Alle fünf Jahre wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ein neues EU-Parlament. Die Abgeordneten entwerfen und verabschieden - in Zusammenarbeit mit den Regierungsvertretern der EU-Mitgliedsstaaten - neue Gesetze und haben damit Einfluss auf die Politik in der EU: vom Klimawandel, bis zu Wirtschaftsfragen, über Flucht und Migration bis hin zur Armutsbekämpfung und Sicherheitspolitik.
Die wichtigsten Botschaften der Parteien werden im Wahlkampf von Spitzenkandidaten vertreten. Von diesen gibt es viele, denn die Wahl zum EU-Parlament besteht aus 27 nationalen Abstimmungen, deren Ergebnisse zusammengezählt werden.
Darüber hinaus haben sich die Parteien zu sogenannten Parteienfamilien zusammengeschlossen, die selbst auch noch einmal Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bestimmt haben.
Zu den Parteienfamilien gehören die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP), die Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D), die Linke (GUE/NGL), die Grüne/Europäische Freie Allianz, die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) sowie die nationalistische und rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID).
Realistisch betrachtet haben nur zwei Kandidaten Chancen auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Allen Umfragen zufolge gibt es eine Favoritin und einen Außenseiter: Amtsinhaberin Ursula von der Leyen tritt für die EVP an, Nicolas Schmit für die Sozialdemokraten.
Der besondere Wahlkampf in Deutschland
Jede Partei, die in Deutschland zur EU-Wahl antritt, versucht, ihren Wahlkampf zu personalisieren, das heißt ein möglichst prominentes Gesicht auf den Wahlplakaten zu präsentieren, dem zugetraut wird, die Wähler zu mobilisieren. Die Parteien nominieren also einen nationalen Spitzenkandidaten.
Wegen des deutschen Parteienföderalismus gibt es zudem eine Besonderheit: Die CDU tritt nur in 15 Bundesländern an, die CSU dafür getrennt in Bayern. Die Folge: Die Unionsparteien stellen für die Europawahl 16 Landeslisten mit jeweils einem eigenen „Spitzenkandidaten“ auf.
Das muss aber kein Nachteil sein. Die CDU hat einfach die Kandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, als ihre nationale Spitzenkandidatin deklariert, obwohl sie auf keinem Wahlzettel in Deutschland zu finden sein wird.
Wer sind die deutschen Spitzenkandidaten und welche Schwerpunkt setzen sie?
Die Kandidatinnen und Kandidaten
- CDU - Ursula von der Leyen
- CSU - Manfred Weber
- SPD - Katarina Barley
- FDP - Marie-Agnes Strack-Zimmermann
- Die Grünen - Terry Reintke
- AfD - Maximilian Krah
- Die Linke - Carola Rackete und Martin Schirdewan
- Bündnis Sahra Wagenknecht - Fabio di Masi und Thomas Geisel
- Freie Wähler - Christine Singer
- Kandidatinnen und Kandidaten weiterer Parteien
CDU - Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen wurde zwar von ihrer Partei als Spitzenkandidatin vorgeschlagen, sie steht jedoch auf keiner Wahlliste - und ist somit nicht direkt für die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger wählbar. Denn die CDU-Politikerin strebt erneut das Amt der EU-Kommissionspräsidentin an.
Für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten wird in der Regel eine Kandidatin oder ein Kandidat der europäischen Parteienfamilie ernannt, die bei der Europawahl am besten abschneidet. In Umfragen liegt von der Leyens EVP bislang klar vorn.
Von der Leyen verfügt über viel politische Erfahrung. Die 65-jährige gelernte Ärztin war bereits Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dann im Ressort Arbeit und Soziales und 2013 bis 2019 als Verteidigungsministerin im Amt. In ihrer Amtszeit als Kommissionspräsidentin brachte sie mit dem Green Deal und dem EU-Migrationspakt einige „Projekte“ voran. Im Falle einer zweiten Amtszeit kündigte sie an, die EU-Verteidigungspolitik mit einem neuen festen Posten eines Verteidigungskommissars in der EU-Kommission stärken zu wollen.
CSU - Manfred Weber
Keine der deutschen EU-Spitzenkandidatinnen oder -kandidaten hat mehr Erfahrung in Straßburg und Brüssel als Manfred Weber. Seit 2004 ist der studierte Diplomingenieur Abgeordneter im EU-Parlament. Er ist zudem Fraktions- und Parteivorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss der bürgerlich-konservativen Parteien im EU-Parlament.
2019 war Weber als EVP-Spitzenkandidat angetreten und hatte sich Hoffnungen auf das Amt des Kommissionspräsidenten gemacht. Das wurde aber schließlich an Ursula von der Leyen vergeben.
Die anstehende Abstimmung zum EU-Parlament bezeichnet Weber vor dem Hintergrund eines drohenden Rechtsrucks als „Schicksalswahl“. Der Schlüssel dafür liege im Thema Migration. "Wir müssen das Thema jetzt lösen und alle, die sich dieser Lösung verweigern, tragen große Verantwortung", sagte er bei einem CSU-Treffen im November 2023. Außerdem will Weber sich für eine Aufweichung des Verbrennerverbots ab 2035 in der EU einsetzen.
SPD - Katarina Barley
Barley, derzeit Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, war bereits 2019 Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Europawahl. Damals erlitt die SPD eine Wahlschlappe und rutschte von 27,3 Prozent (2014) auf 15,6 Prozent. Mit einem Abstimmungsergebnis von knapp 99 Prozent wurde die studierte Juristin erneut auf der Delegiertenkonferenz ihrer Partei zur Spitzenkandidatin gewählt.
Im Wahlkampf setzt Barley vor allem auf die Themen „Bedrohung der Demokratie“ und „Kampf gegen rechts“. Auch plädiert sie dafür, den (finanziellen) Druck auf den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu verstärken und Ungarn notfalls das Stimmrecht im Europäischen Rat zu entziehen, wenn Orbán weiterhin wichtige Entscheidungen der EU wie etwa mehr finanzielle Hilfe für die Ukraine blockieren sollte.
Vor ihrer Zeit als EU-Politikerin war die gebürtige Kölnerin, deren Vater Brite ist, Bundesjustizministerin, Bundesfamilienministerin und SPD-Generalsekretärin. Von 2013 bis 2019 war sie Bundestagsabgeordnete.
FDP - Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Mit dem Wahlspruch „Streitbar für Europa“ soll Strack-Zimmermann den Sinkflug der FDP auf EU-Ebene stoppen. Die gebürtige Düsseldorferin ist Mitglied des FDP-Vorstands, seit 2017 Abgeordnete im Bundestag und dort seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.
Im Bundestag fiel sie als streitbare, kräftig austeilende Rednerin auf, die vehement für eine stärkere Unterstützung der Ukraine argumentierte. Auch als Spitzenkandidatin der Freien Demokraten für die Europawahl liegt ihr Fokus auf Verteidigungs- und Außenpolitik. Dazu gehört auch die Idee einer EU-Armee mit gemeinsamen Rüstungsvorhaben, um diese kostengünstiger zu machen.
Ein weiteres Thema auf Strack-Zimmermanns Agenda: der Widerstand und die deutliche Abgrenzung gegen rechtsextreme Parteien, die am Fundament der EU graben. Darüber hinaus geht die FDP mit ihren traditionellen Themen in den Wahlkampf: weniger Bürokratie und mehr Freiheit für Unternehmen.
Die Grünen - Terry Reintke
Die diplomierte Politikwissenschaftlerin ist nicht nur Spitzenkandidatin der deutschen Grünen, sondern gemeinsam mit dem Niederländer Bas Eickhout auch Spitzenkandidatin der europäischen Grünen.
Seit 2022 ist die im Ruhrgebiet geborene und aufgewachsene Terry Reintke Co-Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im EU-Parlament. Dort zog sie 2014 mit 27 als damals jüngste Abgeordnete ein. Seither erarbeitete sie sich Respekt als harte, aber faire Verhandlerin bei grünen Kernthemen wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.
Reintke gehört zu den Kritikern der Neuregelungen des EU-Asylsystems. Ebenso wie die Spitzenkandidatinnen von FDP und SPD warnt Reintke vor einem wachsenden Einfluss von rechts und setzt sich für Minderheitenrechte ein.
AfD - Maximilian Krah
Die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnet ihn als „Hardliner“ in der ohnehin weit am rechten Rand stehenden AfD: Maximilian Krah. Ihm wird Geschichtsrevisionismus und Rassismus vorgeworfen.
Der gebürtige Sachse ist Jurist und seit 2019 EU-Abgeordneter. Zuletzt geriet er in die Schlagzeilen, weil ein inzwischen entlassener Mitarbeiter von ihm der Spionage für China verdächtigt wird. Zudem laufen Vorermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen Krah selbst. Hintergrund sind Berichte über angebliche Geldflüsse aus prorussischen und chinesischen Quellen.
In Interviews äußert sich der AfD-Spitzenkandidat meist abfällig über die Europäische Union. 2023 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Politik von rechts. Ein Manifest“. Es erschien im Verlag von Götz Kubitschek, der nach Einschätzung des Verfassungsschutzes zu den wichtigsten Akteuren der sogenannten Neuen Rechten zählt.
Die Linke – Martin Schirdewan und Carola Rackete
Martin Schirdewan ist Co-Vorsitzender der Partei Die Linke. In den letzten Monaten versuchte er, die kriselnde Linke nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht und anderen Parteimitgliedern wieder zu stabilisieren. Der 48-jährige gebürtige Berliner ist Politikwissenschaftler. Dem EU-Parlament gehört Schirdewan seit 2017 an. Zwei Jahre später wurde er Fraktionsvorsitzender der Fraktion The Left. Schirdewan war bereits 2019 Spitzenkandidat seiner Partei.
Eine politische Seiteneinsteigerin ist die parteilose Aktivistin Carola Rackete. Die 35-jährige Kapitänin wurde 2019 international bekannt, als sie mit aus Seenot geretteten Geflüchteten auf dem Schiff „Sea Watch 3“ trotz Verbots der italienischen Behörden die Insel Lampedusa anlief. 2023 entschloss sie sich, Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl werden.
Auf der Liste der Linken steht Rackete auf Platz 2 hinter Schirdewan. Politisch steht sie als Seenotretterin für die Unterstützung von Migranten und für den Kampf gegen die Klimakrise. Sie gilt als Hoffnungsträgerin einer Partei, die zuletzt viele Wahlniederlagen einstecken musste.
Bündnis Sahra Wagenknecht – Fabio De Masi und Thomas Geisel
Im EU-Parlament hat Fabio De Masi Erfahrung. Als Mitglied der Linken errang der Diplomvolkswirt bei der Wahl 2014 ein Mandat als Abgeordneter in Straßburg. Dort machte er mit der Aufarbeitung von Finanz- und Steuerskandalen auf sich aufmerksam. Diese Fähigkeiten setzte er von 2017 bis 2021 auch in Berlin ein, als er für die Linke im Bundestag saß.
De Masi trat als einer der wichtigsten Aufklärer im Finanzskandal um Wirecard in Erscheinung. Politisch gehörte er in der Linksfraktion zur Gruppe um Sahra Wagenknecht, die mit der Parteiführung immer häufiger im Clinch lag. 2022 erklärte er seinen Austritt aus der Linkspartei.
„Weniger ist mehr – wir wollen ein Europa, das seinen Job macht“, beschrieb De Masi bei seiner Rede auf dem Gründungsparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) das Programm für die EU-Wahl. Er will sich für eine Mindestbesteuerung großer Konzerne und weniger EU-Bürokratie einsetzen.
Für "Europapolitik mit Vernunft" tritt Thomas Geisel an. Für ihn bedeutet das: Die EU soll sich darauf konzentrieren, Probleme zu lösen, die die Mitgliedsstaaten allein überfordern würden. Für Mikromanagement und "Regelwut" sei kein Platz. Dabei sieht Geisel die Europäische Union vor allem als Wirtschaftsgemeinschaft. In deren langfristigem Interesse sei auch eine Wiederannährung an Russland.
Geisel ist ausgebildeter Jurist und ehemaliger Manager im Energiesektor. Von 2014 bis 2020 erlangte er als umtriebiger und streitbarer Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf größere Bekanntheit, damals noch als Sozialdemokrat. Kurz nach der Ehrung für 40 Jahre SPD-Mitgliedschaft gab er sein Parteibuch zurück. Er war mit der Ukraine- und Flüchtlingspolitik der SPD nicht länger einverstanden.
Geisel sagte, seine sozialdemokratischen Grundsätze, die er im Geiste „Willy Brandts und Helmut Schmidts" einordne, seien in Wagenknechts Bündnis besser aufgehoben. Er gehört zu den BSW-Gründungsmitgliedern.
Freie Wähler - Christine Singer
Christine Singer ist Spitzenkandidatin für die Freien Wähler Bayern zur Wahl des EU-Parlaments. Die gelernte Hauswirtschaftsmeisterin betreibt mit ihrer Familie einen Milchviehhof. Sie möchte nach eigenen Angaben praktisches Vor-Ort-Wissen in die Europapolitik einbringen.
Auf ihrem Bundesparteitag zur EU-Wahl haben sich die Freien Wähler gegen politischen Extremismus abgegrenzt. Die Zusammenarbeit mit extremen politischen Kräften im linken und rechten Spektrum wurde ausgeschlossen. Die Freien Wähler gehören im Europaparlament mit Renew Europe der drittstärksten Fraktion an. Aktuell sind sie mit zwei Abgeordneten vertreten: Engin Eroglu und Ulrike Müller.
Die liberal-zentristische Fraktion Renew Europe (RE) wurde als Nachfolger der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) gegründet. Der Beitritt von Emmanuel Macrons La République En Marche, heute Renaissance, machte sie zur drittstärksten Fraktion im EU-Parlament mit derzeit 102 Sitzen.
Neben Singer kandidieren für die Freien Wähler Engin Eroglu (Hessen), Joachim Streit (Rheinland-Pfalz) und Andrea Menke (Sachsen-Anhalt). Die Freien Wähler fordern unter anderem eine gemeinsame Grenzschutzeinheit zur Überwachung der gesamten EU-Außengrenze. Asylverfahren sollten "primär an den EU-Außengrenzen binnen Tagen" stattfinden. Antragsteller seien "nahe den EU-Außengrenzen" unterzubringen.
Außerdem spricht sich die Partei für eine "Entschlackung" des Landwirtschaftsrechts aus. Bundesweit haben die Freien Wähler rund 8.400 Mitglieder.
Kandidatinnen und Kandidaten weiterer Parteien
Daneben treten weitere, kleinere deutsche Parteien bei der Europawahl an. Darunter folgende, die derzeit bereits mit jeweils einem Abgeordneten im Europaparlament vertreten sind:
„Die Partei“ (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) schickt Martin Sonneborn und Sibylle Berg als Spitzenkandidaten ins Rennen.
Für die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) tritt erneut Manuela Ripa an.
Helmut Geuking heißt der Spitzenkandidat der Familienpartei Deutschlands.
Die Partei Volt setzt auf die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten Damian Boeselager, Nela Riehl, Kai Tegethoff und Rebekka Müller.
Mit Anja Hirschel stellt sich die Spitzenkandidatin der Piratenpartei zur Wahl.
Lars Patrick Berg tritt als Spitzenkandidat für die Partei Bündnis Deutschland an.
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