In Roland Emmerichs Blockbuster "The Day After Tomorrow" schwappt eine Riesenflutwelle über New York hinweg und reißt - böser Klimawandel! - Millionen Menschen in den Tod. In Cormac McCarthys Bestseller "The Road" vagabundieren ein Vater und sein Sohn auf der Suche nach Nahrung und anderen Überlebenden durch ein postapokalyptisches Amerika. Und in Lars von Triers Endzeit-Thriller "Melancholia" kollidiert die Erde mit einem Planeten und verglüht in einem alles verschlingenden Flammenball.
Die in Wien lehrende Literaturwissenschaftlerin Eva Horn geht in ihrem Buch der Frage nach, warum sich das "Kollektive Imaginäre", wie sie es nennt, so exzessiv in Weltuntergangs-Fantasien ergeht:
"Ausgerechnet im Anthropozän, in der Epoche, in der der Mensch unauslöschlich in die Erdgeschichte eingegangen sein wird, ergeht er sich im Erfinden von Welten, in denen er nicht mehr vorkommt. Es ist, als rechnete der Mensch sich weg, um zu schauen, was nach ihm noch übrig ist."
"Ausgerechnet im Anthropozän, in der Epoche, in der der Mensch unauslöschlich in die Erdgeschichte eingegangen sein wird, ergeht er sich im Erfinden von Welten, in denen er nicht mehr vorkommt. Es ist, als rechnete der Mensch sich weg, um zu schauen, was nach ihm noch übrig ist."
Klimawandel und Bevölkerungszuwachs regen Fantasie an
Frühere Zeitalter mochten die Zukunft in leuchtenden Farben gemalt haben, das unsrige schwelgt in düsteren Fantasien. Und das aus gutem Grund. Klimawandel und die Verschmutzung der Meere, verantwortungslose Ressourcenvergeudung und das explosionsartige Anwachsen der Weltbevölkerung, all das kumuliert zu einer Art "Metakrise", die umso beunruhigender wirkt, als wir durch banale Tätigkeiten wie Autofahren, Essen oder Urlaubmachen zu einer Verschärfung dieser Krise beitragen.
"Katastrophe ohne Ereignis" nennt Eva Horn das: Die Krise spitzt sich gerade durch die Kontinuität des Banalen zu, durchs schiere Weitermachen, sie kennt keine klar benennbaren Akteure und keine Schuldigen. Entsprechend nebulös bleiben die Ängste, die sich mit dieser Krise verbinden. Eva Horn:
"Seit etwa fünfzehn Jahren haben wir die Berichte des IPCC über den zunehmenden Klimawandel, das Abschmelzen der Gletscher und der Eisschelfe. Gleichzeitig ist das etwas, was wir nicht richtig spüren können: Die Erwärmung um ein oder zwei Grad spüren wir nicht, aber ständig, wenn es mal untypisch regnet oder wenn es einen besonderen Sturm gibt, reden wir darüber, dass das wohl der Klimawandel sei. Der Punkt scheint mir zu sein, dass wir aus diesen diffusen Ängsten einzelne Szenarien brauchen, um uns irgendwie vorzustellen, was uns möglicherweise blühen könnte. Es ist der Versuch, unseren Ängsten Bilder zu geben."
Untergangsszenarien keine Erfindung der Gegenwart
Die apokalyptischen Szenarien, die Filme und Bücher vor uns ausbreiten, kleiden die nebulösen Befürchtungen unserer Gegenwart in klar fassliche Geschichten - das ist eine von Eva Horns Thesen. Dabei schlägt die 48-Jährige einen imponierenden Bogen vom Zeitalter der Romantik bis in unsere Gegenwart.
Die Angst vor dem Weltuntergang ist ja keineswegs eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, schon die Romantiker, allen voran Lord Byron, aber auch der heute fast vergessene französische Dichter Grainville - Künder des "Letzten Menschen" - bereits diese Autoren ergingen sich in wollüstig-grausamen Untergangsvisionen. Ausführlich widmet sich Eva Horn in ihrem Buch Byrons Gedicht "Darkness", in dem der Dichter eine postapokalyptische Welt heraufbeschwört, eine Welt, in der die Menschen von Angst und Verzweiflung erfüllt kannibalisch übereinander herfallen. Eva Horn:
"Die Romantik sagt: Was der letzte Mensch sehen wird, ist eine Menschheit, die in komplette Barbarei verfallen ist, eine Menschheit, die im Grunde genommen gar nicht verdient hat, gelebt zu haben. Das ist ein Vernichtungsurteil, das sich auch ganz ausdrücklich und polemisch gegen die optimistische Menschenfigur der Aufklärung wendet."
In einer imposanten Tour de Force durch die abendländische Kulturgeschichte rekapituliert Eva Horn die Geschichte der Weltuntergangsängste - von Karl Jaspers' und Günter Anders' Diagnosen über die Gefahren des Nuklearkriegs bis hin zu Hermann Kahns kaltschnäuzigen Analysen über die Plan- und potenzielle Gewinnbarkeit just dieses Nuklearkriegs.
Dystopien haben realen Charakter
Von den Gefahren des sogenannten atomaren Overkills ist in heutigen Debatten vergleichsweise wenig die Rede, ganz im Gegensatz zu den 80er Jahren, als die Bedrohung durch Pershing-2- und SS-20-Raketen massive Zukunftsängste ausgelöst hat. Heute beschäftigt uns die Angst vor einem Atomkrieg kaum noch, obwohl es durchaus Anlass für solche Ängste gäbe - die Nuklearwaffenarsenale sind immer noch prall gefüllt -, abgelöst wurden die seinerzeit allgegenwärtigen Atomängste vom Wandel des Weltklimas als derzeit hegemonialem Endzeit-Szenario.
Eines arbeitet Eva Horn in ihrem Buch deutlich heraus: Dass man apokalyptische Visionen kulturkritisch dekonstruieren kann, bedeutet noch lange nicht, dass sie auf bloßen Imaginationen beruhen. Ganz im Gegenteil: Viele Gefahren, die zeitgenössische Dystopien in grellen Farben heraufbeschwören, haben eine reale Basis, vom Klimawandel bis zum Raubbau an den planetaren Ressourcen. Das gerade macht diese Dystopien ja so beunruhigend.
Lustvolle Lektüre mit einer Portion Angst
"Zukunft als Katastrophe": Eva Horns Studie besticht durch die Souveränität, mit der die Autorin die ungeheure Fülle an Material, die sie da zusammengetragen hat, ordnet und interpretiert. Dass die Literaturwissenschaftlerin eine gewandte Feder führt - keine Selbstverständlichkeit bei akademischem Fachpersonal - macht ihr Buch, bei aller thematischen Unersprießlichkeit, zu einer anregenden, streckenweise sogar lustvollen Lektüre, auch wenn die Lustempfindungen des Lesers doch deutlich in Richtung Angstlust hinüberspielen. Aber das tun die dystopischen Meisterwerke Lars von Triers und Cormac McCarthys schließlich auch.
Eva Horn: "Zukunft als Katastrophe"
S. Fischer Verlag, 480 Seiten, 24,99 Euro
ISBN: 978-3-10-401376-3
S. Fischer Verlag, 480 Seiten, 24,99 Euro
ISBN: 978-3-10-401376-3