Jens Dallendörfer liebt Osteuropa, besonders hat es ihm aber Weißrussland angetan - oder, wie es korrekt heißt, Belarus.
"Die Stadt Minsk hat sich ja sehr schön entwickelt, da merkt man, dass man näher an Europa ist, als wenn man in Moskau ist, das ist so. Du fühlst es, wenn du durch die Straßen mal ziehst, am Abend auch mal auf n Bierchen und so."
Der Deutsche freut sich über die Vergabe der Europaspiele nach Belarus.
Hoffnung auf Olympisches Flair in Minsk
Dallendörfer arbeitet für einen deutschen Pumpenhersteller, das Unternehmen hat - neben vielen Niederlassungen in anderen osteuropäischen Ländern - seit 20 Jahren eine Zweigstelle in Minsk.
"Diese Sportevents, die sind immer sehr sehr hilfreich. Also es gibt diesen Ländern Schub, es gibt ihnen Internationalismus."
Mit dem Schub meint er vor allem die Infrastruktur. Einer, der in Minsk antritt, ist Sebastian Brendel. Der Kanute aus Potsdam ist mehrfacher Olympiasieger und gewann bei den ersten Europaspielen in Aserbaidschan vor vier Jahren Gold.
"2015 haben wir nicht so viel vom olympischen oder von den European Games mitbekommen, da unsere Strecke zwei oder drei Stunden außerhalb von Baku war, von daher hoffe ich, dass jetzt so'n bisschen mehr das Flair, das Team-Gefühl auch auf die Kanuten überschwappt, und ich hab schon Bilder von der Strecke gesehen, die Strecke sieht supermodern aus, und, ja lass mich überraschen, bald geht's los."
Belarus war kurzfristig als Gastgeber eingesprungen, nachdem die Niederlande als möglicher Ausrichter wieder zurückgezogen hatten. Die meisten Spielstätten in Minsk gab es bereits. Das Dinamo-Stadion, in dem die Eröffnungs- und die Abschlussfeier stattfinden sollen, wurde für die Europaspiele schnell noch renoviert.
Zwar scheint die Summe von rund 35 bis 40 Millionen Euro, von der Präsident Lukaschenko vor einiger Zeit sprach, längst gesprengt, die Gesamtkosten der Spiele liegen jedoch weit unter denen der pompösen ersten Ausgabe in Aserbaidschan.
Die Kosten drohen am Steuerzahler hängen zu bleiben
Über die aktuelle Höhe hüllen sich die Organisatoren in Schweigen. Ihnen ist es nicht gelungen, potente internationale Sponsoren ins Boot zu holen. Die Kosten drohen, wie so oft, am Steuerzahler hängen zu bleiben, sagt der belarussische Wirtschaftsexperte Jaroslaw Romantschuk. Er hat im Jahr 2010 erfolglos gegen Dauerpräsident Lukaschenko kandidiert.
"Finanziell profitieren von den Europaspielen vor allem die Bauunternehmen, die sich Staatsaufträge gesichert haben. Und Hotel-, Restaurant- und Barbesitzer, Taxifahrer, Servicepersonal. Am Ende wird das gleiche passieren wie schon nach der Eishockey-WM 2014. Da haben sie auch Hotels gebaut und gehofft, dass es den Tourismus voranbringt. Aber die Hotelzimmer waren danach nur zu 30 Prozent ausgebucht."
"Belarus ist kein touristisches Mekka"
Geht es nach der Regierung, soll das nach den Europaspielen anders werden.
Denis Sidorenko, Botschafter Weißrusslands, warb diese Woche in Berlin für einen Besuch in seinem Land.
"Belarus ist kein touristisches Mekka. Wir haben kein Meer, wir haben keine Gebirge, aber ich glaube, Belarus ist vielfach unterschätzte touristische Destination. Mit reichem Kulturerbe, mittelalterlichen Schlössern, einmaligen Naturschutzgebieten. Herzlich willkommen in Belarus."
Die Regierung von Belarus wolle das Land modernisieren, so Botschafter Sidorenko. Das geschehe im Dialog mit den internationalen Partnern, und die Europaspiele seien eine Möglichkeit, diesen Dialog weiterzuentwickeln.
Um Neutralität bemüht
Bei der Präsentation der Europaspiele in Berlin bekam Sidorenko Schützenhilfe von der deutschen Wirtschaft. Rainer Lindner leitet das Osteuropageschäft eines großen deutschen Konzerns und ist Vorsitzender der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft und des Minsk Forums.
"Es ist eine Zeit der Annäherung mit den Staaten Osteuropas, die eine schwierige Transformation durchlaufen. Gib den Belarussen diese Chance, sie sollen sich zeigen, sie sollen aber auch unsere Werte erneut bei dieser Gelegenheit noch mal mit aufnehmen, und ich glaube, in diesem Dialog und in dieser Nachbarschaft wird sich in den nächsten Jahren vieles noch verändern."
In den Jahren 1999 und 2000 waren in Weißrussland zwei Oppositionspolitiker, ein Geschäftsmann und ein Journalist verschwunden. Die Fälle sind bis heute nicht aufgeklärt. Ein weiterer Tiefpunkt war die Präsidentenwahl 2010. Da wurden sieben Kandidaten der Opposition verhaftet, einige von ihnen misshandelt, Proteste brutal niedergeschlagen. In der Zeit festigte sich der Ruf von Belarus als der "letzten Diktatur Europas".
Die EU verhängte Sanktionen gegen das Land. 2015 kamen politische Gefangene frei. Seitdem geht die EU wieder auf Präsident Lukaschenko zu, hob die Sanktionen weitgehend auf. Hintergrund ist auch die Rolle von Belarus im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Belarus, obgleich in einer Staaten-Union eng mit Russland verbunden, bemüht sich um Neutralität und hat Minsk als Ort für internationale Verhandlungen etabliert.
Versuche sich von Russland zu emanzipieren
Das bringt Lukaschenko Sympathien in der westlichen Politik ein. In Belarus selbst aber sei von Reformen nicht viel zu merken, sagt der ehemalige Präsidentschaftskandidat Romantschuk.
"Wir haben in Belarus noch ein halbes Jahr bis zu den Parlaments- und Präsidentenwahlen. Die Wahlgesetzgebung wurde nicht geändert, die Möglichkeiten der Opposition bei den Wahlen wurden nicht geändert, was die Unabhängigkeit der Presse angeht, gibt es keinen Fortschritt, und über Wirtschaftsreformen wird auch mehr geredet."
Allerdings: Anders als noch vor Jahren können Oppositionspolitiker in Belarus westlichen Journalisten selbst in der Öffentlichkeit Interviews geben, ohne anschließend deshalb unter Druck gesetzt zu werden. Und Teile der Opposition schätzen Präsident Lukaschenko dafür, dass der neuerdings die weißrussische Sprache erlaubt und die Unabhängigkeit des Landes von Russland fördert, sich offenbar von Russland zu emanzipieren versucht.
Von den Europaspielen nun aber eine langfristig und grundlegende Öffnung gen Westen zu erwarten, sei naiv, sagt Romantschuk. Alles hänge davon ab, was die Machthaber mit dem erhofften Imagegewinn machen.
"Die Chance, dass diese Spiele zu einem Katalysator für Veränderungen werden, ist da. Die EU ist ein guter Partner mit Geld und Technologien. Wir sollten mit der EU befreundet sein, statt sie im Bündnis mit Russland als Gegner zu betrachten. Ob unsere Machthaber aber wirklich dazu bereit sind, da habe ich meine Zweifel."