"Il Presidente!"
Seit Antonio Tajani Präsident des Europaparlaments ist, sind die Plenarsitzungen in Straßburg immer auch von Pomp begleitet. Erst recht an diesem 12. Februar. Tajani führt einen Besucher in den Plenarsaal, den italienischen Ministerpräsidenten Guiseppe Conte. Er soll vor den Parlamentariern über die Zukunft Europas reden. Die italienische Regierung hatte in den Wochen zuvor Europa in Aufregung versetzt. Mit ihren teuren Reformprojekten, einem Bürgergeld und der Senkung des Renteneintrittsalters. Die Zinsen für italienische Staatsanleihen hatten daraufhin deutlich angezogen. Für die Regierungen nördlich der Alpen scheint die Sache damit klar: Das am höchsten verschuldete Land der Europäischen Union pfeift auf Zusagen, die die Vorgängerregierung den übrigen Euroländern gegeben hatte und macht weiter Politik auf Pump. Und als Conte ans Rednerpult geht, dürfen sie sich bestätigt fühlen. Er ruft zur Beendigung der Sparpolitik in Europa auf. Und sagt dann:
"Mit unserem Haushaltsgesetz hat Italien einen stabilen Wachstumspfad eingeschlagen. Während wir die Buchführung in Ordnung halten, haben wir alles unternommen, um den Bürgern, die einen politischen Wandel erwarten, eine bessere Gegenwart und Zukunft zu garantieren."
Der Süden lebt auf Pump, der Norden spart
Besonders überrascht waren die Abgeordneten von dieser deutlichen Botschaft nicht. Sie schien alle Klischees zu bestätigen, die die finanz- und haushaltspolitischen Debatten seit der Finanzkrise geprägt haben.
Die teilen die Eurozone in einen reformunfähigen Süden, der auf Pump lebt, und einen stabilitätsorientierten Norden, der fürchtet, mit seinem Geld für den Süden geradestehen zu müssen. Diese Stereotypen wirken sich zunehmend lähmend auf die Alltagsarbeit der Eurozone aus, sagt Lucas Guttenberg, der stellvertretende Direktor des Jacques-Delors Instituts in Berlin.
"Das ist der Hauptunterschied verglichen zu vor zehn Jahren, dass es ein sehr starkes Misstrauen unter den Mitgliedstaaten gegeneinander gibt, dass man sich nicht vertraut, dass gemeinsame Regeln eingehalten werden. Und das ist wechselseitig. Ich glaube, das ist das Grundrauschen, auf dem diese Gräben entstanden sind, das toxisch ist für die Debatten unter den Mitgliedsstaaten."
Demütigungen und Enttäuschungen
Die Vorgänge während der Finanzkrise, als das Überleben der Gemeinschaftswährung zeitweise fraglich schien, als Griechenlands Mitgliedschaft im Währungsraum vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble angezweifelt wurde, sind häufig beschrieben worden. Das heißt aber nicht, dass die damaligen Geschehnisse heute, da die EU die Finanzkrise für überwunden erklärt hat, vergessen wären.
Ganz im Gegenteil: Sie haben tiefe Spuren hinterlassen. Udo Bullmann, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, verweist auf die Tatsache, dass Beamte aus Brüssel und Berlin damals den Finanzministern jener Länder, die Mittel aus dem EU-Rettungsfond erhalten haben, die in ihren Heimatländern zu verabschiedenden Gesetze vorgaben:
"Sie wurden in Hotelzimmer bestellt und es wurde ihnen diktiert, was sie zu machen hatten. Und das ist als eine Entwürdigung souveräner Staaten wahrgenommen worden ohne Gleichen."
Entsetzen und Enttäuschung gab es aber auch auf der anderen Seite. Immer wieder, so der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, habe sich damals gezeigt, dass die Reformzusagen, die gemacht worden waren, nicht umgesetzt wurden.
"Wir haben in Griechenland natürlich schon festgestellt, dass das griechische Parlament zwar willig und bereit war, Reformen zu beschließen, dass aber in der Administration dieser Reformen die Ministerien, die dezentralen Verwaltungen und die Verwaltungsbehörden nicht bereit waren, das, was im Parlament beschlossen wurde, auch wirklich zur Anwendung zu bringen. Und dass das zu Frustrationen führt, da bitte ich auch um Verständnis."
Schuldenkrise oder Eurokrise?
Mittlerweile hat sich der Fokus verschoben. Griechenland ist aus dem Hilfsprogramm entlassen worden, stattdessen richten sich jetzt alle Blicke auf Italien. Elf Jahre nach Beginn der Finanzturbulenzen besteht aber immer noch keine Einigkeit darüber, was für eine Krise die EU da überhaupt überwunden hat. Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Institut:
"Das fängt ja an bei der Benennung der Krise. Wir sprechen ja von Schuldenkrise, in großen Teilen Resteuropas spricht man von Eurokrise. Das ist ja schon ein guter Indikator dafür, was man als Ursache der Krise da identifiziert hat."
Der Euro als Ursache der wirtschaftlichen Probleme, so also das Narrativ in Italien, das eine Euro skeptische Regierung an die Macht gebracht hat. Während in Deutschland, den Niederlanden oder Finnland die Meinung vorherrscht, dass es die mangelnde Haushaltsdisziplin südeuropäischer Staaten war, die die Finanzkrise ausgelöst hat.
Die gegensätzlichen Erklärungsmuster prägen auch die Debatten darüber, was jetzt getan werden muss, um eine erneute Krise zu vermeiden. Und sie führen zu gegenseitigen Schuldvorwürfen.
Deutschland und Italien
"Ich habe das im Laufe der Finanzkrise natürlich hautnah mitbekommen."
Sagt Thomas Wieser. Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler leitete von 2012 bis 2018 die sogenannte "Euro Working Group". Das ist jenes Expertengremium, das die regelmäßigen Sitzungen der Eurogruppe vorbereitet, also das Treffen der Finanzminister der Euroländer. Oder anders ausgedrückt: Die Euro Working Group ist das rund um die Uhr schlagende und pumpende Herz der Eurozone. Hier wird die Arbeit gemacht, hier werden die Entscheidungen vorbereitet:
"Sehr häufig - vor allem in Italien - wird es als Nord-Südkonflikt betrachtet und es wird an den Deutschen aufgehängt. Und in Deutschland wird es als Nord-Süd-Konflikt betrachtet und es wird an den Italienern aufgehängt."
Die Argumentationen beider Seiten sind bekannt: Italien hat es unterlassen, bei der Euroeinführung die notwendigen Reformen durchzuführen, das Wachstum lahmt, die Schulden steigen, und das strafen die Märkte gnadenlos ab. So ist es in Deutschland oft zu hören.
Die Erzählung in Italien klingt ganz anders: Deutschland hat mit seiner Exportmacht, gestützt auf den Euro, den schwächeren Volkswirtschaften in Südeuropa die Luft zum Atmen genommen, weil die auf Produktivitätszuwächse in Deutschland nicht mehr mit einer Abwertung der nationalen Währung reagieren konnten. Und deshalb, so die Forderung, müsse Deutschland sich jetzt solidarisch zeigen. Thomas Wieser:
"Beide Sichtweisen haben ja was an sich. Die Wahrheit liegt irgendwo in einem Kontinuum in der Mitte. Faktum ist: Der Norden, das ist also Deutschland, Holland, Belgien, Österreich, Finnland und so weiter, haben ja von der Währungsunion unfassbar profitiert. Unfassbar! Und so gesehen haben die südlicheren Länder durchaus Recht, wenn sie sagen, da könnte man durchaus auch ein bisschen mehr Solidarität an den Tag legen."
Die Wirtschaft und die Jahreszeiten
Doch auch elf Jahre nach dem Beginn der Finanzkrise gelingt es der Eurozone nicht, ein Konzept zu entwickeln, das ein Gleichgewicht von finanzpolitischer Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten einerseits und solidarischer Unterstützung andererseits garantiert. Warum scheitert die Eurozone an dieser Aufgabe? Warum scheint es unmöglich, diese gegensätzlichen Narrative über die Ursachen der überwundenen Krise abzulegen? Und warum gelingt keine Einigung auf eine neue Architektur der Eurozone?
Spurensuche im Europaparlament: In der 15. Etage hat der CSU-Abgeordnete Markus Ferber sein Büro. Er ist der Finanzexperte seiner Partei in Brüssel. Das Problem bestehe in unterschiedlichen Stabilitätskulturen, sagt er. Die Länder südlich der Alpen messen, so seine These, einer sparsamen Haushaltsführung einfach einen geringeren Wert bei als die Euroländer nördlich der Alpen. Eine weitverbreitete These. Aber woher rührt diese Differenz? Ferber berichtet von einem Gespräch mit einem befreundeten Abgeordneten:
"Mir hat mal jemand aus Skandinavien gesagt: ‚Wissen Sie, Herr Ferber, wir haben lange Winter. Wir sind gewohnt, dass wir im Sommer etwas erwirtschaften müssen, damit wir über den Winter kommen. Weil, bis wieder ausgesät werden kann, bis wieder geerntet werden kann, müssen wir den langen Winter überstehen. ‘ Und vielleicht ist das eine Möglichkeit der Erklärung. Dort, wo immer die Sonne scheint, wo immer was wächst und gedeiht, wo man zweimal im Jahr ernten kann, ist das Thema der Vorsorge nicht so wichtig wie dort, wo man einen harten Winter durchhalten muss."
Religion und Arbeitsethik
Zehn Etagen weiter unten im Parlamentsgebäude hat Udo Bullmann sein Büro. Den Fraktionschef der Sozialdemokraten überzeugen solche Mutmaßungen über einen Zusammenhang von Klima und ökonomischen Verhaltensmustern nicht. Bullmann, ein gelernter Politikwissenschaftler, holt historisch weit aus und erläutert, welchen Einfluss konfessionelle Unterschiede, die seit der Reformation vor gut 500 Jahren Europa prägen, bis heute auf das soziale und ökonomische Verhalten der Menschen haben.
"Wenn wir das historisch verfolgen, haben wir das Phänomen, dass ganz bestimmte Einstellungsmuster, da hat Max Weber drüber gearbeitet, auch ganz bestimmten Glaubensüberzeugungen zugerichtet werden. Die protestantische Arbeitsethik ist da ein Stichwort. Da, wo der Calvinismus sich festgesetzt hat, haben Sie häufig das Phänomen der Werkgerechtigkeit, wo man davon ausgeht, dass sich die Gottgefälligkeit im ökonomischen Erfolg auf der Erde schon erweist, wo jeder Katholik sagen würde: ‚Das ist eine unanständige Lebensüberzeugung‘."
Stark vereinfacht ausgedrückt: In protestantisch geprägten Regionen hat der ökonomische Erfolg des Einzelnen einen anderen, einen höheren Stellenwert, als in den katholisch geprägten Regionen Europas. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Udo Bullmann verweist aber noch auf eine weitere historische Entwicklungslinie.
"Dann setzen sich darauf unterschiedliche Formen der Staatsbildung. Wenn Sie sich Europa anschauen, dann sehen Sie regionaltypische Ausformungen, wie ein Staat gebaut ist."
Zentralistisch vs. föderal
Im Süden, geprägt durch Verwaltungsstrukturen, die aus der Zeit Napoleons stammen: ein zentralistischer Staatsaufbau. Mit eher machtlosen, kommunalen Behörden, die von den Menschen nicht als bürgerschaftlicher Kooperationspartner, sondern als Agent der zentralstaatlichen Bevormundung verstanden wurden – und werden.
Im Norden Europas hingegen herrschen dezentrale, föderale Strukturen vor, zudem gibt es dort das Verständnis, dass kommunale Behörden Teil der bürgerschaftlichen Selbstorganisation sind. Was so theoretisch klingt, erhielt dann plötzlich, während der Finanzkrise, Sprengkraft. Denn diese Unterschiede, die Europa seit Jahrhunderten prägen, wurden in diesem Moment zu einem gefährlichen Gebräu, so Udo Bullmann. Weil nämlich
"das tiefenpsychologische Nicht-Verstehen unterschiedlicher Verwaltungskulturen, das tiefenpsychologische Nicht-Verstehen auch von Lebenseinstellungen, Glaubensüberzeugungen, Umgehens mit sich selbst, der Familie und dem Staat dann sehr explosiv geworden sind. Das haben Sie dann gesehen, als Sie die Nazi-Verunglimpfungen von Frau Merkel in griechischen Demonstrationen gesehen haben oder die unsäglichen Zitationen in deutschen Blättern."
Alte Stereotype: Faule Südländer gegen Nazis
Etwa, als die Bild-Zeitung von den sogenannten "Pleite-Griechen" verlangte, den Deutschen ihre Inseln oder die Akropolis zu verkaufen. Ihr "griecht nix von uns" – so die Hetzkampagne des Springer-Blatts, dessen Stereotype kein Einzelfall war, wie der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Wieser sagt:
"Da kommt schon ein sehr undifferenziertes Bild des eher arbeitsscheuen Südeuropäers manchmal zum Vorschein, der in der Tat nur dem guten Deutschen oder Österreicher oder Holländer in die Brieftasche greifen will. Das, wovon ich rede, ist ja nicht auf Deutschland beschränkt, es ist ja nördlich der Alpen durchaus weiter als nur in Deutschland verbreitet."
Also: Historisch begründete Unterschiede wurden plötzlich in der Finanzkrise denunziatorisch eingesetzt. Um Griechen und Italiener als faule Prasser zu karikieren, die auf Kosten anderer lebten. Oder Deutsche als selbstsüchtige, dominante Übermenschen, als ewige Nazis eben.
Keine Frage, solche Stereotype sind überwiegend das Ergebnis medialer Exzesse gewesen, die allerdings von der Politik genährt wurden. Und die bis zum heutigen Tag fortwirken und die politische Entwicklung der Eurozone ausbremsen. Etwa, wenn in der Euro-Working-Group über aktuelle Themen der Bankenunion verhandelt wird. Thomas Wieser:
"Heutzutage geht es darum, wie geht es beispielsweise mit einem Einlagensicherungssystem weiter. Und da sagt dann der deutsche Kollege, also nicht bei den Ministern, sondern auf meinem Niveau, schaut sich die anderen an und sagt denen ganz klar: ‚Ihr wollt nur eines, unser Geld! ‘ Worauf die anderen sagen: ‚Ihr wollt nur eines: Eure Sparkassen von allem abschotten, was marktwirtschaftlicher Wettbewerb ist! ‘ Und das ist schon ein gewisser Grad an unsachlicher Unhöflichkeit, der das Klima sicherlich etwas vergiftet."
Vergiftetes Klima
Dabei sind sich die Experten eigentlich weitgehend darin einig, wie die Architektur der Eurozone verändert werden muss, damit sie in der nächsten Krise, nicht wieder ins Wanken gerät. Denn sie kommt mit Sicherheit.
Die Eurozone muss durch eine Bankenunion ergänzt werden, damit es innerhalb der europäischen Bankenlandschaft keine Zonen geringerer Sicherheit für Anleger mehr gibt. Eine gemeinschaftliche Letztsicherung, ein sogenannter Backstop, für eine eventuell notwendige Bankenabwicklung und eine gemeinsame Einlagensicherung sind dafür nötig.
Die Arbeiten daran kommen aber nur millimeterweise voran. Zum einen, weil es Meinungsunterschiede in Detailfragen gibt. Zum anderen aber auch, weil die Diskussionen immer wieder von den Klischees und Stereotypen eingefärbt werden.
Viele Wirtschaftswissenschaftler verlangen außerdem, einen sogenannten Stabilisierungs- oder Ausgleichsmechanismus in die Eurozonenarchitektur zu integrieren. Da schwächere Volkswirtschaften in der Eurozone nicht mehr ihre Währung abwerten können, um wirtschaftliche Ungleichgewichte auszugleichen, soll ein solcher Mechanismus dafür sorgen, dass in Krisenzeiten die ökonomische Stärke der Euroländer nicht noch weiter auseinanderdriftet. Udo Bullmann:
"Ausgleichsmechanismen, weil unterschiedliche Produktivitäten in einem Währungsraum zu Spannungen führen. Dann kann man sich darüber unterhalten, ob das der eine große Haushalt ist, die gemeinsame Schuldenverwaltung, die gemeinsame Arbeitslosenversicherung, die gemeinsame wirtschaftspolitische Steuerung, was auch immer."
Reform der Eurozone stagniert
Viele unterschiedliche Vorschläge sind in den letzten Jahren präsentiert worden. Vom europäischen Schuldentilgungspakt über eine europäische Arbeitslosenversicherung bis hin zu einem schlagkräftigen Eurozonen-Haushalt. Nichts davon ist in den letzten Jahren wirklich vorangebracht worden.
Schuldentilgungsfond und Arbeitslosenversicherung wurden von Politikern nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen nordeuropäischen Ländern, umgehend als Einstieg in die Transfer- oder Schulden-Union tabuisiert. Und der Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ein Eurozonenbudget einzurichten, wurde im Verlauf der Diskussion so sehr entkernt, dass davon kaum mehr als eine leere Hülle übrig geblieben ist.
Das Verhalten der Bundesregierung bei diesem Thema war bemerkenswert. Statt mit Frankreich entschlossen einen richtungsweisenden Kompromiss zu suchen, hat sie es der sogenannten "Hansegruppe", einem Bündnis nordeuropäischer Länder unter Führung der Niederlande, überlassen, den französischen Vorschlag förmlich auszuhöhlen. Als das gelungen war, brüsteten sich deutsche Diplomaten in Brüssel ob ihrer geschickten Taktik, mit der man Macron habe ins Leere laufen lassen. Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Institut:
"Das Problem ist aus meiner Sicht, dass im Grunde die deutsche Seite bis zum heutigen Tag nicht weiß, was sie eigentlich beim Thema Eurozone möchte. Wie stellt man sich eine Post-Maastricht-Architektur der Eurozone vor? Und das ist das Interessante, wenn man in Paris mit Menschen, die sich mit dem Thema auskennen, spricht, und die auch auf der französischen Seite verhandelt haben, dann sagen die: ‚Das frustrierende ist: Früher wollten die Deutschen etwas. Sie wollten schärfere Regeln, sie wollten klarere Regeln zur Schuldenrestrukturierung. Und heute wollen die nichts mehr. Und auf der Basis können wir nicht verhandeln‘."
Deutsch-französische Entfremdung
Noch ein Opfer des großen Grabens, der den Norden der EU vom Süden trennt: Die deutsch-französische Kooperation. Vor wenigen Tagen hat Emmanuel Macron das ökonomische Modell Deutschlands, das auf Exporterfolge innerhalb des Binnenmarkts setzt, massiv kritisiert. Damit dürfte klar geworden sein, wie weit Deutschland und Frankreich, die doch den Motor der EU bilden sollten, mittlerweile auseinandergedriftet sind.
Und das, obwohl der französische Präsident den Graben doch eigentlich überbrücken wollte. Mit jenen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Reformen, die Deutschland jahrelang von Frankreich verlangt hatte. Thomas Wieser, der frühere Präsident der Euro-Working-Group, empfiehlt den Verantwortlichen, über das Konglomerat aus Stereotypen enttäuschten Erwartungen und nicht eingelösten Versprechen offen zu debattieren.
"Ich denke, das, was uns allen ganz gut tun würde, wäre ein etwas therapeutischere Herangehensweise an diese Frage. Dass sich die Minister tatsächlich zusammensetzen und sagen: ‚Wir haben ein Problem! Artikulieren wir es mal. Was können wir da machen? Was davon ist real? Und was ist nicht real?‘"
So lasse sich das Misstrauen, das die EU derzeit prägt, vielleicht auflösen und der Graben, der den Norden vom Süden trennt, doch noch überbrücken, argumentiert Thomas Wieser. Sollte das aber nicht gelingen, so der EU-Veteran, dann drohe ein verfestigter, europapolitischer Stillstand.