Europawahl
Warum junge Menschen rechts gewählt haben

Bei der Europawahl haben konservative bis rechte Parteien besonders gut bei jungen Menschen abgeschnitten, während grüne und linke das Nachsehen hatten. Wie erklärt sich dieses Wahlverhalten?

12.06.2024
    Wahlplakat der Grünen mit dem Schriftzug "Einigkeit - Gegen Rechts - Für Freiheit"
    "Gegen Rechts": Die Strategie im Wahlkampf der Grünen ist nicht aufgegangen. (IMAGO / BildFunkMV / IMAGO)
    Bei der Europawahl durften in Deutschland erstmals Menschen ab 16 Jahren wählen. Etwa 1,4 Millionen Wähler kamen dadurch hinzu. In der Altersklasse bis 24 Jahren waren besonders die Unionsparteien (17 Prozent) und die AfD beliebt (16 Prozent), während die Grünen um 23 Prozent auf elf Prozent abstürzten. Das ergab eine Umfrage von Infratest dimap. Für die AfD bedeutet das im Vergleich zu der Europawahl im Jahr 2019 einen Zuwachs von elf Prozent. Doch damit entspricht der Zuspruch für die Partei auch dem Durchschnitt der Bevölkerung.
    Grafik: So wählten die 16- bis 24-Jährigen bei der Europawahl 2024.
Andere: 28 Prozent
Union: 17 Prozent
AfD: 16 Prozent
Grüne: 11 Prozent
SPD: 9 Prozent
FDP: 7 Prozent
Linke 6 Prozent
BSW: 6 Prozent
    Grüne verlieren, AfD gewinnt: So wählten die 16- bis 24-Jährigen bei der Europawahl 2024. (dpa / dpa-infografik GmbH)
    Zugleich haben 28 Prozent der jüngsten Wählergruppe kleine Parteien gewählt, die nicht im Bundestag vertreten sind, wie etwa Volt Europa. Wie erklärt sich dieses Wahlverhalten?

    Inhalt

    Warum haben so viele junge Menschen AfD gewählt?

    Der Hamburger Politikberater und Social-Media-Experte Martin Fuchs sieht eine „Grundfrustration“ bei jungen Wählern. Seit der Finanzkrise und auch während der Coronapandemie sei für die Jüngeren immer „am wenigsten Politik gemacht“ worden. Als weiteren Grund nennt er, wie die Bundesregierung mit Kriegen und Krisen umgegangen sei. Das habe zu einer „maximalen Ernüchterung“ geführt, auch von Anhängern progressiver Ideen. Die AfD habe einfache Antworten zu bieten. „Populismus ist anschlussfähig – nicht nur bei jungen Leuten“.
    Die Publizistin und Grünen-Politikerin Marina Weisband sieht eine Ursache darin, dass die AfD das Thema Angst besetze. Junge Menschen hätten gerade sehr stark Angst. „Es ist eine Generation, die nicht in Aussicht hat, dass es ihnen besser gehen wird als ihren Eltern, sondern die starke Abstiegsängste hat. Und die AfD hat es geschafft, sich populistisch auf diesen Zug zu setzen und vermeintlich diesen Ängsten begegnen zu wollen.“
    Dass die meisten aus Protest AfD wählen, hält Weisband für ein Märchen: Die meisten wählten die AfD, weil die Partei verspreche, es den Reichen zu zeigen und „uns arme Menschen“ zu beschützen. "Was objektiv nicht stimmt – aber sie ist die einzige Partei, die das laut thematisiert und das als Thema für sich besetzt.“
    Martin Fuchs geht aber noch weiter: „Junge Menschen sind nicht unbedingt links-progressiv eingestellt, sondern haben auch teilweise ein vielleicht antisemitisches, rassistisches Weltbild“, sagt er. Einigen sei die CDU „zu mittig“ und „zu wenig nationalistisch“. Die AfD habe es geschafft, das Potenzial von strukturellem Rassismus in Deutschland zu heben - dieser sei schon seit 20, 25 Jahren durch Studien belegt.
    Andere Parteien hätten im Wahlkampf den Fehler gemacht, sich an den Rechten abzuarbeiten und sich darauf fokussiert, Rechtsextreme im EU-Parlament zu verhindern. Diese Strategie sei nicht aufgegangen, sondern habe zu einer Trotzreaktion geführt, die durch das von der Partei bediente Opfernarrativ verstärkt werde.
    Für den Autor der Sinus-Jugendstudie Marc Calmbach ist der hohe Anteil jugendlicher AfD-Wähler eine Momentaufnahme. "Das ist ein volatiles Verhalten, ich bin mir sehr sicher, dass das in zwei Jahren ganz andres aussehen kann", sagt Calmbach. Die Jugendlichen hätten kein geschlossen rechtes Weltbild, sie probierten aus. Allerdings hätten die etablierten Parteien schon häufig enttäuscht.
    Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin betont, dass die AfD den stärksten Rückhalt bei Wählern zwischen 35 und 44 Jahren hat.

    Wie erklärt sich die AfD den Zuspruch junger Wähler?

    Die Europaabgeordnete Christine Anderson (AfD) sieht im Wahlerfolg eine Spätfolge der Coronamaßnahmen. Junge Leute hätten unter den Schulschließungen gelitten. Außerdem macht sie Zuwanderung dafür verantwortlich. Da unter Schülern der Anteil mit Migrationshintergrund wachse, gebe es mehr Mobbing auf dem Schulhof.
    Auch für den AfD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier ist „Masseneinwanderung“, wie er es nennt, eine Ursache. Doch er nennt dazu noch Social Media als Teil des Erfolgsrezepts. „Wir haben die Lufthoheit in den sozialen Medien“, aber auch Influencer spielten eine große Rolle.
    Der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Alternative, Tomasz Froelich, sieht im Wahlerfolg der AfD eine „Rebellion gegen den Zeitgeist“. Der „woke Kram“ komme bei jungen Leuten nicht gut an und erzeuge Widerstand. Außerdem würden junge Menschen kein Parteiensystem ohne die AfD mehr kennen, die dieses Jahr elf Jahre alt wird. Das führe zu einem entspannteren Verhältnis, so Froelich. Zudem gebe es eine neue Offenheit für Jugendliche mit Migrationshintergrund für die AfD.

    Warum haben die Grünen so viele junge Stimmen verloren?

    Marina Weisband zeigt sich schockiert von dem Verlust der Grünen, „dass das Thema Umwelt- und Klimapolitik einfach nicht mehr in dem Maße zieht“. Als Grund sieht sie eine Enttäuschung durch die Partei. Die Grünen seien in der Bundesregierung zu viele Kompromisse eingegangen. Gleichzeitig sieht sie Defizite in der Kommunikation. Es reiche für die Bundesregierung nicht nur, auf TikTok und Instagram zu sein. Es brauche auch eine ehrliche Kommunikation, die die Sorgen der Zielgruppe anspricht, sich überlastet zu fühlen und eine ungewisse Zukunft zu haben.

    Warum haben so viele junge Menschen CDU und CSU gewählt?

    Den Erfolg der Union erklärt Politikberater Martin Fuchs mit der Arbeit von CDU-Chef Friedrich Merz. Der habe es geschafft, seine Partei zu einen und jungen Wählern das Gefühl zu vermitteln, dass es auch jenseits der Ampelkoalition eine demokratische Alternative gebe.

    Warum sind Kleinstparteien bei jungen Menschen so beliebt?

    „Keine Gruppe hat so heterogen gewählt wie die Gruppe junger Menschen“, sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Grund dafür sei, dass für diese Gruppe Themen eine wichtige Rolle spielten, sie ungebunden seien und offen in alle Richtungen. Auch Marina Weisband wundert diese Tendenz nicht, dass klassische Parteien in der Altersgruppe nicht so gut abgeschnitten hätten.
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