Europawahl 2024
Die Themen der anderen - Was die EU-Mitgliedsländer umtreibt

Die Europawahl ist angelaufen. Inhaltlich geht es oft um länderspezifische Fragen. Wir geben einen kurzen Überblick über die wichtigsten Wahlkampfthemen in Deutschlands 26 EU-Partnerländern.

Von Thorsten Gerald Schneiders | 03.06.2024
    Auf einem Wahlplakat zur Europawahl 2024 ist eine gezeichnete Figur zu sehen, die schläft und vom Wecker pünktlich geweckt wird, um an der Wahl teilzunehmen.
    Wahlplakat zur Europawahl 2024. (IMAGO / Steinach )
    Die Europawahl gehört zu den größten demokratischen Abstimmungen weltweit. Mehr als 400 Millionen Bürger in 27 Staaten sind vom 6. bis zum 9. Juni zur Teilnahme aufgerufen. 720 Frauen und Männer sollen sie als ihre Vertreter in das Europäische Parlament in Straßburg und Brüssel entsenden.
    Wichtige Themen in allen Staaten sind der Ukraine-Krieg, die Klimakrise, die Migration und die Wirtschaftslage. Doch nicht überall werden diese Themen gleich bewertet. Auch die öffentliche Aufmerksamkeit für die Europawahl ist sehr unterschiedlich.
    Niederlande, Ungarn, Italien, Slowenien, Tschechien, Polen, Spanien, Belgien,
    Dänemark, Österreich, Finnland, Portugal, Griechenland, Rumänien, Zypern,
    Estland, Lettland, Luxemburg, Malta, Bulgarien, Litauen,
    Slowakei, Kroatien, Schweden, Irland, Frankreich
    Der Deutschlandfunk informiert umfangreich rund um die Europawahl. Viele der Beiträge finden Sie hier.
    Das Wichtigste rund um die EU und um die Wahl haben wir auch in Einfacher Sprache aufbereitet.

    Niederlande

    Im vergangenen Jahr gab es Parlamentswahlen. Gewonnen hat die rechtspopulistische und islamfeindliche PVV mit ihrer Gallionsfigur Geert Wilders. Monatelang gelang es nicht, eine Regierung zu bilden. Nach Wilders Verzicht auf das Amt des Regierungschefs einigten sich Konservative und Rechte erst Mitte Mai auf eine Koalition.
    Die Hängepartie überlagert auch den Europawahlkampf. Eines der zentralen Wahlkampfthemen auf nationaler Ebene war die Migration – und so ist es auch vor der Europawahl. Die Debatte fokussiere sich auf Flüchtlinge aus aller Welt, auf Ukrainer, Zuwanderer aus anderen EU-Staaten und internationale Studenten, sagte Louise van Schaik vom Clingendael Institut in Den Haag. Wichtige Themen für die Niederländer seien darüber hinaus der ökologische Wandel und die Lebenshaltungskosten.

    Ungarn

    Dominierend bleibt wie in den vergangenen Jahren die Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban. In ihrem Schatten aber schafft es ihr ehemaliger Parteifreund Péter Magyar zu Popularität. Er ist angetreten, das "System Orban" zu beenden. Vor allem mit seinem Versprechen, der Korruption ein Ende zu setzen, erlangte er Bekanntheit. Zehntausende Ungarn folgten seinen Demonstrationsaufrufen. Die große Mehrheit des ungarischen Volks hätten die herrschenden Eliten, den Hass, die Gleichgültigkeit und Propaganda und die bewusst herbeigeführte Spaltung der Gesellschaft satt, rief Peter Magyar der Menge zu. Die Ungarn wollten "Zusammenarbeit, Liebe, Einheit und Frieden."
    Victor Orban in Nahaufnahme
    Victor Orban stellt sich oft quer. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Stephanie Lecocq)
    Orban zeichnete beim Wahlkampfauftakt das düstere Bild eines europäischen Kontinents, der in einen bewaffneten Konflikt zu taumeln drohe. Wie die AP berichtete, ging er vor seinen Anhängern hinter verschlossenen Türen auf die EU los. Er beschrieb sie demnach als einen Unterdrücker, der die Mitgliedsstaaten in die aktive Teilnahme am Krieg in der Ukraine getrieben habe. Seit Jahren gibt es politische und juristische Auseinandersetzungen zwischen Brüssel und Budapest. Die EU-Kommission wirft Ungarn vor, EU-Standards und Grundwerte zu missachten. Die Behörde leitete etliche Vertragsverletzungsverfahren ein und verklagte Ungarn mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), etwa wegen seiner rigiden Flüchtlingspolitik.

    Italien

    Nach der Wahl der rechtsgerichteten Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vor fast zwei Jahren geht die Auseinandersetzung der politischen Lager weiter. "Wir wollen in Europa genau das tun, was wir am 25. September 2022 in Italien geschafft haben: eine Mehrheit rechter Kräfte organisieren und die Linke auch in Europa in die Opposition schicken", sagte sie bei einer Veranstaltung ihrer Partei Fratelli d’Italia in Pescara. Der Koalitionspartner Lega allerdings sorgte bereits mit einer umstrittenen Personalie für Spannungen: Lega-Chef Salvini setzte General Roberto Vannacci als Europa-Kandidaten durch. Vannacci ist wegen eines Buchs vom Verteidigungsministerium entlassen worden, das als frauenfeindlich, homophob und rassistisch kritisiert wird. Die Staatsanwaltschaft in Rom ermittelt wegen Aufstachelung zum Rassenhass. Breite Kritik löste auch sein Vorstoß aus, Kinder mit Behinderungen getrennt zu unterrichten. Zudem geht der Streit über die Ukraine weiter. Während Meloni die Unterstützung der EU für die Ukraine teilt, sucht Salvini die Nähe zu Russland.
    Anders als etwa in Deutschland treten in Italien die meisten führenden Politiker und Parteivorsitzenden als Spitzenkandidaten an, obwohl sie nicht vorhaben, nach Brüssel zu wechseln. Am Ende werden die Kandidaten auf den hinteren Listenplätzen in das Europaparlament einziehen. Durch solche Scheinkandidaturen erhoffen sich die Parteien größere Aufmerksamkeit.
    Das gilt auch für die sozialdemokratische Herausforderin, Elly Schlein. Die Chefin der größten Oppositionspartei, des Partito Democratico, setzt als Spitzenkandidatin auf klassische Themen wie die Einführung eines europäischen Mindestlohns von nicht weniger als neun Euro pro Stunde. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der gesetzliche Mindestlohn derzeit bei 12,41 Euro. Schlein hofft, Europa sozialer, gerechter und ökologischer machen zu können. Die Europäische Union stehe vor "epochalen Herausforderungen", die kein Mitgliedsstaat allein bewältigen könne.
    Über ein ausgeprägtes europapolitisches Profil verfügt Außenminister und Vizepremier Antonio Tajani, der die einstige Berlusconi-Partei „Forza Italia“ in die Wahlen führt. Tajani zog 1994 erstmals ins Europaparlament ein und war 2017 bis 2019 dessen Präsident, zwischendurch war er mehrere Jahre Mitglied der Europäischen Kommission.

    Slowenien

    Die Regierung von Robert Golob schaut mit gemischten Gefühlen auf die Europawahlen. Der führende Politiker der vergangenen Jahre Janez Janša von der Slowenischen Demokratische Partei will die Abstimmung zu einem Referendum über Golobs Regierung machen. Janša spricht von einem Weckruf. Golob wird vorgeworfen, viele Wahlversprechen nicht umgesetzt zu haben. Der Ausgang der Wahlen dürfte somit vor allem Folgen für die politische Stabilität und die Ausrichtung Sloweniens haben. Dazu passt auch eine Erhebung der EU, wonach Slowenen nach den Tschechen am ehesten der Meinung sind, die Rolle der EU habe an Bedeutung verloren.
    Die Sozialdemokraten versuchen derweil, ein wenig dagegen zu halten. Sie werben für Zusammenhalt. Das sei die Voraussetzung für ein starkes Europa und ein starkes Slowenien.

    Tschechien

    Die Anteilnahme an den Europawahlen ist laut dem Eurobarometer zuletzt nirgends geringer gewesen. Lediglich 38 Prozent äußerten sich interessiert. Allerdings sind das wiederum deutlich mehr als vor den Wahlen 2019. Damals waren es lediglich 16 Prozent. Das größte Interesse bringen Niederländer und Deutsche den Europawahlen entgegen (72 und 70 Prozent)
    Die Oppositionsparteien – allen voran die ANO von Ex-Ministerpräsident Andrej Babis – wollen die Wahl zum Stresstest für die liberalkonservative Regierung von Petr Fiala machen. Dagegen versucht sich dessen Wahlbündnis Spolu auch mit einer umstrittenen Anti-ANO-Kampagne zu wehren. Spolu verbreitete im Internet Wahlplakate, die Babis mit auf die Wangen gemalten russischen Nationalfarben zeigen zusammen mit der Aussage: "Russland - für dich mache ich alles". Es handelt sich um eine Parodie auf den tatsächlichen ANO-Slogan für die Europawahl: "Tschechien - für dich mache ich alles".
    Präsident Petr Pavel äußerte sich besorgt über die politische Kultur in Tschechien. Es sei zwar unfair und gefährlich, dass Babis versuche, antiukrainische Stimmungen zu schüren. Doch die Spolu-Kampagne sei genauso unfair und gefährlich. Babis ist einer der reichsten Männer des Landes. Er stand wegen Subventionsbetrugs mit EU-Geldern vor Gericht und wurde freigesprochen. Bei der Präsidentschaftswahl verlor er gegen Pavel.

    Polen

    "Diese Wahl zum Europäischen Parlament ist eine der wichtigsten in der Nachkriegsgeschichte Polens." So denkt Regierungschef Donald Tusk und das machte er vor Anhängern seiner Bürgerkoalition (PO) deutlich: "Die Wahlen waren noch nie so wichtig und hatten noch nie einen so radikalen Einfluss auf unser tägliches Leben wie jetzt." Dabei verwies Tusk vor allem auf dem Krieg in der benachbarten Ukraine.
    EU-Ratspräsident Donald Tusk
    Einst war er EU-Ratspräsident: Donald Tusk. Jetzt bemüht er sich als Ministerpräsident, Polen wieder näher an die EU heranzuführen. (dpa / picture alliance / Olivier Hoslet)
    In Polen geht auch bei der Europawahl die Auseinandersetzung mit der rechtskonservativen PiS weiter. Tusk und seiner pro-europäischen Koalition war es im Oktober gelungen, die PiS-Regierung abzulösen. Er versprach, demokratische Rückschritte rückgängig zu machen, die Rechte von Frauen und Minderheiten zu stärken und die Beziehungen zu Polens westlichen Verbündeten zu verbessern. Bei den Kommunalwahlen im April war es der Regierung jedoch nicht gelungen, die PiS von Platz 1 zu verdrängen, auch wenn sie in Warschau und anderen Großstädten punktete. Die Europawahl führt nun zu einer Neuauflage des erbitterten Wahlkampfs.
    Das Kommunalwahlergebnis sei für die PiS vor allem ein Ansporn zur Arbeit, sagte Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Die Rechtskonservativen in ganz Europa hoffen besonders auf die PiS. Sie ist ein maßgeblicher Teil der EU-kritischen Fraktion “Europäische Konservative und Reformer”. Mit einem Wahlerfolg der PiS würde sich deren Einfluss deutlich erhöhen.

    Spanien

    Auch in Spanien dominiert die innenpolitische Debatte. Das liegt nicht nur an der jüngsten Parlamentswahl, sondern auch an mehreren wichtigen Regionalwahlen – darunter besonders die in Katalonien. Von europäischen Themen ist daher lange Zeit wenig zu sehen und zu hören gewesen. Um seine Wiederwahl als Ministerpräsident zu ermöglichen, hatte Pedro Sánchez den katalanischen Separatisten eine Amnestie für alle zugesagt, die unter anderem beim gescheiterten Trennungsversuch von 2017 mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Das führte in Spanien zu massiven Auseinandersetzungen.
    Ein neues Thema hat es allerdings auf die politische Agenda geschafft: die Proteste gegen Touristen. Der Tourismus hat in den Augen vieler Spanier nicht nur in den Urlaubshochburgen, sondern auch in kleineren Regionen überhand genommen. Teilweise gab es Anfeindungen von Touristen auf den Strandpromenaden - vor allem auf den Kanarischen Inseln.

    Belgien

    Bei der vorangegangenen Europawahl 2019 hatte Belgien mit fast 89 Prozent die mit Abstand höchste Wahlbeteiligung verzeichnet. In Deutschland waren es zum Vergleich rund 61 Prozent. Inhaltlich hat die Europawahl allerdings eine eher nachgeordnete Bedeutung: Am Wahltag sind die Bürger auch aufgerufen, ihre Stimmen für die Abgeordnetenkammer abzugeben. Zudem werden die Parlamente in den Regionen gewählt. Entlang der Sprachgrenzen - in Belgien wird Französisch, Niederländisch und Deutsch gesprochen - gibt es Unterschiede im Wahlverhalten. Extreme Rechte haben in den überwiegend französischsprachigen Landesteilen Wallonie und Brüssel-Hauptstadt vergleichsweise wenige Wähler, in Flandern sind sie die stärkste Kraft.
    Im April lenkte der Verdacht russischer Einmischung die Aufmerksamkeit auf die Europawahl. Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo sagte, der belgische Geheimdienst habe die Existenz eines Netzwerks bestätigt, das versucht habe, die Unterstützung für die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu untergraben.

    Dänemark

    Der Spitzenkandidat der liberal-konservativen Venstre-Partei Morten Løkkegaard wirbt nachdrücklich für den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union als "assoziiertes Mitglied". Die Frage sei nicht mehr ob, sondern wie man die Ukraine darauf vorbereiten solle, Mitglied der EU zu werden, heißt es. Dänemark müsse dabei die Führung übernehmen. Auch die Sozialdemokraten um Regierungschefin Mette Frederiksen unterstützen die Ukraine.
    Bekannt ist Frederiksen aber vor allem für ihre restriktive Einwanderungspolitik. Während sie im Inland damit punkten kann, fällt das in Europa deutlich schwieriger. Die meisten Mitglieder der sozialdemokratischen Parteienfamilie in Europa vertreten hier liberalere Auffassungen als Frederiksen.
    Radikaler können da die Rechtspopulisten um Anders Visitsen von der Dänischen Volkspartei auftreten. Das gilt auch für ihre grundsätzliche Kritik an der EU. In einer Debatte erklärte Visitsen, er wolle "zehntausend Bürokraten" in Brüssel entlassen. An seine Mitdiskutantin, EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen, gewandt, fügte er hinzu: "Und mit Ihnen fangen wir an." Visitsen sieht die EU zudem als nicht demokratisch an.

    Österreich

    Viele Bürger der Alpenrepublik sehen die Europawahlen vor allem als Stimmungstest für die Nationalratswahlen im Herbst. Demoskopen sehen momentan wachsenden Zuspruch für die rechte FPÖ. Derzeit regiert die konservative ÖVP zusammen mit den Grünen das Land. FPÖ-Chef Herbert Kickl ruft nach einer Eingreiftruppe gegen die "Völkerwanderung" und nach voller Härte gegen den "EU-Asyl- und Migrationswahnsinn" und die "Irrsinnsurteile" europäischer Gerichte in diesem Bereich: "Wir lassen uns das von der EU nicht mehr gefallen." Darüber hinaus wirft er der EU "Kriegsgeilheit" vor.
    Die anderen Parteien halten dagegen. Die NEOS plakatieren "Was schützt vor Trump?" und "Was stoppt Putin?" "Was verhindert einen Öxit?" Auch die ÖVP versucht sich als Europapartei zu positionieren, die ein "besseres Europa" anstrebe. Mit Slogans wie "Herz statt Hetze" gehen die Grünen in den Wahlkampf. Der allerdings auch von der Kritik an ihrer Spitzenkandidatin überschattet wird. Die Grünen haben die 23-jährige Klimaaktivistin Lena Schilling aufgestellt. Recherchen der Zeitung "Der Standard" zufolge soll sie es im privaten Umfeld nicht immer mit der Wahrheit gehalten haben. Die Partei spricht von einer Schmutzkampagne gegen eine junge Frau.
    Die SPÖ setzt derweil auf die klassische Steuerthemen und Sozialpolitik. Aber: "Man spielt bewusst mit Themen, die der SPÖ wichtig sind, aber nur bedingt in die Zuständigkeit der EU fallen", sagte Politikwissenschaftler Peter Filzmaier dem Portal orf.at.

    Finnland

    Die derzeit regierende konservativ-rechte Regierung von Ministerpräsident Petteri Orpo sah sich im Frühjahr mit einer Streikwelle konfrontiert. Im Februar beteiligten sich rund 300.000 Arbeitnehmer nach Angaben des finnischen Rundfunksenders Yle an einem Großstreik. Mehrere Gewerkschaften werfen Orpo vor, mit seinen Reformplänen die Arbeitnehmerrechte zu schwächen und die soziale Sicherheit zu beschneiden. Der Europapolitiker Eero Heinäluoma von der Sozialdemokratischen Partei Finnlands kritisierte, Finnland war bislang ein konstruktives EU-Mitgliedsland. Nun werfe Orpos Vorgehen in ganz Europa Fragen auf. Ein sozial gerechtes und nachhaltiges Europa lasse sich nur durch Dialog, die Achtung von Tarifverhandlungen und den Respekt für andere erreichen.
    Die Unzufriedenheit vor allem mit den rechten Kräften der Regierung gibt der linken Opposition etwas Rückenwind. Die Vorsitzende des Linksbündnisses Vasemmistoliitto, Li Andersson, hat sich als Spitzenkandidatin aufstellen lassen. Die 36-Jährige hatte sich unter anderem als Bildungsministerin unter Ex-Regierungschefin Sanna Marin einen Namen gemacht. Der Grünen-Europaabgeordnete Ville Niinistö sagte Euronews, für seine Partei sei es wichtig, sich bei den Wahlen auf grüne Lösungen für Wirtschaft, Arbeitsplätze und Industrie zu konzentrieren. Dabei sieht er auch zunehmend Unterstützung auf Seiten der Unternehmen und damit mögliche Gesprächskanäle zur konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament.
    Die Rechten sehen sich zudem vor Probleme gestellt, da es europaweit in ihrer Parteienfamilie auch immer wieder Sympathien für Russland und dessen Staatschef Putin gibt. Seit dem Ukraine-Krieg, dem anschließenden NATO-Beitritt Finnlands und den zunehmenden Spannungen an der über 1.000-Kilometer langen gemeinsamen Grenze kommen für sie Kooperationen mit Putin-freundlichen Kräften kaum noch in Frage.

    Portugal

    Einer Umfrage der Denkfabrik ECFR zufolge treibt die Portugiesen zusammen mit den Italienern vor allem ein Thema um: Die wirtschaftlichen Turbulenzen der letzten anderthalb Jahrzehnte. Die Eurokrise hat demnach tiefe Spuren hinterlassen. Vor allem im Süden des Landes rechnet sich die rechtspopulistische Chega-Partei daher Stimmenzuwächse aus. Manche werfen der Regierung vor, sich nur um die Touristen zu kümmern, und die wachsenden Lebenshaltungskosten für die Einheimischen aus dem Blick zu verlieren.
    Landesweit sind in Portugal die Sorgen um die Wahlbeteiligung besonders groß. Portugal sei hierbei vielleicht das Land mit der größten Herausforderung, sagte Regierungschef Luís Montenegro. Am 10. Juni ist der Nationalfeiertag und in der Woche darauf gibt es in vielen Städten Veranstaltungen anlässlich des Todestages des einst in Lissabon geborenen Heiligen Antonius. Montenegro erinnerte daher an die Möglichkeit, im Ausland zu wählen oder vorab abzustimmen. Er selbst werde vorher wählen gehen, um diese Möglichkeit zu verdeutlichen.
    Portugal, Lissabon: Luis Montenegro, Vorsitzender der Mitte-Rechts-Partei Demokratische Allianz, hält eine Rede vor Anhängern und hält beide Hände ausgestreckt.
    Luis Montenegro, neuer Ministerpräsident von Portugal. (Armando Franca/AP/dpa)

    Griechenland

    Nach der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich das Land wieder stabilisiert. Dennoch steigen die Lebenshaltungskosten. Für viele dürfte die Wirtschaftslage eine zentrale Grundlage für ihre Wahlentscheidung sein. Auch öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Bildung gelten als zentrale Themen. Fast 80 Prozent der Griechen geben an, "von Zeit zu Zeit" oder "fast immer" in den vergangenen zwölf Monaten Schwierigkeiten gehabt zu haben, ihre Rechnungen am Ende des Monats zu bezahlen. Damit liegen sie in der EU mit weitem Abstand an der Spitze. Zum Vergleich: In Dänemark sagen 91 Prozent, sie hätten "niemals/fast nie" Schwierigkeiten am Ende des Monats.
    Großer Favorit ist die Nea Dimokratia (ND) von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Sie wurde erst vor gut einem Jahr bei der Parlamentswahl als stärkste Kraft bestätigt. Mitsotakis verspricht politische Stabilität und warnt vor Unsicherheit. Es gibt Spekulation, wonach er im Fall eines Scheiterns von Ursula von der Leyen den Posten des Kommissionspräsidenten oder ein anderes Spitzenamt in der EU anstreben könnte.
    Die Konservativen haben aber auch eine Reihe von Problemen. Neben der schleppenden Aufarbeitung des Zugunglücks von Tembi mit 57 Toten hängen ihnen der Überwachungsskandal von Politikern und Journalisten und der Umgang mit den verheerenden Waldbränden und Überschwemmungen nach.
    Die Opposition ist fragmentiert. Anfang des Jahres spaltete sich die linke Syriza. Nach dem Rücktritt des Vorsitzenden Alexis Tsipras kam es zu einem Führungsstreit. Es entstand die Nea Aristera, der aber ebenso wie der Mera25 von Yannis Varoufakis und der Plefsi Eleftherias von Zoe Konstantopoulou wenig Chancen auf einen Parlamentseinzug eingeräumt werden.
    Indes scheint sich die einst einflussreiche sozialdemokratische PASOK wieder zu stabilisieren und Platz 3 zu erreichen nach ND und Syriza. Mit wachsendem Zuspruch können auch die Rechtspopulisten von Elliniki Lysi rechnen, nachdem die rechtsextreme Spartiates per Gerichtsbeschluss von der EU-Wahl ausgeschlossen wurde.

    Rumänien

    Um die Beteiligung zu erhöhen, haben die Regierungsparteien, die linksnationalistische PSD und die liberal-konservative PNL, entschieden, die Europawahl mit den Kommunalwahlen zusammenzulegen. Eines ihrer Hauptziele im Wahlkampf ist es, die ultranationalistische AUR zu bremsen. Dazu vereinbarten die beiden Parteien, mit einer gemeinsamen Liste zur Wahl anzutreten.
    Die AUR wird zur christlichen Rechten gezählt, tritt für die Vereinigung Rumäniens mit der Republik Moldau ein und äußert sich immer wieder feindlich zur ungarischen Minderheit im Land. Die AUR könnte laut Umfragen zweitstärkste Kraft werden. Ihr Erfolg wird auch vor dem Hintergrund steigender Lebenshaltungskosten und der Krise im Energiesektor erklärt. Hinzu kommen seit Jahren die Probleme im Gesundheitswesen. Es herrscht neben Unterfinanzierung ein erheblicher Personalmangel aufgrund der Abwanderung von Ärzten und Pflegekräften in andere EU-Länder.

    Zypern

    Die Insel im Mittelmeer hat eine Sonderstellung in der EU. Sie ist geteilt in einen griechischen und einen türkischen Teil. Ganz Zypern wurde zwar 2004 in die EU aufgenommen. Das europäische Recht kann aber bisher nur im griechischen Landesteil angewandt werden. Nur hier im Süden hat die international anerkannte Republik Zypern die Kontrolle. Im Rest der Insel, den allein die Türkei als "Türkische Republik Nordzypern" anerkennt, ist das EU-Recht so lange ausgesetzt, bis eine Lösung der Zypernfrage erreicht ist. UNO-Einheiten kontrollieren die Demarkationslinie mit ihrer Pufferzone. Wählen dürfen aber alle Zyprer. Die 83.000 Wahlberechtigten türkischen Zyprer können etwa im Goethe-Institut in der Pufferzone ihre Stimme abgeben.
    Info-Grafik: Karte Zypern mit Eckdaten zu Bevölkerung und Wirtschaft
    Die Insel Zypern besteht aus der von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordszypern und der international anerkannten Republik Zypern im Süden (picture-alliance/ dpa-infografik | dpa-infografik)
    Erstmals treten dieses Jahr gleich drei türkische Zyprer auf Kandidatenlisten griechischer Parteien an. Der Politikwissenschaftler Yiannos Katsourides von der Universität Nikosia hält das für bedeutsam: Es zeige, dass ein Teil der türkischen Zyprer bereit sei, eine politische Vertretung im Rahmen der Republik Zypern als EU-Mitgliedsstaat zu akzeptieren, sagte er dem Portal Phileleftheros.
    Der zyprische Journalist Kyriakos Pieridis schrieb in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel, die Europawahl berge Hoffnung für die Wiedervereinigung Zyperns, weil sie der einzige demokratische Prozess sei, an dem sowohl griechische als auch türkische Zyprer gemeinsam teilnehmen könnten. Angehörige beider Gemeinschaften hätten den Glauben an eine gemeinsame europäische Zukunft noch nicht verloren.
    Unterdessen erlebt die fremdenfeindliche Partei ELAM einen Aufstieg. Die Ankunft von Flüchtlingen im Land sorgt für Spannungen. Anfang Mai schlossen Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Abkommen mit dem Libanon, um die Migration zu begrenzen. Probleme bereiten den Zyprern auch Umweltfragen sowie als ineffektiv kritisierte Behörden und Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit. 2013 traf Zypern die Finanzkrise, vier Jahre später sorgte der Verkauf von EU-Staatsbürgerschaften an reiche Ausländer für Ermittlungen Brüssels.

    Estland

    Wie in den Nachbarstaaten Litauen und Lettland dreht sich auch in Estland angesichts der russischen Bedrohung viel um die Sicherheitspolitik. Die Ministerpräsidentin und Vorsitzende der liberalen Eesti Reformierakond, Kaja Kallas, sagte in einer Grundsatzrede, Sicherheit sei eine existenzielle Frage für Estland. Ohne Sicherheit würden andere Themen zu theoretischen Diskussionen. Jeder einzelne in der Partei müsse nicht nur Verantwortung für estnische Anliegen übernehmen, sondern für die Zukunft Europas im Ganzen. Sie freue sich sagen zu können, führte Kallas aus, dass Estland einen Punkt erreicht habe, an dem seine Stimme am europäischen Tisch das gleiche Gewicht habe wie die Frankreichs oder Deutschlands. "Europa ist 'wir', nicht 'sie'." Solche Appelle scheinen in den Datenerhebungen begründet zu sein. In keinem anderen EU-Land widersprechen mit 76 Prozent der Bürger so viele vehement der Aussage, dass ihre Stimme in der EU etwas zähle.
    Kaja Kallas steht auf der Bühne und blickt ernst zur Seite. Hinter ihr sind die estnische und die EU-Flagge zu sehen.
    Kaja Kallas, die Ministerpräsidentin der Republik Estland. (Imago / Scanpix / Eero Vabamägi)
    Kallas gilt als eine der schärfsten Kritikerinnen des russischen Staatschefs Putin. Russland setzte sie jüngst sogar auf seine Fahndungsliste. Innenpolitisch steht sie nach dem Wahlsieg im Frühjahr 2023 indes unter Druck. Ein Grund ist die steigende Staatsverschuldung und die daraus abgeleiteten Maßnahmen. In Umfragen lagen die Sozialdemokraten zuletzt leicht vorn. Dicht hinter der Reformpartei rangierten die Konservativen auf Platz 3.

    Lettland

    Der Wahlkampf wird von der Angst vor dem Nachbarland Russland bestimmt. In Lettland sind die Gräben zwischen Letten und Russen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine tiefer geworden. Ein Drittel der Letten spricht Russisch als Muttersprache. Viele russischstämmige Bürger klagen über Diskriminierungen und Anfeindungen im Alltag.
    Vergangenes Jahr entschied die Wahlkommission, dass Wahlwerbung nur noch auf lettisch und nicht mehr auf Russisch stattfinden soll. Im März sollten mehrere Bürger, die kaum Lettisch sprechen und nur einen russischen Pass besitzen das Land verlassen. Zahlreiche Lehrer wurden wegen unzureichender Lettisch-Kenntnisse entlassen. Präsident Alar Karis schwor seine Bürger mit den Worten ein: Es gebe kein "Europa der 'anderen', irgendwo da drüben jenseits der Grenzen", es gebe nur "unser Europa".

    Luxemburg

    Nirgends in Europa sind die Menschen stärker davon überzeugt, dass die EU-Mitgliedschaft für ihr Land wichtig ist: 86 Prozent. Sogar 89 Prozent der Luxemburger sagen, dass die Maßnahmen der EU einen Einfluss auf ihr tägliches Leben haben. Demgegenüber halten es aber nur 63 Prozent der Bürger für wichtig, wählen zu gehen.
    Die Debatten zur EU wurden nach Ansicht der Politologin Anna-Lena Högenauer von der Universität Luxemburg in der Vergangenheit zu einseitig geführt: Sie drehten sich vor allem darum, ob man generell gegen die EU sei oder dafür, erklärte sie. Einen weiteren Grund sieht sie in einer geringen Unterscheidbarkeit der Parteien. Unter Verweis auf eigene Analysen der Wahlprogramme zur vergangenen Europawahl in Luxemburg führte sie aus, die Themen der Parteien seien mehr oder weniger identisch gewesen. "Wenn die Wähler keine echte christlich-demokratische, sozialdemokratische, grüne oder linke Vision von Europa erkennen können, dann ist der Wahlkampf für sie uninteressant." Inzwischen haben die Parteien offenbar dazugelernt. Seit den nationalen Wahlen 2023 ist laut Högenauer wieder eine Spaltung der politischen Mitte in Mitte-rechts und Mitte-links zu beobachten, sodass es nicht mehr egal sei, ob man schwarz oder rot wähle.
    2019 wurden die Wahlen in Luxemburg von Umwelt- und Klimafragen geprägt. Seit vergangenem Jahr beherrschen nun nach Ansicht von Högenauers Kollegen Philippe Poirier Themen wie Wohnen, Kaufkraft, Inflation und Steuern die politische Agenda. Luxemburg wird gegenwärtig von einer schwarz-gelben Koalition aus der christdemokratischen CSV und der liberalen DP regiert.

    Malta

    Das kleinste Mitgliedsland der Europäischen Union stellt mit der Christdemokratin Roberta Metsola derzeit die Präsidentin des EU-Parlaments. Es verfügt also durchaus über Einfluss, dennoch fühlen sich gerade auf Malta viele Menschen wie in anderen kleineren EU-Staaten von den Schwergewichten in Europa an den Rand gedrängt. Das gilt einerseits in wirtschaftlichen Fragen, andererseits aber auch für das große Thema Migration. Wobei hier ähnlich wie auf Zypern unterschieden wird zwischen reichen und armen Migranten. Wer genügend Geld in Malta investiert, kann leicht einen EU-Pass "kaufen". Vor allem Russen machen davon Gebrauch. Ob Interventionen aus Brüssel der Praxis inzwischen ein Ende gesetzt haben, ist unklar.
    Intransparenz, Korruption und Rechtsstaatlichkeit als solche bleiben ein Thema auf der Insel. Anfang Mai wurden der sozialistische Ex-Premier Joseph Muscat, sein damaliger Stabschef Keith Schembri und sein Minister Konrad Mizzi wegen des Verdachts der Geldwäsche angeklagt. Ausgangspunkt waren vor Jahren auch die Recherchen der bekannten Journalistin Daphne Caruana Galizia, die 2017 bei einem Bombenanschlag getötet worden ist.
    Blumen für die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia auf Malta.
    Blumen für die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia. (Getty / Dan Kitwood)
    Der Chefredakteur der Zeitung "Times of Malta", Herman Grech, stellte allerdings jüngst in einem Beitrag für den Tagesspiegel fest: "Die Korruption in Malta hat nicht unbedingt Auswirkungen auf Wahlen".

    Bulgarien

    Dreimal wurde innerhalb eines Jahres versucht, eine Regierung zu bilden. Dreimal gelang dies nicht. Nun soll es zum sechsten Mal seit 2021 eine vorgezogene Parlamentswahl geben - und diese wurde parallel zur Wahl des Europäischen Parlaments angesetzt. Nicht nur für den bulgarischen Parlamentsabgeordneten und Restaurantbesitzer Dimitar Naydenov vom liberal-konservativen Wahlbündnis PP-DB ist der 9. Juni bloß ein weiterer "Murmeltiertag", wie die New York Times schreibt.
    Ende April wurde Parlamentspräsident Rossen Scheljaskow nach nur einem Jahr von der Mehrheit der Abgeordneten des Amtes enthoben. Der Politiker der bis vor Kurzem mitregierenden Mitte-Rechts-Partei GERB lag mit der PP-DB über Kreuz. Sein Sturz gilt als symptomatisch für die anhaltende politische Instabilität in dem südöstlichen EU-Land. Bis September vergangenes Jahr standen Justiz und Rechtsstaat wegen grassierender Korruption und organisierter Kriminalität unter Sonder-Überwachung der EU-Kommission. 
    Die innenpolitischen Schwierigkeiten tragen dazu dabei, dass die Bulgaren, wie Radio Bulgaria meldete, keine "Enthusiasten in puncto Europawahl" sind. Im vergangenen Herbst war Bulgarien das einzige EU-Land, in dem die Menschen mehrheitlich angeben haben, das Geschehen in der EU-Politik nur "selten" zu verfolgen. Trotzdem unterstützen rund 60 Prozent Bulgaren die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU.
    Auch der Widerstand gegen Russland nach der Ukraine-Invasion ist noch mehrheitsfähig. Allerdings schwimmt vor allem die rechts-nationalistische "Wasraschdan"-Partei gegen den Strom. Damit konnte sie seit 2017 stetige Stimmenzuwächse von rund 1 auf zuletzt mehr als 14 Prozent verzeichnen. Dieses Mal sehen Demoskopen entweder sie oder die Partei der türkischen Minderheit im Land, DPS, auf Platz 3. Den Wahlsieg national wie europäisch dürften die beiden großen politischen Kräfte GERB und PP-DB unter sich ausmachen. Inhaltlich unterscheiden sie sich kaum voneinander. Die einst führenden Sozialisten der BSP dürften sich nach ihrem Niedergang auch infolge interner Querelen auf Platz 5 wiederfinden.

    Litauen

    Während anderswo vor allem die Sorge besteht, dass nationale Wahlen die Europawahlen thematisch überlagern könnten, befürchtet man hier einen Einbruch bei der Wahlbeteiligung aufgrund getrennter Wahltermine. Alle bisherigen Wahlen in Litauen zum Europäischen Parlament fielen mit den Präsidentschaftswahlen zusammen - außer 2009. Die Wahlbeteiligung 2009 betrug knapp 21 Prozent. 2019 waren es fast 54 Prozent. Die Präsidentschaftswahl wurde im Mai ausgetragen.
    Während man sich also einerseits die Koinzidenz der Wahlen wünschen könnte, bedeutet sie andererseits auch in Litauen, dass der Großteil der Aufmerksamkeit auf der Präsidentenwahl liegt. Hierbei könne man den Kandidaten in die Augen schauen, wie bei der Leichtathletik, sagte der Soziologe und Direktor des Vilmorus-Zentrums für öffentliche Meinung und Marktforschung, Vladas Gaidys, dem Portal Voxeurop. Das Europaparlament indes sei etwas weit Entferntes. Und dann benötige man auch noch Experten, um die Brüsseler Themen überhaupt zu verstehen.
    Dabei schärfte das Land zuletzt deutlich sein europäisches Profil: Neben der Unterstützung der Ukraine wurde mit Deutschland die dauerhafte Stationierung von Soldaten vereinbart. Zusammen mit Polen und Lettland stand Litauen in der ersten Reihe, als das diktatorisch regierte Nachbarland Belarus Flüchtlinge gen EU schleuste. Zudem gewährte Litauen der belarusischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja Asyl.
    Sicherheit und Verteidigung wird in keinem EU-Land von so vielen Wählern als Thema mit höchster Priorität für das EU-Parlament bewertet als in Litauen: Der Anteil der Befragten im jüngste Eurobarometer betrug 60 Prozent - gefolgt von Finnland mit 57 Prozent.

    Slowakei

    Der Anschlag auf den erst Ende 2023 wieder ins Amt gekommenen Ministerpräsidenten Robert Fico Mitte Mai überlagert alles. Die Erschütterung über die Tat bremste den Wahlkampf zunächst aus.
    Der Mann liegt mit auf dem Rücken gefesselten Händen seitlich auf einem Bürgersteig. Um ihn herum mehrere uniformierte beziehungsweise in zivil gekleidete Polizisten.
    Polizisten nehmen am 15.5.2024 in Handlowa in der Slowakei einen Mann fest, der mehrere Schüsse auf Ministerpräsident Robert Fico abgegeben und ihn schwer verletzt hatte. (dpa / ASSOCIATED PRESS / Radovan Stoklasa)
    Vor den Schüssen stand die Sorge im Raum, die Slowakei könnte einen ähnlich EU-kritischen Kurs einschlagen wie Ungarn. Und diese Sorge lag vor allem in der Person Ficos, des Chefs der linkspopulistischen Smer-Partei, begründet. Die Befürchtungen bekamen weiteren Auftrieb als sich bei der Präsidentenwahl mit Peter Pellegrini ein Kandidat aus dem Fico-Lager durchsetzte, um die auf Ausgleich bedachte Amtsinhaberin Zusana Caputova abzulösen.
    Gegner Ficos befürchten Angriffe auf Justiz, Opposition, Medien und Nichtregierungsorganisation sowie eine Hinwendung zum Kreml im Ukraine-Krieg. Die Beschimpfung von Journalisten pflegt Fico schon länger. Der Mord an Jan Kuciak und seiner Verlobten 2018 und der nachfolgende Druck auf die slowakische Politik führte zu mehreren Rücktritten - darunter dem von Fico. Kuciak hatte über kriminelle Verstrickungen von Politik und Unternehmern in der Slowakei berichtet.
    Die Opposition setzt darauf, dass die Europawahlen Fico und die Smer ausbremsen könnten, da längst nicht alle ihren Kurs billigten. Allerdings zeichnet die Slowakei seit ihrem Eintritt in die EU 2004 eine äußerst geringe Wahlbeteiligung aus: sie verzeichnete bisher immer die niedrigsten Werte von mitunter deutlich unter 20 Prozent. 2019 erreichte sie mit knapp 25 Prozent ihren Höchstwert.
    Der frühere Interimsregierungschef, Ľudovít Ódor, der nun für die liberale Progresívne Slovensko-Partei ins EU-Parlament will, sagte dem britischen Guardian, eine wichtige Lektion im Wahlkampf zum Europäischen Parlament sei es, die Wähler außerhalb der urbanen Zentren zu erreichen. Er wolle daher auch in kleineren Städten präsent sein und mit den Menschen in den ländlichen Regionen sprechen.

    Kroatien

    Im Fokus des Wahlkampfs steht meist die immer wiederkehrende Frage nach der nationalen Identität des Landes. Darüber hinaus geht es um die Wirtschaft und um das andere kroatische Dauerthema: die Korruption. Korruptionsvorwürfe sind seit langem ein Problem für die Regierungspartei HDZ von Ministerpräsident Andrej Plenkovic. Mehrere Minister des seit 2016 regierenden Politikers mussten deshalb bereits zurücktreten.
    Zudem liegt eine schwierige Parlamentswahl im April samt vorangegangener harter Wahlkampf-Auseinandersetzung hinter den Parteien. Das Verfassungsgericht untersagte dem pro-russisch aufgetretenen Präsidenten Zoran Milanovic ohne vorherigen Rücktritt für das Amt des Regierungschefs zu kandidieren. Dessen ungeachtet setzte er aber seinen Wahlkampf fort. Seine Anhänger warfen der Regierung vor, das Gericht politisch beeinflusst zu haben.
    Plenkovic wurde schließlich mit der erneuten Regierungsbildung beauftragt und hat inzwischen seine dritte Amtszeit angetreten. Zuvor hatte er sich mit der rechtsnationalistischen Heimatbewegung DP auf eine Koalition verständigt. Die EU-Skeptiker setzen auf nationalistische Themen. Auch die Eindämmung der Migration gehört dazu; Kroatien liegt am Ende der sogenannten Westbalkan-Route. Als Zugeständnis für die Koalition schloss Plenkovic die Partei der serbischen Minderheit (SDSS) von der neuen Regierung aus. Die SDSS war bislang sein traditioneller Verbündeter gewesen.
    Beobachter befürchten, dass die chaotische Wahl und ihre Folgen die Zufriedenheit mit der Demokratie in Kroatien weiter verringern wird. Kroatien gehört bereits zu den Ländern mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Vor fünf Jahren lag sie bei knapp 30 Prozent.

    Schweden

    Schweden ist das einzige Land in der Europäischen Union, in dem die Frage des Klimawandels nach wie vor ganz oben steht. Laut Eurobarometer gaben mit 58 Prozent die meisten Befragten an, dass dieses Thema für sie mit Blick auf die Wahl zu den wichtigsten gehört.
    Ein weiteres beherrschendes Thema in der politischen Diskussion im Land ist die Bandengewalt. Es gibt Rufe nach einer europäischen Spezialpolizei und Einreiseverboten. Auch die Sicherheitspolitik und die Unterstützung der Ukraine bleibt vor allem nach dem Beitritt zur NATO auf der Tagesordnung.
    Die Grünen dürften laut dem Meinungsforschungsinstitut Verian etwas zulegen im Vergleich zur Parlamentswahl 2022. Auch die Linken könnten gestärkt aus der Wahl hervorgehen. Die Parteien der regierenden konservativen Koalition, gestützt von den rechtsgerichteten Schwedendemokraten, drohen teilweise an der 4 Prozenthürde im Land zu scheitern: Das gilt für die Christdemokraten und die Liberalen. Auch die Schwedendemokraten könnten leicht verlieren, bleiben aber immer noch zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten und vor der Moderaten Sammlungspartei von Regierungschef Kristersson. Sollte auch die Zentrumspartei die Sperrklausel verfehlen würden drei pro-europäische schwedische Parteien ihre Sitze verlieren.
    Eine bis dato unbekannte Variable ist die gerade erst gegründet EU-skeptische Partei Folkslistan (Volksliste) um den früheren Sozialdemokraten Jan Emanuel und der ehemaligen Christdemokratin Sara Skyttedal. Sie wollen die Mitgliedschaft Schwedens in der Europäischen Union neu verhandeln. Auch das Wort vom Swexit, vom Ausstieg Schwedens aus der EU, macht im Spannungsgeld von Schwedendemokraten und Folkslistan immer wieder die Runde.

    Irland

    Die Europawahlen werden hier mit den Kommunalwahlen kombiniert. Der Europaabgeordnete der mitregierenden Fianna Fáil-Partei, Barry Andrews, beklagte schon vor Monaten, dass die bisher relativ niedrige Wahlbeteiligung (2019: 47,9 Prozent) auch in einer unzureichende Medienberichterstattung über das Europäische Parlament begründet sei. Berichtet werde vor allem über die EU-Kommission und den Europäischen Rat.
    Karte zeigt die Zollgrenze in der Irischen See
    Zollgrenze in der Irischen See (Deutschlandradio / Wikipedia / TUBS)
    Politisch treibt das Land die Wohnungspolitik um, die Landesverteidigung, das Dauerthema einer Wiedervereinigung mit Nordirland und die Nachwirkungen des Brexits. Nachdem Großbritannien vor kurzem die Abschiebung von Flüchtlingen nach Ruanda ermöglicht hat, sieht sich Irland nun mit einer steigenden Anzahl an Ankünften von Migranten über die britische Provinz Nordirland konfrontiert. Auch der Gazakrieg spielt eine Rolle. Während andere EU-Staaten einen Schwerpunkt auf die Unterstützung Israels legen, gehört Irland vor allem mit Spanien zu den Ländern in der EU, bei der die Unterstützung für die Palästinenser eine besondere Rolle spielt. Das zeigt sich auch Ende Mai in der offiziellen Anerkennung eines Palästinenserstaates gegen den Willen Israels.
    Die Sinn Fein-Vorsitzende Mary Lou McDonald erklärte zum Wahlkampfauftakt, ihre Partei werde die militärische Neutralität und die unabhängige Außenpolitik Irlands verteidigen, die die EU abbauen wolle. Auch die Sozialdemokraten (SocDems) äußern sich ähnlich in ihrem Wahlprogramm. Die Fine Gael wirbt mit dem Einsatz für ländliche Regionen und Wirtschafts- und Gesundheitsfragen.
    Umfragen deuten eine gewisse Überdrüssigkeit gegenüber den Parteien an: Die meisten Iren dürften demnach für Kandidaten stimmen, die als unabhängig eingestuft werden. Stärkste Partei ist die Sinn Fein gefolgt von Fine Gael und Fianna Fáil. Anders als in anderen EU-Staaten haben rechtsgerichtete Parteien bisher wenige Erfolge erzielt. Beobachtern zufolge könnte sich das aber wegen der steigenden Zahl von Migrantenankünften ändern.
    Im April übernahm mit dem 37-jährigen Simon Harris von der bürgerlichen Fine Gail der bisher jüngste Premierminister in der Geschichte des Landes die Amtsgeschäfte, nachdem Vorgänger Leo Varadkar zurückgetreten war. Möglicherweise zog Varadka damit die Konsequenzen aus dem überraschenden Scheitern zweier Volksabstimmungen, die zwei Stellen in der Verfassung mit Blick die Institution Familie und auf Frauen im Haushalt modernisieren sollten.

    Frankreich

    Dass viele Wähler nationalen Themen Vorrang vor europäischen geben, trifft auch auf Frankreich zu. Laut einer Ipsos-Umfrage gilt das für die Hälfte der Befragten. Ähnlich viele würden demnach in erster Linie an der Europawahl teilnehmen, um ihre Unterstützung oder Ablehnung gegenüber Präsident Macron zum Ausdruck zu bringen. Die Versuchung sei groß, meinte der emeritierte Politologe Pascal Perrineau von Sciences Po Paris, die Europawahlen zu einer Art Zwischenwahl zu machen wie in den USA und mit der amtierenden nationalen Regierung abzurechnen. Gerade die extreme Rechte spiele das aus.
    Für manchen Beobachter gelten die EU-Wahlen in Frankreich als "Thermometer" für den sich abzeichnenden Kampf um die Vorherrschaft zwischen Macron und der aufstrebenden Rechtspopulistin Marine Le Pen. Allerdings könnten neben der extremen Rechten auch die Sozialisten profitieren. Deren Spitzenkandidat Raphael Glucksmann legte zuletzt für viele überraschend in Umfragen zu.
    Le Pens Rassemblement National versucht derweil, sich weniger radikal zu geben. Zuletzt distanzierte sich die Partei von der deutschen AfD, mit der sie im künftigen EU-Parlament nicht mehr zusammenarbeiten will.
    Im Wahlkampf vermischen sich aber oftmals nationale und europäische Themen. Fragen nach Einwanderung, Agrarpolitik, Wirtschaft, Energiekosten, Inflation oder die Unterstützung für die Ukraine spielten in Frankreich bei allen jüngeren Wahlen eine Rolle.
    Paris: Der französische Präsident Emmanuel Macron hält eine Rede über Europa im Amphitheater der Universität Sorbonne.
    Grundsatzrede von Frankreichs Präsident Macron (Christophe Petit Tesson / EPA POOL / Christophe Petit Tesson)
    In seiner Rede an der Sorbonne Ende April forderte Macron die EU auf, ihre Naivität im globalen Wettbewerb mit den USA und China abzulegen. Man müsse von den Regeln des freien Wettbewerbs abweichen und die gemeinsamen Investitionen verstärken. Sowohl die USA als auch China unterstützten ihre Industrie durch gewaltige Investitionen. Sie hätten beschlossen, die vereinbarten Regeln des Welthandels nicht mehr zu respektieren.