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Europas Zukunft steht in den Sternen

Raumfahrt. - Zurzeit beraten in Den Haag die Raumfahrtminister der Esa-Mitgliedstaaten über die künftige Weltraumpolitik Europas. Es geht um gemeinsame Ideen und viele nationale Interessen. Ein wichtige Punkt ist dabei etwa das Engagement Europas bei der Internationalen Raumstation ISS. Der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche über die Tagung

25.11.2008
    Seynsche: Herr Lorenzen, wie ist denn die Stimmung unter Europas Raumfahrern?

    Lorenzen: Die Stimmung ist gespannt, die Nervosität ist wirklich mit Händen zu greifen. Es ist ja auch kein Wunder, es geht ja um viel Geld, denn die europäische Raumfahrtagentur Esa und deren Manager und Wissenschaftler treffen sich praktisch drei Jahre und gehen dann zu den Ministern, und dann müssen die Minister entscheiden, welche Finanzmittel es gibt. Da gibt es dann wirklich knallharte Verhandlungen. Gestern Abend ging das schon los, die hat man dann zum Teil ergebnislos abbrechen müssen - es ist also wirklich ein Geringe und Gefeilsche um das Programm. Aus Deutschland ist aber gar nicht der Raumfahrtminister da, sondern nur der Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium, Peter Hintze, er ist für die Raumfahrt zuständig.

    Seynsche: Um wie viel Geld geht es denn?

    Lorenzen: Die Esa hat für die nächsten drei Jahre gut 10,4 Milliarden Euro beantragt, aber der Esa-Generaldirektor ist da nicht sehr optimistisch, der ist schon eingebremst in dieses politische System, der sagt gleich, wenn er davon 90 Prozent kriegt, dann wäre er schon zufrieden. Geld ist dabei aber auch nicht gleich Geld, denn es geht natürlich darum, welche Projekte man macht, welche Themenbereiche hier Europa dann wirklich im Weltall umsetzen will. Und dabei geht es dann natürlich sofort um Wirtschaftspolitik, denn natürlich will jedes Land vor allem die Projekte nach vorne bringen, die praktisch dann auch der eigenen Industrie zu Gute kommen. Zudem betreibt ja auch jedes Land neben der Esa noch sein eigenes nationales Programm, Deutschland zum Beispiel zahlt 600 Millionen Euro im Jahr nach Paris zur Esa auf die europäische Ebene, gibt aber auch 200 Millionen Euro hier im Land aus.

    Seynsche: Das klingt alles nach einem großen Konfliktpotenzial. Welche Themenfelder sind denn da besonders umstritten?

    Lorenzen: Besonders krachte es hier, und das ist fast ein bisschen überraschend, wie stark es da wirklich kracht, bei der Internationalen Raumstation - da hat die Esa auch nur so etwa 300 Millionen pro Jahr beantragt - die jetzt wirklich zu nutzen. Man ist jetzt ja seit dem letzten Jahr, seit diesem Jahr 2008 wirklich Partner, und Deutschland vor allem ist hier sehr daran interessiert, dass man die ISS jetzt wirklich viele Jahre nutzt. Frankreich will da partout nicht mitziehen. Das heißt, da kracht es wirklich und keiner weiß, wie es ausgehen kann. Ganz bemerkenswert ist die Lage bei der Weiterentwicklung des Automatischen Transfervehikels ATV. Das ist Europas Lastschiff, der in diesem Jahr schon erfolgreich Material zur Raumstation gebracht hat. Jetzt will man ihn weiterentwickeln, dass er Material auch zurück zur Erde bringen kann - bisher verglüht der einfach in der Atmosphäre. Und heute früh platzte die Bombe, dass Italien - einer der drei großen Mitgliedsstaaten der Esa - praktisch auf eigene Rechnung mit US-Firmen eine Transportkapsel in Konkurrenz zum ATV entwickelt. Und da gibt es jetzt natürlich Riesengespräche hinter den Kulissen, was heißt das eigentlich, will Italien hier bei der Esa noch nennenswert mitmachen oder verfolgen sie vor allem nationale Interessen. Das ist besonders deswegen pikant, weil diese Tagung hier in Den Haag unter italienischem Vorsitz stattfindet.

    Seynsche: Können Sie sich vorstellen, warum Italien das macht?

    Lorenzen: Das weiß keiner so ganz genau, es fällt eben nur auf, seit dem Regierungswechsel ist der Kurs der Esa gegenüber massiv anders geworden, man verfolgt sehr stark nationale - fast hat man den Eindruck nationalistische - Interessen, man will Geld abziehen von dem europäischen Programm, keiner weiß genau, was da genau dahinter steckt. Man darf gespannt sein, ob man das hier in den Griff bekommt.

    Seynsche: Aber es ist doch eigentlich normal, dass die nationalen Staaten auf europäischer Ebene natürlich auch versuchen, ihre Interessen durch zu bekommen.

    Lorenzen: Das ist normal, das gehört zum üblichen Esa-Spiel. Es gibt ja auch diesen Geo-Return, das heißt, was immer man an die Esa an Geld gibt, von jedem Euro sollen etwa 90 Cent der eigenen Industrie zu Gute kommen. Das macht Deutschland ganz genauso, auch Deutschland identifiziert, bevor man in so eine Tagung geht, ganz klar, das sind deutsche Interessen, die will man auf europäischer Ebene umsetzen. Bei Deutschland ist es die nächste Generation der Meteo-Wetter-Satelliten, da wird jetzt schon die dritte Generation geplant. Da sagt Deutschland eben auch ganz klar, da bezahlt am meisten, da will man jetzt die Industrieführerschaft haben. Aber hier bei Italien fällt es dann doch eben schon auf, wie offen das so ein Affront gegen die Esa ist und da weiß keiner so ganz genau, wie man damit umgehen kann. Denn ganz ohne Italien könnte man ATV gar nicht weiterentwickeln. Also die müssten sich schon entscheiden, will man jetzt auf europäischer Ebene mitmachen oder mit der Konkurrenz in den USA.