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Europas Raumfahrt
Der "New Space" und seine Herausforderungen

Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin können Experten und Interessierte einen Blick auf Europas Raumfahrtprojekte werfen. Während es um den Nachfolger der aktuell bestehenden Ariane-5-Rakete gut aussehe, sei die längerfristige Zukunft der Internationalen Raumstation ISS noch ungewiss, erklärte Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen im DLF.

Dirk Lorenzen im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Eine gezeichnete Ariane 6 im All
    Ariane 6 im All. Bislang nur eine Zeichnung, in vier Jahren könnte es Realität werden. (ESA/Ducros)
    Ralf Krauter: Vor eineinhalb Jahren gab es eine grundsätzliche Einigung in Europa, für die bestehende Ariane 5 ein Nachfolgemodell zu entwickeln. Kommen die Ingenieurteams mit der Ariane 6 voran?
    Dirk Lorenzen: Von der neuen Rakete steht hier ein Modell im Maßstab eins zu fünf vor der Raumfahrthalle. Das Konzept für die Ariane 6 steht, es wird gerade einer eingehenden Prüfung unterzogen. Im September sollte das Ergebnis vorliegen. Dann werden sicher noch manche Dinge angepasst, aber es sind alle optimistisch, dass die Ariane 6 bereits 2020 – also in vier Jahren – zum Jungfernflug abhebt. Ab 2023 soll sie dann bis zu zwölfmal im Jahr fliegen und die bestehende Ariane 5 ersetzen.
    Krauter: Was soll die Ariane 6 können, was die Ariane 5 nicht kann?
    Lorenzen: Sie soll vor allem eines werden: billiger. Die Forderung ist, dass der Zugang ins All künftig nur noch die Hälfte kostet verglichen mit der Ariane 5. Ein Ariane-6-Start dürfte dann um 70 Millionen Euro kosten. Die Rakete wird modular aufgebaut und kann so sehr flexibel zum Einsatz kommen – an die Grundstruktur werden zwei oder vier Booster, kleine Hilfsraketen, angebracht, je nachdem, wie viel Schub für die Nutzlast und die angestrebte Bahn gebraucht wird.
    Krauter: Welche Rolle spielen die neuen Wettbewerber aus den USA? Verändern die Europas Haltung?
    Lorenzen: Der größte Konkurrent aus dem vermeintlichen "New Space", dem "neuen Weltraum", ist auf der ILA direkt gar nicht vertreten. Aber Space-X spielt an vielen Stellen eine Rolle. Der politische Druck, jetzt sehr schnell eine neue Rakete zu entwickeln, liegt natürlich an den privaten Firmen, die in den USA auf den Markt drängen, aber auch um lukrative Aufträge aus anderen Teilen der Welt buhlen. Zugleich muss sich Europa nicht verstecken, denn die angeblich private Raumfahrt von Space X ist industrialisierte Raumfahrt – wie in Europa seit 30 Jahren üblich, beauftragt die NASA jetzt Unternehmen, Raketen zu bauen und Missionen durchzuführen.
    Krauter: Dennoch: Wie viel "New Space" steckt in den künftigen europäischen Projekten?
    Lorenzen: Früher gab es bei der Ariane Aufträge an viele verschiedene Firmen, die alle ein paar Teile hergestellt haben. Jetzt geht ein Auftrag an ein neu gegründetes Unternehmen, Airbus Safran Launchers, das die Ariane entwickelt und baut. Die Firma macht das weitestgehend in eigener Verantwortung, aber auch auf eigenes Risiko. Die ESA und andere Raumfahrtagenturen sichern aber zu, dass sie jedes Jahr einige Satelliten und Raumsonden mit der Ariane starten werden – auch das ist bei Space X mit den garantierten Staatsaufträgen genauso. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dessen Ministerium für die Raumfahrt zuständig ist, hat heute die ILA besucht. Sein Haus hat kürzlich in einer Kommerzialisierungsstudie gefordert, dass Raumfahrt sich viel mehr selbst finanzieren muss – durch Geschäfte im All. Da gibt es großen politischen Druck. Doch das funktioniert wohl nur bei Telekommunikation, vielleicht auch Erdbeobachtung. Grundlagenforschung, wissenschaftliche Erdbeobachtung oder Planetensonden bleiben sicher Aufgaben der staatlich finanzierten Raumfahrt.
    Krauter: Wo kommt die Halbierung der Kosten her? Ist das einfach ein Abschneiden alter Zöpfe?
    Lorenzen: Heute bauen die Firmen viel unkonventioneller und schneller. Sollte man tatsächlich binnen fünf Jahren die Ariane 6 flugtauglich bekommen, wäre das etwa doppelt so schnell wie bisher üblich. Beim Raketendurchmesser ist man nach ursprünglich anderen Planungen wieder zu den 5,40 Metern der Ariane 5 zurückgekehrt – so lassen sich die Werkzeuge und Fertigungsstrecken problemlos weiter benutzen. Schon beim Design hat man auf 3D-Drucker zurückgegriffen. Weil dort aber nur Teile mit 40 Zentimetern Kantenlänge herzustellen sind, gab es für die Ingenieure die Vorgabe, dass die Teile nicht größer sein dürfen, erklärte hier heute Alain Charmeau, der Chef der Firma, die die Rakete baut. Für die Ingenieure war das anfangs ein Schock – aber so etwas macht es viel billiger.
    Krauter: Europas wichtigstes Projekt für die internationale Zusammenarbeit ist sicher die Internationale Raumstation. Wie lange wird die sich in Zeiten von Kostendruck und Nützlichkeitserwägungen halten können?
    Lorenzen: Wie es mit der ISS weiter geht, müssen Europas Raumfahrtminister im Dezember beim nächsten großen Treffen festlegen. Bisher hat Europa nur kundgetan, bis 2020 auf der Raumstation mitarbeiten zu wollen. Alle anderen Partner haben bereits Zusagen bis 2024 gemacht. Deutschland zahlt im Moment überproportional viel für die Nutzung der ISS. Man macht auf allen Ebenen deutlich, dass da in Zeiten gekürzter Budgets andere Staaten sich stärker engagieren müssen. Doch die Raumstation ist bei vielen unbeliebt, weil sie zu groß, zu kompliziert und zu teuer ist. Wenn Deutschland wirklich seinen Beitrag stark kürzt, aber niemand die Lücke füllt, könnte die Forschung auf der Raumstation bald eine noch geringere Rolle spielen als jetzt schon.
    Krauter: Was könnte nach der ISS kommen?
    Lorenzen: Von den nächsten großen Projekten träumen hier viele. Jan Wörner, der ESA-Chef, setzt auf ein Moon Village. Sicher ist, dass man nicht eine zweite ISS in der Erdumlaufbahn bauen wird. Vielleicht gibt es eine gemeinsame Einrichtung auf dem Mond. Aber konkrete Planungen gibt es noch nicht. Zwischen dem Ende der ISS und möglichen neuen Projekten werden wohl viele Jahre Pause liegen.
    Die ILA 2016 in Berlin-Schönefeld hat noch bis zum 4. Juni geöffnet.