Ein junger Ingenieur aus Noworossijsk, der wichtigsten Industriestadt an der russischen Schwarzmeerküste:
"Das Wasser, das Meer, spielt eine Hauptrolle in unserem Leben. Aber unsere Bucht hat kein klares Wasser, sie ist schmutzig. Leider. Der Handelshafen ist wichtiger. Da kommt das große Geld herein…"
Und eine junge Journalistin, die mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg in Abchasien flüchten musste:
"Wir hatten alles, ein schönes Haus, ein Auto, meine Eltern hatten eine gute Arbeit. Wenn wir uns treffen, reden wir endlos. Wie schön es war in Suchumi und in Abchasien... In Poti hier gibt es ein Meer und ich bin jeden Tag da, weil ich es vermisse..."
Europas neue Ufer. Eine Rundreise um das Schwarze Meer. Gesichter Europas heute mit dem zweiten Teil: von Sewastopol in der Ukraine nach Samsun in der Türkei. Eine Sendung von Tom Schimmeck. Am Mikrophon begrüßt Sie Simonetta Dibbern.
Es gibt wenige winzige Inseln im Schwarzen Meer. Dafür eine große und bedeutende Halbinsel: die Krim. Schwarzes Meer auf der einen, Asowsches Meer auf der anderen Seite. Seit Jahrtausenden heiß umkämpft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Halbinsel zur autonomen Republik innerhalb der Ukraine. Die Krim – ein extremes Beispiel en miniature für die gesamte Schwarzmeerregion: Völker kommen und gehen, die Religionen wechseln, Mächte prallen aufeinander. Die Krim, sagt der britische Journalist Neal Ascherson, gehört jedem und niemandem.
Die Hafenstadt Sewastopol ist noch heute Sitz der russischen Schwarzmeerflotte. Ein Vertrag regelt die Nutzung des inzwischen ukrainischen Hafens bis 2017. Ob und wie Moskau und Kiew sich dann einigen werden, ist ungewiß.
Die geöffnete Festung
So wunderschön, so friedlich, Natascha schwärmt von ihrer Heimatstadt. Gewiss habe sich enorm viel verändert.
Aber trotzdem bleibt Sewastopol ein Ort einer eigene Seele, mit einer sehr speziellen Geschichte, mit einer besondern Schönheit und ganz besonderen Bewohnern.
Natascha, 31 Jahre alt, sitzt auf dem offenen Deck der kleinen Fähre, die Süd- und Nordufer der großen Bucht verbindet. Es ist warm und windstill. Eine milde Abendsonne scheint. Am Nachbartisch genießen zwei Männer ihr Feierabendbier.
Natascha ist ein Kind der Marine, heute selbst Dozentin an der Marineakademie. Sie hat ihr Leben hier verbracht, in der "Heldenstadt", wie man in der Sowjetunion sagte. Viele Hundert Denkmäler erinnern in Sewastopol an Kriegsgräuel: An die furchtbare Belagerung im Krimkrieg 1854/55. An den Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht, die hier 1942 alles kaputt schoss.
Bis 1995 war Sewastopol eine geschlossene Stadt, eine militärische Festung, nur mit Sondergenehmigung zu betreten. Man kann es sich kaum mehr vorstellen. Natascha schaut sich um, sichtlich zufrieden.
"Viel Platz hier, viel Wasser, viel Grün, Bäume, Schiffe am Ufer, Kräne – denn hier wird auch gearbeitet. Die Kuppel der Kathedrale oben auf dem Hügel. Das ist ein schönes Symbol."
Tatsächlich. Sewastopol ist hübsch. Freundlich. Friedlich. Überraschend zivil für eine just geöffnete Militärbastion. Obwohl die russische Schwarzmeerflotte noch immer hier liegt. Wie auch Teile der ukrainischen Marine. Es wimmelt auf den Straßen und Märkten von großen weißen Mützen. Die Einheimischen können an Uniformdetails erkennen, wer zu welchem Schiff, gehört. Unzählige graue Kriegsschiffe sieht man in der lang gezogenen Bucht. Etliche rosten vor sich hin.
In Zeiten rasanten Wandels muss jeder seine Identität neu zusammenstellen. Was ist russisch? Was ukrainisch? Die agile, lebenslustige Natascha sieht sich als Ukrainerin. Aber sie fühle auch ihre russischen Wurzeln, sagt sie lachend. Und ihr russisches Blut. Sie sei wohl so etwa 75 Prozent russisch.
"Es ist keine Bürde, es ist unser Stolz. Auch wenn neuerdings etliche Leute versuchen, das umzudrehen, daraus etwas anderes zu machen. Ich glaube, da muss ich nicht jonglieren. Das mischt sich ganz natürlich. Ich fühle keine inneren Kämpfe, der Druck kommt wohl eher von anderen. Ich denke von selbst kaum darüber nach. Aber manchmal werde ich von außen dazu gebracht."
Gerade auf der Krim brechen diese Konflikte immer wieder auf; Ost gegen West. Gestern gegen Heute. Verschiedene Ideale. Verschiedene Interessen. Verschiedene Sprachen: Russisch oder Ukrainisch? Das immerhin ist in Sewastopol keine Frage: Hier wird Russisch gesprochen.
In einer Gasse am Hafen spielt ein Flötenspieler die russische Hymne. Ein schlanker, in sich gekehrter junger Mann, der an einer Hausmauer lehnt. Natascha bleibt einen Augenblick stehen, spricht mit ihm. Nikolai heißt er, ist hier geboren. Warum er die Hymne spielt, will Natascha wissen.
"Ich weiß es nicht", sagt er, "wahrscheinlich aus einer Nostalgie heraus..."
Am Ende der Gasse, an einem großen Platz, ragt die neue McDonalds-Filiale auf. Ein beliebter Jugend-Treffpunkt. Vor dem hell erleuchteten Fastfood-Palast hocken einige ältere Damen, die frische Blumen verkaufen, um ihre Rente aufzubessern. Natascha wählt einen Platz auf der Terrasse, wählt einen Cappuccino.
"Es war eine glückliche Kindheit. Wir haben viel unternommen, hatten viel Spaß, es gab immer irgendetwas, die Schule hat eine Menge für uns organisiert. Natürlich gab es Disziplin, das ist ja auch normal, nichts Negatives. Auch nichts Militärisches. Wir waren nicht allzu beengt. Sicher gab es Einschränkungen, wer die Stadt besuchen durfte. Etwa für die Verwandten. Aber das hat unser Leben nicht verdüstert oder uns gar das Gefühl gegeben, in einem Gefängnis zu leben oder in einer Kaserne."
Die Schule hat sie mit einer Goldmedaille verlassen. Wenn ich mein Leben hier verbessern will, sagte sich Natascha, muss ich es auf meine Weise machen. Also hat die 75-Prozent-Russin an der Universität Englisch und Spanisch studiert. Eine Verräterin? Nein, meint sie lachend. Das Neue sei doch überall.
"Die Stadt ist sehr aktiv: Viel Internet, Mobiltelefone – sogar die Älteren haben jetzt welche –, moderne Musik, DJs..."
Sie pickt sich heraus, was passt. Verkörpert diese eigentümliche Mischung – einerseits stolz auf die Tradition, auf die Marine, andererseits entdeckungsfreudig, westwärts gewandt, unternehmungshungrig. Veränderung ist die Konstante. Politik? Da ist sie sehr ernüchtert. Die gängige Haltung hier. Sie will Geld verdienen. Sie will eine bessere Zukunft. Aber bitte keine, die die Vergangenheit ganz auslöscht.
"Es wird sich sehr verändern, aber wie? Ich kann das nicht vorhersagen. Ich hoffe nicht dramatisch. Die Seele der Stadt soll bleiben."
Ob sie in zehn Jahren noch hier ist?
"Ich weiß es nicht. Doch sicher. Zumindest zu Besuch."
Literatur
Die Krim: das Tauris der Antike. Dieses mediterrane Ornament am rauen russischen Festland, um welches alle Völker kämpften, die ums Schwarze Meer herum gelebt haben. Einstmals ein freies Königreich, geriet es nacheinander in die Hand der Herakliden, des Methidrates, der Alanen, Goten, Hunnen, Ungarn, Türken und Genuesen. Mohamed II. machte aus der Krim eine reiche Provinz des Osmanischen Reiches; Katharina II. verleibte sie 1791 dem Russischen Reich ein.
Die Krim war ein Land, wo die Götter sich mit den Menschen trafen. Die Alten glaubten hier den Eingang zur Unterwelt. War es nicht Tauris, wo Iphigenie, Tochter Agamemnons und der Klytaimnestra, ihren Bruder Orestes der Göttin Artemis zum Opfer bringen sollte? Hierhin auf die Krim flohen die russischen Zaren und Potentaten vor der Kälte des nordischen Winters.
Auf der Krim trafen sich Europa und Asien. Man kam durch tatarische Dörfer, griechische Häfen, sah orientalische Moscheen, russisch-orthodxe Klöster, jüdische Synagogen. Selbst die Pferde waren hier mit allen vorkommenden Rassen vertreten, von den kleinen Kosakengäulen über die schweren belgischen Kaltblüter bis zu den edelsten arabischen Hengsten.
Der französische Schriftsteller Jules Verne schickt einen türkischen Tabakhändler einmal ums Schwarze Meer, in seinem Roman "Keraban der Starrkopf", geschrieben 1883. Welche grundlegende Umwälzungen die Region im folgenden Jahrhundert erlebte, hätte wohl selbst die Phantasie eines Jules Verne überstiegen.
In der Synagoge von Kertsch
Um quer über die Krim, diese riesige Halbinsel, zu reisen, mit meist klapperigen Sammeltaxis und Kleinbussen, braucht man einen langen Tag. Die Küste entlang windet sich die Straße nach Jalta. Ein klingender Name. Aber kein besonders schöner Anblick. Plattenbauten beherrschen das Panorama.
Nach Osten hin wird die Landschaft allmählich offener. Die Steppe beginnt. Vereinzelt sieht man neue Moscheen aufragen: Die Gotteshäuser der heimkehrenden Krimtataren.
Auf dem östlichsten Zipfel liegt Kertsch. Eine Grenzstadt. Derber und lauter als die feinen Badeorte. Hier wird geschuftet, getrunken und gespielt. Am gegenüberliegenden Ufer, auf der anderen Seite der Straße von Kertsch, liegt Russland. Nach Norden erstreckt sich, 340 Kilometer weit, das flache Asowsche Meer, nach Süden das tiefe Schwarze Meer. Archäologische Spuren bezeugen, dass hier schon vor dreieinhalb Jahrtausenden Menschen siedelten. Dass dies ein wichtiger Handelsort zwischen Europa und Asien war, an dem es Getreide gab, eingesalzenen Fisch und Wein. Griechen, Hunnen, Tartaren, Genueser, Osmanen, Russen und andere Völker eroberten die Gegend. Im Krimkrieg kamen die Briten. Im Zweiten Weltkrieg gleich zweimal die Deutschen. Fast alle der 7000 Juden in Kertsch wurden ermordet. Die Grabsteine des großen jüdischen Friedhofs später benutzt, um Straßen zu pflastern und Mauern zu ziehen.
Und doch gibt es jüdisches Leben in Kertsch. Von der Marxallee geht die Uliza Tsiolkowskogo ab, eine stille Straße. Linker Hand findet sich die alte Synagoge. Seit sechs Jahren ist sie wieder geöffnet.
"Wir sind im Gebetshaus der Handwerker von Kertsch, erbaut 1889."
Im ersten Stock hält Valentina Poliakowa die Geschichte wach. Sie freut sich über Besuch an diesem stillen Ort, springt von ihrem Tisch auf, begierig, die ganze Geschichte zu erzählen. Valentina nimmt einen Zeigestock zur Hand, wie eine altmodische Lehrerin. Doch ihr freundliches Lächeln nimmt dem Auftritt alle Strenge.
"Ende des 19. Jahrhunderts prosperierte die jüdische Gemeinschaft hier. Aber auch in dieser Zeit gab es Pogrome. Dies ist das Bild von Nikolai Kiritschemka, eines Ukrainers, der verstand, wie dumm und gemein es ist, Menschen umzubringen, weil sie Juden sind. Er verteidigte sie und wurde schließlich selbst umgebracht."
So bunt das Völkergemisch am Schwarzen Meer, so vielfältig ist auch die Herkunft der Juden: Griechisch sprechende Juden aus dem Mittelmeer lebten hier, Juden aus Byzanz, aber auch einheimische Juden von der Krim, Krimtschaken genant. Dazu Karäer, auch Karaiten genannt.
Valentina hat das alles parat. Lange hat sie gesammelt und in den Archiven gewühlt, bis genug Material für dieses kleine Museum beisammen war – das erste Museum von Juden in der Ukraine. Die ersten Zeugnisse jüdischen Lebens in Kertsch stammen aus dem 1. Jahrhundert vor Christus.
"Diese Tafeln erzählen vom Zweiten Weltkrieg, vom "großen patriotischen Krieg", wie wir hier sagen. Dies sind Bilder von Leuten, die im Krieg gekämpft haben. Und hier sind Portraits jener Rechtschaffenden, die Juden während der Besatzung gerettet und zum Teil dafür ihr Leben geopfert haben."
Aber die meisten wurden nicht gerettet. Die "Einsatzgruppe D" wütete hier mit ihren Gaswagen. Im November 1941 wurden in der Nähe von Kertsch 7000 Menschen ermordet, darunter 2500 Juden. 1942 wurden alle Krimtschaken umgebracht. Bei der Befreiung von Kertsch gab es in der ganzen Stadt noch 34 lebende Menschen.
Unten im Gebetsraum beginnt der Gottesdienst. Es ist eine progressive Gemeinde, da wird alles nicht so streng genommen. Zwei ältere Herrschaften plaudern während des Gesangs miteinander. Zwei kleine Jungs werfen sich während der Predigt Zettelchen mit Botschaften zu. Dann versammelt sich die kleine Schar um eine Tischtennisplatte, auf der Getränke in Plastikbechern, Brot und Süßigkeiten bereitstehen. Alle trinken einen Schluck, nehmen einen Bissen. Dann streben sie auseinander.
Nur ein alter Mann bleibt noch einen Moment zurück. Ein ehemaliger Rabbi. Er stammt aus der Westukraine, kam erst im vorherigen Jahr nach Kertsch, weil seine Tochter hier im Sterben lag. Im Krieg wurde er verwundet, war im Ghetto gefangen.
"Während er sich freundlich, fast überschwänglich verabschiedet, verfällt er ins Jiddische: Ich weiß nicht was Gott gewollt hat. Ich habe Glück gehabt, bin am Leben geblieben, sagt er und geht mit schlurfenden Schritten davon."
***
Mit der Unabhängigkeit der Nachbarstaaten Ukraine und Georgien ist Russland nur noch ein schmaler Streifen Schwarzmeerküste geblieben, zwischen der Halbinsel Taman und der Stadt Adler, rund 500 Kilometer.
Viel Platz für Badevergnügen bleibt da nicht. Zumal das Geschäft mit dem Öl an den Küsten mehr zählt als das mit dem Tourismus.
Im März dieses Jahres einigten sich Russland, Bulgarien und Griechenland auf den Bau einer neuen Pipeline vom bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas zum griechischen Mittelmeerhafen Alexandroupolis. Der Bosporus ist zu eng geworden für die vielen Tanker. Nach der Fahrt übers Schwarze Meer soll der Rohstoff an Land weiter befördert werden. Die Unternehmen in der russischen Hafenstadt Noworossijsk werden davon vielleicht profitieren. Die Bevölkerung vermutlich nicht.
Geölte Natur
Schnell hat die Fähre die Straße von Kertsch überquert. Die Fußgänger drängen von Bord, die Fahrzeuge schieben hinterher. Als letztes rollt der Linienbus Simferopol-Noworossijsk an Land.
Streng sind die Grenzkontrollen, die Schlangen lang und starr. Russland hat es seinen Bürgern noch nie leicht gemacht. Und den Fremden schon gar nicht. Doch selbst hier nimmt die Bürokratie irgendwann ein Ende.
Es kann weiter gehen. Vorbei an neuen Tanks und Terminals, die die schöne Halbinsel Taman zu verpesten drohen, Richtung Noworossijsk. Die einzige veritable Industriestadt zwischen all den Badeorten an der Küste.
Am Busbahnhof ist ein Mann mit Gitarre unterwegs. Leichtfüßig bewegt er sich von einem wartenden Bus zum nächsten, singt ein Lied, sammelt ein paar Rubel ein, geht schnell weiter.
Der junge Mann heißt Mischa, ist 32 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Noworossijsk und studierter Ingenieur. Er kann Computer reparieren und Webseiten programmieren. Manchmal verdient er auf diese Weise Geld. Manchmal spielt er Gitarre am Busbahnhof. Nur dort ist Musizieren noch möglich. Anderswo wird er sofort verjagt. Er lächelt ein scheues Lächeln und streicht mit der Hand über seine Gitarre. Kunst interessiere die Stadtoberen nicht. Lieber ließen sie die Straßen neu pflastern und noch mehr Denkmäler bauen. Auf Anordnung aus Moskau. Die Fassade muss stimmen.
"Der typische Mensch in unserer Stadt arbeitet hart, arbeitet und arbeitet und nach der Arbeit guckt er Fernsehen, trinkt ein Bier und raucht und läuft die Hauptstraße rauf und runter. Er geht in die Disco, wenn er jung ist oder in den Club. Leider sind sehr wenige Leute an Kunst, oder Wissenschaft oder globalen Problemen interessiert. Dies ist eine Arbeiter-Stadt."
Mischa hat sich zum Ausruhen auf eine Bank gesetzt, auf dem Heldenplatz im Zentrum. Irgendeinen Job kriegt man immer, sagt er. Eine andere Frage sei, ob das Einkommen auch zum Leben reiche. Andererseits ist ihm Geld auch nicht so wichtig. Der Ingenieur ist ein unkonventioneller Typ. Nachdenklich, mit gutem Humor. Außerdem ist er ein Öko.
"Zuallererst liebe ich die Natur. Ich fahre gerne aufs Land. Früher war die Natur üppig, nicht so von Asphalt bedeckt. Aber es ist ein interessanter Ort, der Anfang der kaukasischen Berge. Eine Menge verschiedener Landschaften kommen hier zusammen, Täler, Berge, Flüsse, Wälder, das Meer natürlich. Natur eben. Und die Leute werden von der Sonne gewärmt. Das ist schon schön. Das gibt den Menschen einen speziellen Charakter."
Das Bewusstsein für Naturschönheiten ist in Noworossijsk stark unterentwickelt , sagt Mischa. Sein Blick schweift über die Bucht, zur anderen Seite der Stadt. Zu "jener Seite", wie man hier etwa verschämt sagt: Es ist eine graue Hafen-Landschaft voller Schuppen, Silos und Tanks, in der sich Züge, Lastwagen und Schiffe bewegen. Riesige Flächen an den Berghängen darüber sind grau und kahl – abgeschabt von der Zementindustrie. An der Spitze der Bucht ragen dicke Bündel silbrig glänzender Rohre ins Meer – die Ausläufer einer Öl-Pipeline des russischen Monopolisten Transneft, der Öl vom kaspischen Meer herbeipumpt und auf Tanker verlädt.
"Das Wasser, das Meer, spielt eine Hauptrolle in unserem Leben. Weil es ein Ort der Freude ist. Man kann darin schwimmen. Aber unsere Bucht hat kein klares Wasser, sie ist schmutzig. Leider. Der Handelshafen ist wichtiger. Da kommt das große Geld herein. Das ist ein Geschäft."
Mischa muss aufbrechen. Seine junge Frau und zwei Töchter, beide noch Babys, warten auf ihn. Die Familie wohnt bei seiner Mutter. Drüben, auf "jener Seite". Für eine eigene Wohnung reicht es noch nicht.
Neun Stunden braucht der Bus, eine rote Schuhschachtel Marke Ikarus, für die nächsten 299 Kilometer. Mühsam quält er sich durch die Serpentinen, eine Qualmwolke hinter sich herziehend. Die Gänge krachen. Aber der Motor läuft.
Sotschi hingegen ist eine Stadt der Künstler. Der Musiker, Dichter, auch der Filmemacher, die sich hier jeden Sommer zu einem Festival treffen.
Dann wird vor den Säulen des prächtigen Wintertheaters eine riesige Leinwand aufgebaut. Der große Platz füllt sich mit vielen Menschen, die neueste russische Produktionen bewundern.
Sotschi ist Russlands südlicher Stolz, die Ferienhauptstadt am Schwarzen Meer. Sotschi boomt. Abends rollen schwere, teure Wagen über die Hauptstraße nahe des Hafens. Das Meeresufer im Zentrum ist ein Jahrmarkt der zuckenden Lichter, endlos reihen sich Boutiquen und Discos aneinander. Viele der großen alten Sanatorien sind zu modernen Hotels umgebaut. Oder werden es gerade. Überhaupt baut man und baut und baut. 2014 sollen hier die olympischen Winterspiele stattfinden. Bis dahin wird noch viel Beton vergossen werden.
"Sotschi habe sich sehr verändert, sagt Kapitän Fjodor Fjodorwitsch, der gerade sein Ausflugsschiff für Touristen startklar macht. Es gäbe keine Parks und Plätze mehr, auch kaum Strände, wo Leute schwimmen können.
Der alte Seebär stammt aus Sibirien, hat lange Jahre alle Ozeane befahren. Und eigentlich ist er gern hier am Schwarzen Meer."
Denn das, sagt Fjodorwitsch, sei eine freundliche und schöne See.
"Es ist keine gute Zeit. Es gibt zu viele neue Gebäude, die von reichen Leuten gebaut werden. Die schönen Parks und Plätze verschwinden. Der Park hier vorne, da stehen jetzt Restaurants und Café und bald hohe Gebäude. Und die Straßen sind schmutzig."
Boris Nikolajewitsch, 72, der am Hafen steht und angelt, stößt ins gleiche Horn wie der Kapitän:
"Vor 20 Jahren gab es viele Schiffe, die von hier aus fuhren. Heute gibt es nur noch Jachten. Normale Leute können kein Schiff mehr nehmen, nur den Bus."
Sein Großvater war einst ein reicher Mann, besaß Kühe und Weinberge. Dann wurde der Opa in eine Kolchose gezwungen. Er selbst hatte ewig kein eigenes Heim. Das änderte sich erst zu Gorbatschow-Zeiten. Da bekam er ein Haus und gute Arbeit. Das Gesicht von Boris Nikolajewitsch hellt sich auf, als er auf die besten Zeiten seines Lebens zu sprechen kommt. Aber es verdüstert sich wieder, sobald die Rede auf die Gegenwart Sotschi kommt.
"Ich weiß, wer die Könige von Sotschi heute sind, aber ich sage es nicht", sagt er mit einem leicht gequält wirkendem Lachen. "Ich will leben und ich habe Kinder."
Literatur:
Jetzt ging es nach Südosten auf die kaukasische Küste zu. Der Wagen rollte ohne größere Aufenthalte voran. In Kertsch hatte sich alle gut ausgeruht, jetzt vertrugen sie wieder 2 Tage auf der Achse.
Am Abend erreichten sie Rajewskaja und hatten damit die Grenze des Kaukasusgebietes überschritten.
Der Kaukasus ist eine hohe Gebirgsschranke zwischen dem schwarzen und dem Kaspischen Meer. Er trennt das Gebiet der Donkosaken und die Steppen der Kalmücken und Nogais im Norden von Georgien im Süden. In diesem Gebiet, aus dem nach einigen Anthropologen überhaupt die weiße Rasse stammen soll, deshalb auch die kaukasische genannt – das können wir sicher darauf zurückführen, dass Noah während der Sintflut mit seiner Arche südlich des Kaukasus am Ararat auf Grund lief und von dort aus die Menschheit neu erschaffen musste -, in diesem Gebiet also tummeln sich jetzt die verschiedenartigsten Rassen, Völker und Stämme: Tataren, Armenier, Tscherkessen, Kosaken, Osseten, Tschetscheten, Kalmücken, Perser, Türken, Nogais, Georgier und Juden. Selbst einen Schwaben soll es – zuverlässigen Reiseberichten nach – dort geben.
Friedlich war es selten an der Schwarzmeerküste. Doch über Jahrhunderte arrangierten sich die Küstenbewohner mit den jeweils herrschenden Mächten ebenso wie mit den benachbarten Völkern: denn sie identifizierten sich über ihre Region, ihre Küste, ihre Berge, ihr Land. Die moderne Vorstellung eines ethnisch definierten Nationalstaats brach Anfang der 90er Jahre über kaum ein Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit solcher Heftigkeit hinein wie über den Kaukasus: Abchasien, Ossetien und Nagorny-Karabach waren Schauplätze erbitterter Kämpfe um Autonomie mit tausenden von Toten. "Frozen conflicts" werden die Krisenregionen heute genannt, kalte Konflikte, die sich jederzeit wieder entzünden können.
Die georgische Hafenstadt Poti hat – wie fast alle Städte am Schwarzen Meer – eine lange Geschichte. Die Griechen nannten die Siedlung Phasis, dies war der Legende nach der Ort, wo das goldene Vlies zu holen war. An der Mündung des Flusses Rioni gelegen, war Poti eine wichtige Station der antiken Seidenstraße, später wurde es eine türkische Festung, im Jahre 1828 nahm Russland die Stadt ein. Heute ist Poti Stützpunkt der georgischen Marineeinheit und ein aufstrebender Seehafen mit großen Zukunftsplänen. Doch Spuren der Vergangenheit sind überall zu finden.
Radio Harmony
Das Schiff, das sich gerade anschickt, in den Hafen von Poti einzulaufen, wurde noch in der DDR produziert: die "Greifswald". Eine mächtige Fähre, auf dem Hauptdeck drängen sich 5 lange Reihen Lastwagen. Eine Etage tiefer steht ein halber Bahnhof voller Güterwaggons.
Laut klackernd registrieren die alten DDR-Computer Marke Robotron jeden Befehl, jeden Kurswechsel. Fast zweieinhalb Tage war das Schiff unterwegs, vom ukrainischen Hafen Iljitschewsk quer übers Schwarze Meer bis zur georgischen Küste.
Nun schiebt sich die "Greifswald" langsam ans Kai. Ein mühsames Manöver. Alles muss genau passen. Schon wegen des Schienenanschlusses.
In einem alten Lada mit schwankenden Sitzen geht es zur "Ninth Wave Broadcasting Company", der Radio- und Fernsehstation mit englischem Namen, das gilt auch hier als schick. Sie residiert in einem verfallenden, bunkerartigen Gebäude, das vor sich hin schimmelt wie alles in Poti. Es regnet hier zu viel. Es gibt zu viele Tümpel und deshalb zu viele Mücken.
Bei Radio Harmony 100,3 läuft die Vormittagsshow. Eine junge Frau mit Kopfhörern sitzt im kleinen Studio, spielt Musik, nimmt Höreranrufe entgegen und verspricht eine Wetterbesserung. Manchmal wird es auch politisch.
Georgien erlebte 2003 die Rosen-Revolution, noch ein Jahr vor der "orangenen Revolution" in der Ukraine. "Radio Harmony" hat damals viel und begeistert berichtet. Jetzt, sagen die Radio-Leute, sei die Ernüchterung groß. Und jeder vollauf damit beschäftigt, die gute Laune nicht ganz zu verlieren.
Maia Kikalischwili macht bei "Radio Harmony" gerade ein Praktikum. Sie spricht gut Deutsch, war als Au-Pair-Mädchen in Deutschland. Sie stammt aus Abchasien, einer Region ein kleines Stück nördlich von Poti, die seit einem Krieg anno 1992 eine abtrünnige Republik von Moskaus Gnaden ist.
Maia war sechs, als sie aus ihrer Heimat fliehen musste, dem Ort Och’amch’ire, nicht weit von Sukhumi, der "Hauptstadt" von Abchasien. Einst eine Perle, jetzt ein Trümmerhaufen.
"Es war so schlimm, mein Bruder war einen Monat alt und meine Schwester war neun Jahre und wir konnten gar nicht verstehen, was da passiert. Diese Stimmen waren so schrecklich, als ob es fällt. Als ob etwas kommt. Es war so ein schreckliches Gefühl."
Was Maia "die Stimme" nennt, erklärt sie später, das war so "ein Geräusch, als ob gleich etwas auf einen fällt". Die Erinnerung an die Flucht macht sie unruhig, ihre Kopf sucht sich zwischen den Schultern zu verstecken, die Hände reiben über die Jeans.
"Nachts waren Sirenen – huhuhu. Das hieß, dass wir alle weggehen müssen, weil sie kommen. Eine Woche haben wir auf ein großes Schiff gewartet. Es kam. Aber es war kaputt. So kaputt, dass es nicht anlegen konnte. Dann waren wir sieben Tage in Suchumi. Bekannte haben geholfen. Das war etwas leichter. Aber dann haben sie gesagt, alles ist ok. Die Leute können wieder zurückkommen und leben und es gibt keinen Krieg mehr. .. Und wir zurückgegangen. Und es war wieder. Immer wieder. Diese Stimme und wieder die Sirenen. Wir sind dann mit dem Flugzeug zu meiner Oma und meinem Opa nach Senaki geflogen. Mein Vater hat gekämpft und er blieb. Dann kam er, er hatte eine Wunde im Fuß. Jetzt wohnen wir 14 Jahre in Tiflis."
Maia streift sich eine Öljacke über – für einen Rundgang durch das regennasse Poti. Wo Kühe auf der Straße herumlaufen und Schweine auf Bahngleisen spazieren gehen. Automobile Antiquitäten rumpeln durch Schlagloch-Pfützen. Nur das Gebäude der Hafenverwaltung verströmt Prosperität. Auch in Poti gibt es ein neues Ölterminal. Die Wohnhäuser sind grau. Überall tropft es. Nur selten sieht man eine frisch gestrichene Wand.
Die einzige Großbaustelle im Zentrum ist die orthodoxe Kirche, ein mächtiger Bau, der zu Sowjetzeiten allen möglichen Zwecken diente. Als Kino etwa. Und der nun wieder eine Kirche werden soll.
Im Nebenflügel wird schon ein Gottesdienst abgehalten. Maia bekreuzigt sich. In einem Café erzählt sie weiter. Vom Alltag ihrer Familie in der Hauptstadt Tiflis, die mit vielen anderen Flüchtlingen aus Och’amch’ire in einem Hochhaus wohnt.
"Wir hatten alles, ein schönes Haus, ein Auto, meine Eltern hatten eine gute Arbeit. Jetzt haben wir kein Haus, keine richtige Arbeit. Meine Mutter war acht Jahre ohne Arbeit. Für sie war das sehr schlimm."
Die Mutter war einst Buchhalterin, jetzt arbeitet sie als Friseurin, der Vater ist Elektriker. Und Maia möchte Journalistin werden, eine "schöne, gute", sagt sie in ihrem rührenden Deutsch. Sie hat studiert und bekommt jetzt ihr Diplom. Vor allem aber möchte sie zurück, nach Hause. An jenen Ort am Meer, wo sie Kind war, bis die Bomben fielen.
"Wenn wir uns treffen, reden wir endlos. Wie schön es war in Suchumi und in Abchasien... In Poti hier gibt es das Meer und ich bin jeden Tag da, weil ich es vermisse..."
Nur leider ist hier der Strand nicht so schön.
Stalins letzter Fan
Am Strand von Batumi, nur rund 100 Kilometer weiter südlich, wirkt Georgien nahezu idyllisch: Palmen säumen die lange Promenade, Holzbänke laden zum Verweilen in der Morgensonne ein.
Ein laues Lüftchen weht. Im Seepark plätschern Brunnen. Kinder spielen. In einem Pavillon, dem Schachclub, sinnieren alte Männer über die erste Eröffnung des Tages. Im Sommer kommen wieder Urlaubsgäste. Viele Armenier neuerdings.
Ein Paar Blocks entfernt zeigt sich Batumi rühriger. Am Busbahnhof, noch mit Hammer und Sichel geschmückt, ist viel Verkehr. Güterzüge mit Tank-Waggons rangieren quer durch die Stadt Richtung Hafen.
In einer Seitenstraße, nicht weit vom Markt und den Bahngleisen entfernt, steht ein unscheinbares Haus. Die Büste von Josef Stalin im Vorgarten.
Ein schlanker, rothaariger Mann mittleren Alters öffnet die Tür. Er strahlt: Ein Besucher! Alexander, stellt er sich vor. Das Haus ist ein Reliquienschrein. An der Wand hinter Alexander prangt, die volle Höhe des Raumes einnehmend, ein Porträt des angebeteten Diktators. Links im Regal steht Stalins 13bändiges Werk, in vielerlei Ausgaben.
Das Haus hier war ein Arbeiter-Heim. Der Museumsdirektor, -führer und Hausmeister ordnet seinen Rotschopf und öffnet ehrfurchtsvoll ein einfaches Zimmer, in dem drei alte Betten stehen.
"In diesem Zimmer hat Stalin gelebt, zusammen mit zwei Arbeitern. Er kam im November 1901 nach Batumi, um eine sozialdemokratische Partei zu gründen. Damals lebten ungefähr 30000 Menschen in Batumi. Hier waren Raffinerien, das Öl kam aus Baku. Etwa 10000 Proletarier arbeiteten hier – viele Stunden für schlechten Lohn."
Auf dem Lager linker Hand, erklärt Alexander, schlief der Genosse Stalin. Er zeigt auf ein von Motten zerfressenes kleines Stück Stoff. "Sein Handtuch", behauptet er stolz. Auf dem Tisch stehen Teller, Besteck, eine alte Wasserkaraffe, ein eisernes Bügeleisen.
"Seine revolutionäre Zeit begann in Batumi", sagt der freundliche Stalinist und bittet in den Raum nebenan. Der voll hängt mit Bildern, Tafeln, Karten, Zeitungsausschnitten, Fotos, alten Flugblättern. Die Beleuchtung ist dürftig, 5 der 8 Glühbirnen sind durchgebrannt. Man habe große wirtschaftliche Probleme, meint Alexander entschuldigend und nestelt an den zerschlissenen Ärmeln seines Pullovers. Die Georgier interessierten sich derzeit nicht sehr für ihren großen Sohn Stalin.
Die finster dreinblickende Mutter hängt da. Auch ein Bild des Vaters, der trunksüchtig und gewalttätig, war. Und natürlich Stalin-Fotos ohne Ende: Stalin mit Churchill und Roosevelt. Stalin mit Mao Tse Tung – ein enger Freund, sagt Alexander. In China hätten sie ihn nie kritisiert. Nun sei der Kommunismus in Russland zerstört. Aber in China, da herrsche er noch. Und alles entwickele sich blendend. Alle Proletarier, meint Alexander zum Abschied fröhlich, seien schließlich Brüder. Genau wie die Kapitalisten. Und die Proletarier müssten gegen die Kapitalisten kämpfen. Das ist für ihn quasi ein Naturgesetz.
Von der nahen Moschee ruft der Muezzin.
Am Busbahnhof klackern die Spielautomaten. Es ist Zeit, weiterzureisen. Ein letztes Sammeltaxi, eine Marschrutka, gen Süden zu nehmen, zur Grenze. Raus aus post-sowjetischen Sphäre.
Die Marschrutka ist überfüllt, die zuletzt Zugestiegenen müssen stehen, gebeugten Hauptes, weil der Minibus nicht hoch genug ist. Sie klammern sich fest, wo immer Halt zu finden ist. Zum Glück ist der Weg nicht weit. Nach einer halben Stunde ist Endstation. Die Grenze. Vor nicht allzu langer Zeit war hier noch Schluss. Ein Stück eiserner Vorhang – zwischen Nato und Warschauer Pakt. Heute ist es einfach ein Grenzposten, an dem man einen Kaffee bekommt und ein paar Souvenirs kaufen kann. Rechts das glitzernde Meer. Vorne die grünen Hügel der Türkei.
Literatur
Die Küstenstraße war sehr belebt. Sie kamen an langen Karawanen von manchmal mehr als 100 Kamelen vorbei. Die Tiere trugen Glöckchen am Hals, das Leitkamel eine große Glocke. Das klang, als sei hier alle Tage Sonntag. Man sah zahlreiche Fischerkähne. Achmed erklärte, dass die Fischer hier auch bei Nacht auf Fang seien, indem sie die kleinen Sardellen mit Harzfackeln anlockten. Diese Sardellen, unter dem Namen Khansi bekannt, sind eine Spezialität der kleinasiatischen Schwarzmeerküste. Schon bei der nächsten Mahlzeit im Ort Mapavra bekam die Gesellschaft Khansi vorgesetzt. Es gab aber auch noch andere Gänge zu essen. Es schmeckte ihnen vorzüglich, weil sie gutgelaunt waren, Witze machten und lachten, wodurch jedes Essen eine angenehme Würze bekommt.
Gegen 20 Uhr erreichten die die kleine Ortschaft Rize, deren Khan so schmuddelig aussah, dass die Mädchen es vorzogen, unter der Plane der Araba zu übernachten. Achmed lehnte sich an ein Rad des Wagens und hielt die ganze Nacht Wache. Eulen heulten, Käuzchen schrien, und als ein Uhu "Schuhu" machte, zog der junge Bräutigam blitzartig sein Krummschwert und hieb gewaltig in die Luft. Doch traf er keinen Mädchenräuber, nur eine taube Nuß fiel ihm auf die Schädel.
Als der Abenteurer Marco Polo im 14. Jahrhundert die Schwarzmeerregion durchquerte auf seinem Weg nach China, verlor er in seinem Bericht gerade einmal 4 Sätze über diesen Reiseabschnitt – er wollte seine Leser nicht langweilen: Jeder gebildete Florentiner, Venezianer oder Römer kannte zu jener Zeit das Schwarze Meer, viele Lebensmittel, Wein und Kleider kamen von dort.
Einige Jahrhunderte später geriet das Schwarze Meer mit der Entdeckung der Seeroute in den Fernen Osten in Vergessenheit. Und erst mit dem Ende des Kalten Krieges erwachte das Interesse der Europäer an der Schwarzmeerregion wieder neu: mehr noch als die Anrainer selbst ist die Europäische Union daran interessiert, die Region zu stabilisieren: denn sie gilt als wichtiger Energiekorridor der Zukunft. 1992 wurde die BSEC ins Leben gerufen, eine regionale Schwarzmeerwirtschaftskooperation, in der neben den sechs Küstenländern auch Griechenland, Albanien, Serbien, die Republik Moldau, Aserbaidschan und Armenien vertreten sind. Die Europäische Kommission steht der BSEC mit Rat und Tat zur Seite und macht weitere Vorschläge zur Kooperation.
Und aus Athen kam die Idee, eine Ringautobahn zu bauen, mehr als 7000 Kilometer lang, die das Reisen und den Warentransport rund um das Schwarze Meer erleichtern soll. Der Name des Großbauprojekts steht bereits fest: Straße der Argonauten. Alles andere ist noch Zukunftsmusik.
Männer, Tee und Minarette
Die Marschrutka heißt ab jetzt Dolmus. Doch das Prinzip bleibt das gleiche: Ein Kleintransporter, der auf fester Strecke verkehrt und überall hält, wo Fahrgäste ein- oder auszusteigen wünschen. Wobei die türkischen Fahrzeuge schmucker sind und besser in Schuss als die georgischen, die russischen, die ukrainischen, ja selbst die bulgarischen Marschrutki.
Der Dolmus-Fahrer ist ein großer Kerl in einem fleckigen dunklen Anzug, mit stechendem Blick und feuchter Aussprache. Hupend rast er los, kassiert im Fahren mit der Rechten den Fahrpreis bis nach Rize, brettert viel zu schnell die kurvenreiche Küstenstraße entlang.
Im ersten Ort, Hopa, reicht er die Kundschaft an einen wartenden Kollegen weiter, laut über dessen Anteil am Fahrpreis streitend. Der zweite Fahrer ist ein ruhiger Charakter. Gelassen tritt er seine Zigarette aus, startet den Bus, fährt zunächst eine gute Weile am Ortsrand auf und ab, nach weiteren Kunden Ausschau haltend. Als alle Plätze besetzt sind, nimmt er Kurs auf Rize, mit elf Erwachsenen und fünf Kindern an Bord. Noch 1000 Kilometer bis Istanbul.
Der Osten der türkischen Schwarzmeerküste ist fruchtbar. Haselnüsse wachsen hier, Tabak und, wohl das wichtigste Produkt: Tee. Oft ist auf türkischen Tee-Packungen der Name der Teemetropole Rize zu sehen. Was also wäre passender, als im Zentrum von Rize, auf einem schönen, schattigen Platz, einen Tee zu trinken?
Lautlos eilt der Kellner mit einem Tablett voller dampfender Gläser herbei. Der Tee duftet köstlich. Und schmeckt vorzüglich. Die kleine Schlürfzeremonie im Schatten der Bäume lädt zum Nachdenken ein:
Was haben sie gemein, die Anwohner des Schwarzen Meeres? Nicht viel, scheint es. Außer, dass sie natürlich alle viel Fisch essen. Und Tee trinken. Dass überall zu viele jungen Männer untätig herumstehen. Vielleicht auch, dass diese so gern auf den Boden spucken. Und sonst? So wenig. Die Region ist eher Grenzland. Hier stoßen Religionen und Bräuche, Sprachen und Imperien aneinander.
Beim Tee auf diesem schönen Platz in Rize fällt auf, wie konservativ die türkische Schwarzmeerküste ist – im Vergleich zu den postsozialistischen Nachbarn . Strukturierter, homogener, ordentlicher, strenger. Hier wird nicht gesoffen, Drogen und Prostitution sind zumindest besser versteckt. Der auffälligste Kontrast zu allen anderen Ländern an diesem Meer: Die Dominanz der Männer. Der öffentliche Raum ist maskulin geprägt. Die wenigen Frauen, die überhaupt auftauchen, haben etwas zu tun – schleppen ein Kind oder die Einkäufe oder beides. Und verschwinden schnell. Der Müßiggang ist rein männlich. Junge Burschen patrouillieren in Gruppen umher. Die Alten, oft in Anzug und Schlips, sitzen einfach da, klappern mit ihren Gebetskettchen, plaudern und plaudern und schlürfen ihren Tee.
Wir müssen weiter, die Zeit ist fast um, am alten Trapezund vorbei, das heute Trabzon heißt. Stunde um Stunde am Meer entlang, an vielen kleinen Städtchen und Häfen vorbei, in immer komfortableren Überlandbussen, großen Luxuslinern, die in den Pausen penibel gewaschen werden. Die Küstenstraße ist nun meist vierspurig, überall sind Radlader und Walzen dabei, sie noch weiter auszubauen. Gut für den Verkehr. Doch eigentlich ein Jammer. Über dem Strand wächst der Asphalt.
Ein letzter Halt in Samsum, wo gerade ein Jahrmarkt tobt. Die Jugend lässt sich auf einem Monstrum namens "Ranger" durch die Luft schleudern. An anderen Buden beweisen Jungs Körperkraft und Schießkunst. Mädchen schauen zu und kichern.
Auf den ersten Blick wirkt Samsun wie eine sehr durchschnittliche, halbwegs moderne Stadt. Die Menschen an den Wühltischen und Geldautomaten in der Fußgängerzone reagieren auf den Ruf des Muezzin ähnlich wie die meisten Deutschen auf das Läuten der Kirchenglocken: Gar nicht. Aber es gibt doch einen, der beinahe Gott ist.
"Atatürk ist sehr wichtig für die Bürger Samsums, weil er und seine Gefährten im Mai 1919 hier ankamen, um ihre Unabhängigkeitskrieg zu führen."
Mustafa Geçer steht im liebevoll gestalteten Atatürk Museum im Zentrum, er zieht sein Jackett stramm und setzt ein würdiges Gesicht auf. Auf die Frage, ob dieser Atatürk für die Menschen Samsuns heute tatsächlich noch eine Bedeutung hat, reagiert Herr Geçer beinahe beleidigt.
"Sprecher: Wir haben noch immer die Gefühle für Atatürk, sind voller Elan, voller Liebe für Atatürk. Wenn eine solche Zeit wie damals wiederkäme, wären wir, alle Bürger Samsuns, sofort wieder bereit zu kämpfen. Atatürk hat uns befohlen, die westliche Zivilisation zu erhalten. Wir tun unser bestes, und trotzdem müssen wir noch viel mehr tun."
Herr Geçer war einst Bank- und Versicherungsmanager. Heute widmet er sich ganz der Pflege des Andenkens von Mustafa Kemal Atatürk, zeigt stolz die vielen Reliquien – Pyjamas, Kämme, Besteck und Gläser, Pistolen, Hosenträger und Strümpfe des Staatslenkers. Auch ein Modell des Schiffes Bandırma, mit dem er einst im Hafen von Samsum ankam, um den Befreiungskampf zu beginnen.
"Das ist Atatürks Handschrift, er hat das aufgeschrieben, während er hier auf Inönü wartete."
Er verrät sogar, dass der große Mann eigentlich recht klein war: 1,72 Meter in jungen Jahren, im Alter dann 1,68 Meter. Und dass nach wie vor jeden Tag etwa 1000 Menschen hierher kommen. Vielleicht ist das eine Gemeinsamkeit des Völker rund um das Schwarze Meer: Der große Bedarf an Helden.
Zum Abschied noch einmal ans Wasser. Runter zum Hafen, wo ein paar Hobbyfischer unter einem grauen Himmel hocken. Auch hier wird der Fremde mit freundlicher Neugier empfangen. Wie immer gibt es einen Tee. Wie stets arbeitet irgendein Verwandter in Deutschland.
"...mein Großbruder arbeitet n Stuttgart..."
Viele an kurzen Stöckchen befestigte dünne Fäden tauchen ins Meer. Kleine Glöckchen sind an den Ruten befestigt, die klingeln, sobald sich etwas bewegt. Die Männer und Knaben sind mit Hingabe dabei. Sie kippen eimerweise eingeweichtes Brot ins träge Wasser: Der Brei soll Fische anlocken.
Und tatsächlich. Einer der Männer hat just einen gefangen. Alle johlen, alle freuen sich. Nur der Fisch japst elend. Gewiss wäre er gerne in seinem Meer geblieben.
Literatur: Jules Verne: Keraban der Starrkopf, Fischer Verlag, 1969. Aus dem Französischen übersetzt von Martin Doehlemann und Hans-Jürgen Wagener .
"Das Wasser, das Meer, spielt eine Hauptrolle in unserem Leben. Aber unsere Bucht hat kein klares Wasser, sie ist schmutzig. Leider. Der Handelshafen ist wichtiger. Da kommt das große Geld herein…"
Und eine junge Journalistin, die mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg in Abchasien flüchten musste:
"Wir hatten alles, ein schönes Haus, ein Auto, meine Eltern hatten eine gute Arbeit. Wenn wir uns treffen, reden wir endlos. Wie schön es war in Suchumi und in Abchasien... In Poti hier gibt es ein Meer und ich bin jeden Tag da, weil ich es vermisse..."
Europas neue Ufer. Eine Rundreise um das Schwarze Meer. Gesichter Europas heute mit dem zweiten Teil: von Sewastopol in der Ukraine nach Samsun in der Türkei. Eine Sendung von Tom Schimmeck. Am Mikrophon begrüßt Sie Simonetta Dibbern.
Es gibt wenige winzige Inseln im Schwarzen Meer. Dafür eine große und bedeutende Halbinsel: die Krim. Schwarzes Meer auf der einen, Asowsches Meer auf der anderen Seite. Seit Jahrtausenden heiß umkämpft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Halbinsel zur autonomen Republik innerhalb der Ukraine. Die Krim – ein extremes Beispiel en miniature für die gesamte Schwarzmeerregion: Völker kommen und gehen, die Religionen wechseln, Mächte prallen aufeinander. Die Krim, sagt der britische Journalist Neal Ascherson, gehört jedem und niemandem.
Die Hafenstadt Sewastopol ist noch heute Sitz der russischen Schwarzmeerflotte. Ein Vertrag regelt die Nutzung des inzwischen ukrainischen Hafens bis 2017. Ob und wie Moskau und Kiew sich dann einigen werden, ist ungewiß.
Die geöffnete Festung
So wunderschön, so friedlich, Natascha schwärmt von ihrer Heimatstadt. Gewiss habe sich enorm viel verändert.
Aber trotzdem bleibt Sewastopol ein Ort einer eigene Seele, mit einer sehr speziellen Geschichte, mit einer besondern Schönheit und ganz besonderen Bewohnern.
Natascha, 31 Jahre alt, sitzt auf dem offenen Deck der kleinen Fähre, die Süd- und Nordufer der großen Bucht verbindet. Es ist warm und windstill. Eine milde Abendsonne scheint. Am Nachbartisch genießen zwei Männer ihr Feierabendbier.
Natascha ist ein Kind der Marine, heute selbst Dozentin an der Marineakademie. Sie hat ihr Leben hier verbracht, in der "Heldenstadt", wie man in der Sowjetunion sagte. Viele Hundert Denkmäler erinnern in Sewastopol an Kriegsgräuel: An die furchtbare Belagerung im Krimkrieg 1854/55. An den Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht, die hier 1942 alles kaputt schoss.
Bis 1995 war Sewastopol eine geschlossene Stadt, eine militärische Festung, nur mit Sondergenehmigung zu betreten. Man kann es sich kaum mehr vorstellen. Natascha schaut sich um, sichtlich zufrieden.
"Viel Platz hier, viel Wasser, viel Grün, Bäume, Schiffe am Ufer, Kräne – denn hier wird auch gearbeitet. Die Kuppel der Kathedrale oben auf dem Hügel. Das ist ein schönes Symbol."
Tatsächlich. Sewastopol ist hübsch. Freundlich. Friedlich. Überraschend zivil für eine just geöffnete Militärbastion. Obwohl die russische Schwarzmeerflotte noch immer hier liegt. Wie auch Teile der ukrainischen Marine. Es wimmelt auf den Straßen und Märkten von großen weißen Mützen. Die Einheimischen können an Uniformdetails erkennen, wer zu welchem Schiff, gehört. Unzählige graue Kriegsschiffe sieht man in der lang gezogenen Bucht. Etliche rosten vor sich hin.
In Zeiten rasanten Wandels muss jeder seine Identität neu zusammenstellen. Was ist russisch? Was ukrainisch? Die agile, lebenslustige Natascha sieht sich als Ukrainerin. Aber sie fühle auch ihre russischen Wurzeln, sagt sie lachend. Und ihr russisches Blut. Sie sei wohl so etwa 75 Prozent russisch.
"Es ist keine Bürde, es ist unser Stolz. Auch wenn neuerdings etliche Leute versuchen, das umzudrehen, daraus etwas anderes zu machen. Ich glaube, da muss ich nicht jonglieren. Das mischt sich ganz natürlich. Ich fühle keine inneren Kämpfe, der Druck kommt wohl eher von anderen. Ich denke von selbst kaum darüber nach. Aber manchmal werde ich von außen dazu gebracht."
Gerade auf der Krim brechen diese Konflikte immer wieder auf; Ost gegen West. Gestern gegen Heute. Verschiedene Ideale. Verschiedene Interessen. Verschiedene Sprachen: Russisch oder Ukrainisch? Das immerhin ist in Sewastopol keine Frage: Hier wird Russisch gesprochen.
In einer Gasse am Hafen spielt ein Flötenspieler die russische Hymne. Ein schlanker, in sich gekehrter junger Mann, der an einer Hausmauer lehnt. Natascha bleibt einen Augenblick stehen, spricht mit ihm. Nikolai heißt er, ist hier geboren. Warum er die Hymne spielt, will Natascha wissen.
"Ich weiß es nicht", sagt er, "wahrscheinlich aus einer Nostalgie heraus..."
Am Ende der Gasse, an einem großen Platz, ragt die neue McDonalds-Filiale auf. Ein beliebter Jugend-Treffpunkt. Vor dem hell erleuchteten Fastfood-Palast hocken einige ältere Damen, die frische Blumen verkaufen, um ihre Rente aufzubessern. Natascha wählt einen Platz auf der Terrasse, wählt einen Cappuccino.
"Es war eine glückliche Kindheit. Wir haben viel unternommen, hatten viel Spaß, es gab immer irgendetwas, die Schule hat eine Menge für uns organisiert. Natürlich gab es Disziplin, das ist ja auch normal, nichts Negatives. Auch nichts Militärisches. Wir waren nicht allzu beengt. Sicher gab es Einschränkungen, wer die Stadt besuchen durfte. Etwa für die Verwandten. Aber das hat unser Leben nicht verdüstert oder uns gar das Gefühl gegeben, in einem Gefängnis zu leben oder in einer Kaserne."
Die Schule hat sie mit einer Goldmedaille verlassen. Wenn ich mein Leben hier verbessern will, sagte sich Natascha, muss ich es auf meine Weise machen. Also hat die 75-Prozent-Russin an der Universität Englisch und Spanisch studiert. Eine Verräterin? Nein, meint sie lachend. Das Neue sei doch überall.
"Die Stadt ist sehr aktiv: Viel Internet, Mobiltelefone – sogar die Älteren haben jetzt welche –, moderne Musik, DJs..."
Sie pickt sich heraus, was passt. Verkörpert diese eigentümliche Mischung – einerseits stolz auf die Tradition, auf die Marine, andererseits entdeckungsfreudig, westwärts gewandt, unternehmungshungrig. Veränderung ist die Konstante. Politik? Da ist sie sehr ernüchtert. Die gängige Haltung hier. Sie will Geld verdienen. Sie will eine bessere Zukunft. Aber bitte keine, die die Vergangenheit ganz auslöscht.
"Es wird sich sehr verändern, aber wie? Ich kann das nicht vorhersagen. Ich hoffe nicht dramatisch. Die Seele der Stadt soll bleiben."
Ob sie in zehn Jahren noch hier ist?
"Ich weiß es nicht. Doch sicher. Zumindest zu Besuch."
Literatur
Die Krim: das Tauris der Antike. Dieses mediterrane Ornament am rauen russischen Festland, um welches alle Völker kämpften, die ums Schwarze Meer herum gelebt haben. Einstmals ein freies Königreich, geriet es nacheinander in die Hand der Herakliden, des Methidrates, der Alanen, Goten, Hunnen, Ungarn, Türken und Genuesen. Mohamed II. machte aus der Krim eine reiche Provinz des Osmanischen Reiches; Katharina II. verleibte sie 1791 dem Russischen Reich ein.
Die Krim war ein Land, wo die Götter sich mit den Menschen trafen. Die Alten glaubten hier den Eingang zur Unterwelt. War es nicht Tauris, wo Iphigenie, Tochter Agamemnons und der Klytaimnestra, ihren Bruder Orestes der Göttin Artemis zum Opfer bringen sollte? Hierhin auf die Krim flohen die russischen Zaren und Potentaten vor der Kälte des nordischen Winters.
Auf der Krim trafen sich Europa und Asien. Man kam durch tatarische Dörfer, griechische Häfen, sah orientalische Moscheen, russisch-orthodxe Klöster, jüdische Synagogen. Selbst die Pferde waren hier mit allen vorkommenden Rassen vertreten, von den kleinen Kosakengäulen über die schweren belgischen Kaltblüter bis zu den edelsten arabischen Hengsten.
Der französische Schriftsteller Jules Verne schickt einen türkischen Tabakhändler einmal ums Schwarze Meer, in seinem Roman "Keraban der Starrkopf", geschrieben 1883. Welche grundlegende Umwälzungen die Region im folgenden Jahrhundert erlebte, hätte wohl selbst die Phantasie eines Jules Verne überstiegen.
In der Synagoge von Kertsch
Um quer über die Krim, diese riesige Halbinsel, zu reisen, mit meist klapperigen Sammeltaxis und Kleinbussen, braucht man einen langen Tag. Die Küste entlang windet sich die Straße nach Jalta. Ein klingender Name. Aber kein besonders schöner Anblick. Plattenbauten beherrschen das Panorama.
Nach Osten hin wird die Landschaft allmählich offener. Die Steppe beginnt. Vereinzelt sieht man neue Moscheen aufragen: Die Gotteshäuser der heimkehrenden Krimtataren.
Auf dem östlichsten Zipfel liegt Kertsch. Eine Grenzstadt. Derber und lauter als die feinen Badeorte. Hier wird geschuftet, getrunken und gespielt. Am gegenüberliegenden Ufer, auf der anderen Seite der Straße von Kertsch, liegt Russland. Nach Norden erstreckt sich, 340 Kilometer weit, das flache Asowsche Meer, nach Süden das tiefe Schwarze Meer. Archäologische Spuren bezeugen, dass hier schon vor dreieinhalb Jahrtausenden Menschen siedelten. Dass dies ein wichtiger Handelsort zwischen Europa und Asien war, an dem es Getreide gab, eingesalzenen Fisch und Wein. Griechen, Hunnen, Tartaren, Genueser, Osmanen, Russen und andere Völker eroberten die Gegend. Im Krimkrieg kamen die Briten. Im Zweiten Weltkrieg gleich zweimal die Deutschen. Fast alle der 7000 Juden in Kertsch wurden ermordet. Die Grabsteine des großen jüdischen Friedhofs später benutzt, um Straßen zu pflastern und Mauern zu ziehen.
Und doch gibt es jüdisches Leben in Kertsch. Von der Marxallee geht die Uliza Tsiolkowskogo ab, eine stille Straße. Linker Hand findet sich die alte Synagoge. Seit sechs Jahren ist sie wieder geöffnet.
"Wir sind im Gebetshaus der Handwerker von Kertsch, erbaut 1889."
Im ersten Stock hält Valentina Poliakowa die Geschichte wach. Sie freut sich über Besuch an diesem stillen Ort, springt von ihrem Tisch auf, begierig, die ganze Geschichte zu erzählen. Valentina nimmt einen Zeigestock zur Hand, wie eine altmodische Lehrerin. Doch ihr freundliches Lächeln nimmt dem Auftritt alle Strenge.
"Ende des 19. Jahrhunderts prosperierte die jüdische Gemeinschaft hier. Aber auch in dieser Zeit gab es Pogrome. Dies ist das Bild von Nikolai Kiritschemka, eines Ukrainers, der verstand, wie dumm und gemein es ist, Menschen umzubringen, weil sie Juden sind. Er verteidigte sie und wurde schließlich selbst umgebracht."
So bunt das Völkergemisch am Schwarzen Meer, so vielfältig ist auch die Herkunft der Juden: Griechisch sprechende Juden aus dem Mittelmeer lebten hier, Juden aus Byzanz, aber auch einheimische Juden von der Krim, Krimtschaken genant. Dazu Karäer, auch Karaiten genannt.
Valentina hat das alles parat. Lange hat sie gesammelt und in den Archiven gewühlt, bis genug Material für dieses kleine Museum beisammen war – das erste Museum von Juden in der Ukraine. Die ersten Zeugnisse jüdischen Lebens in Kertsch stammen aus dem 1. Jahrhundert vor Christus.
"Diese Tafeln erzählen vom Zweiten Weltkrieg, vom "großen patriotischen Krieg", wie wir hier sagen. Dies sind Bilder von Leuten, die im Krieg gekämpft haben. Und hier sind Portraits jener Rechtschaffenden, die Juden während der Besatzung gerettet und zum Teil dafür ihr Leben geopfert haben."
Aber die meisten wurden nicht gerettet. Die "Einsatzgruppe D" wütete hier mit ihren Gaswagen. Im November 1941 wurden in der Nähe von Kertsch 7000 Menschen ermordet, darunter 2500 Juden. 1942 wurden alle Krimtschaken umgebracht. Bei der Befreiung von Kertsch gab es in der ganzen Stadt noch 34 lebende Menschen.
Unten im Gebetsraum beginnt der Gottesdienst. Es ist eine progressive Gemeinde, da wird alles nicht so streng genommen. Zwei ältere Herrschaften plaudern während des Gesangs miteinander. Zwei kleine Jungs werfen sich während der Predigt Zettelchen mit Botschaften zu. Dann versammelt sich die kleine Schar um eine Tischtennisplatte, auf der Getränke in Plastikbechern, Brot und Süßigkeiten bereitstehen. Alle trinken einen Schluck, nehmen einen Bissen. Dann streben sie auseinander.
Nur ein alter Mann bleibt noch einen Moment zurück. Ein ehemaliger Rabbi. Er stammt aus der Westukraine, kam erst im vorherigen Jahr nach Kertsch, weil seine Tochter hier im Sterben lag. Im Krieg wurde er verwundet, war im Ghetto gefangen.
"Während er sich freundlich, fast überschwänglich verabschiedet, verfällt er ins Jiddische: Ich weiß nicht was Gott gewollt hat. Ich habe Glück gehabt, bin am Leben geblieben, sagt er und geht mit schlurfenden Schritten davon."
***
Mit der Unabhängigkeit der Nachbarstaaten Ukraine und Georgien ist Russland nur noch ein schmaler Streifen Schwarzmeerküste geblieben, zwischen der Halbinsel Taman und der Stadt Adler, rund 500 Kilometer.
Viel Platz für Badevergnügen bleibt da nicht. Zumal das Geschäft mit dem Öl an den Küsten mehr zählt als das mit dem Tourismus.
Im März dieses Jahres einigten sich Russland, Bulgarien und Griechenland auf den Bau einer neuen Pipeline vom bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas zum griechischen Mittelmeerhafen Alexandroupolis. Der Bosporus ist zu eng geworden für die vielen Tanker. Nach der Fahrt übers Schwarze Meer soll der Rohstoff an Land weiter befördert werden. Die Unternehmen in der russischen Hafenstadt Noworossijsk werden davon vielleicht profitieren. Die Bevölkerung vermutlich nicht.
Geölte Natur
Schnell hat die Fähre die Straße von Kertsch überquert. Die Fußgänger drängen von Bord, die Fahrzeuge schieben hinterher. Als letztes rollt der Linienbus Simferopol-Noworossijsk an Land.
Streng sind die Grenzkontrollen, die Schlangen lang und starr. Russland hat es seinen Bürgern noch nie leicht gemacht. Und den Fremden schon gar nicht. Doch selbst hier nimmt die Bürokratie irgendwann ein Ende.
Es kann weiter gehen. Vorbei an neuen Tanks und Terminals, die die schöne Halbinsel Taman zu verpesten drohen, Richtung Noworossijsk. Die einzige veritable Industriestadt zwischen all den Badeorten an der Küste.
Am Busbahnhof ist ein Mann mit Gitarre unterwegs. Leichtfüßig bewegt er sich von einem wartenden Bus zum nächsten, singt ein Lied, sammelt ein paar Rubel ein, geht schnell weiter.
Der junge Mann heißt Mischa, ist 32 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Noworossijsk und studierter Ingenieur. Er kann Computer reparieren und Webseiten programmieren. Manchmal verdient er auf diese Weise Geld. Manchmal spielt er Gitarre am Busbahnhof. Nur dort ist Musizieren noch möglich. Anderswo wird er sofort verjagt. Er lächelt ein scheues Lächeln und streicht mit der Hand über seine Gitarre. Kunst interessiere die Stadtoberen nicht. Lieber ließen sie die Straßen neu pflastern und noch mehr Denkmäler bauen. Auf Anordnung aus Moskau. Die Fassade muss stimmen.
"Der typische Mensch in unserer Stadt arbeitet hart, arbeitet und arbeitet und nach der Arbeit guckt er Fernsehen, trinkt ein Bier und raucht und läuft die Hauptstraße rauf und runter. Er geht in die Disco, wenn er jung ist oder in den Club. Leider sind sehr wenige Leute an Kunst, oder Wissenschaft oder globalen Problemen interessiert. Dies ist eine Arbeiter-Stadt."
Mischa hat sich zum Ausruhen auf eine Bank gesetzt, auf dem Heldenplatz im Zentrum. Irgendeinen Job kriegt man immer, sagt er. Eine andere Frage sei, ob das Einkommen auch zum Leben reiche. Andererseits ist ihm Geld auch nicht so wichtig. Der Ingenieur ist ein unkonventioneller Typ. Nachdenklich, mit gutem Humor. Außerdem ist er ein Öko.
"Zuallererst liebe ich die Natur. Ich fahre gerne aufs Land. Früher war die Natur üppig, nicht so von Asphalt bedeckt. Aber es ist ein interessanter Ort, der Anfang der kaukasischen Berge. Eine Menge verschiedener Landschaften kommen hier zusammen, Täler, Berge, Flüsse, Wälder, das Meer natürlich. Natur eben. Und die Leute werden von der Sonne gewärmt. Das ist schon schön. Das gibt den Menschen einen speziellen Charakter."
Das Bewusstsein für Naturschönheiten ist in Noworossijsk stark unterentwickelt , sagt Mischa. Sein Blick schweift über die Bucht, zur anderen Seite der Stadt. Zu "jener Seite", wie man hier etwa verschämt sagt: Es ist eine graue Hafen-Landschaft voller Schuppen, Silos und Tanks, in der sich Züge, Lastwagen und Schiffe bewegen. Riesige Flächen an den Berghängen darüber sind grau und kahl – abgeschabt von der Zementindustrie. An der Spitze der Bucht ragen dicke Bündel silbrig glänzender Rohre ins Meer – die Ausläufer einer Öl-Pipeline des russischen Monopolisten Transneft, der Öl vom kaspischen Meer herbeipumpt und auf Tanker verlädt.
"Das Wasser, das Meer, spielt eine Hauptrolle in unserem Leben. Weil es ein Ort der Freude ist. Man kann darin schwimmen. Aber unsere Bucht hat kein klares Wasser, sie ist schmutzig. Leider. Der Handelshafen ist wichtiger. Da kommt das große Geld herein. Das ist ein Geschäft."
Mischa muss aufbrechen. Seine junge Frau und zwei Töchter, beide noch Babys, warten auf ihn. Die Familie wohnt bei seiner Mutter. Drüben, auf "jener Seite". Für eine eigene Wohnung reicht es noch nicht.
Neun Stunden braucht der Bus, eine rote Schuhschachtel Marke Ikarus, für die nächsten 299 Kilometer. Mühsam quält er sich durch die Serpentinen, eine Qualmwolke hinter sich herziehend. Die Gänge krachen. Aber der Motor läuft.
Sotschi hingegen ist eine Stadt der Künstler. Der Musiker, Dichter, auch der Filmemacher, die sich hier jeden Sommer zu einem Festival treffen.
Dann wird vor den Säulen des prächtigen Wintertheaters eine riesige Leinwand aufgebaut. Der große Platz füllt sich mit vielen Menschen, die neueste russische Produktionen bewundern.
Sotschi ist Russlands südlicher Stolz, die Ferienhauptstadt am Schwarzen Meer. Sotschi boomt. Abends rollen schwere, teure Wagen über die Hauptstraße nahe des Hafens. Das Meeresufer im Zentrum ist ein Jahrmarkt der zuckenden Lichter, endlos reihen sich Boutiquen und Discos aneinander. Viele der großen alten Sanatorien sind zu modernen Hotels umgebaut. Oder werden es gerade. Überhaupt baut man und baut und baut. 2014 sollen hier die olympischen Winterspiele stattfinden. Bis dahin wird noch viel Beton vergossen werden.
"Sotschi habe sich sehr verändert, sagt Kapitän Fjodor Fjodorwitsch, der gerade sein Ausflugsschiff für Touristen startklar macht. Es gäbe keine Parks und Plätze mehr, auch kaum Strände, wo Leute schwimmen können.
Der alte Seebär stammt aus Sibirien, hat lange Jahre alle Ozeane befahren. Und eigentlich ist er gern hier am Schwarzen Meer."
Denn das, sagt Fjodorwitsch, sei eine freundliche und schöne See.
"Es ist keine gute Zeit. Es gibt zu viele neue Gebäude, die von reichen Leuten gebaut werden. Die schönen Parks und Plätze verschwinden. Der Park hier vorne, da stehen jetzt Restaurants und Café und bald hohe Gebäude. Und die Straßen sind schmutzig."
Boris Nikolajewitsch, 72, der am Hafen steht und angelt, stößt ins gleiche Horn wie der Kapitän:
"Vor 20 Jahren gab es viele Schiffe, die von hier aus fuhren. Heute gibt es nur noch Jachten. Normale Leute können kein Schiff mehr nehmen, nur den Bus."
Sein Großvater war einst ein reicher Mann, besaß Kühe und Weinberge. Dann wurde der Opa in eine Kolchose gezwungen. Er selbst hatte ewig kein eigenes Heim. Das änderte sich erst zu Gorbatschow-Zeiten. Da bekam er ein Haus und gute Arbeit. Das Gesicht von Boris Nikolajewitsch hellt sich auf, als er auf die besten Zeiten seines Lebens zu sprechen kommt. Aber es verdüstert sich wieder, sobald die Rede auf die Gegenwart Sotschi kommt.
"Ich weiß, wer die Könige von Sotschi heute sind, aber ich sage es nicht", sagt er mit einem leicht gequält wirkendem Lachen. "Ich will leben und ich habe Kinder."
Literatur:
Jetzt ging es nach Südosten auf die kaukasische Küste zu. Der Wagen rollte ohne größere Aufenthalte voran. In Kertsch hatte sich alle gut ausgeruht, jetzt vertrugen sie wieder 2 Tage auf der Achse.
Am Abend erreichten sie Rajewskaja und hatten damit die Grenze des Kaukasusgebietes überschritten.
Der Kaukasus ist eine hohe Gebirgsschranke zwischen dem schwarzen und dem Kaspischen Meer. Er trennt das Gebiet der Donkosaken und die Steppen der Kalmücken und Nogais im Norden von Georgien im Süden. In diesem Gebiet, aus dem nach einigen Anthropologen überhaupt die weiße Rasse stammen soll, deshalb auch die kaukasische genannt – das können wir sicher darauf zurückführen, dass Noah während der Sintflut mit seiner Arche südlich des Kaukasus am Ararat auf Grund lief und von dort aus die Menschheit neu erschaffen musste -, in diesem Gebiet also tummeln sich jetzt die verschiedenartigsten Rassen, Völker und Stämme: Tataren, Armenier, Tscherkessen, Kosaken, Osseten, Tschetscheten, Kalmücken, Perser, Türken, Nogais, Georgier und Juden. Selbst einen Schwaben soll es – zuverlässigen Reiseberichten nach – dort geben.
Friedlich war es selten an der Schwarzmeerküste. Doch über Jahrhunderte arrangierten sich die Küstenbewohner mit den jeweils herrschenden Mächten ebenso wie mit den benachbarten Völkern: denn sie identifizierten sich über ihre Region, ihre Küste, ihre Berge, ihr Land. Die moderne Vorstellung eines ethnisch definierten Nationalstaats brach Anfang der 90er Jahre über kaum ein Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit solcher Heftigkeit hinein wie über den Kaukasus: Abchasien, Ossetien und Nagorny-Karabach waren Schauplätze erbitterter Kämpfe um Autonomie mit tausenden von Toten. "Frozen conflicts" werden die Krisenregionen heute genannt, kalte Konflikte, die sich jederzeit wieder entzünden können.
Die georgische Hafenstadt Poti hat – wie fast alle Städte am Schwarzen Meer – eine lange Geschichte. Die Griechen nannten die Siedlung Phasis, dies war der Legende nach der Ort, wo das goldene Vlies zu holen war. An der Mündung des Flusses Rioni gelegen, war Poti eine wichtige Station der antiken Seidenstraße, später wurde es eine türkische Festung, im Jahre 1828 nahm Russland die Stadt ein. Heute ist Poti Stützpunkt der georgischen Marineeinheit und ein aufstrebender Seehafen mit großen Zukunftsplänen. Doch Spuren der Vergangenheit sind überall zu finden.
Radio Harmony
Das Schiff, das sich gerade anschickt, in den Hafen von Poti einzulaufen, wurde noch in der DDR produziert: die "Greifswald". Eine mächtige Fähre, auf dem Hauptdeck drängen sich 5 lange Reihen Lastwagen. Eine Etage tiefer steht ein halber Bahnhof voller Güterwaggons.
Laut klackernd registrieren die alten DDR-Computer Marke Robotron jeden Befehl, jeden Kurswechsel. Fast zweieinhalb Tage war das Schiff unterwegs, vom ukrainischen Hafen Iljitschewsk quer übers Schwarze Meer bis zur georgischen Küste.
Nun schiebt sich die "Greifswald" langsam ans Kai. Ein mühsames Manöver. Alles muss genau passen. Schon wegen des Schienenanschlusses.
In einem alten Lada mit schwankenden Sitzen geht es zur "Ninth Wave Broadcasting Company", der Radio- und Fernsehstation mit englischem Namen, das gilt auch hier als schick. Sie residiert in einem verfallenden, bunkerartigen Gebäude, das vor sich hin schimmelt wie alles in Poti. Es regnet hier zu viel. Es gibt zu viele Tümpel und deshalb zu viele Mücken.
Bei Radio Harmony 100,3 läuft die Vormittagsshow. Eine junge Frau mit Kopfhörern sitzt im kleinen Studio, spielt Musik, nimmt Höreranrufe entgegen und verspricht eine Wetterbesserung. Manchmal wird es auch politisch.
Georgien erlebte 2003 die Rosen-Revolution, noch ein Jahr vor der "orangenen Revolution" in der Ukraine. "Radio Harmony" hat damals viel und begeistert berichtet. Jetzt, sagen die Radio-Leute, sei die Ernüchterung groß. Und jeder vollauf damit beschäftigt, die gute Laune nicht ganz zu verlieren.
Maia Kikalischwili macht bei "Radio Harmony" gerade ein Praktikum. Sie spricht gut Deutsch, war als Au-Pair-Mädchen in Deutschland. Sie stammt aus Abchasien, einer Region ein kleines Stück nördlich von Poti, die seit einem Krieg anno 1992 eine abtrünnige Republik von Moskaus Gnaden ist.
Maia war sechs, als sie aus ihrer Heimat fliehen musste, dem Ort Och’amch’ire, nicht weit von Sukhumi, der "Hauptstadt" von Abchasien. Einst eine Perle, jetzt ein Trümmerhaufen.
"Es war so schlimm, mein Bruder war einen Monat alt und meine Schwester war neun Jahre und wir konnten gar nicht verstehen, was da passiert. Diese Stimmen waren so schrecklich, als ob es fällt. Als ob etwas kommt. Es war so ein schreckliches Gefühl."
Was Maia "die Stimme" nennt, erklärt sie später, das war so "ein Geräusch, als ob gleich etwas auf einen fällt". Die Erinnerung an die Flucht macht sie unruhig, ihre Kopf sucht sich zwischen den Schultern zu verstecken, die Hände reiben über die Jeans.
"Nachts waren Sirenen – huhuhu. Das hieß, dass wir alle weggehen müssen, weil sie kommen. Eine Woche haben wir auf ein großes Schiff gewartet. Es kam. Aber es war kaputt. So kaputt, dass es nicht anlegen konnte. Dann waren wir sieben Tage in Suchumi. Bekannte haben geholfen. Das war etwas leichter. Aber dann haben sie gesagt, alles ist ok. Die Leute können wieder zurückkommen und leben und es gibt keinen Krieg mehr. .. Und wir zurückgegangen. Und es war wieder. Immer wieder. Diese Stimme und wieder die Sirenen. Wir sind dann mit dem Flugzeug zu meiner Oma und meinem Opa nach Senaki geflogen. Mein Vater hat gekämpft und er blieb. Dann kam er, er hatte eine Wunde im Fuß. Jetzt wohnen wir 14 Jahre in Tiflis."
Maia streift sich eine Öljacke über – für einen Rundgang durch das regennasse Poti. Wo Kühe auf der Straße herumlaufen und Schweine auf Bahngleisen spazieren gehen. Automobile Antiquitäten rumpeln durch Schlagloch-Pfützen. Nur das Gebäude der Hafenverwaltung verströmt Prosperität. Auch in Poti gibt es ein neues Ölterminal. Die Wohnhäuser sind grau. Überall tropft es. Nur selten sieht man eine frisch gestrichene Wand.
Die einzige Großbaustelle im Zentrum ist die orthodoxe Kirche, ein mächtiger Bau, der zu Sowjetzeiten allen möglichen Zwecken diente. Als Kino etwa. Und der nun wieder eine Kirche werden soll.
Im Nebenflügel wird schon ein Gottesdienst abgehalten. Maia bekreuzigt sich. In einem Café erzählt sie weiter. Vom Alltag ihrer Familie in der Hauptstadt Tiflis, die mit vielen anderen Flüchtlingen aus Och’amch’ire in einem Hochhaus wohnt.
"Wir hatten alles, ein schönes Haus, ein Auto, meine Eltern hatten eine gute Arbeit. Jetzt haben wir kein Haus, keine richtige Arbeit. Meine Mutter war acht Jahre ohne Arbeit. Für sie war das sehr schlimm."
Die Mutter war einst Buchhalterin, jetzt arbeitet sie als Friseurin, der Vater ist Elektriker. Und Maia möchte Journalistin werden, eine "schöne, gute", sagt sie in ihrem rührenden Deutsch. Sie hat studiert und bekommt jetzt ihr Diplom. Vor allem aber möchte sie zurück, nach Hause. An jenen Ort am Meer, wo sie Kind war, bis die Bomben fielen.
"Wenn wir uns treffen, reden wir endlos. Wie schön es war in Suchumi und in Abchasien... In Poti hier gibt es das Meer und ich bin jeden Tag da, weil ich es vermisse..."
Nur leider ist hier der Strand nicht so schön.
Stalins letzter Fan
Am Strand von Batumi, nur rund 100 Kilometer weiter südlich, wirkt Georgien nahezu idyllisch: Palmen säumen die lange Promenade, Holzbänke laden zum Verweilen in der Morgensonne ein.
Ein laues Lüftchen weht. Im Seepark plätschern Brunnen. Kinder spielen. In einem Pavillon, dem Schachclub, sinnieren alte Männer über die erste Eröffnung des Tages. Im Sommer kommen wieder Urlaubsgäste. Viele Armenier neuerdings.
Ein Paar Blocks entfernt zeigt sich Batumi rühriger. Am Busbahnhof, noch mit Hammer und Sichel geschmückt, ist viel Verkehr. Güterzüge mit Tank-Waggons rangieren quer durch die Stadt Richtung Hafen.
In einer Seitenstraße, nicht weit vom Markt und den Bahngleisen entfernt, steht ein unscheinbares Haus. Die Büste von Josef Stalin im Vorgarten.
Ein schlanker, rothaariger Mann mittleren Alters öffnet die Tür. Er strahlt: Ein Besucher! Alexander, stellt er sich vor. Das Haus ist ein Reliquienschrein. An der Wand hinter Alexander prangt, die volle Höhe des Raumes einnehmend, ein Porträt des angebeteten Diktators. Links im Regal steht Stalins 13bändiges Werk, in vielerlei Ausgaben.
Das Haus hier war ein Arbeiter-Heim. Der Museumsdirektor, -führer und Hausmeister ordnet seinen Rotschopf und öffnet ehrfurchtsvoll ein einfaches Zimmer, in dem drei alte Betten stehen.
"In diesem Zimmer hat Stalin gelebt, zusammen mit zwei Arbeitern. Er kam im November 1901 nach Batumi, um eine sozialdemokratische Partei zu gründen. Damals lebten ungefähr 30000 Menschen in Batumi. Hier waren Raffinerien, das Öl kam aus Baku. Etwa 10000 Proletarier arbeiteten hier – viele Stunden für schlechten Lohn."
Auf dem Lager linker Hand, erklärt Alexander, schlief der Genosse Stalin. Er zeigt auf ein von Motten zerfressenes kleines Stück Stoff. "Sein Handtuch", behauptet er stolz. Auf dem Tisch stehen Teller, Besteck, eine alte Wasserkaraffe, ein eisernes Bügeleisen.
"Seine revolutionäre Zeit begann in Batumi", sagt der freundliche Stalinist und bittet in den Raum nebenan. Der voll hängt mit Bildern, Tafeln, Karten, Zeitungsausschnitten, Fotos, alten Flugblättern. Die Beleuchtung ist dürftig, 5 der 8 Glühbirnen sind durchgebrannt. Man habe große wirtschaftliche Probleme, meint Alexander entschuldigend und nestelt an den zerschlissenen Ärmeln seines Pullovers. Die Georgier interessierten sich derzeit nicht sehr für ihren großen Sohn Stalin.
Die finster dreinblickende Mutter hängt da. Auch ein Bild des Vaters, der trunksüchtig und gewalttätig, war. Und natürlich Stalin-Fotos ohne Ende: Stalin mit Churchill und Roosevelt. Stalin mit Mao Tse Tung – ein enger Freund, sagt Alexander. In China hätten sie ihn nie kritisiert. Nun sei der Kommunismus in Russland zerstört. Aber in China, da herrsche er noch. Und alles entwickele sich blendend. Alle Proletarier, meint Alexander zum Abschied fröhlich, seien schließlich Brüder. Genau wie die Kapitalisten. Und die Proletarier müssten gegen die Kapitalisten kämpfen. Das ist für ihn quasi ein Naturgesetz.
Von der nahen Moschee ruft der Muezzin.
Am Busbahnhof klackern die Spielautomaten. Es ist Zeit, weiterzureisen. Ein letztes Sammeltaxi, eine Marschrutka, gen Süden zu nehmen, zur Grenze. Raus aus post-sowjetischen Sphäre.
Die Marschrutka ist überfüllt, die zuletzt Zugestiegenen müssen stehen, gebeugten Hauptes, weil der Minibus nicht hoch genug ist. Sie klammern sich fest, wo immer Halt zu finden ist. Zum Glück ist der Weg nicht weit. Nach einer halben Stunde ist Endstation. Die Grenze. Vor nicht allzu langer Zeit war hier noch Schluss. Ein Stück eiserner Vorhang – zwischen Nato und Warschauer Pakt. Heute ist es einfach ein Grenzposten, an dem man einen Kaffee bekommt und ein paar Souvenirs kaufen kann. Rechts das glitzernde Meer. Vorne die grünen Hügel der Türkei.
Literatur
Die Küstenstraße war sehr belebt. Sie kamen an langen Karawanen von manchmal mehr als 100 Kamelen vorbei. Die Tiere trugen Glöckchen am Hals, das Leitkamel eine große Glocke. Das klang, als sei hier alle Tage Sonntag. Man sah zahlreiche Fischerkähne. Achmed erklärte, dass die Fischer hier auch bei Nacht auf Fang seien, indem sie die kleinen Sardellen mit Harzfackeln anlockten. Diese Sardellen, unter dem Namen Khansi bekannt, sind eine Spezialität der kleinasiatischen Schwarzmeerküste. Schon bei der nächsten Mahlzeit im Ort Mapavra bekam die Gesellschaft Khansi vorgesetzt. Es gab aber auch noch andere Gänge zu essen. Es schmeckte ihnen vorzüglich, weil sie gutgelaunt waren, Witze machten und lachten, wodurch jedes Essen eine angenehme Würze bekommt.
Gegen 20 Uhr erreichten die die kleine Ortschaft Rize, deren Khan so schmuddelig aussah, dass die Mädchen es vorzogen, unter der Plane der Araba zu übernachten. Achmed lehnte sich an ein Rad des Wagens und hielt die ganze Nacht Wache. Eulen heulten, Käuzchen schrien, und als ein Uhu "Schuhu" machte, zog der junge Bräutigam blitzartig sein Krummschwert und hieb gewaltig in die Luft. Doch traf er keinen Mädchenräuber, nur eine taube Nuß fiel ihm auf die Schädel.
Als der Abenteurer Marco Polo im 14. Jahrhundert die Schwarzmeerregion durchquerte auf seinem Weg nach China, verlor er in seinem Bericht gerade einmal 4 Sätze über diesen Reiseabschnitt – er wollte seine Leser nicht langweilen: Jeder gebildete Florentiner, Venezianer oder Römer kannte zu jener Zeit das Schwarze Meer, viele Lebensmittel, Wein und Kleider kamen von dort.
Einige Jahrhunderte später geriet das Schwarze Meer mit der Entdeckung der Seeroute in den Fernen Osten in Vergessenheit. Und erst mit dem Ende des Kalten Krieges erwachte das Interesse der Europäer an der Schwarzmeerregion wieder neu: mehr noch als die Anrainer selbst ist die Europäische Union daran interessiert, die Region zu stabilisieren: denn sie gilt als wichtiger Energiekorridor der Zukunft. 1992 wurde die BSEC ins Leben gerufen, eine regionale Schwarzmeerwirtschaftskooperation, in der neben den sechs Küstenländern auch Griechenland, Albanien, Serbien, die Republik Moldau, Aserbaidschan und Armenien vertreten sind. Die Europäische Kommission steht der BSEC mit Rat und Tat zur Seite und macht weitere Vorschläge zur Kooperation.
Und aus Athen kam die Idee, eine Ringautobahn zu bauen, mehr als 7000 Kilometer lang, die das Reisen und den Warentransport rund um das Schwarze Meer erleichtern soll. Der Name des Großbauprojekts steht bereits fest: Straße der Argonauten. Alles andere ist noch Zukunftsmusik.
Männer, Tee und Minarette
Die Marschrutka heißt ab jetzt Dolmus. Doch das Prinzip bleibt das gleiche: Ein Kleintransporter, der auf fester Strecke verkehrt und überall hält, wo Fahrgäste ein- oder auszusteigen wünschen. Wobei die türkischen Fahrzeuge schmucker sind und besser in Schuss als die georgischen, die russischen, die ukrainischen, ja selbst die bulgarischen Marschrutki.
Der Dolmus-Fahrer ist ein großer Kerl in einem fleckigen dunklen Anzug, mit stechendem Blick und feuchter Aussprache. Hupend rast er los, kassiert im Fahren mit der Rechten den Fahrpreis bis nach Rize, brettert viel zu schnell die kurvenreiche Küstenstraße entlang.
Im ersten Ort, Hopa, reicht er die Kundschaft an einen wartenden Kollegen weiter, laut über dessen Anteil am Fahrpreis streitend. Der zweite Fahrer ist ein ruhiger Charakter. Gelassen tritt er seine Zigarette aus, startet den Bus, fährt zunächst eine gute Weile am Ortsrand auf und ab, nach weiteren Kunden Ausschau haltend. Als alle Plätze besetzt sind, nimmt er Kurs auf Rize, mit elf Erwachsenen und fünf Kindern an Bord. Noch 1000 Kilometer bis Istanbul.
Der Osten der türkischen Schwarzmeerküste ist fruchtbar. Haselnüsse wachsen hier, Tabak und, wohl das wichtigste Produkt: Tee. Oft ist auf türkischen Tee-Packungen der Name der Teemetropole Rize zu sehen. Was also wäre passender, als im Zentrum von Rize, auf einem schönen, schattigen Platz, einen Tee zu trinken?
Lautlos eilt der Kellner mit einem Tablett voller dampfender Gläser herbei. Der Tee duftet köstlich. Und schmeckt vorzüglich. Die kleine Schlürfzeremonie im Schatten der Bäume lädt zum Nachdenken ein:
Was haben sie gemein, die Anwohner des Schwarzen Meeres? Nicht viel, scheint es. Außer, dass sie natürlich alle viel Fisch essen. Und Tee trinken. Dass überall zu viele jungen Männer untätig herumstehen. Vielleicht auch, dass diese so gern auf den Boden spucken. Und sonst? So wenig. Die Region ist eher Grenzland. Hier stoßen Religionen und Bräuche, Sprachen und Imperien aneinander.
Beim Tee auf diesem schönen Platz in Rize fällt auf, wie konservativ die türkische Schwarzmeerküste ist – im Vergleich zu den postsozialistischen Nachbarn . Strukturierter, homogener, ordentlicher, strenger. Hier wird nicht gesoffen, Drogen und Prostitution sind zumindest besser versteckt. Der auffälligste Kontrast zu allen anderen Ländern an diesem Meer: Die Dominanz der Männer. Der öffentliche Raum ist maskulin geprägt. Die wenigen Frauen, die überhaupt auftauchen, haben etwas zu tun – schleppen ein Kind oder die Einkäufe oder beides. Und verschwinden schnell. Der Müßiggang ist rein männlich. Junge Burschen patrouillieren in Gruppen umher. Die Alten, oft in Anzug und Schlips, sitzen einfach da, klappern mit ihren Gebetskettchen, plaudern und plaudern und schlürfen ihren Tee.
Wir müssen weiter, die Zeit ist fast um, am alten Trapezund vorbei, das heute Trabzon heißt. Stunde um Stunde am Meer entlang, an vielen kleinen Städtchen und Häfen vorbei, in immer komfortableren Überlandbussen, großen Luxuslinern, die in den Pausen penibel gewaschen werden. Die Küstenstraße ist nun meist vierspurig, überall sind Radlader und Walzen dabei, sie noch weiter auszubauen. Gut für den Verkehr. Doch eigentlich ein Jammer. Über dem Strand wächst der Asphalt.
Ein letzter Halt in Samsum, wo gerade ein Jahrmarkt tobt. Die Jugend lässt sich auf einem Monstrum namens "Ranger" durch die Luft schleudern. An anderen Buden beweisen Jungs Körperkraft und Schießkunst. Mädchen schauen zu und kichern.
Auf den ersten Blick wirkt Samsun wie eine sehr durchschnittliche, halbwegs moderne Stadt. Die Menschen an den Wühltischen und Geldautomaten in der Fußgängerzone reagieren auf den Ruf des Muezzin ähnlich wie die meisten Deutschen auf das Läuten der Kirchenglocken: Gar nicht. Aber es gibt doch einen, der beinahe Gott ist.
"Atatürk ist sehr wichtig für die Bürger Samsums, weil er und seine Gefährten im Mai 1919 hier ankamen, um ihre Unabhängigkeitskrieg zu führen."
Mustafa Geçer steht im liebevoll gestalteten Atatürk Museum im Zentrum, er zieht sein Jackett stramm und setzt ein würdiges Gesicht auf. Auf die Frage, ob dieser Atatürk für die Menschen Samsuns heute tatsächlich noch eine Bedeutung hat, reagiert Herr Geçer beinahe beleidigt.
"Sprecher: Wir haben noch immer die Gefühle für Atatürk, sind voller Elan, voller Liebe für Atatürk. Wenn eine solche Zeit wie damals wiederkäme, wären wir, alle Bürger Samsuns, sofort wieder bereit zu kämpfen. Atatürk hat uns befohlen, die westliche Zivilisation zu erhalten. Wir tun unser bestes, und trotzdem müssen wir noch viel mehr tun."
Herr Geçer war einst Bank- und Versicherungsmanager. Heute widmet er sich ganz der Pflege des Andenkens von Mustafa Kemal Atatürk, zeigt stolz die vielen Reliquien – Pyjamas, Kämme, Besteck und Gläser, Pistolen, Hosenträger und Strümpfe des Staatslenkers. Auch ein Modell des Schiffes Bandırma, mit dem er einst im Hafen von Samsum ankam, um den Befreiungskampf zu beginnen.
"Das ist Atatürks Handschrift, er hat das aufgeschrieben, während er hier auf Inönü wartete."
Er verrät sogar, dass der große Mann eigentlich recht klein war: 1,72 Meter in jungen Jahren, im Alter dann 1,68 Meter. Und dass nach wie vor jeden Tag etwa 1000 Menschen hierher kommen. Vielleicht ist das eine Gemeinsamkeit des Völker rund um das Schwarze Meer: Der große Bedarf an Helden.
Zum Abschied noch einmal ans Wasser. Runter zum Hafen, wo ein paar Hobbyfischer unter einem grauen Himmel hocken. Auch hier wird der Fremde mit freundlicher Neugier empfangen. Wie immer gibt es einen Tee. Wie stets arbeitet irgendein Verwandter in Deutschland.
"...mein Großbruder arbeitet n Stuttgart..."
Viele an kurzen Stöckchen befestigte dünne Fäden tauchen ins Meer. Kleine Glöckchen sind an den Ruten befestigt, die klingeln, sobald sich etwas bewegt. Die Männer und Knaben sind mit Hingabe dabei. Sie kippen eimerweise eingeweichtes Brot ins träge Wasser: Der Brei soll Fische anlocken.
Und tatsächlich. Einer der Männer hat just einen gefangen. Alle johlen, alle freuen sich. Nur der Fisch japst elend. Gewiss wäre er gerne in seinem Meer geblieben.
Literatur: Jules Verne: Keraban der Starrkopf, Fischer Verlag, 1969. Aus dem Französischen übersetzt von Martin Doehlemann und Hans-Jürgen Wagener .