Wahlplakate, Straßenstände, Fernsehinterviews – die Mittel sind ähnlich, mit denen die Parteien in Paris und Berlin zehn Tage vor den Europawahlen um Unterstützung kämpfen. Doch wie ein echter europäischer Wahlkampf wirken die Kampagnen nicht.
Im Gegenteil: Weit entfernt von einem gemeinsamen Auftreten sind derzeit etwa die Konservativen. Dass die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer den Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg in Frage stellt, ist für viele Franzosen ein Affront. Den kann auch Geoffroy Didier, Wahlkampfleiter der konservativen Schwesterpartei Les Républicains, nur schwer aus der Welt reden. Seine Partei werde am Parlamentssitz Straßburg festhalten.
"Weil wir Franzosen sind natürlich – aber auch, weil Straßburg ein Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung ist. Wir sind nicht nur für einen Verbleib des Europäischen Parlaments in Straßburg, sondern werben sogar dafür, das Parlament komplett in dieser schönen Stadt zusammenzulegen."
Kein gemeinsamer Wahlkampf
Das klare Gegenteil also zur Position der deutschen CDU-Vorsitzenden. Gemeinsamer Wahlkampf sieht anders aus.
Auch in den anderen Parteizentralen in Berlin und Paris ist das Bild klar: die meisten Parteien haben sich zwar mit Schwesterparteien über grundsätzliche Ziele abgesprochen. Einen echten gemeinsamen Wahlkampf gibt es aber auch hier nicht, bestätigt etwa der Linken-Parteivorsitzende Bernd Riexinger.
"Es gibt ein Papier der europäischen Linken, wo die wichtigsten Positionen aufgeschrieben wurden. Das hat Berücksichtigung gefunden, bei unserer eigenen Wahlkampagne. Aber die Wahlkampagne haben wir völlig an den Bedingungen in Deutschland ausgerichtet."
"Entscheidend, Wähler im Land zu erreichen"
Ähnlich sieht es bei der SPD aus. Die stellt sich zwar gerne als Europapartei dar. Zur Mobilisierung setzt sie aber vor allem auf die Nummer eins der deutschen Wahlliste, Justizministerin Katarina Barley. Das Gesicht des gemeinsamen europäischen Spitzenkandidaten, des Niederländers Frans Timmermans, sieht man dagegen eher selten.
"Letztendlich ist bei einer Europawahl entscheidend, die Wählerinnen und Wähler im Land zu erreichen", rechtfertigt sich der SPD-Wahlkampfchef Michael Rüter.
Zustimmung vom CDU-Politiker Gunther Krichbaum. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag hält eine europäische Wahlkampagne für zu weit weg von denen, die am Ende wählen sollen.
"Die Verhältnisse sind dafür in Europa natürlich unterschiedlich. Es mag Themen geben, die in Spanien vielleicht hochaktuell sind, aber in Deutschland niemanden ansprechen. Denken Sie in Spanien an den Wunsch der nationalen Einheit. Das ist in Spanien ein Megathema, aber das würde hier in Deutschland niemand ernsthaft beschäftigen."
Innenpolitik statt europäischer Themen
In Frankreich lässt sich noch etwas beobachten: Die Parteien funktionieren die Europawahl um – zur Abstimmung über den umstrittenen Präsidenten Emmanuel Macron. Ähnlich wie bei vergangenen Europawahlkämpfen dominiert Innenpolitik statt europäischer Themen, analysiert Politikprofessor Martial Foucault von der Politikhochschule Sciences Po Paris:
"Obwohl die Parteien gerade bei einer Europawahl gegeneinander antreten, schaffen sie es nicht, europäische Themen anzusprechen. Stattdessen versuchen sie, nationale Themen auf die europäische Ebene zu zerren. Die großen europäischen Herausforderungen für Europa als Ganzes werden von den politisch Verantwortlichen nicht diskutiert."
So sieht es auch in anderen Ländern der Europäischen Union aus. Statt einem europaweiten Wahlkämpf gäbe es in der EU 28 nationale Kampagnen, sagt Thorsten Faas, Politikprofessor an der Freien Universität Berlin.
"Man wird auch das Ergebnis interpretieren als möglicherweise einen Denkzettel für bestimmte nationale Kräfte. Was wir noch nicht wirklich erleben, ist eine Richtungsdebatte, wo Europa zukünftig hingehen soll. Dafür bräuchte es mehr Europa, auch mehr europäische Öffentlichkeit. Das klappt tatsächlich noch nicht wirklich gut."
Engere Partei-Zusammenarbeit wird notwendig
Dabei sollte bei dieser Europawahl alles anders werden: Nach den gemeinsamen Spitzenkandidaten wollten einige Parteien auch einheitliche europäische Wahllisten aufstellen. Doch ein entsprechender Vorstoß war im vergangenen Jahr im Europäischen Parlament gescheitert.
Um eine engere Zusammenarbeit werden die Parteien nach der Wahl aber nicht herumkommen. Denn Mehrheiten werden im neuen Parlament schwieriger zu organisieren sein. Glaubt man den Umfragen, könnten Konservative und Sozialdemokraten erstmals ihre gemeinsame Mehrheit im Europaparlament verlieren. Dann müssten sich neue politische Koalitionen zusammenfinden. Dafür hätte die Abstimmung auf eine gemeinsame Wahlkampagne eine gute Übung sein können.
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Recherchereise des Deutsch-Französischen Instituts entstanden.