Seit Wochen demonstrieren Landwirte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Polen und Belgien. Anfang Februar blockierten sie mit ihren Traktoren das EU-Viertel in Brüssel. Es kam zu gewalttätigen Szenen.
Nun wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten weitere Maßnahmen zur Entlastung von Bauern vorantreiben. Unter anderem sollen mehr staatliche Unterstützung für Bauern geprüft werden, Umweltvorgaben gelockert und der Verwaltungsaufwand reduziert werden.
Außerdem plant die EU-Kommission, Zölle auf bestimmte Agrarprodukte aus der Ukraine wiedereinzuführen – ein weiterer Schritt auf Bauern in Polen und osteuropäischen Nachbarländern der Ukraine zu, die sich durch das günstigere ukrainische Getreide unverhältnismäßiger Konkurrenz ausgesetzt sehen. Den Bauern reicht das nicht.
Warum protestieren die Bauern in der EU?
Die europaweiten Proteste der Landwirte richten sich gegen ihrer Ansicht nach zu weitreichende EU-Umweltauflagen, Handelsabkommen und bürokratische Bestimmungen. Aus den 27 Mitgliedsländern gebe es 500 Vorschläge für flexiblere Regeln, die nun eingehend geprüft würden, erklärte Belgiens Landwirtschaftsminister David Clarinval, der das Agrarministertreffen am 26. Februar in Brüssel leitete. Belgien hat noch bis zum 30. Juni den EU-Ratsvorsitz inne und ist bis dahin für die Organisation der Ministertreffen verantwortlich.
Im Großen und Ganzen geht es den Bauern um den Schutz vor der Konkurrenz aus Drittstaaten sowie um die Ausgestaltung des Green Deals, das heißt: um die damit verbundenen Umweltauflagen. Dabei geht es auch um Änderungen an der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, aus der jährlich Milliardensubventionen an die Landwirtschaft fließen.
Mit jährlich rund 55 Milliarden Euro ist die GAP der größte Einzelposten im EU-Haushalt. Deutschland stehen davon jährlich mehr als sechs Milliarden Euro zur Verfügung. Während rund drei Viertel der Gelder als Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe gehen, ist der Rest für die Förderung ländlicher Regionen vorgesehen. Dabei hängt die Höhe der Direktzahlungen zum großen Teil von der bewirtschafteten Fläche ab: Je größer der Betrieb ist, desto mehr Geld gibt es.
Lockerungen von Umweltschutzstandards
Ab einer bestimmten Größe müssen sich Landwirte an Umweltstandards halten, um Subventionen aus Brüssel zu erhalten. Sie sollen etwa Fruchtfolgen einhalten, Pufferstreifen entlang von Gewässern beachten und Zwischenfrüchte anbauen, um den Boden zu schützen.
Genau hier fordern die verschiedenen Bauernverbände Lockerungen. Mögliche Ausnahmen sollen nach Vorstellung des europäischen Bauernverbandes Copa-Cogeca mindestens bis 2027 gelten. Vor dem Hintergrund von Importen aus der Ukraine und dem geplanten Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten setzen sich die Verbände zudem für einen besseren Schutz vor Konkurrenz aus Drittstaaten ein.
Worum geht es in den einzelnen Ländern noch?
In Spanien entzündet sich der Streit insbesondere an Tomaten aus Marokko. Spanische Bauernverbände sprechen von Preisdumping und fordern einen Importstopp, Lockerungen bei den Auflagen aus Brüssel und weniger Bürokratie.
In Polen sind die Bauern verärgert über billiges ukrainisches Getreide und werden an der Grenze zur Ukraine schon mal handgreiflich. Dabei gefährden die Blockaden wichtige militärische und humanitäre Lieferungen in die Ukraine. Seit ukrainisches Getreide wegen der russischen Blockade nur noch eingeschränkt auf dem Seeweg über das Schwarze Meer ausgeführt werden kann, erfolgen Lieferungen vermehrt auf dem Landweg, unter anderem über Polen. Statt weitergeleitet zu werden, wird das Getreide dort verkauft - zu deutlich deutlich günstigeren als das einheimische. Die polnischen Bauern fordern deswegen einen Importstopp.
Importstopp für ukrainisches Getreide
Die polnischen Landwirte protestieren aber auch gegen die Vorschläge der Europäischen Union und des EU-Parlaments zum Green Deal. Ihrer Ansicht nach sind die Pläne für die ökologische Umgestaltung der Landwirtschaft, das heißt die Umweltauflagen, zu drastisch.
In Frankreich fordern die Bauern von Staatspräsident Emmanuel Macron gleich den Austritt aus der EU. Seit Wochen protestieren sie gegen die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen. Außerdem klagen sie über sinkende Einnahmen und Umweltvorschriften aus Brüssel.
Wie bringen die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten die Anliegen ihrer Bauern auf EU-Ebene ein?
Der deutsche Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir (Grüne) will das Projekt zur ökologischen Umgestaltung der Landwirtschaft retten. Es gibt aber Länder und Fraktionen im EU-Parlament, die es gänzlich zur Disposition stellen. Dazu zählt unter anderen die Europäische Volkspartei (EVP), der die deutschen Unionsparteien angehören.
Özdemir: „Mit Biodiversität gutes Geld verdienen“
Özdemir setzt sich dafür ein, die bisherigen pauschalen Subventionen, die beispielsweise gezahlt werden, wenn Flächen stillgelegt werden, zielgerichteter einzusetzen. Es brauche einen Umbau der Landwirtschaft und finanziell attraktive Angebote, um etwa mit Biodiversität gutes Geld verdienen zu können, erklärte er. Es geht also auch um die Milliarden aus der GAP.
Die Umsetzung von Reformen müsse möglichst bürokratiearm sein, denn die bisherige EU-Agrarpolitik sei ein Bürokratiemonster. Sie führe dazu, dass Klima- und Artenschutz für Landwirte nicht attraktiv seien und ein durchschnittlicher Landwirt ein Viertel seiner Zeit am Schreibtisch verbringe. Die aktuellen Proteste begreift Özdemir als Chance, die Landwirtschaft grundlegend zu reformieren.
Frankreich fordert pragmatische Lösungen
Frankreich verlangt dagegen, einen EU-Kompromiss zu Emissionen aus der Geflügel- und Schweinehaltung wieder aufzuschnüren. Im Dezember 2023 hatten sich Mitgliedsländer und EU-Parlament auf Grenzwerte für "industrielle" Betriebe geeinigt. Der französische Landwirtschaftsminister Marc Fesneau forderte in Brüssel "pragmatische" Lösungen für die Bauern.
Der polnische EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski fasst die Anliegen der Bauern so zusammen: kompletter Importstopp für Agrargüter aus Drittstaaten und Ausstieg aus dem Green Deal.
Wie reagiert die EU-Kommission?
Brüssel hat bereits Zugeständnisse gemacht. Die EU-Kommission hat einen Gesetzentwurf einkassiert, mit dem sie den Einsatz von Pestiziden einschränken will. Außerdem setzt sie die Vorgabe aus, vier Prozent des Ackerlandes brach liegen zu lassen. Dafür sollen Bauern im Gegenzug mehr stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen beziehungsweise Zwischenfrüchte anbauen.
Die EU-Kommission hat zudem Vereinfachungen bei den Dokumentationspflichten für die Betriebe in Aussicht gestellt. Künftig soll es Bauern auch erlaubt sein, mehr Wiesen in Ackerland umzuwandeln. Das dürfte vor allem Tierhaltern zugutekommen, die ihr Geschäft wegen schlechter Umsätze auf den Getreideanbau umstellen.
Weniger Mehrfachkontrollen
Durch den verstärkten Einsatz digitaler Systeme sollen zudem bis zu 50 Prozent der Vor-Ort-Kontrollen durch nationale Behörden wegfallen. In von Überschwemmungen oder Dürren betroffenen Gebieten sollen wiederum keine Strafen mehr verhängt werden, wenn Betriebe die Auflagen nicht erfüllen.
Auch sollen bestimmte Standards vereinfacht werden, die für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen sorgen sollen. Diese Standards müssen Landwirte einhalten, um von milliardenschweren EU-Agrarsubventionen zu profitieren. Auch weitreichende Ausnahmen für besonders kleine Höfe sind vorgesehen.
Zielgerichtete finanzielle Anreize schaffen
Der Agrarökonom Thomas Herzfeld plädiert ebenfalls dafür, die bisherigen EU-Subventionen für die Landwirtschaft zielgerichteter einzusetzen, um finanzielle Anreize für Arten- und Klimaschutz zu setzen. Pauschale Flächensubventionen oder pauschale Vorgaben zur Reduktion des Pestizideinsatzes würden nicht reichen.
ckr