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Wehrbeauftragte
Eva Högl: Wenn Wehrpflicht, dann auch für Frauen

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), lehnt eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht nur für Männer ab - trotz „enormer Probleme“ der Bundeswehr bei der Personalgewinnung. Vorerst sollte es bei Freiwilligkeit bleiben, sagte sie im Dlf.

Eva Högl im Gespräch mit Frank Capellan |
Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Bundestages
Eine Wehrpflicht heute müsse Frauen und Männer gleichermaßen ansprechen, findet Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages (picture alliance / dpa / Christophe Gateau)
Trotz weiterhin großer Probleme der Bundeswehr bei der Personalgewinnung hält die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Eva Högl (SPD), eine schnelle Wiedereinsetzung der ausgesetzten Wehrpflicht in ihrer bisherigen Form nicht für wünschenswert. "Wir müssten etwas diskutieren, das Frauen und Männer gleichermaßen anspricht", sagte Högl im Deutschlandfunk. "Und wir sollten so lange es geht über Freiwilligkeit gehen."
Die Umfrage stellt die Frage: Brauchen wir eine Bundeswehr oder ginge es auch ohne?
Die Umfrage stellt die Frage: Brauchen wir eine Bundeswehr oder ginge es auch ohne? (IfD Allensbach; Centrum für Strategie und Höhere Führung/statista.de)
Mit Blick auf die Ukraine monierte Eva Högl (SPD), dass die Bundesregierung bisher den Export von Schützenpanzern nicht freigegeben habe, die derzeit vom Rüstungskonzern Rheinmetall instandgesetzt werden. „Die Marder, die jetzt bei der Industrie noch verfügbar sind, stehen ja im Moment nicht der Truppe zur Verfügung – und deswegen wären die auch gut geeignet, um die Ukraine zu unterstützen“, sagte die Wehrbeauftragte. Hinzu komme, dass auch die Bundeswehr dringend schweres Gerät benötige.

Zustand vieler Kasernen „nicht zumutbar“

Zwar werde mittlerweile deutlich mehr Geld als früher für Material der Bundeswehr ausgegeben, sagte Högl – aber: „Die Kasernen in Deutschland sind von Flensburg bis ins Allgäu, von Köln bis Cottbus in einem erbärmlichen Zustand. Und ich finde, das muss auch ganz dringend und sehr zügig geändert werden.“ Was sie täglich bei ihren Truppenbesuchen vor Ort sehe, sei nicht zumutbar, beklagte Högl.

Mali-Einsatz: Auf möglichen Abzug der Bundeswehr vorbereiten

Angesichts des Verhaltens der Militärjunta in Bamako sieht die Wehrbeauftragte den Bundeswehreinsatz in Mali kurz vor dem Ende. „Wir machen auf jeden Fall alle ganz viele Fragezeichen dran“, sagte Högl. Die Sicherheit der Soldaten müsse gewährleistet sein, zudem stelle sich für sie die Frage, ob die Bundeswehr ihren Auftrag noch erfüllen könne. „Wir dürfen uns nicht schikanieren lassen“, erklärte Högl angesichts verweigerter Überflugrechte für die Luftwaffe. Die wachsende Präsenz russischer Soldaten in Mali mache den Einsatz zudem noch gefährlicher. „Ich hoffe, dass jetzt ein Szenario entwickelt wird, das auch den Abzug vorsieht, denn es sieht ja jeden Tag schlechter aus!“
Das Interview in voller Länge:
Frank Capellan: Frau Högl, seit einem halben Jahr führt der russische Präsident einen erbarmungslosen Krieg gegen die Ukraine, einen Krieg, der viel Tod und Leid gebracht hat. Von Kriegsverbrechen wissen wir mittlerweile, alles völlig sinnlos aus unserer Sicht, dazu noch die weltwirtschaftlichen Folgen, die dieser Krieg mit sich bringt. Der Kanzler hat gleich nach dem Überfall auf die Ukraine von einer Zeitenwende gesprochen, und ganz vorne dabei sind plötzlich auch die 180.000 Angehörigen der Bundeswehr. Sie machen ja viele Truppenbesuche. Wie ist Ihr Eindruck? Was macht der Krieg mit deutschen Soldatinnen und Soldaten?
Eva Högl: Dieser Krieg verändert alles, und vor allen Dingen für unsere Soldatinnen und Soldaten. Ich fange mal mit dem Positiven an. Seit der Rede des Bundeskanzlers Olaf Scholz, der Zeitenwenderede am 27. Februar, ist, glaube ich, allen klar, wofür wir die Bundeswehr haben, wofür wir sie brauchen und dass wir sie auch tatkräftig unterstützen müssen, auch finanziell. Das ist sozusagen die gute Nachricht in schweren Zeiten, und für unsere Soldatinnen und Soldaten, deswegen habe ich gesagt, es verändert sich alles, ist das natürlich erst einmal eine gute Nachricht, dass es auch diese Unterstützung aus der Bevölkerung gibt und aus der Politik, aber sie wissen natürlich auch, dass es ernst werden kann. Sie wissen, dass es unter Umständen schnell gehen muss. Das betrifft zum Beispiel die Kräfte, die an die Ostflanke verlegt werden mussten.

Unterstützung für die Bundeswehr: "Eine gute Nachricht"

Capellan: Spüren Sie das Ängste?
Högl: Ja, also nicht Ängste, sondern ein hohes Maß an Ernsthaftigkeit und Professionalität, aber sie sind sich dessen bewusst, dass sie eben diesen Auftrag haben und dass das keine Theorie ist, wenn wir von Einsatzbereitschaft sprechen. Kaltstartfähigkeit und Bündnis- und Landesverteidigung sind zurzeit sehr konkret.
Capellan: Es geht um bessere Ausstattung, es geht um mehr Geld. Darüber werden wir gleich noch sprechen, Sondervermögen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Es geht aber auch darum, dass man die Ukraine auch militärisch unterstützt. Der Kanzler war am vergangenen Donnerstag auf einem Truppenübungsplatz in Schleswig-Holstein, hat sich da die Ausbildung auch ukrainischer Soldaten angeschaut. Es geht um den Gepard-Panzer. An diesem Panzer werden sie ausgebildet, ein Panzer, der seit, ich glaube, zehn Jahren nicht mehr in Diensten der Bundeswehr steht. Da sagen nun viele Kritiker, wir liefern altes Zeug, für das es nicht mal, für diese Panzer, für die es nicht mal mehr Munition gibt. Würden Sie da widersprechen?
Högl: Ja, denn die Ukraine hat ja darum gebeten, genau diese Geparden zu bekommen und auch anderes großes Gerät. Sie bitten ja auch darum, Marder zu bekommen und anderes, und ich glaube, wir sollten nicht für die Ukraine entscheiden, was sie benötigt in ihrem wichtigen Kampf gegen Russland, sondern sie haben gesagt, Geparden könnten sie gut gebrauchen, deswegen wurde unter Hochdruck instandgesetzt. Es wurde versucht, Munition zu beschaffen, weltweit gab es ja auch Anstrengungen, die passende Munition noch zusammenzubekommen und jetzt unter Hochdruck die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten auszubilden. Das ist wichtig.

Waffenlieferungen an die Ukraine

Capellan: Trotzdem wird es ja so ablaufen, dass die meisten dieser Geparden, einige sind ausgeliefert worden, aber die Mehrzahl wird wohl erst im kommenden Jahr einsatzbereit sein. Das bezieht sich auch auf neue Waffenlieferungen, die der Kanzler in der vergangenen Woche angekündigt hat, moderne Flugabwehrsysteme, Bergepanzer, Raketenwerfer, und da ist immer die Rede von 2023. Können wir nicht schneller helfen?
Högl: Vielleicht hätte das eine oder andere schneller gehen können, aber ich will das gar nicht kleinreden, denn das ist eine gewaltige Kraftanstrengung des Westens, vieler Staaten, die aus ihren Beständen jetzt liefern, und ich sage es noch mal, das Entscheidende ist, was die Ukraine gut gebrauchen kann und womit wir sie dann auch unterstützen können.
Capellan: Da gibt es ja zum Beispiel die Marder-Schützenpanzer, die ausgemustert worden sind, 100 Stück, bei Rheinmetall werden sie gerade wieder flottgemacht. Sie sind die Wehrbeauftragte des Bundestages, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP sagt, warum liefern wir eigentlich nicht diese Marder-Panzer sofort in die Kriegsregion?
Högl: Das ist eine nachvollziehbare Forderung, und ich würde mich der Forderung auch anschließen. Mein Auftrag als Wehrbeauftragte ist natürlich zu gucken, hat die Bundeswehr genügend Gerät, um auszubilden, um zu üben und um selber einsatzbereit zu sein. Da würde ich dann auch die Grenze ziehen, dass ich sage, das braucht aber die Marder, die jetzt bei der Industrie noch verfügbar sind und wieder flott gemacht werden können…

„Es braucht mehr Material bei der Bundeswehr“

Capellan: Die brauchen wir ja nicht mehr.
Högl: Diese stehen jedenfalls nicht im Moment der Truppe zur Verfügung, und deswegen wären die auch gut geeignet, um die Ukraine zu unterstützen.
Capellan: Oder braucht die Bundeswehr sie jetzt eben doch noch oder wieder?
Högl: Naja, die Bundeswehr braucht schon auch viel großes Gerät. Deswegen ist es eigentlich ärgerlich, dass die da stehen und der Bundeswehr bisher auch nicht zur Verfügung standen, denn ich weiß von vielen Verbänden, gerade denjenigen, die Panzer benötigen, dass das auch nicht ausreichend vorhanden ist, um gut auszubilden und gut zu üben, sondern auch die Panzer, auch anderes großes Gerät wird von A nach B geschafft, um überhaupt das Nötigste möglich zu machen. Deswegen brauchen wir insgesamt eine Kraftanstrengung. Es braucht mehr Material bei der Bundeswehr, aber wir müssen auch mehr liefern an die Ukraine.
Capellan: Es gab ja deswegen auch die Idee des sogenannten Ringtausches, die nicht so richtig vorankommt, so wie wir das wahrnehmen. Also die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, beispielsweise auch Polen, liefern Panzer sowjetischer Bauart, die T-72 etwa, in die Ukraine, und bekommen dafür Material von uns, etwa diese Marder. Warum funktioniert das nicht?
Högl: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich dazu als Wehrbeauftragte zu wenig Einblick habe in die Verträge, in die Verhandlungen, die mit den Staaten geführt werden. Ich bin dabei, wenn im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages darüber informiert wird, und die Bundesministerin legt dann dar, welche Verhandlungen wie geführt werden, aber die Details und warum das so schleppend anläuft, das kann ich nicht aus eigener Anschauung bewerten.

Ukraine mit Kampfpanzern unterstützen

Capellan: Aber Sie würden trotzdem sagen, das ist eine richtige Idee, weil das ja dazu führen würde, dass die Bundeswehr flottgemachtes Material bekommt?
Högl: Absolut, Ringtausch ist eine sehr gute Idee, und es wäre auch gut, wenn das gut funktioniert, weil vor allen Dingen die Staaten, mit denen der Ringtausch ja angedacht oder schon vereinbart ist, sie ja auch über Material verfügen, was die Ukraine gut gebrauchen kann und mit dem sie direkt ihren Kampf führen kann ohne große Umwege, und deswegen ist das eine prima Idee. Ich hoffe, dass das gut anläuft.
Capellan: Das bezieht sich ja auch auf Kampfpanzer, Leopard 2 ist da im Gespräch. Der Kanzler, Olaf Scholz, hat immer wieder gesagt, wir werden erst Kampfpanzer liefern, wenn es etwa die Amerikaner, wenn es die Franzosen auch tun. Können wir überhaupt, kann die Bundeswehr Kampfpanzer entbehren?
Högl: Eigentlich nicht, wir haben zu wenig, um selber ausreichend auszubilden und üben zu können, und trotzdem müssen wir sagen, ob wir nicht doch in dieser Phase die Ukraine so unterstützen müssen, dass wir auch auf das ein oder andere verzichten.

Lob für Bundesverteidigungsministerin Lambrecht

Capellan: Ich habe jetzt immer im wieder den Kanzler zitiert, Olaf Scholz, der die Sache, was die Waffenlieferungen angeht, an sich gezogen hat. Man hört relativ wenig von der Verteidigungsministerin, von Christine Lambrecht, die wegen anderer Dinge ja auch in der Kritik stand. Manche sagen auch, sie sei überfordert in diesem Amt, eine Parteifreundin von Ihnen. Würden Sie sagen, ihr wird da Unrecht getan?
Högl: Wenn wir uns mal anschauen, was Christine Lambrecht seit Dezember, seit sie im Amt ist, alles für die Bundeswehr schon entschieden hat und auf den Weg gebracht hat, dann muss man sagen, das kann sich doch wirklich sehen lassen. Das ist eine ganze Menge, was sowohl die Ausstattung, Ausrüstung angeht, sie hat viel im Bundestag durchgesetzt. Als Wehrbeauftragte, Parteifreundin hin oder her, messe ich die Bundesverteidigungsministerin daran, was sie für die Truppe erreicht, und ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, dass das jetzt, in der Zeit, wo wir einen Krieg in Europa haben, Chefsache ist, dass das im Kanzleramt liegt, das halte ich für absolut angemessen und richtig. Da habe ich also im Moment keine Kritik dran.
Capellan: Es geht ja für sie, für die Verteidigungsministerin, auch darum, diese 100 Milliarden Euro Sondervermögen schnell und gut unter die Leute, unter die Truppe zu bringen und auszugeben. Da ist immer wieder das Beschaffungswesen in der Kritik. Bessert sich das jetzt?
Högl: Ja, es ist schon ein bisschen spürbar, und ich hoffe, dass es auch schleunig geht. Das Wichtigste ist die persönliche Ausstattung, die 2,4 Milliarden Euro, die jetzt nicht erst bis 2031 in der Bundeswehr ankommen sollen, sondern schon bis 2025. Das ist für Bundeswehrverhältnisse zügig, und das betrifft Rucksäcke, Helme, Schutzwesten, alles, was der Soldat, die Soldatin direkt am Körper hat und für den Dienst braucht. Natürlich brauchen die anderen Dinge aus dem 100 Millionen Euro Sondervermögen zum Teil länger, die Beschaffung der F-35, der Kampfjets oder auch der schweren Transporthubschrauber oder die U-Boote. Ich war gerade im U-Bootgeschwader in Eckernförde. Das sind natürlich längere Zeitpläne. Wofür ich mir jetzt aber eine Kraftanstrengung wünsche, ist, wir haben jetzt für Material viel Geld und entsprechend wird beschafft, für die Infrastruktur, denn die Kasernen in Deutschland sind von Flensburg bis ins Allgäu, von Köln bis Cottbus in einem erbärmlichen Zustand, und ich finde, das muss auch ganz dringend und sehr zügig geändert werden.

Zustand vieler Bundeswehr-Kasernen „nicht zumutbar“

Capellan: Aber das kann nicht wirklich schnell gehen, oder?
Högl: Das muss schneller gehen. Es ist nicht akzeptabel, wenn die Kasernen bis 2045, oder wie die Zeitlinien so sind, halbwegs instandgesetzt sind, sondern was ich jeden Tag bei meinen Truppenbesuchen sehe, ist nicht zumutbar. Das geht nicht um Luxus oder eine besonders schicke Ausstattung oder so, sondern es geht einfach darum, dass die Toiletten funktionieren, dass die Duschen nicht verschimmelt sind, dass es Aufenthaltsräume gibt, dass ein Schwimmbad saniert wird und so weiter, und ich finde, das haben unsere Soldatinnen und Soldaten verdient, und das dürfen sie erwarten, und das hat auch was mit Wertschätzung und Respekt zu tun.
Capellan: Es geht um sehr viel Geld. Es geht nicht nur um diese 100 Milliarden Euro, sondern es geht auch um eine Anhebung des Verteidigungsetats auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Da hatten Sie auch sich in der ganzen Diskussion eigentlich erhofft, dass das schneller gehen würde, dass es das quasi obendrauf noch geben würde. Das würde bedeuten, der Verteidigungsetat müsste kurzfristig von 50 Milliarden auf etwa 75 Milliarden aufwachsen. Tut Ihnen das nicht weh, Sie kommen ja auch aus der Friedensbewegung, immer mehr Geld für immer mehr Waffen?
Högl: Ja, das tut natürlich weh, und ich glaube, das tut uns allen weh. Wir hatten ja nach dem Fall der Mauer und nach der Deutschen Einheit, aber auch nach dem vereinten Europa auch die Hoffnung, dass wir gemeinsam mit Russland unser Europa und unsere Welt gestalten und dass Abrüstung und Friedenspolitik natürlich ganz großgeschrieben werden. Diese Hoffnung wurde begraben schon 2014 durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, auch schon vorher in Georgien und anderswo, aber gerade jetzt, am 24. Februar durch den brutalen Krieg in der Ukraine. Das tut weh, aber es ist notwendig. Wir müssen uns jetzt so aufstellen in allen Ländern und eben auch in Deutschland, dass wir verteidigungsfähige, einsatzbereite Armeen haben, damit wir nicht ein gleiches Schicksal erleiden wie jetzt gerade die Ukraine.

"Bundeswehr ist in den letzten Jahren kaputtgespart worden"

Capellan: Die Erhöhung des Verteidigungsetats ist trotzdem umstritten. Stehen Sie persönlich auch hinter dem 2-Prozent-Ziel?
Högl: Ja, das 2-Prozent-Ziel ist politisch vereinbart, und ich finde schon, dass man es auch inhaltlich ausgestalten muss. Es ist ja doch ein relatives Ziel, aber wenn wir jetzt mal ab vom 2-Prozent-Ziel, was vereinbart ist auf der NATO-Ebene und was auch erreicht werden muss, mal gucken, unsere Bundeswehr muss langfristig gut ausgestattet sein, und das erreichen wir nicht mit dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen, sondern da brauchen wir wirklich auf der Strecke eine solide Finanzierung, die Modernisierung möglich macht. Die Bundeswehr ist in den letzten Jahren kaputtgespart worden, und da mangelt es an so vielen Dingen. Ich nenne nur mal die Funkgeräte, die 30 Jahre alt sind und mit denen die Bundeswehr nicht im internationalen Kontext überhaupt kommunizieren kann, nicht führungsfähig ist, Nachtsichtgeräte, all diese Dinge, dafür braucht es Geld.
Capellan:  Sie haben auch den F-35-Tarnkappenbomber angesprochen. Damit soll die nukleare Teilhabe Deutschlands weiterhin sichergestellt werden, sprich Atombomben könnten mit deutschen Flugzeugen ins Ziel gebracht werden. Braucht es das auch? Das ist auch sehr umstritten in der SPD.
Högl: Natürlich ist das umstritten, und natürlich hatten wir alle auch in den letzten Jahren gehofft, dass wir irgendwann darauf verzichten können, aber jetzt sehen wir doch, dass es auch leider diese Bedrohung durch Nuklearbomben braucht, um jedenfalls irgendwie Russland vielleicht dazu zu bringen, zu verhandeln. Ich hätte mir das auch anders gewünscht und viele andere, aber jetzt, glaube ich, ist nukleare Teilhabe unverzichtbar.

„Nukleare Teilhabe ist unverzichtbar“

Capellan: Viele fragen sich ja auch, wie lange werden die 100 Milliarden Euro überhaupt reichen, über welchen Zeitraum. Da sind ja große Summen, die da im Spiel sind, beispielsweise Munitionsvorräte müssen aufgestockt werden. Da ist die Rede von 20 Milliarden Euro. Die Nato verlangt eigentlich, dass die Vorräte im Ernstfall für 30 Tage reichen müssten. Wir sind derzeit wohl nur bei einigen wenigen Tagen.
Högl: Sehr wenige.
Capellan: Hat das Priorität jetzt auch? Denn es ist zu hören, dass bisher noch keine Munition gekauft wurde…
Högl: Ja, ich habe mich auch gewundert, dass die 20 Milliarden Euro nicht hinterlegt sind in dem 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen. Es soll jetzt aus dem laufenden Bundeshaushalt finanziert werden. Ich stelle mir das schwierig vor. Ich werde das weiter begleiten.
Capellan: Müsste man auch die Bundeswehr mehr stärken mit Blick auf die Cyber-Abwehr? Wir haben das erlebt im zivilen Bereich. Der Deutsche Bundestag war von russischen Cyber-Attacken betroffen. Im Sondervermögen ist dafür nichts hinterlegt.
Högl: Ich hoffe, dass es dafür extra Mittel gibt, denn das war ja so ein bisschen Teil der Vereinbarung, dass man es nicht aus dem Sondervermögen finanziert, aber anders Mittel bereitstellt. Ich halte das für dringend erforderlich. Auch wenn der Krieg in der Ukraine jetzt ein doch hauptsächlich konventioneller Krieg ist, ist klar, dass wir uns in Sachen Cyber viel besser aufstellen müssen. Es braucht aber nicht nur Geld und entsprechende Ausstattung und Ausrüstung, was IT angeht, sondern vor allen Dingen auch verbesserte Strukturen. Wir haben ein Hin und Her und ein Zuständigkeitswirrwarr aus militärisch und zivil und aus Bund und Ländern. Es ist ja auch geplant, dass die Bundesregierung das angeht, und das begrüße ich ganz ausdrücklich.

Bundeswehr: "Enormes Problem bei Personalgewinnung“

Capellan: Frau Högl, lassen Sie uns über Personalprobleme bei der Bundeswehr sprechen. Wir haben derzeit etwa 184.000 Soldaten, das soll aufgestockt werden bis 2031 auf 203.000. Bekommen wir diese Leute? Es gab jahrelang Nachwuchsprobleme seit dem Aussetzen der Wehrpflicht. Wie nehmen Sie das wahr? Wollen die jungen Menschen überhaupt zur Bundeswehr?
Högl: Das ist gut, dass trotz des Krieges junge Menschen sich bereit erklären, zur Bundeswehr zu gehen. Ich war gerade jetzt erst, vergangene Woche, in Husum bei einem Gelöbnis und habe junge Menschen kennengelernt, die sehr verantwortungsbewusst eine Entscheidung getroffen haben, Soldat, Soldatin zu werden. Das ist toll, aber die Bundeswehr hat ein enormes Problem beim Thema Personalgewinnung. 20 Prozent der Dienstposten sind nicht besetzt und dazu noch in vielen Bereichen auch wenig personelle Reserve. Wenn etwa durch Krankheit jemand ausfällt oder Erziehungszeit, dann müssen immer dieselben ran, und das belastet unsere Soldatinnen und Soldaten ganz enorm.
Capellan: Also könnte da doch eigentlich die Wiedereinführung der Wehrpflicht helfen?
Högl: Die alte Wehrpflicht kriegen wir natürlich nicht zurück, und ich sage auch deutlich, die wollen wir nicht zurück.

Wehrpflicht: So lange wie möglich über Freiwilligkeit gehen

Capellan: Die ist nur ausgesetzt.
Högl: Die ist nur ausgesetzt, aber ich glaube, wir könnten sie heute nicht wieder so einsetzen, wie sie vor dem Aussetzen war, sondern wir müssten natürlich etwas diskutieren, das Frauen und Männer gleichermaßen anspricht, und wir sollten, glaube ich, auch versuchen, so lange wie möglich über Freiwilligkeit zu gehen.
Capellan: Warum sind Sie da so zurückhaltend? Sie standen der Abschaffung der Wehrpflicht, so wie ich das wahrgenommen habe, auch skeptisch gegenüber.
Högl: Ablehnend, ich habe überall, wo ich konnte, dagegen gestimmt.
Capellan: Und warum ist das jetzt ein Problem, zu sagen, es müsste eine Wehrpflicht auch für Frauen geben?
Högl: Das ist kein Problem, nur ich finde, man muss das sorgfältig diskutieren. Also, wir sprachen ja, ob man die alte Wehrpflicht wieder einsetzt, die galt ja nur für Männer. Da habe ich gesagt, deswegen nicht die alte Wehrpflicht, weil ich es heute gerne für junge Frauen und junge Männer oder auch mittelalte diskutieren würde.
Capellan: Da werben Sie jetzt für den Dienst, für den Freiwilligendienst bei der Bundeswehr, und da macht ein General, ein Brigadegeneral, Michael Matz, Schlagzeilen, ganz aktuell, der für die Ausbildung in Hammelburg, in Bayern, auch zuständig ist, und der sagt, „Stress bei der Bundeswehr ist etwas für Leistungsschwache!“ Dürfen Soldatinnen und Soldaten keine Schwäche zeigen?
Högl: Doch, dürfen sie und müssen sie, und ich begrüße das ausdrücklich, dass seit dem Einsatz in Afghanistan die Frage auch der seelischen Belastung, die Frage zum Beispiel von posttraumatischen Belastungsstörungen, von Stress, dass das auch in der Öffentlichkeit erörtert wird und nicht mehr ein Stigma ist. Die Debatte auf Twitter hat ja dazu geführt, dass viele auch ganz persönlich ihre Erfahrungen, ihre Sichtweisen geschildert haben. Auch Soldatinnen und Soldaten können übermäßig belastet sein. Stress ist für niemanden gut, und auch Soldatinnen und Soldaten brauchen eine Pause, brauchen Regeneration und brauchen Zeit für Familie und Angehörige. Im Übrigen, wenn wir das ernst nehmen, auch Belastung, stärkt das die Einsatzbereitschaft.

Deutscher Einsatz in Mali: Sicherheit muss gewährleistet sein

Capellan: Sie haben Afghanistan angesprochen, Auslandseinsätze, wo der Stress und die Belastung ja besonders groß ist für Soldaten, die dort tätig sind. Mali, dort sind noch 1.000 Bundeswehrsoldaten, aber man ist, Deutschland ist gezwungen, mit einem Militärregime dort zu kooperieren, das uns eigentlich nicht mehr im Land haben will, das viel mehr jetzt auf Russland setzt. Ist dieser Einsatz noch haltbar?
Högl: Wir machen auf jeden Fall alle ganz viele Fragenzeichen dran. Für mich als Wehrbeauftragte ist das Entscheidende, erstens, ist der Schutz und die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten gewährleistet. Das ist das Wichtige, zum Beispiel bei Überflugrechten.
Capellan: Pardon, die Verteidigungsministerin sagt, eigentlich ist er nicht gewährleistet. Es geht um die Überflugrechte. Es geht um den Schutz der Soldaten. Die französischen Kampfhubschrauber sind nicht mehr da. MINUSMA, die Vereinten Nationen, sorgen da bisher nicht für Ersatz. All das sind ja die Fragezeichen, die dahinterstehen.
Högl: Genau, das ist das Kriterium auch für einen möglichen Rückzug, können wir überhaupt noch den Schutz gewährleisten, und das Zweite ist, will ich auch ganz deutlich sagen, können wir überhaupt den Auftrag noch erfüllen, können wir das, wofür wir dort sind, in der Mission MINUSMA in Gao, überhaupt noch umsetzen. Sicherung und Aufklärung sind wesentliche Teile, die wir das leisten, und ich mache an beides ein Fragezeichen.

"Wir müssen Signal bekommen, dass MINUSMA gewollt ist"

Capellan: Dürfen wir uns weiter schikanieren lassen, sage ich jetzt mal, von der Regierung in Bamako?
Högl: Nein, das dürfen wir nicht. Wir müssen auch von den Machthabern das klare Signal bekommen, dass diese Mission MINUSMA gewollt ist, und dazu müssen die Machthaber auch Rahmenbedingungen bereitstellen, in denen MINUSMA überhaupt noch umzusetzen ist. Deswegen dürfen wir uns weder schikanieren lassen. Wir brauchen valide Aussagen, aber auch Handlungen, nicht nur Aussagen, und ich hoffe, dass jetzt ein Szenario entwickelt wird, das auch den Abzug vorsieht, denn es sieht ja jeden Tag schlechter aus.
Capellan: Die Verteidigungsministerin, Sozialdemokratin Christine Lambrecht, bringt eben diese Sicherheitsbedenken nach vorne. Die Außenministerin, Annalena Baerbock von den Grünen, sagt hingegen, wir müssen eigentlich dableiben, und man kann mit diesem Regime kooperieren. Das wird jetzt von der Union beklagt, dass man da nicht an einem Strang zieht. Nehmen Sie das auch so wahr?
Högl: Die Bundesregierung muss einheitlich agieren. Natürlich wünschen wir uns politisch, dass die westlichen Staaten in der Sahelzone weiter präsent bleiben, aber das dürfen wir nicht auf dem Rücken unserer Soldatinnen und Soldaten austragen, und wir dürfen uns von dem jeweiligen Regime eben auch nicht schikanieren lassen.
Capellan: In Mali kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, die Präsenz der Russen. Ist das jetzt ein neuer Grund, auch deswegen im Land zu bleiben und Mali nicht dem Einfluss Putins zu überlassen?
Högl: Das tragen einige vor. Das kommt auch ganz maßgeblich aus dem Außenministerium, um sozusagen Russland da nicht das Feld zu überlassen. Wir müssen das auch alles sorgfältig abwägen. Das ist ein sinnvoller Grund, für andere wiederum ist das eine Begründung zu sagen, wir ziehen uns zurück. Die malischen Machthaber setzen ohnehin mehr auf die Russen als auf westliche Kräfte. Das ist eine schwierige Abwägung, das muss man sagen. Wir müssen allerdings auch aufpassen, dass es dort keinen Stellvertreterkrieg gibt. Auch das ist ja die Gefahr.

Ziele für Auslandseinsätze künftig klarer definieren

Capellan: Russische Soldaten, russische Flugzeuge werden jetzt gesichtet ganz in der Nähe des Feldlagers in Gao, einen Kilometer entfernt. Haben Sie Sorge vor einer militärischen Konfrontation?
Högl: Natürlich habe ich die immer wieder, denn das passiert ja nicht einfach so, denn damit werden ja auch Signale gesendet, von Macht. Das muss wirklich sehr aufmerksam beobachtet werden, aber man muss eben auch entsprechende Szenarien vorbereiten für den Fall X. Wir dürfen unsere Soldatinnen und Soldaten nicht über Gebühr gefährden.
Capellan: Machen wir gerade in Mali Fehler, die wir in Afghanistan gemacht haben? Müssen wir das besser definieren, wann unsere Ziele erreicht sind, wann dieser Einsatz in Mali zu Ende sein muss?
Högl: So weit würde ich gehen, wobei das ja jetzt auch aufgearbeitet wird im Deutschen Bundestag und man darüber ja noch sprechen wird, welche Lehren ziehen wir genau aus Afghanistan, aber ich gehe schon jetzt so weit zu sagen, dass es wichtig ist, dass wir unsere Ziele klar definieren, und ich war etwas erschrocken, als Präsident Biden zum Ende des Afghanistan-Einsatzes sagte, Nation-Building war nie unser Ziel. Ich hätte verstanden, wenn er gesagt hätte, wir haben es nicht erreicht, aber ich glaube, wir sind mit dem Thema Nation-Building sehr offensiv in diesen Afghanistan-Einsatz gegangen. Was ich auch aus Afghanistan als Lehre ziehen würde: Es darf keine Neverending Story werden, sondern man muss so einen Einsatz dann auch nach definierten Zielen, ob man die dann erreicht hat, aber dann muss man solche Einsätze irgendwann auch wieder beenden.
Capellan: Wir sind jetzt auch fast zehn Jahre in Mali!
Högl: Ja, und man kann vieles vergleichen und vieles auch wiederum nicht, aber die Franzosen ziehen sich jetzt zurück. Das ist ein bisschen vergleichbar mit dem Rückzug der Amerikaner in Afghanistan. Wir hängen natürlich auch maßgeblich an den Franzosen. Man sieht es zum Beispiel bei dem Thema Kampfhubschrauber. Das sind alles Entscheidungen, die die Bundesregierung, aber auch das Parlament zu treffen haben.

„Enquete-Kommission Afghanistan gut und richtig“

Capellan: Sie haben es angesprochen, es soll eine Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes geben. Da gibt es eine Enquete-Kommission und einen Untersuchungsausschuss. Die Enquete-Kommission guckt sich das große Ganze an, die Ziele, die wir nicht erreicht haben, der Untersuchungsausschuss, die Evakuierung der Ortskräfte beispielsweise, was da schiefgelaufen ist. Ein Untersuchungsausschuss hat viel mehr Rechte als eine Enquete-Kommission. Hat die Politik Angst davor, in die Verantwortung gezogen zu werden für einen gescheiterten Afghanistan-Einsatz?
Högl: Ich finde eine Enquete-Kommission für die 20 Jahre Afghanistan-Einsatz richtig. Ich habe dafür auch immer geworben, weil die Enquete-Kommission die Möglichkeit bietet, nicht nur politische Fehler nach politischen Präferenzen auch zu untersuchen und Verantwortungen festzulegen, sondern auch mal in den Blick zu nehmen, erstens über das Militärische hinaus, den gesamten vernetzten Ansatz, alle Akteure, aber auch die ganzen 20 Jahre mit allen Facetten, diese Möglichkeiten haben sie nur in der Enquete, auch zum Beispiel mit den Rahmenbedingungen, dass sie Expertinnen und Experten einladen können, im Untersuchungsausschuss haben sie nur Zeugen. Das geht nach der Strafprozessordnung. Das ist ein ganz anderes Regime. Deswegen finde ich Enquete-Kommission Afghanistan gut und richtig.
Capellan: Uns läuft die Zeit davon. Erlauben Sie trotzdem zum Schluss noch eine Frage. Da ging es um einen Aufreger in dieser Woche. Die Maskenpflicht im Regierungsflugzeug, das ja von der Flugbereitschaft, von der Luftwaffe, bedient wird. Ich war selbst dabei auf dem Flug nach Kanada mit dem Kanzler und Vizekanzler. Überwiegend wurde dort keine Maske getragen. Bilder machten dann die Runde davon. Wir mussten allesamt einen PCR-Test vorweisen. Wir fühlten uns relativ sicher auf diesem Flug, weil das ja eben schon eine strenge Auflage war. Würden Sie trotzdem sagen, es war ein falsches, ein schlechtes Signal, dass wir da alle überwiegend ohne Maske gesessen haben, auch der Kanzler, auch der Vizekanzler?
Högl: Also, wenn Sie es mir nicht übelnehmen, würde ich mich da gerne raushalten und keine Bewertung abgeben, denn wenn alle vorher getestet waren, hätte man ja sagen können, wir verzichten aus diesem Grund auf die Maske. Andererseits sind die Bilder natürlich problematisch, aber ich will das eigentlich nicht mit einer eigenen Bewertung garnieren. Ich war nicht dabei. Ich kenne nur die Bilder aus den Medien, das gehört nicht so ganz zu meinen Aufgaben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.