen da vertreten muss. Denn wenn wir das nicht tun, werden dort lauter Leute sitzen, die immer so weitermachen wollen. Das ist eine Geschichte, die man auch erklären muss. Schauen Sie, man sagt natürlich, ein gewähltes, ein direkt gewähltes Parlament, das sei sehr demokratisch. Schauen wir aber mal etwas genauer hin: Wer braucht ein Parlament? - Staaten brauchen ein Parlament. Deswegen: Wenn wir ein Europäisches Parlament haben, das es ja erst seit 1979 gibt, dann geht das in Richtung der Vereinigten Staaten von Europa. Wir wollen die Europäische Union reduzieren auf eine supranationale Organisation, zu im Wesentlichen ökonomischer Kooperation, vergleichbar mit etwa der UN. Da haben wir auch kein Parlament, da haben wir eine Vollversammlung. Oder mit der NATO, da haben wir einen NATO-Rat. Die haben alle kein Parlament, weil das auch von den Nationalstaaten gesteuert wird, und das wollen wir hier auch. Das heißt, der natürliche Entscheidungsträger in der Europäischen Union, so wie sie uns vorschwebt, ist der Rat und nicht etwa das Parlament.
    Heinemann: Trotzdem wollen Sie Parlamentarier in dieses Parlament entsenden. Spielen dabei die Aussichten auf Diäten bei Ihren demokratietheoretischen Überlegungen auch eine Rolle?
    Meuthen: Das möchte ich nun mal wirklich ausschließen. Darum geht es nicht, sondern es geht darum, diese andere Sicht von Europa wirklich durchzubringen. Das ist der Punkt. Wenn wir nun scharf wären auf Diäten, dann würden wir uns auch nationalstaatlich darum kümmern, möglichst schnell an die Futtertöpfe zu kommen, zu regieren und sonstiges. Wir machen Politik als neue Partei mit Herzblut, weil wir mit der vorherrschenden Politik nicht einverstanden sind. Das ist die Idee, die uns eint. Und es geht hier nicht darum, möglichst schnell an die Futtertöpfe zu kommen - weiß Gott nicht!
    Heinemann: Der AfD-Bundessprecher und Spitzenkandidat für die Europawahl Jörg Meuthen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Meuthen: Ich danke Ihnen! Einen schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.