Archiv

Evangelische Kirche
"Das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben"

Die Evangelische Kirche appelliert an die EU, Seenotrettung im Mittelmeer nicht zu behindern. Dass Seenotretter kriminalisiert würden, sei unerträglich, sagte EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm im Dlf. "Es kann nicht sein, dass Menschen im Mittelmeer sterben, und Europa schaut zu."

Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Sandra Schulz |
Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland fährt mit einem Schlauchboot zum "Schiff Sea-Watch 3", das im Hafen von Licata liegt.
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm fährt mit einem Boot zum Rettungsschiff "Sea-Watch 3" (EKD/Evangelische Kirche in Deutschland/dpa)
Sandra Schulz: Das Mittelmeer dürfe kein Friedhof werden. So warnte vor vielen Jahren der damalige italienische Premierminister Matteo Renzi. Viele Jahre blieben die italienischen Warnungen in der EU weitestgehend ungehört, die italienischen Hilferufe, die Mittelmeer-Anrainer dürften mit Flüchtlingen und Seenotrettung nicht allein gelassen werden. Die Quittung kam dann im vergangenen Jahr. Seitdem regiert in Italien eine Koalition aus rechtsgerichteter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung. Innenminister Salvini von der Lega fährt seitdem einen harschen Migrations- und Anti-Seenotrettungs-Kurs. Private Rettungsorganisationen werden seitdem behindert oder strafrechtlich verfolgt. Zuletzt wurde ein Schiff der deutschen Hilfsorganisation von Sea-Watch von italienischen Behörden zeitweise festgesetzt, nachdem das Schiff nach der Rettung von Migranten beschlagnahmt worden war.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, der ist jetzt nach Sizilien gereist, hat die Sea-Watch-Crew getroffen und gestern auch den Bürgermeister von Palermo. Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Heinrich Bedford-Strohm ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen!
Heinrich Bedford-Strohm: Ja, guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Die Evangelische Kirche in Deutschland hat ja viele Probleme. Warum dieser Besuch in Sizilien?
Bedford-Strohm: Das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben. Das Thema bewegt viele Menschen. Ich spüre das jetzt sehr stark im Zusammenhang mit meinem Besuch. Es bewegt junge Menschen, alte Menschen. Es kann nicht sein, dass Menschen im Mittelmeer sterben, und Europa schaut zu. Und die einzigen, die wirklich helfen, die diese Menschen retten, die am Ertrinken sind, die werden auch noch kriminalisiert. Deswegen können wir das nicht einfach länger hinnehmen. Deswegen bin ich da hingefahren.
Wir unterstützen ja auch diese Seenotrettungs-Mission schon seit längerem als Evangelische Kirche in Deutschland und ich wollte mir jetzt vor Ort ein Bild machen und bin dann gestern hierher nach Palermo zurückgefahren und habe mit dem Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, der in der Sache auch sehr engagiert ist, einen Palermo-Appell veröffentlicht, mit dem wir Europa aufrufen wollen, dass endlich Mechanismen geschaffen werden, die dieses Sterben im Mittelmeer beenden.
"Da muss Europa jetzt endlich handeln!"
Schulz: Wie erleben Sie die Situation jetzt bei den Gesprächen, die Sie führen?
Bedford-Strohm: Ich bin zu dem Schiff Sea-Watch III in Licata in Südsizilien gefahren. Das liegt da im Hafen, das ist beschlagnahmt gewesen, die Crew durfte nicht auslaufen. Kurz vor meinem Besuch ist die Beschlagnahmung aufgehoben worden. Ich durfte allerdings nicht auf das Schiff gehen. Direkt davor war ein Sicherheitsbereich, den ich nicht überschreiten durfte. Ich bin dann auf einem Schlauchboot direkt ans Schiff gefahren, habe mir von der Crew erklären lassen, wie die Seenotrettung funktioniert, und habe natürlich berichtet bekommen, dass die Seenotretter weiterhin kriminalisiert werden. Das Schiff darf jetzt auslaufen, gegen den Kapitän laufen weiterhin Ermittlungen, und das ist dieser unerträgliche Zustand, dass die einzigen, die wirklich retten, auch noch kriminalisiert werden. Da muss Europa jetzt endlich handeln! Da muss auch die Bundesregierung handeln. Wir brauchen eine politische Notlösung sofort! Wir können nicht warten bis zum Herbst. Es gibt viele Städte und Gemeinden in Europa, die haben sich ja bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen. Die wollen sichere Häfen für Flüchtlinge sein. Sie dürfen aber nicht, weil die Staaten das blockieren. Das kann nicht länger so sein!
Schulz: Herr Bedford-Strohm, auf die politische Diskussion möchte ich mit Ihnen auch gleich kommen. Uns interessieren jetzt natürlich Ihre Eindrücke dort, wo Sie gerade sind und mit den Menschen sprechen. Unter welchen Bedingungen können die Seenotretter arbeiten?
Bedford-Strohm: Die fahren raus auf See. Es gibt ein Aufklärungsflugzeug, Moonbird, das wird auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland mit unterstützt. Dann werden Boote im Mittelmeer gesichtet und sobald Menschen da in Seenot gesichtet werden, wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, wo die Seenotrettungs-Schiffe dann dahin fahren. Sie nehmen die Menschen auf. Da gibt es natürlich absolut verstörende Szenen. Es gibt da Tote, es gibt junge Frauen mit Babys, die auf das Schiff genommen werden. Die ganze Gruppe bei der letzten Mission jetzt, die auf dem Schiff war, durfte nicht in den Hafen einlaufen. Die Leute sind seekrank. Man kann sich vorstellen, wenn man seekrank ist, was da alles passiert und dass das nicht ein sehr angenehmer Zustand ist, wenn Menschen da auf einem Schiff sind und nicht in den Hafen rein dürfen.
Und dann sollen sie auch noch getrennt werden. Dann sollen die Kinder an Land dürfen und die Mütter vielleicht, aber nicht die Väter. Dann verhandelt man und dann kommt am Ende raus, dass die einen an Land dürfen und die anderen nicht, und dann ist die Crew zurück in den Hafen gefahren, einfach reingefahren und hat alle Menschen an Land gebracht. Das ist die Grundlage jetzt für die Ermittlungen. So ist die Situation und all die Menschen, die im Mittelmeer sterben, ohne dass wir es überhaupt je erfahren, die kommen noch dazu.
"Wir dürfen Italien nicht alleine lassen"
Schulz: Wir haben die Diskussion um die Seenotrettung, die nun auch schon seit einiger Zeit läuft. Auch die Gegner der Seenotrettung, die nehmen die Toten im Mittelmeer ja nicht gleichgültig hin. Auch deren Wunsch ist es ja, das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Die argumentieren allerdings ganz anders. Die sagen, dass die Menschen auf diese gefährliche Überfahrt insgesamt ja nur gehen, weil unter anderem auch die kriminellen Schlepperbanden die Seenotrettung ohnehin schon eingepreist haben, und dass das Sterben im Mittelmeer erst dann vermieden werden kann, wenn die Leute erst gar nicht auf die Boote gehen. Was ist daran falsch?
Bedford-Strohm: Empirisch lässt sich das nicht nachweisen, dass durch die Rettung die Zahl der Menschen, die sich aufs Mittelmeer begeben, steigt. Vor allem muss man aber sagen, es kann doch keine Antwort sein, dass man die Flüchtlinge auf den Booten zurück nach Libyen schickt, und zwar in die Hände von Menschen gibt, die sie in Lager bringen, in denen die Menschenrechtsstandards zutiefst verletzt werden. Da setzt ein Kreislauf ein, dass die Menschen dann sich das Geld durch Zwangsprostitution und Ähnliches wieder verdienen müssen, um den nächsten Versuch zu machen, und da werden sie wieder aufgegriffen, werden wieder in die Lager geschickt. Das kann nie und nimmer eine Lösung sein.
Wenn jemand sich in Gefahr begibt, mit dem Auto risikoreich fährt und einen Unfall hat, dann lässt man ihn nicht an der Unfallstelle verbluten. Dann hilft man und genauso muss es auch in diesem Fall sein.
Schulz: Jetzt haben wir auch eine harsche Kritik, die geäußert wird an Innenminister Salvini, an dem italienischen Innenminister von der Lega. Gleichzeitig wissen wir, dass die Lega jetzt bei den Europawahlen wieder Rekordergebnisse eingefahren hat. Und – das ist ja auch das Argument, die Argumentation aus Italien – das ist unsere Antwort darauf, dass die EU uns jahrelang allein gelassen hat. Was antworten Sie darauf?
Bedford-Strohm: Ich glaube, es ist richtig, dass wir Italien nicht alleine lassen können. Deswegen ist jetzt genau Europa gefragt. Das ist der Grund für unseren Palermo-Appell und ich bin sehr dankbar dafür, dass der so breit unterstützt wird. Wir haben jetzt gerade ein Video auf www.ekd.de eingestellt. Da kann man sich davon überzeugen. Da haben Menschen Statements abgegeben für diesen Palermo-Appell, die Oberbürgermeisterin von Köln, Reker, Robert Habeck, Ruprecht Polenz, Gesine Schwan, die Erzbischöfin von Schweden ist dabei, Annette Kurschus, die Präses von der Kirche in Westfalen, und Manfred Rekowski aus dem Rheinland. Viele Menschen unterstützen diesen Appell und das ist unsere Antwort. Es ist richtig: Wir dürfen Italien nicht alleine lassen. Deswegen müssen wir einen Mechanismus etablieren, bei dem klar ist, wenn Boote mit Flüchtlingen, geretteten Flüchtlingen nach Italien kommen, dann werden sie verteilt in verschiedene Städte und Orte Europas, wo sie sicher leben können. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Europa, die kann man auch nicht an Italien abschieben.
"Aus den Zahlen müssen echte Menschen und Gesichter werden"
Schulz: Sie sprechen von vielen Menschen. Es gibt aber auch viele Menschen, die das Ganze nun ganz anders sehen. Ich habe es gerade schon zitiert, die Erfolge der rechtsgerichteten Parteien bei der Europawahl. Wir haben in Deutschland gesehen, dass in Brandenburg und in Sachsen die AfD stärkste Kraft geworden ist bei der Europawahl, und wir wissen ja, dass die AfD ihre Wähler auch über das Migrationsthema weiterhin stark mobilisiert. Wir sprechen über Menschen, die in Sorge darüber sind, dass sich Deutschland verändert, zu stark verändert durch die Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern. Müssen Sie das als Vertreter einer der christlichen Kirchen nicht auch ernst nehmen?
Bedford-Strohm: Ja, natürlich nehmen wir das ernst. Wir sind ja im Gespräch natürlich mit vielen Menschen, auch mit Menschen, die anderer Meinung sind. Meine Erfahrung ist, der Punkt, an dem die Menschen sehr genau hinhören und an dem die Menschen sich berühren lassen, ist, wenn die konkreten Geschichten sichtbar werden, wenn deutlich wird, es handelt sich nicht um irgendeine Zahl von irgendwelchen Flüchtlingen, es handelt sich um Menschen. Und wir als Christen sagen, jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes. Das ist eine ungeheure Aussage. Und deswegen: Wenn die Schicksale der Menschen, die Gesichter der Menschen, die Stories der Menschen sichtbar werden, so ist meine Erfahrung, dann sind die Leute sehr offen dafür, auch zu helfen. Das ist ein wichtiger Grund auch für meine Reise hier nach Sizilien gewesen, dass ich mithelfen möchte mit vielen anderen zusammen, dass aus den Zahlen wirklich echte Menschen werden und Gesichter werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.