Die Europawahl wird in Großbritannien vor allem als erster nationaler Wahltest seit vier Jahren und letzter vor der Parlamentswahl in zwölf Monaten interpretiert. Der Test fiel für die etablierten Parteien nicht beruhigend aus: Es ist zu dem Erdbeben gekommen, das Nigel Farage, Chef der Anti-EU-Partei UKIP vorhergesagt hatte: "Die Volksarmee von UKIP hat heute Abend gesprochen und für das außergewöhnlichste Ergebnis in der britischen Politik seit einhundert Jahren gesorgt."
Das mag etwas übertrieben sein, aber UKIP hat im ganzen Land den anderen Parteien Stimmen weggenommen, selbst elf Punkte zugelegt und mit etwa 29 Prozent die Europawahl klar gewonnen. Damit haben sich die Rechtspopulisten endgültig im Parteienspektrum festgesetzt. Absolute Mehrheiten für Konservative oder Labour im Unterhaus werden noch unwahrscheinlicher.
Die konservative Partei David Camerons schlug sich besser als erwartet und lieferte sich mit der oppositionellen Labour-Party ein Kopf an Kopf-Rennen, das erst dann entschieden sein dürfte, wenn die Stimmauszählung abgeschlossen ist, die sich wegen mehrerer Pannen in der Nacht verzögerte.
Die Konservativen verloren im Vergleich zu 2009 knapp vier Prozentpunkte und landeten bei 24 Prozent der Stimmen. Zwar gewann Labour neun Punkte, aber der Gleichstand mit den Tories ist enttäuschend, gilt es doch als ungeschriebenes Gesetz, dass bei Europawahlen die jeweilige Opposition klar das Rennen machen sollte, will sie die Chance auf den künftigen Regierungswechsel wahren.
EU-freundliche Liberaldemokraten stürzen ab
Gewaltig war der Absturz der EU-freundlichen Liberaldemokraten, deren Parteichef Nick Clegg es als einziger gewagt hatte, im Fernsehduell Nigel Farage herauszufordern. Das hat sich nicht ausgezahlt. Die Liberaldemokraten haben Glück, dass sie überhaupt einen Europaparlamentarier behalten, ihr Stimmenanteil halbierte sich auf knapp sieben Prozent und viele an der Parteibasis fordern den Kopf von Nick Clegg, etwa Martin Tod aus Winchester: "Die Wähler haben uns eine Botschaft geschickt. Klar ist, dass sie unserem Anführer nicht mehr zuhören wollen. Und das ist ein ernstes Problem, das wir lösen müssen. Ich sorge mich, dass wenn wir mit Nick und der bisherigen Strategie weitermachen, dass wir dann im nächsten Jahr das selbe Resultat erhalten."
Die Liberaldemokraten landeten noch hinter den Grünen, die leicht verlieren, aber knapp acht Prozent holten. Mit diesem Wahlergebnis dürfte Großbritannien weiter auf Distanz zu Europa gehen, was ganz im Sinne Farages ist, der drei unmittelbare Folgen erwartet: "Nun – wir könnten einen Parteiführer sehen, der wegen heute Nacht aus seiner Position gedrängt werden mag, wir dürften einen Labour-Vorsitzenden sehen, der seine ablehnende Haltung zu einem EU-Referendum vollständig überdenken muss und ich vermute, dass der Premierminister aus seiner Partei aufgefordert wird, sehr viel härter mit Europa zu verhandeln."