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Europawahl
Hilfe für Armutsflüchtlinge aus Osteuropa

Seit der EU-Osterweiterung suchen viele Menschen aus Ost- und Südosteuropa ihr Glück in Deutschland. Doch oft genug scheitern sie und landen auf der Straße. In Berlin versucht eine Beratungsstelle, die aus dem Armutsfond der EU finanziert ist, zu helfen.

Von Anja Nehls |
Ein Bettler, eingemummt in eine dicke Jacke,Pelzmuetze und Decke, sitzt bei bissiger Kaelte auf der Brücke vor dem Hauptbahnhof in Berlin.
Viele Obdachlose in Berlin stammen aus Osteuropa (imago/Winfried Rothermel)
Ein Elektrorollstuhl schiebt sich langsam durch die Tür eines kleinen Büros der Berliner Stadtmission gleich hinter dem Hauptbahnhof. Sascho sitzt darin, nach einem Schlaganfall gelähmt. Vor knapp 5 Jahren kam der 44jährige aus Slowenien zum Arbeiten nach Berlin:
"Ich habe gearbeitet, zehn, zwölf Stunden pro Tag für 700 Euro, schwere Arbeit, dann habe ich einen Schlaganfall bekommen, danach habe ich keine Hilfe mehr bekommen."
Arbeiten zum Hungerlohn
Er verlor den Job, dann die Unterkunft, flog aus der Krankenversicherung und lebte schließlich als Schwerbehinderter auf der Straße –als einer von fünf bis zehntausend Obdachlosen in der Stadt. Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach:
"Sehr viele Menschen aus europäischen Ländern, auch sehr viele aus osteuropäischen Ländern kommen hierher um Arbeit zu suchen. Sie nehmen ihr Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit wahr. Und sie scheitern so wie andere Menschen auch scheitern, weil sie keinen Job finden, weil sie arbeitslos werden, weil sie oftmals auch Opfer von Arbeitsausbeutung werden."
Dossier: Europawahlen
Alle Beiträge zum Thema finden Sie auf unserem Europawahl-Portal (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Alle Hoffnungen ruhen auf Deutschland
Die meisten EU-Einwanderer schaffen den Sprung in den deutschen Arbeitsmarkt. Von denen, die auf der Straße landen, haben viele psychische oder Alkoholprobleme. Polen stellen dabei die größte Gruppe, es folgen Rumänen und Bulgaren. Berlin hat schon seit einer Weile damit begonnen, sich auf diese neuen Herausforderungen einzustellen. Das Projekt Mobi Berlin der Caritas steht für mobile Beratungsstelle für Zuwanderer aus Südosteuropa. Rumänen und Bulgaren werden hier in ihren Muttersprachen beraten. Viele träumen von einer besseren Zukunft für sich und ihre Kinder, sagt Annette Schymalla von der Caritas:
"Die wollen da gerne raus aus der Misere aus der sie kommen und die wollen, dass es den Kindern besser geht und für die ist auch wichtig, dass die Kinder hier zur Schule gehen."
Und selbst wenn der Traum von einem Heim und einer ordentlichen Arbeit platzt, sind die Angebote des deutschen Hilfesystems wie Suppenküchen oder Notübernachtungen immer noch besser als eine Rückkehr in die Heimat.
"Wie es immer noch lukrativ ist hier vom betteln und Flaschensammeln zu leben. Und weil man zum Teil davon in Rumänien die ganze Familie ernähren kann, sonst würde sich das ja keiner antun. Wenn wir eben Frauen mit bettelnden Kindern sehen oder Familien, die im Auto schlafen, Kinder ohne Schuhe, Kinder ohne Winterjacken, Leute, die hungern, da sind einfach Phänomene, die kennen wir hier nicht und auf die sind die Bürger nicht vorbereitet und die Sozialarbeit auch nicht."
Hilfe für die Ärmsten
Finanziert wird das Projekt Mobi Berlin durch den Berliner Aktionsplan Roma und den EHAP Fonds, den sogg Armutsfonds der EU, der Gelder für die für die am meisten von Armut und Ausgrenzung betroffenen EU Bürger bereitstellt. In der Beratung geht es um die Anmeldung in Deutschland, Schulbesuch der Kinder, Wohnungssuche oder soziale Ansprüche. Anrecht auf Geld vom Staat haben aber nur EU Ausländer, die hier auch legal arbeiten. Nur wer schon fünf Jahre in Deutschland lebt, kann Hartz IV beantragen. Allerdings können das die wenigsten nachweisen, weil sie oft nicht gemeldet sind. Aber was tun mit Menschen, die hier gelandet sind, keine Arbeit finden, obdachlos werden und keine Ansprüche auf Unterstützung haben, fragt Ulrike Kostka von der Caritas:
"Da ist eine Gesetzeslücke da und reine Überbrückungsleistungen und eine Rückfahrkarte helfen nicht, sondern offensichtlich bleiben die Menschen hier länger und wir müssen Verelendung vermeiden und es ist auch wichtig, die Menschen in den Heimatländern darüber aufzuklären, dass sie hier auch nur bedingte Chancen haben."
Und man müsse sie notfalls zwingen können, in die Heimat zurückzukehren, wünscht sich Stefan von Dassel, der grüne Bezirksbürgermeister von Berlin Mitte. Da das nicht geht, wünscht er sich mehr Unterstützung von den anderen EU Ländern:
"Wir haben eine schreckliche Schieflage, was die sozialen Sicherungssysteme, was den Wohlstand in den Ländern angeht, insbesondere von Minderheiten und von Randgruppen. Da muss Europa nachjustieren Da muss sich Deutschland auch vehementer dafür einsetzen weil wir sind die, die das als erstes spüren, diese Schieflage."
Kaum Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern
Einzig Polen habe bis jetzt zwei Sozialarbeiter nach Berlin entsandt um gestrandete Landsleute zur Rückkehr zu überreden. Um das Thema längerfristig in den Griff zu bekommen müsse aber auf europäischer Ebene vieles nachgebessert werden meint Zimmermann von der Caritas:
"Dass auch in den Mitgliedsländern die Sozialleistungssysteme vielleicht angepasst werden. Wir müssen gucken, dass auch da zivilgesellschaftliches Engagement auch dazu führt, dass es eben tragfähige soziale Angebote gibt und nicht, dass dort Wohnungslosigkeit kriminalisiert wird oder Menschen Beratungsangebote nur in Anspruch nehmen können wenn sie abstinent sind oder ähnliches."
Solange muss Berlin das Problem selber lösen. Schicksal für Schicksal, Problem für Problem. Sascho aus Slowenien wohnt jetzt in einem Heim. Dank der Bemühungen der erst kürzlich eingerichteten Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung ist jetzt eine gesetzliche Krankenkasse für ihn zuständig. Der soziale Träger Frostschutzengel berät wohnungslose Zuwanderer inzwischen in neun Sprachen. Bei Mobi Berlin fanden rund tausend Menschen aus Rumänien und Bulgarien im vergangenen Jahr Hilfe und Unterstützung. Viele haben ihr Leben hier in den Griff bekommen, einige sind in die Heimat zurückgekehrt, einige campieren auf der Straße. Rund zwei Drittel der Berliner Obdachlosen stammen inzwischen aus Ost oder Südosteuropa.