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Europapolitik von FPÖ und ÖVP
"Man muss sie an ihren Taten messen"

Auch wenn die FPÖ ein stramm ausländerfeindliches und zum Teil auch rassistisch gefärbtes Programm habe: Angst haben müsse man vor der neuen österreichischen Regierung aus ÖVP und FPÖ nicht, sagte der SPD-Politiker Jo Leinen im Dlf. Auch in Brüssel habe man gelernt, nicht gleich mit dem Vorschlaghammer zu kommen.

Jo Leinen im Gespräch Tobias Armbrüster |
    ÖVP und FPÖ präsentierten auf dem Kahlenberg nach der gestrigen Einigung genau zwei Monate nach der Wahl das regierungsprogramm der türkis-blauen Koalition. Die designierten Regierungschefs, Sebastian Kurz, Bundeskanzler (L/ÖVP), Heinz-Christian Strache Vizekanzler (R/FPÖ)
    Die designierten Regierungschefs, Sebastian Kurz, Bundeskanzler (ÖVP), Heinz-Christian Strache Vizekanzler (FPÖ) (imago / Georges Schneider )
    Tobias Armbrüster: Kurz vor der Sendung habe ich mit dem SPD-Politiker Jo Leinen gesprochen. Er ist seit 1999 Abgeordneter im Europäischen Parlament und er verfolgt die europapolitische Debatte rund um die FPÖ deshalb schon seit einiger Zeit. – Schönen guten Abend, Herr Leinen.
    Jo Leinen: Guten Abend.
    Armbrüster: Herr Leinen, Jean-Claude Juncker, der klang da ja heute Abend überraschend positiv. Heißt das, diese neue Regierung in Wien, diese Regierung aus ÖVP und FPÖ, die wird in Brüssel jetzt voll akzeptiert?
    Leinen: Ich glaube, was heute Abend in Brüssel stattgefunden hat, ist etwas Vorschusslorbeeren und auch ein bisschen gute Miene zum bösen Spiel. Jean-Cloud Juncker war natürlich höflich und hat den Regierungschef aus Österreich diplomatisch empfangen. Aber bei den Fragen der Journalisten hat man schon gemerkt, dass es auch Themen gibt, die noch mal Reibungen mit sich bringen werden in den nächsten Monaten.
    "Wollen sie Europa kaputt machen und zerstören?"
    Armbrüster: Woraus schließen Sie das?
    Leinen: Da ist die FPÖ im Europaparlament in einer Fraktion zusammen mit Marine Le Pen und Geert Wilders immerhin in einer Fraktion, die Europa nicht reformieren will, sondern die EU zerstören will. Und der Koalitionspartner von Herrn Kurz muss sich dann schon bald mal entscheiden, was sie wollen: Wollen sie Europa reformieren, oder wollen sie doch Europa kaputt machen und zerstören. Diese Frage kommt schon mal auf den Koalitionspartner zu.
    Das Zweite ist dann das Top-Thema dieser neuen österreichischen Regierung. Das heißt Subsidiarität. Das ist natürlich sehr schön und gut, aber dahinter verbirgt sich eine Renationalisierung, während Herr Macron gerade in Brüssel groß aufläuft mit einem Programm für mehr Europa. Die einen wollen weniger Europa, die anderen wollen mehr Europa. Da werden wir noch hitzige Debatten erleben.
    Armbrüster: Aber Subsidiarität, das würden ja auch viele andere europäische Parteien sich auf ihre Fahnen schreiben. Ich will mal so fragen: Kann man der FPÖ denn tatsächlich außer dieser Mitgliedschaft in einer möglicherweise etwas fragwürdigen Koalition im Europäischen Parlament, kann man dieser Partei eigentlich irgendwas vorwerfen?
    Leinen: Na gut, sie hat ein stramm ausländerfeindliches und zum Teil auch rassistisch gefärbtes Programm.
    Armbrüster: Aber sie hat sich klar zu Europa bekannt.
    Leinen: Ja! Aber Europa hat auch Werte. Europa hat Prinzipien. Man kann ja für Europa sein und trotzdem ein Rassist sein. Das geht auch, wie wir gesehen haben. Andere bringen das Kunststück ja auch fertig. Österreich hat dann in sechs Monaten die Präsidentschaft der EU. Da müssen sie Farbe bekennen. Sie müssen dann der Sachwalter der europäischen Interessen sein und nicht der Parteiinteressen, die aus dem österreichischen Wahlkampf heraus kommen.
    Man gibt sicherlich dieser Regierung Vorschusslorbeeren, weil der junge Kurz, der Regierungschef, sich als Proeuropäer outet, sicherlich auch einer ist. Aber ob er seinen Koalitionspartner im Zaum hat, die das Innenministerium haben, die das Verteidigungsministerium haben, die das Außenministerium haben, also drei Schlüsselministerien, die Ausstrahlung nach Europa besitzen, das wird man noch mal sehen müssen.
    "Man muss sie genau beobachten"
    Armbrüster: Herr Leinen, muss denn irgendjemand in Europa wirklich Angst haben vor dieser Regierung?
    Leinen: Ich glaube nicht, dass man Angst haben muss. Man muss eigentlich vor niemand Angst haben, aber man muss sie genau beobachten und man muss sie an ihren Taten messen. Das werden wir ja dann in der Praxis erleben, ob dieses europafreundliche Image, was sie sich jetzt geben, ob das hält. Es gibt ja Mahnungen vom österreichischen Präsidenten bis zu anderen, die sagen, wir haben es hier mit einer Regierung zu tun, die einige Dinge auf dem Panier hat, die uns nicht gefallen können. Es ist bei der Ausländerfrage sicherlich genau hinzusehen, ob die Genfer Flüchtlingskonvention, die Charta der Bürgerrechte in der Europäischen Union, ob das wirklich eingehalten wird, oder ob wirklich hier mit scharfer Klinge gegen Andersdenkende und Menschen aus anderen Ländern vorgegangen wird.
    Armbrüster: Was Sie da jetzt äußern, Herr Leinen, das sind natürlich alles Befürchtungen. Das sind Projektionen in die Zukunft. Könnte es denn nicht einfach sein, dass die FPÖ auch in den letzten 10, 20 Jahren einen Reifungsprozess durchgemacht hat und inzwischen eine seriöse Partei ist?
    Leinen: Ich würde sagen, seit Jörg Haider im Jahre 2001 hat sich die Wortwahl nicht verändert, aber wir in Europa haben uns daran gewöhnt, dass diese Töne dann auch öfters gehört werden. Wir haben ja den Herrn Orbán direkt nebenan in Ungarn, wir haben den Herrn Kaczynski in Polen. Ich sage mal so: Man hat sich in den letzten 15 Jahren daran gewöhnt, dass Dinge attackiert werden in Europa, die früher Tabu waren und es gibt viele Tabubrüche. Die Europäische Union hat allerdings einen Wertekanon und man ist Mitglied in einem Club, und in diesem Club muss man sich dann auch so verhalten, wie die Regeln des Clubs sind. Eine Partei kann ja in Österreich sagen was sie will, aber wenn sie europäisch auftritt, dann kommt sie unter die Kuratel und unter die Kontrolle auch, die man in einer solchen Union auch durchführen muss.
    Armbrüster: Aber wir können schon sagen, die EU zumindest, die hat aus den Fehlern des Jahres 2000 gelernt. Sonst würde sie heute wieder Sanktionen verhängen?
    Leinen: Ja, genau. Die EU hat auch gelernt. Man hat damals die Regierung in Österreich sanktioniert, bevor sie überhaupt begonnen hat, etwas zu machen. Das war sicherlich falsch. Und jetzt auch Herr Juncker und Herr Tusk haben gesagt, willkommen in Europa, wir begrüßen euch und wir messen euch an euren Taten. Das ist auch richtig so. Man hat auch in Brüssel gelernt, nicht gleich mit der Nuklearbombe zu kommen und mit dem Vorschlaghammer, sondern auch schon mal Vorschusslorbeeren zu geben und den guten Willen zu unterstellen. Aber man darf auch seine Sorge Ausdruck bringen, wenn man hört, was die Menschen, also diese Politiker, dann über die Jahre geäußert haben.
    "Wir haben ja andere, die nicht minder problematisch sind"
    Armbrüster: Können wir denn dann zumindest sagen, Sie würden dieser Regierung eine Chance geben?
    Leinen: Ja, klar! Wir haben ja andere, die nicht minder problematisch sind. Insofern haben wir schon fast einen Gewöhnungsprozess in der EU, dass es Rechtsausleger und Populisten gibt. Österreich hat wie gesagt in sechs Monaten die Präsidentschaft der EU, und da kommt die Bewährungsprobe. Wie werden sie sich da verhalten? Werden sie der Sachwalter europäischer Interessen sein, oder werden sie engstirnig Parteiinteressen und österreichische Interessen verfolgen? Der junge Regierungschef Kurz darf sich jetzt eingewöhnen. Er darf sich warm laufen. Ab 1. Juli 2018 hat er die Führung der ganzen EU, dieser 28 Länder, und das ist der Lackmustest, wo wir mit dieser österreichischen Regierung stehen.
    Armbrüster: Jo Leinen, vielen Dank für dieses Gespräch.
    Leinen: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.