"Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass ich von niemandem zum Rücktritt gedrängt worden bin. Angesichts der kirchlichen und gesellschaftlichen Lage konnte und durfte ich dieser Kirche, die ich liebe, keine öffentliche Debatte über einen vermeintlich rechtslastigen Landesbischof zumuten", sagte Carsten Rentzing in der Dresdner Lutherkirche, nachdem er seine Amtskette abgegeben und die Entlassungsurkunde entgegengenommen hatte. Zurückgetreten war der Bischof, nach Bekanntwerden von Texten, die von der Kirchenleitung als in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich bewertet werden. Viele Kirchenmitglieder bedauern den Rücktritt.
"Ich glaube, wenn die LK-Leitung sich vor ihn gestellt hätte und das abgewiesen hätte und das aufgearbeitet hätte, was für Anwürfe da überhaupt erhoben wurden - die sind ja nachweislich überhaupt nichts wert - dann hätte er nicht zurücktreten brauchen", sagt eine Gottesdienstbesucherin.
Schweigen wie Apostel Paulus
Verfasst habe er die Artikel zwischen 1989 und 1992 noch als Jurastudent, rechtfertigte sich Rentzing in seiner über 20-minütigen Rede. Als spätberufener Christ habe er sich bereits während seines anschließenden Theologiestudiums von dieser Vergangenheit gelöst. "Positionen, die ich vor 30 Jahren vertreten habe, teile ich heute nicht mehr", stellte Rentzing klar und beklagte gleich darauf den respektlosen Umgang mit seiner Person. Sein mehr als 25 Jahre langes Schweigen begründete er mit einem Wort des Apostels Paulus:
"Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden."
Seinen Kritikern warf Renzing hingegen vor, gezielt nach belastendem Material gegen ihn gesucht zu haben: "Wie hätte ich mir auch vorstellen sollen, dass man schon seit Langem auf der Suche nach einem Angelhaken in meinem Leben war."
Rentzing suchte und fand in seiner Predigt die altbekannten Angelhaken im Leben anderer Amtsträger, ohne die Namen von Winfried Kretschmann und Joschka Fischer zu nennen, führte er aus:
"Eines will ich aber an dieser Stelle auch sagen, in meiner Hosentasche befand sich keine Mao-Bibel, ich habe nicht dem afrikanischen Diktator Idi Amin gehuldigt und schon gar nicht einem Menschenschlächter wie Pol Pot, wie es ein amtierender Ministerpräsident der BRD in seiner Jugend getan hat. Ich habe auch keine Polizisten auf der Straße verprügelt, wie ein ehemaliger Außenminister der Bundesrepublik. Gnadenlosigkeit aber habe ich erfahren."
"Gnadenlose Treibjagd"
In diversen Wortmeldungen ist seit dem Rücktritt von einer "gnadenlosen Treibjagd", von einer "Hetzkampagne" die Rede. "Wegen seines Festhaltens an der heiligen Schrift und der Nichtanpassung an den Zeitgeist?", wird auf der Internetseite der Sächsischen Bekenntnisinitiative gefragt, eine im Januar 2012 gegründete Plattform bibeltreuer Protestanten in Sachsen.
Schon damals habe sich der Riss zwischen konservativen und liberalen Christen in der Landeskirche gezeigt, erklärt Pfarrerin Ines Mory aus Oppach in der Oberlausitz. Die Kirchenparlamentarierin lehnt fundamentalistische Positionen ab.
"Ja, ich denke jetzt gerade an die ganze Zerstrittenheit um die Frage, dürfen gleichgeschlechtliche Paare im Pfarrhaus leben, das sind ja auch unterschiedliche biblische Stellen herangezogen worden, was einerseits aus Sicht der Bibel verboten ist."
Etwa ein Fünftel aller Kirchgemeinden schloss sich 2012 dem Protest gegen das neue Pfarrerdienstrecht an, nach dem gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam im Pfarrhaus leben dürfen - undenkbar in den meisten Gemeinden im Erzgebirge und Vogtland. Auch nicht in Markneukirchen, wo Carsten Rentzing vor seiner Wahl zu Bischof Pfarrer war. Er gehörte zu den Unterstützern der Sächsischen Bekenntnisinitiative. Eine homosexuelle Lebensweise entspreche nicht dem Schöpfungswillen Gottes, sagte er 2012. Doch suchte er dann zusammen mit anderen Synodalen und der Kirchenleitung nach einem Kompromiss, der den Gemeindevorständen erlaubt, dafür oder dagegen zu entscheiden. Persönlich lehnte er dann auch als Bischof selbst eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in Kirchenräumen ab. Aus Glaubensgründen, wie er immer wieder betonte. 2012 sagte er:
"Dass es darüber hinaus seelsorgerliche Einzelfälle geben wird, in denen anders verfahren wird, das ist ein Verfahren, das in der Kirche Jesu Christi immer üblich war, auch damit kann ich geistlich gut umgehen, und ich hoffe, dass diejenigen, die ähnlich kritisch denken, dem auch folgen können."
Notstand versus "Frei und fromm"
Andere, wie der Leiter des sogenannten Evangelisationsteams Lutz Scheufler, provozierten 2012 hingegen eine Spaltung der Landeskirche. Sie riefen den Bekenntnisnotstand aus, den 'status confessionis', und beriefen sich dabei sogar auf die Barmer Synode von 1934. Die Kampagne der Evangelikalen richtete sich damals auch gegen den als liberal geltenden Landebischof Jochen Bohl.
Als theologischen Gegenpol zu den Erzgebirgs-Konservativen gründeten Leipziger Theologen und Laien 2016 das sächsische Forum für Gemeinschaft und Theologie "Frei und fromm".
In Sachen Nächstenliebe gebe es keinerlei Abstriche, sagte Pfarrer Christoph Meier von der Leipziger Bethlehem-Gemeinde. Auch das stehe in der Bibel.
"Dort, wo Menschen diskriminiert und ausgegrenzt werden, werden wir immer die Stimme erheben und dagegen, sein. Diese Menschengehören zu uns."
Aus dem Umkreis der Leipziger Forums kam dann auch immer wieder Kritik an Rentzings zögerlichem Umgang mit völkisch-nationalistischen Positionen der AfD. Er sei keiner Einladung gefolgt, wo er sich hätte erklären können, lautete ein Vorwurf in der Petition "Nächstenliebe braucht Klarheit". Und so machte der als scharfer Rentzing-Kritiker bekannte ehemalige Pfarrer Christian Wolff nach Bekanntwerden des Rücktritts keinen Hehl aus seiner Genugtuung:
"Was ich immer schon vermutet habe, hat sich ja nun herausgestellt, dass er doch auch inhaltlich sehr stark verortet ist, oder zumindest war in der rechtsnationalistischen Szene, das ist für einen Bischof aus meiner Sicht nicht akzeptabel."
Sächsischer Scherbenhaufen
Seine damals schriftlich dargelegten Gedanken seien antidemokratisch gewesen, gab Rentzing nach seiner Entpflichtung als Landesbischof reumütig zu. Er habe aber nicht zerstören, sondern verbessern wollen. Doch bereits nach seiner Wahl 2015 sei er von einer kleinen Gruppe innerhalb der Landeskirche nicht akzeptiert und unter die "Hermeneutik des Verdachts" gestellt worden, klagte er.
Bei seinem Abschied sagte er: "Formen der politischen Agitation und des politischen Kampfes sind dabei zur Anwendung gekommen, die schon im Bereich der Politik verderbliche Wirkung entfalten können. Im Bereich der Kirche aber zerstören sie das Entscheidende. Die kirchliche Gemeinschaft. Denn es gibt keine progressive, es gibt keine liberale und auch keine konservative Kirche, es gibt nur die Kirche unseres Herrn Jesus Christus."
Die Auseinandersetzungen um den Rücktritt des Landesbischofs prägten auch die Herbsttagung der sächsischen Landessynode, die Montagabend zu Ende ging. Da wurde noch einmal deutlich, wie groß die Unterschiede zwischen den zwei Lagern in der sächsischen Kirche tatsächlich sind. Stundenlang stritten die Synodalen um eine Erklärung. Während die einen auf die Verdienste Rentzings pochten, verlangten andere einen geistlichen Neuanfang.
Ein Synodaler sagte: "Der einzige Grund für den Rücktritt war er selber und das, was er im Gebet gefunden hat. Dann müsste man meines Erachtens auch mit Klarheit sagen, dass die Art und Weise, wie dieser Rücktritt erfolgte, dem Amt in keiner Weise angemessen war und uns einen großen Scherbenhaufen hinterlassen hat."
Mitgliederschwund zwingt zu Strukturreformen
"Wir haben gelernt, dass der Wille zur Gemeinschaft auch mit Schmerzen und Mühen verbunden ist.", heißt es nun. Wichtig sei, dass "wir einander trotz unterschiedlicher Positionen nicht verurteilen." Als Reaktion auf die Causa Rentzing soll sich eine Arbeitsgruppe damit beschäftigen, was eigentlich wertekonservativ und was extremistisch ist. Für die Synodale Ines Mory aus Oppach heißt das:
"Konservativ ist gut, aber wie weit reicht konservativ und was bedeutet dann…'Rechtsaußen'? Also, hier braucht´s Klarstellungen auch angesichts der parteipolitischen Situation in Sachsen, was ist mit dem christlichen Glauben noch vereinbar und was geht darüber hinaus. Also, ich denke, darüber sollten wir reden. Ein Ausgangspunkt könnte die Menschenwürde sein."
Behauptungen, konservative Christen hätten es in der sächsischen Landeskirche zunehmend schwerer, weist die promovierte Alttestamentlerin zurück.
"Natürlich kann man in der sächsischen Landeskirche noch konservativ sein. Also ich denke, unsere Frömmigkeitsrichtungen sind so unterschiedlich, wie sie auch in all den Jahrhunderten schon unterschiedlich ausgeprägt waren. Also in der Nähe, wo ich wohne, in Herrnhut … da ist auch ne Schule, in der ich arbeite; wenn man bedenkt, die Geschichte von Herrnhut, das war die Grundlage des Pietismus, also ich denke, wir halten uns auch uns gegenseitig aus, in unseren unterschiedlichen Frömmigkeitsausrichtungen."
Allerdings sieht die Oppacher Pfarrerin einen stärker werdenden Trend zu fundamentalistischen Positionen in der evangelischen Kirche. Selbst die Studierenden an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig seien evangelikaler geworden.
"Den Trend zur Individualisierung einerseits und zu Säkularisierung andererseits, der dazu führt, dass die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren, und dass man sich besinnt auf die Fundamente und sich zurückzieht. Und da enger die Dinge fasst, als man sie sonst freier leben würde in seinem Glauben. Und so ein fundamentalistisches Bibelverständnis immer mehr zu nimmt."
Was in der Debatte um Rentzing und die Rechte in den Hintergrund gerät, was aber den Nachfolger oder die Nachfolgerin beschäftigen wird: Der Mitgliederschwund zwingt die sächsische Landeskirche zu radikalen Strukturveränderungen. Das heißt, weniger Pfarrer, Kantoren und Gemeindepädagogen. Diese Reformen wurden vom ehemaligen Landesbischof Carsten Rentzing vorbehaltlos mitgetragen.