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Europaskepsis in Großbritanniens Medien

Die britische Presse leistet sich seit Monaten Ausfälle, wenn es um Deutschlands Europapolitik geht. Vom "Vierten Reich" ist die Rede und von einem "Wirtschaftskrieg", den die Deutschen gewinnen. Die Leser weisen solche Vorwürfe eher zurück.

Von Ruth Rach |
    Seb Handleman schimpft auf sein Auto. Der Unternehmer fährt einen dicken weißen Lieferwagen.

    "Der Motor ist stark, nun ja stammt ja auch aus Deutschland. Aber die Teile wurden woanders hergestellt. Schau nur mal die Griffe. Die rosten und fallen ab. Ach, wenn sie nur auch aus Deutschland kämen."

    Kein Zweifel, was deutsche Produkte angeht, so brauchen sich die Deutschen nicht zu grämen. Die stehen in Groβbritannien weiterhin hoch im Kurs. Aber die deutsche Europapolitik? Der Euro? Da leistet sich die britische Presse schon seit Monaten Ausfälle. Besonders krasse Beispiele: ein Kommentar von Simon Heffer. Er warnte in der Tageszeitung Daily Mail schon im Sommer vor dem "Aufstieg des Vierten Reiches". Untertitel: "Wie Deutschland die Finanzkrise benutzt, um Europa zu besiegen. "

    Und im November schrieb Anatole Kaletsky in der Times: "Europa führt einen Wirtschaftskrieg und Deutschland gewinnt." In den darauffolgenden Leserbriefen gab's allerdings heftige Proteste. Solche Klischees seien ignorant und beleidigend.

    Der Unternehmer Handleman meint ohnehin: Die britische Presse sei kaum mehr ernst zu nehmen. Die ziehe alles in den Dreck. Angela Merkel leiste gute Arbeit - aber sie habe einen schweren Stand:

    "Ich persönlich sehe überhaupt nicht ein, warum Deutschland ein Land retten sollte, das sich selbst in die Krise geritten hat. Griechenland hat seine Bilanzen gefälscht. Das Land gehört nicht in die EU. Am besten, es kehrt zu seiner alten Währung zurück."

    So einfach ist das nicht, betont unterdessen der Publizist Charles Grant: Deutschland sehe sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, nur die eigenen Interessen zu verfolgen. Und genau diese Kritik treffe bei den Deutschen einen empfindlichen Nerv.

    "Ihre ganze Identität ist seit dem zweiten Weltkrieg untrennbar mit dem Gedanken verknüpft, dass sie in Europa integriert sind. Gleichzeitig aber hat sich die politische Balance in Europa verschoben. Die Deutschen sitzen nun mal am Steuer. Auch wenn Angela Merkel so tut, als spiele Frankreich eine genauso wichtige Rolle. Gleichzeitig wird Deutschland zunehmend isoliert und von allen Seiten unter Druck gesetzt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Deutschen ihre Position letztendlich doch noch ändern, weil sie nicht den Eindruck erwecken wollten, sie seien uneuropäisch."

    In der BBC wird das Euro-Thema inzwischen täglich diskutiert. Aber die Inhalte wiederholen sich: Die Briten brauchen Europa, vor allem mit Blick auf den Handel. Die Deutschen sollten zahlen, sie wollten den Euro ja auch unbedingt haben. Gottlob sind wir nicht der Eurozone beigetreten. Dennoch zählt unsere Stimme - auch in Europa. Von wegen, meint hingegen ein zynischer Hörer. Groβbritannien habe sich längst abgekoppelt:

    "Wir sind doch bereits im Abseits. Kein Mensch will auf dem europäischen Festland noch wissen, was wir denken."

    Die britisch-amerikanische Schriftstellerin Bonnie Greer sprach kürzlich in einer BBC Diskussion - unter dem Beifall ihrer Zuhörer - von zwei Tragödien:

    "Erstens haben wir hier in Groβbritannien eine zum groβen Teil euroskeptische beziehungsweise eurofeindliche Presse. Das bedeutet, dass die meisten von uns nichts über Europa wissen, obwohl es ungeheuer wichtig ist für unsere Wirtschaft und direkt vor unserer Tür sitzt. Und zweitens haben wir zwar einen intelligenten Premierminister, der durchaus versteht, dass wir eine Beziehung zu Europa brauchen. Gleichzeitig aber setzen ihm seine rechtskonservativen Hinterbänkler das Messer auf die Brust, so dass er sich nicht einmal auf eine offene Debatte über Europa einlassen kann. Und so grenzen wir uns selber aus und können das Thema nicht einmal richtig diskutieren, weil wir keine öffentliche Plattform haben."

    Bei einem Referendum würden, so wird jedenfalls in weiten Kreisen angenommen, viele Briten gegen Europa stimmen. Denn: Die Angst von den sogenannten "Vereinigten Staaten von Europa" - also von Brüssel - vereinnahmt zu werden, sitzt tief. Aber eine Volksabstimmung ist weiterhin unwahrscheinlich. Schon die Labour-Regierung wollte nicht in dieses Wespennest stechen - und auch der konservative Premierminister David Cameron wird wohl einen großen Bogen darum machen.