Sonntagmorgen zehn Uhr. Die Saddleback-Gemeinde hat für ihren Gottesdienst eine Partylocation in Mitte gemietet. Rund 300 Menschen kommen. Familien mit Kindern. Ältere Ehepaare. Jeder wird persönlich begrüßt. Die Stimmung ist fröhlich. Es wird gelacht. Man kennt sich. Umarmt sich. Marwitz, Mitte 20, Programmierer, freut sich auf die Messe.
"Also ich war früher viel in der evangelischen Kirche, nein, es ist wirklich so, die jungen wurden meistens nicht angesprochen, und es war auch sehr strikt, alles hatte seine Regeln und hier, man kann kommen, wie man ist, und wird willkommen geheißen, für ne Großstadt, - Wahnsinn!"
Partystimmung am Sonntagmorgen
Dave Schnitter, der Pastor, weiß, wie er seine Gemeinde in Stimmung bringt. Kaum einen hält es mehr auf den Sitzen – Partystimmung am Sonntagvormittag. Die Botschaft ist etwas verschwommen. Was hängen bleibt: Jesus liebt dich.
"Kann man denn auch Glauben leben auf nicht so traditionelle Art, auf moderne? Weil es näher dran ist am Leben, und weil dem Durchschnittsberliner die traditionellen Formen so fremd sind, weil wir Lieder singen aus dem 17. Jahrhundert, mit Instrumenten aus dem 18. Jahrhundert, auf Kirchenbänken aus dem 16. Jahrhundert. Und das ist ja alles so weit weg von uns. Ich glaube Leute, die so eine spirituelle Ader haben und denen Glauben wichtig ist, für die ist das spannend."
Eine der erfolgreichsten religiösen Neugründungen in Berlin
Im Büro der Saddleback-Filliale: Es liegt im Erdgeschoss eines Altbaus im bürgerlichen Stadtteil Charlottenburg und sieht eher aus wie ein Studentencafé. Abgewetzte Ledersofas, Laptops, bunte Poster. Mit über 1.000 Mitgliedern ist Saddleback eine der erfolgreichsten christlichen Neugründungen in Berlin. Und das in einer Stadt, in der rund ein Drittel der Einwohner nicht religiös gebunden ist. Viele Mitglieder von Saddleback haben der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt - so wie Tony, der im Büro mitarbeitet.
"Die Botschaft war wichtig, im Sinne, persönlich sich weiter zu entwicklen, nicht nur, - also wir lesen jetzt was aus der Bidel, sondern wir gehen heute mal durch, wie du besser im Beruf werden kannst. Für mich war es wirklich so, dass ich ein spirituelles Zuhause gefunden habe."
Gemeindearbeit als verbindendes Element
Neben den Sonntagsgottesdiensten, die mit Live-Musik wie Feste zelebriert werden, treffen sich die Gemeindemitglieder in kleinen Gruppen, meist zu Hause. Rolf Schieder, Professor für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin, hält das für eines der Erfolgsrezepte.
"Wenn wir mit einem Freund oder Freundin reden und die spirituelle, religiöse Bedürfnisse äußert, würden wir ihr raten, doch lieber mal zum Therapeuten zu gehen oder ein Bier zu trinken, also religiöse Lebendigkeit ist bei uns eher etwas, was wir kritisch betrachten.
Das ist aber in den USA nicht der Fall. Was sie schaffen ist, dass sie in den Metropolen, wo es eine gewisse Schicht von jungen Erfolg suchenden Leuten gibt, auch mit Familien, für die sind solche Angebote durchaus attraktiv."
Die Menschen da abholen, wo ihre Probleme liegen
Die Menschen dort abholen, wo ihre Probleme liegen. Lebensberatung verknüpft mit einem spirituellen Angebot, das hat auch die Berlinerin Daniela überzeugt:
"Wir haben auch die erste Kleingruppe gestartet, wo wir uns treffen, austauschen, ganz praktisch über die Alltagsprobleme reden und dann zusammen es vom Wort Gottes beleuchten. Was sagt Gott, sagt er uns was dazu und dann beten wir auch und alle gehen immer total innerlich aufgeladen, emotional aufgeladen nach Hause!"
Der Erfolg in Berlin allerdings ist verwunderlich. Dave Schnitter, der Berliner Pastor, bezeichnet sich als "evangelikal". Und merkt gleich, was er damit auslöst.
"Ah, jetzt habe ich das Wort benutzt, Evangelikale! Das Wort 'evangelikal' heißt ja eigentlich, wir sind dem Evangelium treu, wenn wir diese Definition nehmen, dann sehr sehr gerne, aber leider ist evangelikal ja auch ein sehr politisches Wort geworden. Evangelikal heißt vielleicht Trump-Wähler oder Abtreibungsgegner - und da ist man gleich in so einer Schublade drin. Aber ich bin ein evangeliumstreuer Christ, wenn es um die Bibel geht, - ich weiß nicht, ob das Sinn macht?"
Evangelikale in Deutschland nehmen zu
Rund 25 Prozent aller Christen in den USA bezeichnen sich als "evangelikal". In Deutschland schätzt man den Anteil auf drei Prozent. Tendenz steigend. Wie in den USA finanzieren die Gläubigen auch hier ihre Kirche mit dem so genannten "Zehnten".
"Also es gibt ja in der Bibel, im Alten Testament, zehn Prozent der Ernte sollte man beiseite legen und dann in den Tempel bringen. Und von dort wurde es verteilt an die Armen sozusagen.
Wir reden darüber, aber wir kontrollieren das jetzt nicht. Mittlerweile sind wir selbsttragend, also modern würde man sagen wie so ein Franchise, so könnte man das vergleichen, wir sind die Berliner Filiale."
Predigt per Videoschalte
Und wie in jedem Franchise-Unternehmen, gibt die Zentrale die Richtung vor. Das ist auch bei Saddleback nicht anders. Jeden Sonntag wird die Predigt von Kirchengründer Rick Warren per Video in den Gottesdienst übertragen. Dave Schnitter predigt nicht selbst. Für Martin Radermacher, Religionswissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum, ein klares Zeichen:
"Natürlich ist aber die Abhängigkeit von Saddleback sehr groß, denn gerade Saddleback ist ja zentriert um die Figur Rick Warren, das ist eine charismatische Persönlichkeit, ein Prediger, der die Leute fesseln kann. Er versteht es auch ganz gut, sich an populärkulturelle Stile anzupassen und dabei doch konservative christliche Inhalte zu transportieren. Aber er kann damit umgehen, dass diese Themen gerade in Deutschland ganz anders aufgenommen werden als bei manchen sehr konservativen Christen in den USA."
Ein Prediger als Superstar
Wie das geht, zeigt Kirchengründer Rick Warren bei einem seiner seltenen Auftritte im Berliner Zoopalast: Über 1.000 Anhänger sind gekommen, um ihn zu sehen. Wie ein Superstar betritt er die Bühne.
"Have I told you lately that I love you? I am going to tell you, my favorite Saddleback church in the whole world is Saddleback Berlin!"
Als konservativer Baptist glaubt Warren an monogame Zweierbeziehungen und Enthaltsamkeit bis zur Ehe. In der Vergangenheit hat er sich öffentlich gegen die Homo-Ehe ausgesprochen. Ein Thema, das er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk nach dem Gottesdienst geschickt umschifft:
"Jeder verdient Respekt, und als ein Anhänger von Jesus Christus muss ich meine Feinde lieben. Sie müssen mich nicht lieben, aber ich darf niemanden hassen. Das heißt natürlich nicht, dass ich mit allem einverstanden sein muss und die Leute müssen auch nicht einverstanden sein mit dem, was ich glaube. Aber jeder ist willkommen, egal wie er lebt, welches Geschlecht er hat, jeder ist willkommen!"
Seine Botschaft kommt an. Nach dem Gottesdienst reihen sich die Besucher brav in eine Schlange für ein Selfie mit Rick Warren. Ein Star zum Anfassen. Er umarmt jeden, lächelt, hört geduldig zu.
"Eine wirklich gute Botschaft, im Herzen gelandet. Deshalb bin ich bei Saddleback, das ist einfach das, was Gott im Leben der Menschen möchte."