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Evangelische Kirche
Tumult statt Konsens

Mehr Bibeltreue und weniger Gender-Debatten, fordern konservativ-evangelikale Christen. Liberale Gläubige sehen darin eine Nähe zu populistischen Positionen. Vielerorts gibt es Spannungen um den rechten Protestantismus - in einer schwäbischen Gemeinde ist ein offener Konflikt ausgebrochen.

Von Uschi Götz |
    Zwei Streitende beschuldigen sich gegenseitig.
    Im Gespräch bleiben, auch wenn die Auffassungen weit auseinandergehen - das fällt auch der Kirchengemeinde in Hegnach schwer (imago/Ikon Images)
    "Das, was mir zugetragen wurde, ist, dass Leute aufgestanden sind, dass geschrien wurde, dass einige von den Unterzeichnern auch den Raum verlassen haben. Dabei ist es zu den persönlichen Verletzungen gekommen." Dekan Timmo Hertneck erzählt ruhig, versucht beiden Seiten in seiner Beschreibung gerecht zu werden. Öffentlich wollen die wenigstens etwas sagen, die Sache ist heikel. Der Versuch, einen Streit zwischen zwei kirchlichen Strömungen im Waiblinger Teilort Hegnach mittels Schlichtung beizulegen, endete im Oktober in einem Tumult.
    Das Kirchenjahr ist zu Ende, die Gemeinde gespalten wie nie zuvor. Langjährige Kirchenmitarbeiter haben gekündigt, Eltern lassen ihre Kinder woanders konfirmieren, auch von Kirchenaustritten ist die Rede. Bibeltreue Protestanten haben sich mit liberalen Christen überworfen, im Mittelpunkt steht dabei ein evangelischer Pfarrer, der 2016 in die rund 4500 Einwohner zählende Gemeinde nordöstlich von Stuttgart kam.
    Dekan Hertneck spricht von einem schweren Konflikt, ist aber zuversichtlich, den Streit beilegen zu können: "Das ist ein ganz wichtige innerevangelischer Diskurs, der hier stattfindet, bei dem es darum geht, dass die Menschen im Gespräch bleiben, und zwar über verschiedene theologische Anschauen hinweg."
    Die Botschaft des Luthers-Slams
    Liberal oder evangelikal? Der Hegnacher Pfarrer ist seit Februar 2016 Mitglied des Netzwerks "Bibel und Bekenntnis", ein Zusammenschluss von ultra-evangelikalen Protestanten. Seine Meinung über Andersdenkende in der evangelischen Kirche trägt der Pfarrer im vergangenen Jahr in einem Sprechgesang, von ihm Luther-Slam, genannt vor: "Es braucht Menschen, die hören, so wie Du hörtest. Dass die Botschaft in unseren Tagen schon zu oft verdreht wird, dass längst nicht wahr ist, was unter Kanzeln gehört wird."
    Dass längst nicht wahr ist, was unter Kanzeln gehört wird? Etliche Besucher des Gottesdienstes trauten ihren Ohren nicht, erinnern sich einige aus der Gemeinde. Zu den sanften Klängen erklärte der Pfarrer, die Heilige Schrift lege sich selbst aus: "Sie bedarf dazu nicht eines ihr übergeordneten Lehramtes, ganz egal ob unten in Rom, oder oben in Hannover. Game over. Es braucht Menschen, die lehren, so wie du lehrtest, dass die Kleinen in den Gemeinden das Recht haben, die Bibel zu lesen und besser zu verstehen als die Bedfords und Strohms und Kässmanns und Gundlachs und Görings und Eckardts."
    Der Pfarrer lehnt ein Interview ab
    Mit der Begründung, er wolle mit allen Menschen in der Kirchengemeinde im Gespräch bleiben, lehnt der Hegnacher Pfarrer ein Interview mit dem Deutschlandfunk ab. So bleibt etwa die Frage unbeantwortet, wer den Kirchenkritiker und Mitbegründer des Netzwerkes "Bibel und Bekenntnis", Ulrich Parzany, in diesem Sommer in die schwäbische Gemeinde eingeladen hat offen.
    Parzany gilt als einer der schärfsten Kritiker der Evangelischen Kirche Deutschlands. Bei seiner Predigt im Schwäbischen geht es um die "Bibelnot": "Wir brauchen aber das Bibel lesen nicht nur täglich, sondern wir brauchen Bibelstudium in Predigten, in Bibelabenden und Hauskreisen. Und wir brauchen die Verkündung der biblischen Botschaft für suchende, distanzierte und kritische Menschen, das nennen wir Evangelisation."
    "Wir gehen weg von diesem Landeskirchlichen. Es war nichts mehr mit feministischen Themen oder Weltgebetstagsthemen, oder Ökumene war auch nicht mehr, gefühlt, nicht mehr wichtig", sagt eine Hegnacherin. Die Frau mittleren Alters ist in der Gemeinde aufgewachsen, und war in vielen kirchlichen Bereichen ehrenamtlich engagiert. Als die Gottesdienste zunehmend zu einem Happening gerieten, Gesangbücher nicht mehr verteilt wurden, beschwerten sich etliche Kirchengemeindemitglieder beim Dekan: "Es wurde immer populistischer, um den Begriff mal zu verwenden."
    Schlichtung scheiterte
    In einem Aufruf forderten in der Folge über 40 Unterzeichner eine Kirchengemeinde mit einem pluralen Profil. Daraufhin kam in der Gemeinde ein Schlichter zum Einsatz. Doch seine Mission scheiterte, wie der Waiblinger Dekan berichtet: "Diese Schlichtung lief gut an. Nach dieser Anhörung gab es ein Auswertungsgespräch, in dem es auch zu Auseinandersetzungen kam, die dann für die eine Seite so schwerwiegend war, dass sie sagten: 'Wir geben bekannt, die Schlichtung ist gescheitert'."
    Die Seite der Evangelikalen stieg aus der Schlichtung aus. Seitdem ist die Hegnacherin, die sich jahrzehntelang in der Gemeinde engagiert hat, nicht mehr in der Kirche gewesen: "Da geht es nicht mehr um rechts oder links, fortschrittlich oder nicht fortschrittlich, sondern da geht es ja um das, dass man mit einem anderen Lebensentwurf oder anderen Vorstellungen nicht umgehen möchte, und im Prinzip die Leute rausschmeißt."
    Der Dekan versucht, zu versöhnen
    Jetzt ist Dekan Timmo Hertneck an der Reihe. Er soll den scheinbar unüberwindbaren Konflikt beilegen, beide Seiten miteinander versöhnen: "Jetzt bin ich im Moment drin und führe Gespräche, versuche durchaus Impulse zu setzen von denen ich hoffe, sie wirken schlichtend und bringen die Leute zusammen. Aber im Moment bin ich in einer ganz intensiven Anhörungsphase." Am zweiten Advent wollen Dekan und Pfarrer gemeinsam einen Gottesdienst feiern.
    Bei der Landeskirche beobachtet man derweil die Dynamik des Streits mit großer Aufmerksamkeit. Oliver Hoesch, Sprecher der Evangelischen Landeskirche in Württemberg betont: "Wenn das auch nicht hilft, dann gibt es das Mittel einer außerordentlichen Visitation. Visitation ist im normalen Rhythmus alle acht Jahre, in der Landeskirche. Der Dekan schaut, wie erfüllt die Gemeinde den Auftrag, den sie hat. Wie ist sie vernetzt in der Öffentlichkeit? Bei einer außerordentlichen Visitation kann man sich auf spezielle Konfliktfälle fokussieren."